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Maigret und die Bohnenstange
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eBook179 Seiten3 Stunden

Maigret und die Bohnenstange

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Über dieses E-Book

Die ehemalige Prostituierte Ernestine Jussiaume, wegen ihrer langen, dürren Gliedmaßen "die Bohnenstange" genannt, wendet sich aus Sorge um ihren Ehemann, auch bekannt als "der Trauerkloß", an Kommissar Maigret. Der Tresorknacker hat bei einem nächtlichen Einsatz im Arbeitszimmer des Zahnarztes Guillaume Serre die Leiche einer Frau entdeckt. Aus Angst, mit dem Mord in Verbindung gebracht zu werden, ist er außer Landes geflohen. Seltsam nur, dass Maigret bisher kein Einbruch, geschweige denn ein Leichenfund gemeldet wurde.
SpracheDeutsch
HerausgeberKampa Verlag
Erscheinungsdatum22. Okt. 2020
ISBN9783311701972
Maigret und die Bohnenstange
Autor

Georges Simenon

Georges Simenon, geboren am 13. Februar 1903 im belgischen Liège, ist der »meistgelesene, meistübersetzte, meistverfilmte, mit einem Wort: der erfolgreichste Schriftsteller des 20. Jahrhunderts« (Die Zeit). Seine erstaunliche literarische Produktivität (75 Maigret-Romane, 117 weitere Romane und über 150 Erzählungen), seine Rastlosigkeit und seine Umtriebigkeit bestimmten sein Leben: Um einen Roman zu schreiben, brauchte er selten länger als zehn Tage, er bereiste die halbe Welt, war zweimal verheiratet und unterhielt Verhältnisse mit unzähligen Frauen. 1929 schuf er seine bekannteste Figur, die ihn reich und weltberühmt machte: Kommissar Maigret. Aber Simenon war nicht zufrieden, er sehnte sich nach dem »großen« Roman ohne jedes Verbrechen, der die Leser nur durch psychologische Spannung in seinen Bann ziehen sollte. Seine Romane ohne Maigret erschienen ab 1931. Sie waren zwar weniger erfolgreich als die Krimis mit dem Pfeife rauchenden Kommissar, vergrößerten aber sein literarisches Ansehen. Simenon wurde von Kritiker*innen und Schriftstellerkolleg*innen bewundert und war immer wieder für den Literaturnobelpreis im Gespräch. 1972 brach er bei seinem 193. Roman die Arbeit ab und ließ die Berufsbezeichnung »Schriftsteller« aus seinem Pass streichen. Von Simenons Romanen wurden über 500 Millionen Exemplare verkauft, und sie werden bis heute weltweit gelesen. In seinem Leben wie in seinen Büchern war Simenon immer auf der Suche nach dem, »was bei allen Menschen gleich ist«, was sie in ihrem Innersten ausmacht, und was sich nie ändert. Das macht seine Bücher bis heute so zeitlos.

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    Buchvorschau

    Maigret und die Bohnenstange - Georges Simenon

    1

    Wo Maigret eine alte Bekannte wiedertrifft, die auf ihre Art solide geworden ist, und wo es um den traurigen Alfred und vermutliche sterbliche Überreste geht

    Auf dem Blatt, das der Bürodiener hatte ausfüllen lassen und Maigret nun hinhielt, stand wortwörtlich:

    Ernestine, genannt Bohnenstange (geborene Micou, inzwischen Jussiaume), die Sie vor siebzehn Jahren in der Rue de la Lune festgenommen haben und die sich dabei n… gemacht hat, um Sie in Rage zu bringen, ersucht um die Ehre, mit Ihnen dringendst über eine höchst wichtige Angelegenheit zu sprechen.

    Maigret warf einen Blick zum alten Joseph, ob der wohl den Text auch gelesen hatte, doch der weißhaarige Mann zeigte keinerlei Regung. In den Büros der Kriminalpolizei war er an diesem Morgen wohl der Einzige in Hemdsärmeln, und zum ersten Mal in all den Jahren fragte sich der Kommissar, aus welchem Aberwitz man den ehrwürdigen Mann nötigte, eine schwere Kette mit einer riesigen Medaille um den Hals zu tragen.

    Es gibt so Tage, an denen man sich die albernsten Fragen stellt. Vielleicht lag es an der Hitze. Vielleicht war es auch die Ferienstimmung, die einen davon abhielt, die Dinge allzu ernst zu nehmen. Die Fenster standen weit offen, und der Straßenlärm von Paris drang herauf ins Büro, wo Maigret, bevor Joseph eingetreten war, einer Wespe dabei zusah, wie sie herumschwirrte und unweigerlich immer an derselben Stelle gegen die Decke prallte. Gut die Hälfte der Inspektoren war am Meer oder auf dem Land. Lucas trug einen Panamahut, der sich an ihm ausnahm wie eine Eingeborenenhütte oder ein Lampenschirm. Der große Chef war am Vortag wie jedes Jahr in die Pyrenäen gefahren.

    »Betrunken?«, fragte Maigret den Bürodiener.

    »Ich denke nicht, Monsieur Maigret.«

    Wenn sie zu viel getrunken haben, verspüren manche Frauen ja das Bedürfnis, der Polizei Enthüllungen aufzutischen.

    »Nervös?«

    »Sie hat mich gefragt, wie lang sie warten muss, und ich habe ihr gesagt, dass ich nicht mal weiß, ob Sie sie empfangen werden. Darauf hat sie sich in den Warteraum gesetzt und nach einer Zeitung gegriffen.«

    Weder Micou noch Jussiaume sagten Maigret etwas, auch nicht der Spitzname Bohnenstange, doch erinnerte er sich genauestens an die Rue de la Lune und jenen Tag damals, an dem es auch so heiß gewesen war, dass der Asphalt unter den Schuhsohlen nachgab und ganz Paris nach Teer roch.

    In der Nähe der Porte Saint-Denis war es gewesen, eine Gasse mit zwielichtigen Hotels und Imbissbuden, die Waffeln und Pfannkuchen feilboten. Er war damals noch nicht Kommissar. Die Frauen trugen gerade geschnittene Kleider und ließen sich die Haare im Nacken ausrasieren. Um über das Mädchen Erkundigungen einzuholen, hatte er mehrere Kneipen betreten müssen und dort, wie der Zufall es wollte, ein paar Pernod getrunken. Deren Duft hatte er nun in der Nase, und auch den Geruch nach Fuß- und Achselschweiß, der in dem kleinen Hotel herrschte. Das Zimmer lag im dritten oder vierten Stock. Erst erwischte er die falsche Tür und hatte einen Schwarzen vor sich, der auf dem Bett saß und Akkordeon spielte, vermutlich ein Tanzmusiker. Ohne innezuhalten, wies der Mann mit dem Kinn zur Nachbartür.

    »Herein!«

    Eine heisere Stimme. Da hatte jemand zu viel getrunken oder zu viel geraucht. Drinnen, neben dem Fenster zum Hof, stand eine hochgewachsene junge Frau in einem himmelblauen Morgenmantel und briet sich auf einem Spirituskocher ein Kotelett.

    Sie war so groß wie Maigret, vielleicht sogar noch größer. Ungerührt musterte sie ihn und sagte dann:

    »Sind Sie Bulle?«

    Er fand die Brieftasche mit den Geldscheinen auf dem Spiegelschrank, was sie hinnahm, ohne mit der Wimper zu zucken.

    »Das hat eine Kollegin von mir verbrochen.«

    »Was für eine Kollegin?«

    »Wie sie richtig heißt, weiß ich nicht. Alle nennen sie Lulu.«

    »Und wo ist sie?«

    »Suchen Sie sie. Das ist doch Ihr Beruf.«

    »Ziehen Sie sich an und kommen Sie mit.«

    Es ging lediglich um einen Freier, der sich von einer Prostituierten hatte ausnehmen lassen, doch bei der Kriminalpolizei maß man dem Fall eine gewisse Bedeutung bei, nicht wegen der Summe, obwohl sie nicht unerheblich war, sondern weil es sich um einen reichen Viehhändler aus der Charentes handelte, der schon seinen Parlamentsabgeordneten mobilisiert hatte.

    »Wegen Ihnen verzichte ich doch nicht auf mein Kotelett!«

    Es gab in dem winzigen Zimmer nur einen Stuhl, so blieb Maigret stehen, während das Mädchen sein Kotelett verzehrte, ohne sich im Mindesten um ihn zu kümmern.

    Sie mochte damals um die zwanzig gewesen sein, blass, die Augen farblos, ein langes, knochiges Gesicht. Maigret sah ihr zu, wie sie mit einem Zündholz in den Zähnen herumstocherte und sich dann Kaffee aufbrühte.

    »Ich habe gesagt, Sie sollen sich anziehen.«

    Er schwitzte, und der Geruch im Hotel setzte ihm zu. Ob sie wohl merkte, wie unwohl er sich fühlte?

    In aller Seelenruhe zog sie ihren Morgenmantel aus, dann ihr Unterhemd und ihr Höschen. Splitternackt legte sie sich auf das ungemachte Bett und zündete sich eine Zigarette an.

    »Ich kann warten«, sagte Maigret ungeduldig und bemühte sich, woandershin zu sehen.

    »Ich auch.«

    »Ich habe einen Haftbefehl.«

    »Dann verhaften Sie mich doch.«

    »Ziehen Sie sich an und kommen Sie mit.«

    »Ich fühle mich so ganz wohl.«

    Es war eine lächerliche Situation. Das Mädchen lag ruhig da, völlig passiv, nur seine Augen funkelten ironisch.

    »Sie wollen mich verhaften, schön und gut, aber Sie werden wohl nicht erwarten, dass ich Ihnen dabei helfe. Das ist hier mein Zimmer, es ist heiß, also darf ich nackt sein. Wenn Sie darauf bestehen, dass ich so mitkomme, wie ich gerade bin, habe ich nichts dagegen.«

    Mindestens zehn Mal wiederholte er:

    »Ziehen Sie sich an!«

    Vielleicht wegen ihrer blassen Haut, oder weil das Zimmer so schäbig war, hatte er das Gefühl, noch nie eine derart nackte Frau gesehen zu haben. Vergeblich warf er ihre Kleider aufs Bett, drohte ihr, versuchte es mit Überredungskunst.

    Schließlich ging er hinunter und holte zwei Polizisten zur Verstärkung. Nun wurde die Szene vollends grotesk. Sie mussten das Mädchen unter Zwang in eine Decke hüllen und es wie ein Paket durch das enge Treppenhaus tragen, in dem überall Türen aufgingen.

    Seither hatte er sie nie wieder gesehen und auch nichts mehr von ihr gehört.

    »Lassen Sie sie hereinkommen«, seufzte er.

    Er erkannte sie sofort. Sie schien sich gar nicht verändert zu haben. Langes, bleiches Gesicht, wässrige Augen, und der breite, zu stark geschminkte Mund, der wie eine blutende Wunde aussah. In ihrem Blick fand er auch jene stille Ironie wieder, wie sie Menschen eigen ist, die so viel gesehen haben, dass ihnen nichts mehr wichtig erscheint. Sie trug ein annehmbares Kleid, einen hellen Strohhut und Handschuhe.

    »Sind Sie mir noch immer böse?«

    Er zog an seiner Pfeife, ohne zu antworten.

    »Darf ich mich setzen? Ich weiß schon, dass Sie befördert worden sind, darum haben wir uns nie mehr gesehen. Rauchen ist doch gestattet?«

    Sie holte eine Zigarette aus der Tasche und steckte sie an.

    »Zuallererst: Damals war ich im Recht, aber das soll kein Vorwurf sein. Ein Jahr haben sie mir aufgebrummt, und das ganz unverdient. Diese Lulu gab es nämlich wirklich, Sie haben sich nur nicht die Mühe gemacht, sie zu finden. Wir waren zusammen, als wir dem Fettwanst mit dem vielen Zaster begegneten. Er nahm uns beide mit, aber als er mich betatschte, sagte er, ich soll mich zum Teufel scheren, weil Magere ihm die Laune vermiesen. Ich habe draußen im Gang gewartet, und eine Stunde später hat Lulu mir die Brieftasche gegeben, damit ich sie verstecke.«

    »Was ist aus Lulu geworden?«

    »Vor fünf Jahren hatte sie im Süden ein kleines Restaurant. Ich wollte Ihnen nur zeigen, dass jeder sich mal irren kann.«

    »Und deshalb sind Sie gekommen?«

    »Nein. Ich möchte mit Ihnen über Alfred reden. Wenn er wüsste, dass ich hier bin, würde er wieder sagen, dass ich eine dumme Gans bin. Ich hätte mich auch an Inspektor Boissier wenden können, der kennt ihn gut.«

    »Wer ist Alfred?«

    »Mein Mann. Mein richtiger Ehemann, standesamtlich und sogar kirchlich, denn er hat noch was Frommes an sich. Inspektor Boissier hat ihn ein paarmal verhaftet, und einmal hat er sich fünf Jahre in Fresnes eingehandelt.«

    Ihre Stimme klang fast rau.

    »Der Name Jussiaume sagt Ihnen vielleicht nichts, aber wenn Sie seinen Spitznamen hören, wissen Sie bestimmt Bescheid, der steht oft in der Zeitung. Der traurige Alfred.«

    »Panzerschränke?«

    »Genau.«

    »Haben Sie sich gestritten?«

    »Nein. Es ist nicht so, wie Sie denken. Ist nicht meine Art. Sie kennen Alfred also?«

    Gesehen hatte Maigret ihn noch nicht, oder zumindest nur flüchtig, wenn der Einbrecher darauf wartete, von Boissier verhört zu werden. Ihm stand vage ein schmächtiges Männchen mit flackerndem Blick vor Augen, die Kleider zu weit für seinen mageren Körper.

    »Wir beurteilen ihn natürlich nicht auf die gleiche Art«, sagte sie. »Er ist ein armer Kerl, aber interessanter, als Sie wohl denken. Ich lebe seit bald zwölf Jahren mit ihm, da kenne ich ihn allmählich.«

    »Und wo ist er?«

    »Keine Angst, dazu komme ich gleich. Ich weiß nicht, wo er ist, aber er hat sich, ohne es zu wollen, in ein ziemliches Schlamassel manövriert, deshalb bin ich hier. Sie müssen nur etwas Vertrauen zu mir haben, aber ich begreife, dass ich da viel verlange.«

    Er musterte sie neugierig, denn sie sprach mit entwaffnender Natürlichkeit. Weder zierte sie sich noch versuchte sie ihn zu beeindrucken. Sie brauchte nur deshalb lange, um den Fall zu schildern, weil er tatsächlich kompliziert war.

    Dennoch stand da etwas zwischen ihnen, und das versuchte sie zu überwinden, damit er sich keine falschen Vorstellungen machte.

    Mit dem traurigen Alfred hatte Maigret nie direkt zu tun gehabt, er wusste lediglich, was im Haus so über ihn geredet wurde. Er war fast eine Berühmtheit, und die Zeitungen berichteten gern über ihn, weil er so ein Original war.

    Lange hatte er bei der Firma Planchart gearbeitet, die Panzerschränke herstellte, er war einer ihrer besten Fachkräfte gewesen. Schon damals war er trübsinnig und verschlossen gewesen, noch dazu kränkelnd, immer wieder hatte er epileptische Anfälle gehabt.

    Boissier würde Maigret gewiss sagen können, unter welchen Umständen Alfred die Firma Planchart verlassen hatte.

    Jedenfalls stellte er nun keine Panzerschränke mehr auf, sondern knackte welche.

    »Als Sie ihn kennenlernten, ging er da noch einer regelmäßigen Arbeit nach?«

    »Natürlich nicht. Aber nicht ich habe ihn auf die schiefe Bahn gebracht, falls Sie das meinen. Er machte Gelegenheitsarbeiten, half hin und wieder bei einem Schlosser aus, aber ich merkte schnell, was wirklich los war.«

    »Meinen Sie nicht, Sie sollten sich lieber an Boissier wenden?«

    »Der ist für Einbrüche zuständig, nicht wahr? Aber Sie kümmern sich um Mordfälle.«

    »Hat er jemanden getötet?«

    »Hören Sie, Herr Kommissar, ich glaube, wir kommen schneller voran, wenn Sie mich einfach erzählen lassen. An Alfred kann man alles Mögliche aussetzen, aber um nichts auf der Welt würde er jemanden umbringen. Bei einem Mann wie ihm hört es sich komisch an, aber er ist ein Sensibelchen und heult wegen jeder Kleinigkeit los, davon kann ich ein Lied singen. Manche würden sogar sagen, er ist ein Waschlappen. Vielleicht liebe ich ihn deswegen so.«

    Ruhig blickte sie

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