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Maigret und der faule Dieb
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eBook167 Seiten2 Stunden

Maigret und der faule Dieb

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Über dieses E-Book

Im winterlichen Bois de Boulogne wird eine Leiche gefunden, doch Maigret soll sich um andere Dinge kümmern. Dabei kennt er das Opfer gut: Es ist Honoré Cuendet, ein sympathischer Dieb, der dem Kommissar fast so etwas wie ein Freund war. Ist der brutale Mord an einem kleinen Gauner alter Schule, der niemandem je Gewalt angetan hat, weniger wichtig als die Machenschaften einer skrupellosen Verbrecherbande? Maigret widersetzt sich der Staatsanwaltschaft – und ermittelt gemeinsam mit dem lokalen Inspektor Aristide Fumel.
SpracheDeutsch
HerausgeberKampa Verlag
Erscheinungsdatum12. Juni 2020
ISBN9783311701484
Maigret und der faule Dieb
Autor

Georges Simenon

Georges Simenon, geboren am 13. Februar 1903 im belgischen Liège, ist der »meistgelesene, meistübersetzte, meistverfilmte, mit einem Wort: der erfolgreichste Schriftsteller des 20. Jahrhunderts« (Die Zeit). Seine erstaunliche literarische Produktivität (75 Maigret-Romane, 117 weitere Romane und über 150 Erzählungen), seine Rastlosigkeit und seine Umtriebigkeit bestimmten sein Leben: Um einen Roman zu schreiben, brauchte er selten länger als zehn Tage, er bereiste die halbe Welt, war zweimal verheiratet und unterhielt Verhältnisse mit unzähligen Frauen. 1929 schuf er seine bekannteste Figur, die ihn reich und weltberühmt machte: Kommissar Maigret. Aber Simenon war nicht zufrieden, er sehnte sich nach dem »großen« Roman ohne jedes Verbrechen, der die Leser nur durch psychologische Spannung in seinen Bann ziehen sollte. Seine Romane ohne Maigret erschienen ab 1931. Sie waren zwar weniger erfolgreich als die Krimis mit dem Pfeife rauchenden Kommissar, vergrößerten aber sein literarisches Ansehen. Simenon wurde von Kritiker*innen und Schriftstellerkolleg*innen bewundert und war immer wieder für den Literaturnobelpreis im Gespräch. 1972 brach er bei seinem 193. Roman die Arbeit ab und ließ die Berufsbezeichnung »Schriftsteller« aus seinem Pass streichen. Von Simenons Romanen wurden über 500 Millionen Exemplare verkauft, und sie werden bis heute weltweit gelesen. In seinem Leben wie in seinen Büchern war Simenon immer auf der Suche nach dem, »was bei allen Menschen gleich ist«, was sie in ihrem Innersten ausmacht, und was sich nie ändert. Das macht seine Bücher bis heute so zeitlos.

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    Buchvorschau

    Maigret und der faule Dieb - Georges Simenon

    Kampa

    1

    Nicht weit von Maigrets Kopf ertönte ein schrilles Geräusch. Aufgeschreckt und verärgert begann er sich hin und her zu wälzen, streckte einen Arm unter der Bettdecke hervor und schlug durch die Luft. Er wusste, dass er in seinem Bett lag, und auch, dass seine Frau neben ihm war. Sie war schneller wach als er und wartete im Dunkeln, traute sich aber nicht, etwas zu sagen.

    Worüber er sich aber täuschte, einige Sekunden lang zumindest, war die Herkunft dieses aufdringlichen und aggressiven Geräuschs. Der Irrtum unterlief ihm immer im Winter, wenn es draußen sehr kalt war.

    Er glaubte dann, der Wecker hätte geklingelt, obwohl schon seit seiner Heirat keiner mehr auf seinem Nachttisch stand. Und es war sogar noch länger her, dass ihn das Rasseln eines Weckers so früh aus dem Schlaf gerissen hatte, als er nämlich Ministrant gewesen war und um sechs Uhr in der Morgenmesse ausgeholfen hatte.

    Allerdings hatte er das auch im Frühling, im Sommer und im Herbst getan. Warum erinnerte er sich trotzdem immer nur an Dunkelheit, Frost, steife Finger und Winterstiefel, die eine dünne Eisschicht knacken ließen?

    Als er sich aufsetzte, stieß er wie so oft ein Glas um, und Madame Maigret machte im gleichen Augenblick die Nachttischlampe an, in dem er nach dem Telefonhörer griff.

    »Maigret … Ja …«

    Es war zehn nach vier, und wie immer, wenn es besonders kalt war, war es draußen totenstill.

    »Hier Fumel, Herr Kommissar …«

    »Wie?«

    Er konnte ihn schlecht hören. Es klang, als würde der andere durch ein Taschentuch sprechen.

    »Hier ist Fumel, vom 16. Arrondissement …«

    Der Mann sprach so leise, als hätte er Angst, vom Nebenzimmer aus belauscht zu werden. Da der Kommissar nicht antwortete, fügte er hinzu:

    »Aristide …«

    Aristide Fumel, natürlich. Maigret war jetzt endlich wach und fragte sich, warum zum Teufel Inspektor Fumel vom 16. Arrondissement ihn um vier Uhr morgens weckte.

    Und warum klang seine Stimme so geheimnisvoll und gedämpft?

    »Ich weiß nicht, ob es richtig ist, dass ich Sie anrufe … Ich habe sofort meinen Chef benachrichtigt. Er hat gesagt, ich soll die Staatsanwaltschaft anrufen, und dort habe ich den diensthabenden Vertreter erreicht …«

    Obwohl Madame Maigret nur die Antworten ihres Mannes hörte, stand sie schon auf, tastete mit den Fußspitzen nach ihren Pantoffeln, zog ihren wattierten Morgenmantel an und ging in die Küche, wo man gleich darauf das Gas zischen und dann Wasser in den Kessel fließen hörte.

    »Man weiß ja gar nicht mehr, wie alles ablaufen soll, verstehen Sie? Der von der Staatsanwaltschaft hat mich angewiesen, an den Tatort zurückzugehen und dort auf ihn zu warten. Nicht ich habe die Leiche entdeckt, sondern zwei Beamte auf Fahrradstreife …«

    »Wo?«

    »Wie?«

    »Ich habe gefragt, wo?«

    »Im Bois de Boulogne … An der Route des Poteaux … Wissen Sie, wo das ist? Sie geht nicht weit von der Porte Dauphine in die Avenue Fortunée über … Es handelt sich um einen Mann mittleren Alters … In meinem Alter ungefähr … Soweit ich es feststellen konnte, hat er nichts in den Taschen, keine Papiere … Natürlich habe ich die Leiche nicht angerührt … Ich weiß nicht warum, aber das Ganze kommt mir merkwürdig vor, deshalb habe ich Sie lieber angerufen … Aber die von der Staatsanwaltschaft erfahren das besser nicht …«

    »Ich danke dir, Fumel.«

    »Ich gehe jetzt zurück, manchmal kommen sie früher, als man denkt …«

    »Wo bist du?«

    »Auf dem Revier an der Fasanerie. Haben Sie vor, zu kommen?«

    Maigret zögerte, er lag immer noch in seinem warmen Bett.

    »Ja.«

    »Wie wollen Sie es erklären?«

    »Ich weiß es noch nicht. Mir fällt schon was ein.«

    Er fühlte sich gedemütigt, war fast wütend, und das nicht zum ersten Mal in den letzten sechs Monaten. Der gute Fumel konnte nichts dafür.

    »Zieh dich warm an. Es ist bitterkalt«, sagte Madame Maigret von der Türschwelle aus.

    Er schob den Vorhang beiseite und sah Eisblumen an den Fensterscheiben. Die Gaslaternen hatten diesen besonderen Schimmer, wie man ihn nur bei starker Kälte sieht. Auf dem Boulevard Richard-Lenoir war keine Menschenseele, nicht ein Geräusch war zu hören. Gegenüber brannte nur in einem Fenster Licht, vermutlich war dort jemand krank.

    Jetzt zwangen sie einen schon dazu, sich Märchen auszudenken! Sie, das war die Staatsanwaltschaft, die Leute vom Innenministerium, all diese neuen Gesetzgeber, die an den Grandes Écoles studiert und es sich in den Kopf gesetzt hatten, die Welt nach ihren Theorien neu zu organisieren.

    Die Polizei war in ihren Augen nur ein kleines Rädchen innerhalb des großen Justizapparats. Man musste ihr misstrauen, sie im Auge behalten, durfte ihr nur eine untergeordnete Rolle zugestehen.

    Fumel gehörte noch zur alten Garde, wie Janvier, wie Lucas, wie etwa ein Dutzend anderer Mitarbeiter Maigrets. Alle anderen richteten sich ganz nach den neuen Methoden und Vorschriften und büffelten, um schneller befördert zu werden, pausenlos für irgendwelche Prüfungen.

    Armer Fumel, der nie aufgestiegen war, weil er mit der Rechtschreibung auf Kriegsfuß stand und keine anständigen Berichte schreiben konnte.

    Man bestand darauf, dass der Staatsanwalt oder einer seiner Vertreter als Erstes benachrichtigt wurde, der vor allen anderen und in Begleitung eines noch nicht ganz wachen Untersuchungsrichters am Tatort erscheinen musste. Diese Herren hielten dann schlaue Reden, als hätten sie ihr Leben lang nichts anderes getan, als Leichen zu entdecken, und würden sich mit Kriminellen besser auskennen als irgendwer sonst.

    Was die Polizei betraf, für sie blieben allenfalls Hilfsarbeiten übrig.

    »Tun Sie dies, tun Sie das … Verhaften Sie den und den, und bringen Sie ihn mir in mein Büro …

    Aber stellen Sie ihm keine Fragen! Es muss alles nach Vorschrift laufen …«

    Vorschriften gab es unzählige. Das Journal Officiel veröffentlichte so viele verschiedene, teils widersprüchliche Gesetzestexte, dass sie sich selbst nicht mehr darin zurechtfanden. Sie lebten jetzt in der ständigen Angst, etwas falsch zu machen und damit die Einsprüche der Anwälte zu provozieren.

    Er zog sich mürrisch an. Warum schmeckte, wenn man so mitten in einer Winternacht geweckt wurde, der Kaffee anders als sonst? Auch der Geruch in der Wohnung war anders, erinnerte ihn an sein Elternhaus, wenn er um halb sechs Uhr morgens aufgestanden war.

    »Rufst du im Büro an, dass man dir einen Wagen schickt?«

    Nein! Wenn er dort in einem Dienstwagen erschien, würde man ihn dafür zur Rechenschaft ziehen.

    »Bestell mir ein Taxi.«

    Man würde ihm die Fahrtkosten nur erstatten, wenn es sich wirklich um einen Mord handelte und er in kürzester Zeit den Täter fand. Nur wenn man Erfolg hatte, wurden einem noch die Taxis bezahlt. Außerdem musste man nachweisen, dass es nicht möglich gewesen war, mit einem anderen Verkehrsmittel an den Tatort zu gelangen.

    Seine Frau reichte ihm einen dicken Wollschal.

    »Hast du deine Handschuhe?«

    Er kramte in den Manteltaschen.

    »Willst du nicht eine Kleinigkeit essen?«

    Er hatte keinen Hunger. Er schien zu schmollen, und doch waren es im Grunde Momente wie dieser, die er liebte und die ihm nach seiner Pensionierung vielleicht am meisten fehlen würden.

    Er ging die Treppe hinunter und fand ein Taxi vor der Tür, aus seinem Auspuffrohr kam weißer Rauch.

    »Zum Bois de Boulogne … Kennen Sie die Route des Poteaux?«

    »Das wäre ja noch schöner, wenn ich die nicht kennen würde, nach fünfunddreißig Jahren Berufsleben!«

    So trösteten sich die Alten nun mal über ihr Altwerden hinweg.

    Die Sitze waren eisig. Nur wenige Autos und leere Busse auf dem Rückweg zum Busbahnhof kamen ihnen entgegen. In den Bars brannte nirgendwo Licht. An den Champs-Élysées wurden gerade die Büros geputzt.

    »Wieder mal eine Prostituierte ermordet?«

    »Ich weiß es nicht. Ich glaube nicht …«

    »Bei dem Wetter hätte so eine im Bois auch nicht viele Freier gefunden, würde ich sagen.«

    Auch seine Pfeife schmeckte anders als sonst. Er vergrub die Hände in den Taschen und rechnete nach, dass es mindestens drei Monate her war, seit er Fumel zuletzt gesehen hatte. Er kannte ihn seit … ungefähr aus der Zeit seines Dienstantritts, als er in einem Polizeirevier gearbeitet hatte.

    Schon damals war Fumel, weil er recht hässlich war, bemitleidet worden. Aber man machte sich auch über ihn lustig, zum einen, weil seine Eltern auf die Idee gekommen waren, ihn Aristide zu nennen, und zum anderen, weil er sich trotz seines Aussehens ständig in irgendwelche Liebesdramen verstrickte.

    Fumel hatte geheiratet, aber schon nach einem Jahr hatte sich seine Frau ohne ein Wort aus dem Staub gemacht. Er setzte Himmel und Erde in Bewegung, um sie wiederzufinden. Jahrelang trugen alle Polizisten Frankreichs ihre Personenbeschreibung in der Tasche, und jedes Mal, wenn eine weibliche Leiche aus der Seine gefischt wurde, rannte Fumel ins Leichenschauhaus.

    Die Geschichte war zu einer Art Legende geworden.

    »Ich könnte wetten, dass ihr etwas zugestoßen ist und dass die Täter mich damit treffen wollten …«

    Er hatte ein starres Auge, das heller war als das andere, fast durchsichtig, und das machte es unangenehm, ihn anzusehen.

    »Ich werde sie immer lieben. Und ich weiß, dass ich sie irgendwann wiederfinde …«

    Hoffte er das jetzt, mit einundfünfzig Jahren, noch immer? Es hinderte ihn jedenfalls nicht daran, sich regelmäßig neu zu verlieben. Er blieb jedoch vom Pech verfolgt, denn alle seine Liebesabenteuer führten zu den unwahrscheinlichsten Komplikationen und endeten immer schlecht.

    Einmal hatte man ihn sogar – allem Anschein nach zu Recht – wegen einer Prostituierten, die ihn an der Nase herumgeführt hatte, der Zuhälterei angeklagt, und er war nur knapp einer Suspendierung entgangen.

    Wie war es möglich, dass er sich in seinem Privatleben so naiv und unbeholfen verhielt und dennoch zu den besten Inspektoren von Paris gehörte?

    Nachdem das Taxi an der Porte Dauphine vorbeigefahren und dann rechts in den Bois eingebogen war, sah man schon den Lichtstrahl einer Taschenlampe. Kurz darauf waren am Rand einer Allee Gestalten zu erkennen.

    Maigret stieg aus und zahlte die Fahrt. Jemand kam auf ihn zu.

    »Sie sind vor denen da«, sagte Fumel, seufzte erleichtert und trippelte, um sich aufzuwärmen, auf dem gefrorenen Boden umher.

    Zwei Fahrräder lehnten an einem Baum. Auch die beiden Polizisten traten von einem Fuß auf den anderen. Ein kleiner Herr mit hellgrauem Hut sah ungeduldig auf die Uhr.

    »Das ist Doktor Boisrond von der zuständigen Behörde.«

    Maigret gab ihm zerstreut die Hand und ging dann auf etwas Dunkles zu, das am Fuß eines Baums lag. Fumel richtete den Strahl seiner Taschenlampe darauf.

    »Ich glaube, Herr Kommissar«, erklärte er, »Sie werden verstehen, was ich meine. Ich habe das Gefühl, da stimmt etwas nicht …«

    »Wer hat ihn entdeckt?«

    »Die beiden Polizisten, sie waren mit den Fahrrädern auf Streife.«

    »Wann?«

    »Um zwölf nach drei. Sie dachten zuerst, es wäre ein Sack, den jemand da hingeworfen hat.«

    Tatsächlich sah der Mann, wie

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