Maigret und Inspektor Griesgram
Von Georges Simenon
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Über dieses E-Book
Maigrets 101. Fall spielt im Pariser Stadtteil Montmartre
Georges Simenon
Georges Simenon, geboren am 13. Februar 1903 im belgischen Liège, ist der »meistgelesene, meistübersetzte, meistverfilmte, mit einem Wort: der erfolgreichste Schriftsteller des 20. Jahrhunderts« (Die Zeit). Seine erstaunliche literarische Produktivität (75 Maigret-Romane, 117 weitere Romane und über 150 Erzählungen), seine Rastlosigkeit und seine Umtriebigkeit bestimmten sein Leben: Um einen Roman zu schreiben, brauchte er selten länger als zehn Tage, er bereiste die halbe Welt, war zweimal verheiratet und unterhielt Verhältnisse mit unzähligen Frauen. 1929 schuf er seine bekannteste Figur, die ihn reich und weltberühmt machte: Kommissar Maigret. Aber Simenon war nicht zufrieden, er sehnte sich nach dem »großen« Roman ohne jedes Verbrechen, der die Leser nur durch psychologische Spannung in seinen Bann ziehen sollte. Seine Romane ohne Maigret erschienen ab 1931. Sie waren zwar weniger erfolgreich als die Krimis mit dem Pfeife rauchenden Kommissar, vergrößerten aber sein literarisches Ansehen. Simenon wurde von Kritiker*innen und Schriftstellerkolleg*innen bewundert und war immer wieder für den Literaturnobelpreis im Gespräch. 1972 brach er bei seinem 193. Roman die Arbeit ab und ließ die Berufsbezeichnung »Schriftsteller« aus seinem Pass streichen. Von Simenons Romanen wurden über 500 Millionen Exemplare verkauft, und sie werden bis heute weltweit gelesen. In seinem Leben wie in seinen Büchern war Simenon immer auf der Suche nach dem, »was bei allen Menschen gleich ist«, was sie in ihrem Innersten ausmacht, und was sich nie ändert. Das macht seine Bücher bis heute so zeitlos.
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Buchvorschau
Maigret und Inspektor Griesgram - Georges Simenon
Kampa
1
Ein Herr, der ebenso auf sein Leben pfeift wie auf die Polizei
Der junge Mann schob den Kopfhörer ein wenig von den Ohren zurück.
»Wo war ich gerade, Onkel Jules? … Ach, ja … Als die Kleine aus der Schule zurückkam und meine Frau die roten Flecken an ihrem Körper sah, dachte sie zunächst, es sei Scharlach und …«
Es war nicht möglich, einen längeren Satz zu Ende zu bringen. Immer wieder leuchtete auf dem riesigen Stadtplan von Paris, der ein gewaltiges Stück Wand einnahm, ein Lämpchen auf. Diesmal im 13. Arrondissement, und Daniel, Maigrets Neffe, schob den Stecker in eine der Buchsen der Fernsprechanlage und murmelte:
»Was gibt es?«
Er hörte gleichgültig zu und wiederholte für den Kommissar, der auf einer Tischecke saß:
»Schlägerei zwischen zwei Arabern in einem Bistro an der Place d’Italie …«
Gerade wollte er den Bericht über seine Tochter fortsetzen, als wieder eine Lampe aufleuchtete.
»Hallo! … Wie? … Autounfall am Boulevard de la Chapelle?«
Hinter den gardinenlosen hohen Fenstern sah man den Regen in Strömen niedergehen, ein Sommerregen, der die Nacht mit seinen langen, fließenden Fäden hell schraffierte. Maigret fühlte sich wohl in dem großen Raum der Notrufzentrale, in den er geflüchtet war, auch wenn es dort ein wenig stickig war.
Kurz zuvor war er in seinem Büro am Quai des Orfèvres gewesen. Er erwartete einen Anruf aus London, bei dem es um einen international gesuchten Betrüger ging, den seine Inspektoren in einem Luxushotel an den Champs-Élysées aufgespürt hatten. Der Anruf konnte ebenso gut um Mitternacht wie um ein Uhr morgens eingehen, und Maigret, der nichts anderes zu tun hatte, langweilte sich in seinem Büro.
Also hatte er die Vermittlung angewiesen, alle für ihn bestimmten Gespräche an die Notrufzentrale auf der anderen Straßenseite weiterzuleiten, und war, um ein wenig zu plaudern, zu seinem Neffen gegangen, der gerade Nachtdienst hatte.
Maigret hatte diesen weitläufigen Raum immer gemocht, der so still und sauber war wie ein Labor und von dem die meisten Pariser nichts wussten, obwohl er doch das Herz der Stadt war.
An jeder Kreuzung in Paris gibt es rot lackierte Apparate mit einer Scheibe, die man nur einschlagen muss, um sowohl mit dem Polizeirevier des Viertels als auch der Zentrale verbunden zu werden.
Sobald irgendjemand aus diesem oder jenem Grund um Hilfe ruft, leuchtet eins der Lämpchen auf dem riesengroßen Stadtplan auf, und der diensthabende Beamte hört den Ruf im selben Augenblick wie der Polizist des nächstgelegenen Reviers. Unten, im dunklen, stillen Hof des Hauptkommissariats stehen zwei Mannschaftswagen mit Polizisten bereit, um im Ernstfall auszurücken. In sechzig Polizeirevieren warten weitere Mannschaftswagen sowie Polizisten auf Fahrrädern.
Wieder blinkte ein Lämpchen.
»Selbstmordversuch mit Veronal in einer Pension in der Rue Blanche«, wiederholte Daniel.
So zeichnet sich Tag und Nacht das tragische Hauptstadtleben durch das Aufleuchten kleiner Lämpchen auf einer Wand ab. Kein Wagen, keine Streife verlässt auch nur eins der Polizeireviere, ohne dass der Anlass der Zentrale gemeldet wird.
Maigret hatte immer behauptet, die jungen Inspektoren müssten mindestens ein Jahr ihrer Dienstzeit in diesem Raum verbringen, um etwas über die Geografie des Verbrechens der Hauptstadt zu lernen. Er selbst kam gern für ein oder zwei Stunden hierher, wenn er nichts anderes zu tun hatte.
Einer der anwesenden Polizeibeamten aß gerade Brot und Wurst. Daniel fuhr fort:
»Sie hat sofort Doktor Lambert angerufen, und als er eine halbe Stunde später eintraf, waren die roten Flecken verschwunden. Es war nichts weiter als ein Nesselausschlag … Hallo! …«
Soeben leuchtete ein Lämpchen im 18. Arrondissement auf. Eine direkte Verbindung. Jemand hatte an dem Apparat, der an der Ecke Rue Caulaincourt und Rue Lamarck stand, die Scheibe eingeschlagen.
Für einen Neuling ist das ziemlich beeindruckend … Man sieht die Kreuzung in der Nacht verlassen vor sich liegen, den Regen, der wie Bindfäden das Dunkel durchsetzt, das feuchte Pflaster, Pfützen, in denen sich das Licht der Straßenlaternen spiegelt, weiter weg ein paar erleuchtete Cafés und einen Mann oder eine Frau, die auf den Apparat zustürzt, vielleicht taumelt und verfolgt wird, jemanden, der Angst hat oder Hilfe braucht und sich hastig ein Taschentuch um die Hand wickelt, um die Scheibe einzuschlagen …
Maigret, der unwillkürlich seinen Neffen