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Maigret und die alten Leute
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eBook168 Seiten3 Stunden

Maigret und die alten Leute

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Über dieses E-Book

Maigret bekommt einen Anruf vom Außenministerium: Comte Saint-Hilaire, pensionierter Botschafter, wurde in seinem Arbeitszimmer erschossen. Der Fall erfordert nicht nur höchste Diskretion, sondern konfrontiert den Kommissar auch mit einer Welt, in der er sich nicht auskennt: der des französischen Hochadels mit seinen strengen Erbfolgeregeln, komplizierten Verwandtschaftsverhältnissen und geheimen Liebschaften. Maigret spürt, dass er nicht dazugehört, doch davon darf er sich nicht einschüchtern lassen.
SpracheDeutsch
HerausgeberKampa Verlag
Erscheinungsdatum29. Mai 2020
ISBN9783311701439
Maigret und die alten Leute
Autor

Georges Simenon

Georges Simenon, geboren am 13. Februar 1903 im belgischen Liège, ist der »meistgelesene, meistübersetzte, meistverfilmte, mit einem Wort: der erfolgreichste Schriftsteller des 20. Jahrhunderts« (Die Zeit). Seine erstaunliche literarische Produktivität (75 Maigret-Romane, 117 weitere Romane und über 150 Erzählungen), seine Rastlosigkeit und seine Umtriebigkeit bestimmten sein Leben: Um einen Roman zu schreiben, brauchte er selten länger als zehn Tage, er bereiste die halbe Welt, war zweimal verheiratet und unterhielt Verhältnisse mit unzähligen Frauen. 1929 schuf er seine bekannteste Figur, die ihn reich und weltberühmt machte: Kommissar Maigret. Aber Simenon war nicht zufrieden, er sehnte sich nach dem »großen« Roman ohne jedes Verbrechen, der die Leser nur durch psychologische Spannung in seinen Bann ziehen sollte. Seine Romane ohne Maigret erschienen ab 1931. Sie waren zwar weniger erfolgreich als die Krimis mit dem Pfeife rauchenden Kommissar, vergrößerten aber sein literarisches Ansehen. Simenon wurde von Kritiker*innen und Schriftstellerkolleg*innen bewundert und war immer wieder für den Literaturnobelpreis im Gespräch. 1972 brach er bei seinem 193. Roman die Arbeit ab und ließ die Berufsbezeichnung »Schriftsteller« aus seinem Pass streichen. Von Simenons Romanen wurden über 500 Millionen Exemplare verkauft, und sie werden bis heute weltweit gelesen. In seinem Leben wie in seinen Büchern war Simenon immer auf der Suche nach dem, »was bei allen Menschen gleich ist«, was sie in ihrem Innersten ausmacht, und was sich nie ändert. Das macht seine Bücher bis heute so zeitlos.

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    Buchvorschau

    Maigret und die alten Leute - Georges Simenon

    Kampa

    1

    Es war ein außergewöhnlicher Mai, wie man ihn nur zwei- oder dreimal im Leben erlebt, der strahlt, schmeckt und duftet wie Kindheitserinnerungen. Maigret nannte ihn einen Mai des Lobgesangs, denn er ließ ihn zugleich an seine erste Kommunion und an seinen ersten Pariser Frühling denken, als alles neu und wundervoll für ihn war.

    Einige Male musste er auf der Straße, im Bus, in seinem Büro plötzlich stocken, weil ein ferner Klang, ein warmer Hauch, ein heller Fleck auf einer Bluse ihn überraschte und in die Zeit vor zwanzig oder dreißig Jahren zurückversetzte.

    Als sie am Vortag zum Abendessen mit den Pardons aufbrechen wollten, hatte ihn seine Frau fast errötend gefragt:

    »Wirke ich nicht lächerlich, in meinem Alter mit einem geblümten Kleid?«

    Ihre Freunde, die Pardons, hatten an diesem Abend etwas Neues ausprobiert. Statt die Maigrets zu sich einzuladen, hatten sie sie in ein kleines Restaurant am Boulevard du Montparnasse gebeten, wo sie alle vier auf der Terrasse gesessen hatten.

    Maigret und seine Frau hatten nichts gesagt, sich aber wissend angeblickt, denn auf dieser Terrasse hatten sie vor dreißig Jahren zum ersten Mal zu zweit zu Abend gegessen.

    »Gibt es Lammragout?«

    Die Besitzer hatten gewechselt, aber Lammragout stand immer noch auf der Karte. Wie damals wackelten die Lampen auf den Tischen, gab es Kübel mit Grünpflanzen und Chavignol aus der Karaffe.

    Sie waren alle vier in bester Stimmung gewesen. Beim Kaffee hatte Pardon eine Zeitschrift mit weißem Titelblatt aus seiner Tasche gezogen.

    »Übrigens, Maigret, im Lancet ist von Ihnen die Rede.«

    Der Kommissar hatte den Namen dieser berühmten und seriösen medizinischen Fachzeitschrift aus England schon gehört und die Stirn gerunzelt.

    »Ich meine, man spricht von Ihrem Beruf im Allgemeinen. Der Artikel ist von einem gewissen Doktor Richard Fox, ich übersetze sinngemäß die Stelle, die Sie interessieren könnte:

    Ein erfahrener Psychiater, der sich auf seine wissenschaftlichen Kenntnisse und seine Berufserfahrung stützt, ist durchaus in der Lage, die Menschen zu verstehen. Dennoch ist es möglich, vor allem, wenn er sich von einer Theorie beeinflussen lässt, dass er sie weniger gut versteht als ein außergewöhnlich begabter Lehrer, ein Schriftsteller oder sogar ein Polizist.«

    Sie hatten sich darüber eine Weile unterhalten, erst scherzend, später in ernsterem Ton. Dann waren die Maigrets zu Fuß durch die stillen Straßen nach Hause gegangen.

    Der Kommissar ahnte da noch nicht, dass ihm die Worte des Londoner Arztes in den nächsten Tagen mehrmals wieder einfallen sollten. Die Erinnerungen, die dieser vollkommene Mai in ihm aufrührte, würden ihm dann beinahe wie eine Vorahnung erscheinen.

    Am nächsten Tag im Bus zum Châtelet betrachtete er die Gesichter mit der gleichen Neugier wie damals, als er noch ganz neu in der Hauptstadt war.

    Und es erschien ihm seltsam, als Hauptkommissar die Treppe der Kriminalpolizei hinaufzusteigen und respektvoll gegrüßt zu werden. War es schon so lange her, dass er dieses Haus ganz aufgeregt betreten hatte, dessen Chefs ihm damals wie lebende Legenden vorgekommen waren?

    Er fühlte sich leicht und melancholisch zugleich. Bei offenem Fenster sah er seine Post durch und rief den jungen Lapointe, um ihm Instruktionen zu geben.

    In fünfundzwanzig Jahren hatte sich die Seine nicht verändert. Ebenso wenig wie die vorbeifahrenden Schiffe oder die Angler, die man immer noch an den gleichen Stellen sah, als hätten sie sich nie wegbewegt.

    In kurzen Zügen seine Pfeife rauchend, machte er gerade seine »Hausarbeit«, wie er es nannte, räumte Aktenstapel weg und schloss unwichtige Fälle ab, als das Telefon klingelte.

    »Können Sie einen Augenblick zu mir kommen, Maigret?«, fragte der Leiter der Kriminalpolizei.

    Ohne Eile begab sich der Kommissar in das Büro des Chefs und blieb dort am Fenster stehen.

    »Gerade habe ich einen merkwürdigen Anruf vom Quai d’Orsay erhalten, nicht vom Außenminister persönlich, aber von seinem Kabinettschef. Man bittet mich, sofort jemanden hinzuschicken, jemanden in verantwortungsvoller Position. Das waren seine Worte.

    ›Einen Inspektor?‹, habe ich gefragt.

    ›Lieber einen höheren Beamten. Es handelt sich wahrscheinlich um ein Verbrechen.‹«

    Die beiden Männer sahen sich etwas spöttisch an, denn keiner von ihnen schätzte die Ministerien besonders, und schon gar nicht ein so hochgestochenes wie das Außenministerium.

    »Ich dachte, Sie wollen vielleicht selbst hinfahren …«

    »Das wird das Beste sein.«

    Der Direktor nahm ein Blatt Papier von seinem Schreibtisch und reichte es Maigret.

    »Sie sollen nach einem gewissen Cromières fragen. Er erwartet Sie.«

    »Ist das der Kabinettschef?«

    »Nein. Es ist der Mann, der sich um den Fall kümmert.«

    »Soll ich einen Inspektor mitnehmen?«

    »Ich weiß nicht mehr als das, was ich Ihnen eben gesagt habe. Diese Leute tun gern geheimnisvoll.«

    Am Ende entschied sich Maigret, Janvier mitzunehmen, und sie fuhren mit einem Taxi zum Quai d’Orsay. Man schickte sie nicht in Richtung der großen Treppe, sondern zu einer schmalen, nicht gerade einladenden am Ende des Hofs, als wollte man sie über die Hinterbühne oder den Dienstboteneingang hereinlassen. Sie irrten eine ganze Weile durch die Flure, bis sie einen Wartesaal und einen eleganten Amtsdiener entdeckten, dem Maigrets Name nichts sagte und der ihn einen Anmeldezettel ausfüllen ließ.

    Schließlich führte man sie in ein Büro, in dem ein sehr junger, geschniegelter Beamter stumm und reglos einer alten Frau gegenübersaß, die ebenso zu Stein erstarrt schien wie er. Offenbar warteten sie schon lange so, wahrscheinlich seitdem die Kriminalpolizei angerufen worden war.

    »Kommissar Maigret?«

    Maigret stellte Janvier vor, den der junge Mann nur mit einem kurzen, gleichgültigen Blick bedachte.

    »Da ich nicht wusste, worum es geht, bin ich zur Sicherheit in Begleitung eines meiner Inspektoren gekommen.«

    »Setzen Sie sich.«

    Cromières war ganz darauf bedacht, wichtig zu wirken, und seine Art zu sprechen hatte etwas Herablassendes, typisch für das Außenministerium.

    »Wenn der Quai sich unmittelbar an die Kriminalpolizei gewandt hat …«

    Er sprach das Wort »Quai« aus, als handelte es sich um eine sakrosankte Institution.

    »… dann, Herr Kommissar, weil wir uns einem sehr besonderen Fall gegenübersehen.«

    Maigret beobachtete ihn und zugleich die alte Frau. Sie schien auf einem Ohr taub zu sein, denn sie legte den Kopf schief und reckte den Hals, um besser zu verstehen, dazu folgte sie den Lippenbewegungen.

    »Mademoiselle …«

    Cromières schaute auf ein Formular auf seinem Schreibtisch.

    »Mademoiselle Larrieu ist Zimmermädchen oder Haushälterin bei einem unserer distinguiertesten ehemaligen Botschafter, Comte de Saint-Hilaire, von dem Sie sicher schon gehört haben.«

    Maigret erinnerte sich, den Namen in der Zeitung gelesen zu haben, aber das schien ihm eine Ewigkeit her zu sein.

    »Seit seiner Pensionierung vor zwölf Jahren lebte der Comte de Saint-Hilaire in Paris in seiner Wohnung in der Rue Saint-Dominique. Heute Morgen hat sich Mademoiselle Larrieu um halb neun hier eingefunden und musste eine ganze Zeit warten, bis man sie zu einem höheren Beamten geführt hat.«

    Maigret malte sich die leeren Büros um halb neun Uhr morgens aus, die alte Frau, reglos im Vorzimmer, den Blick starr auf die Tür gerichtet.

    »Mademoiselle Larrieu steht seit über vierzig Jahren im Dienst des Comte de Saint-Hilaire.«

    »Sechsundvierzig«, verbesserte sie.

    »Also sechsundvierzig. Sie hat ihn auf seine verschiedenen Posten begleitet und sich um seinen Haushalt gekümmert. In den letzten zwölf Jahren lebte sie mit dem Botschafter allein in der Wohnung in der Rue Saint-Dominique. Nachdem sie heute Morgen das Schlafzimmer leer vorgefunden hatte, in das sie ihrem Herrn das Frühstück zu bringen pflegte, entdeckte sie ihn tot in seinem Arbeitszimmer.«

    Die alte Frau sah sie alle nacheinander an, scharf, prüfend und misstrauisch.

    »Ihrer Aussage nach ist Saint-Hilaire von einer oder mehreren Kugeln getroffen worden.«

    »Hat sie sich nicht an die Polizei gewandt?«

    Der blonde junge Mann setzte eine süffisante Miene auf.

    »Ich verstehe Ihr Erstaunen. Bedenken Sie aber, dass Mademoiselle Larrieu einen großen Teil ihres Lebens in der diplomatischen Welt verbracht hat. Auch wenn der Comte pensioniert war, hat sie geglaubt, die im diplomatischen Dienst erforderliche Diskretion wahren zu müssen.«

    Maigret zwinkerte Janvier zu.

    »Und auf die Idee, einen Arzt zu rufen, ist sie auch nicht gekommen?«

    »An seinem Tod scheint kein Zweifel zu bestehen.«

    »Wer ist im Augenblick in der Rue Saint-Dominique?«

    »Niemand. Mademoiselle Larrieu ist direkt hierhergekommen. Um Missverständnisse zu vermeiden und damit wir keine Zeit verlieren, bin ich ermächtigt, Ihnen zu sagen, dass der Comte de Saint-Hilaire nicht im Besitz irgendeines Staatsgeheimnisses war und dass folglich ein politischer Grund für seinen Tod ausscheidet. Äußerste Vorsicht ist trotzdem geboten. Da es sich um einen prominenten Diplomaten handelt, werden die Zeitungen die Sache nur allzu gern aufbauschen und die unwahrscheinlichsten Hypothesen aufstellen.«

    Der junge Mann erhob sich.

    »Wenn es Ihnen recht ist, fahren wir jetzt dorthin.«

    »Sie auch?«, fragte Maigret in unschuldigem Ton.

    »Keine Sorge! Ich werde mich nicht in Ihre Ermittlungen einmischen. Ich begleite Sie nur, um sicherzugehen, dass dort nichts ist, was uns in eine peinliche Situation bringen könnte.«

    Die alte Frau hatte sich ebenfalls erhoben. Alle vier gingen die Treppe hinunter.

    »Wir nehmen besser ein Taxi. Das fällt weniger auf als eine Limousine vom Quai.«

    Die Strecke war lächerlich kurz. Das Auto hielt vor einem imposanten Haus aus dem späten 18. Jahrhundert. Keine Menschenansammlung, nicht einen Schaulustigen gab es dort. Sie fuhren durch die Toreinfahrt, ein kühles Gewölbe. In der Loge, die eher einem Salon ähnelte, war ein Concierge in Uniform zu sehen, ebenso ehrfurchtgebietend wie der Amtsdiener im Ministerium.

    Sie gingen links vier Stufen hinauf. Der Fahrstuhl in der Halle aus dunklem Marmor stand still. Die alte Frau zog einen Schlüssel aus ihrer Handtasche und öffnete eine Tür aus Nussbaumholz.

    »Hier entlang …«

    Sie führte sie durch einen Flur in ein Zimmer, das zum Hof hin liegen musste, doch die Fensterläden und Vorhänge waren geschlossen. Mademoiselle Larrieu bediente den Lichtschalter, und sie sahen vor einem Mahagonischreibtisch eine auf dem roten Teppich liegende Leiche.

    Die drei Männer zogen mit der gleichen Geste die Hüte, während die alte Haushälterin sie beinahe herausfordernd anschaute.

    »Was habe ich Ihnen gesagt?«, schien sie zu murmeln.

    Man brauchte sich tatsächlich nicht über den Leichnam zu beugen, um festzustellen, dass der Comte de Saint-Hilaire tot war. Eine Kugel war durch das rechte Auge eingedrungen und hatte die Schädeldecke zerschmettert. Risse in dem schwarzsamtenen Morgenmantel und Blutflecken ließen darauf schließen, dass der Körper an mehreren Stellen noch von anderen Kugeln getroffen worden war.

    Monsieur Cromières trat als Erster an den Schreibtisch.

    »Sehen Sie. Er war offenbar dabei, Druckfahnen zu korrigieren.«

    »Hat er ein Buch geschrieben?«

    »Seine Memoiren. Zwei Bände sind schon erschienen. Es wäre lächerlich, darin den Grund für seinen Tod zu suchen, denn Saint-Hilaire war äußerst diskret, und seine Memoiren waren

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