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Maigret und der Clochard
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eBook154 Seiten2 Stunden

Maigret und der Clochard

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Über dieses E-Book

Früher, als Streifenpolizist, hat Maigret sie alle gekannt, die Clochards, die unter den Brücken schlafen. Doch nun durchwühlt er die Habseligkeiten des "Doktors". Mit eingeschlagenem Kopf wurde der Obdachlose aus der Seine gefischt und liegt seither im Koma. Madame Maigret weiß mehr über die Vergangenheit des Opfers, denn der Mann kommt wie sie aus dem Elsass. Dass jemand einen Clochard ermorden will, hat Maigret noch nie erlebt. Und auch nicht, dass sich ein Opfer weigert, bei der Suche nach dem Täter zu helfen.
Maigrets 60. Fall spielt an der Seine in Paris und außerhalb.
SpracheDeutsch
HerausgeberKampa Verlag
Erscheinungsdatum4. Nov. 2019
ISBN9783311700968
Maigret und der Clochard
Autor

Georges Simenon

Georges Simenon, geboren am 13. Februar 1903 im belgischen Liège, ist der »meistgelesene, meistübersetzte, meistverfilmte, mit einem Wort: der erfolgreichste Schriftsteller des 20. Jahrhunderts« (Die Zeit). Seine erstaunliche literarische Produktivität (75 Maigret-Romane, 117 weitere Romane und über 150 Erzählungen), seine Rastlosigkeit und seine Umtriebigkeit bestimmten sein Leben: Um einen Roman zu schreiben, brauchte er selten länger als zehn Tage, er bereiste die halbe Welt, war zweimal verheiratet und unterhielt Verhältnisse mit unzähligen Frauen. 1929 schuf er seine bekannteste Figur, die ihn reich und weltberühmt machte: Kommissar Maigret. Aber Simenon war nicht zufrieden, er sehnte sich nach dem »großen« Roman ohne jedes Verbrechen, der die Leser nur durch psychologische Spannung in seinen Bann ziehen sollte. Seine Romane ohne Maigret erschienen ab 1931. Sie waren zwar weniger erfolgreich als die Krimis mit dem Pfeife rauchenden Kommissar, vergrößerten aber sein literarisches Ansehen. Simenon wurde von Kritiker*innen und Schriftstellerkolleg*innen bewundert und war immer wieder für den Literaturnobelpreis im Gespräch. 1972 brach er bei seinem 193. Roman die Arbeit ab und ließ die Berufsbezeichnung »Schriftsteller« aus seinem Pass streichen. Von Simenons Romanen wurden über 500 Millionen Exemplare verkauft, und sie werden bis heute weltweit gelesen. In seinem Leben wie in seinen Büchern war Simenon immer auf der Suche nach dem, »was bei allen Menschen gleich ist«, was sie in ihrem Innersten ausmacht, und was sich nie ändert. Das macht seine Bücher bis heute so zeitlos.

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    Buchvorschau

    Maigret und der Clochard - Georges Simenon

    Kampa

    1

    Auf dem Weg vom Quai des Orfèvres zum Pont Marie hielt Maigret einen Moment lang inne – so kurz, dass Lapointe, der neben ihm ging, es gar nicht bemerkte. Und doch fühlte sich der Kommissar für ein paar Sekunden, vielleicht nur für den Bruchteil einer Sekunde in das Alter seines Kollegen zurückversetzt.

    Das hing vermutlich mit der besonderen Luft zusammen, ihrem Leuchten, dem Geruch und Geschmack. Es hatte früher einmal einen ganz ähnlichen Morgen gegeben, viele ähnliche Morgen. Maigret hatte damals, als frischgebackener Inspektor bei der Kriminalpolizei – von den Parisern noch Sûreté genannt –, zum Außendienst gehört und war von morgens bis abends in den Pariser Straßen unterwegs gewesen.

    Obwohl man schon den 25. März schrieb, war dies der erste wirkliche Frühlingstag. Er war besonders frisch und klar, denn in der Nacht hatte es leicht geregnet, begleitet von Donnergrollen in der Ferne. Zum ersten Mal in diesem Jahr hatte Maigret seinen Mantel im Schrank im Büro gelassen, und von Zeit zu Zeit fuhr ihm der Wind unter die aufgeknöpfte Jacke.

    Auf solche Weise von der Vergangenheit angeweht, fiel er, ohne es zu merken, in seine damalige Gangart; weder langsam noch schnell, nicht schlendernd wie einer, der bei allem Sehenswerten stehen bleibt, aber auch nicht zügig wie jemand, der ein Ziel hat.

    Die Hände auf dem Rücken verschränkt, blickte er um sich, nach rechts, nach links, nach oben, und nahm Bilder in sich auf, die er schon lange nicht mehr beachtet hatte.

    Für einen so kurzen Weg nahm man nicht einen der schwarzen Wagen, die auf dem Hof der Kriminalpolizei standen; die beiden Männer gingen zu Fuß die Seine entlang. Als sie den Platz vor Notre-Dame überquerten, flogen Tauben auf. Es stand dort schon ein großer, gelber Reisebus aus Köln.

    Über den eisernen Steg erreichten sie die Île Saint-Louis, und hinter einem offenen Fenster bemerkte Maigret ein junges Zimmermädchen in schwarzem Kleid und Spitzenhäubchen, das einem Boulevardstück entsprungen schien. Ein Metzgergeselle in gestreifter Jacke lieferte etwas weiter unten Fleisch ab; ein Briefträger kam aus einem Haus.

    Die Knospen waren an diesem Morgen aufgeplatzt und sprenkelten die Bäume mit zartem Grün.

    »Noch immer Hochwasser«, bemerkte Lapointe, der bisher nichts gesagt hatte.

    Das stimmte. Seit einem Monat hatte es nur manchmal für ein paar Stunden aufgehört zu regnen, und fast jeden Abend sah man im Fernsehen Bilder von über die Ufer getretenen Flüssen, von Städten und Dörfern, durch deren Straßen das Wasser strömte. Auf der gelblichen Seine trieben Abfälle, alte Kisten und Äste.

    Die beiden Männer gingen den Quai de Bourbon bis zum Pont Marie hinunter, schlenderten hinüber und sahen stromabwärts einen grauen Frachtkahn, an dessen Bug das blau-weiße Dreieck der Compagnie Générale gemalt war. Er hieß Le Poitou, und ein Kran, dessen Knarren und Kreischen sich mit den wirren Geräuschen der Stadt vermischte, entlud den Sand, den das Schiff geladen hatte.

    Etwa fünfzig Meter von diesem entfernt war ein anderer Frachtkahn oberhalb der Brücke festgemacht. Er wirkte sauberer, schien frisch geputzt worden zu sein, und eine belgische Fahne wehte träge am Heck, während neben der weißen Kajüte ein Baby in einer Art Hängematte schlief und ein hochgewachsener Mann mit blassblondem Haar zum Quai blickte, als wartete er auf etwas.

    Das Schiff hieß, wie goldene Buchstaben sagten, De Zwarte Zwaan. Ein flämischer Name, den weder Maigret noch Lapointe verstanden.

    Es war zwei oder drei Minuten vor zehn. Die beiden Polizeibeamten erreichten den Quai des Célestins. Als sie gerade die Rampe zum Hafen hinuntergehen wollten, hielt ein Auto, drei Männer stiegen aus, und die Tür schlug zu.

    »So was! Wir sind genau zur gleichen Zeit da …«

    Die drei kamen ebenfalls aus dem Palais de Justice, allerdings aus dem imposanteren, den Richtern und Staatsanwälten vorbehaltenen Teil. Es handelte sich um Staatsanwalt Parrain, Untersuchungsrichter Dantziger und einen alten Gerichtsschreiber, dessen Namen sich Maigret nicht merken konnte, obwohl er ihm schon hundertmal begegnet war.

    Die Passanten, die ihren Geschäften nachgingen, die Kinder, die auf dem Gehsteig gegenüber spielten, ahnten nicht, dass hier ein Lokaltermin der Staatsanwaltschaft stattfand. An diesem hellen Morgen sah es so gar nicht nach etwas Offiziellem aus. Der Staatsanwalt zog ein goldenes Etui aus seiner Tasche und bot Maigret, der seine Pfeife im Mund hatte, mechanisch eine Zigarette an.

    »Ach ja, das habe ich vergessen …«

    Er war groß, schlank, blond und distinguiert. Der Kommissar dachte wieder einmal, dass dies eine Besonderheit der Staatsanwaltschaft war. Untersuchungsrichter Dantziger, klein und rund, war wenig elegant gekleidet. Untersuchungsrichter konnten ganz verschieden sein, aber warum ähnelten die Staatsanwälte alle mehr oder weniger hohen Ministerialbeamten und hatten oft auch deren Manieren, Eleganz und Dünkel?

    »Wollen wir dann, Messieurs?«

    Sie gingen über die uneben gepflasterten Steine hinunter und gelangten unweit des Frachtkahns ans Ufer.

    »Ist es der hier?«

    Maigret wusste kaum mehr als die anderen. Er hatte in den Tagesmeldungen den kurzen Bericht darüber gelesen, was sich in der Nacht ereignet hatte, und war vor einer halben Stunde telefonisch gebeten worden, dem Termin mit der Staatsanwaltschaft beizuwohnen.

    Er tat das nicht ungern. So würde er einer Welt und Atmosphäre wiederbegegnen, mit der er schon mehrmals zu tun gehabt hatte. Alle fünf gingen sie auf das Motorschiff zu, das eine schmale hölzerne Laufplanke mit dem Ufer verband. Der große blonde Schiffer kam ihnen entgegen.

    »Reichen Sie mir die Hand«, sagte er zu dem Staatsanwalt, der die Reihe anführte. »Man kann nicht vorsichtig genug sein.«

    Er sprach mit stark flämischem Akzent. Das Gesicht mit den ausgeprägten Zügen, die hellen Augen und langen Arme, seine Art, sich zu bewegen, ließen an belgische Rennfahrer denken, die nach einem Rennen manchmal ein Interview im Fernsehen gaben.

    Hier war der Lärm des Krans, der den Sand entlud, deutlich zu hören.

    »Sie heißen Joseph van Houtte?«, fragte Maigret, nachdem er einen Blick auf ein Stück Papier geworfen hatte.

    »Ja, Monsieur, Jef van Houtte.«

    »Sind Sie der Besitzer dieses Schiffes?«

    »Natürlich. Wer sollte es sonst sein?«

    Verlockender Essensduft stieg aus der Kombüse herauf, und am Fuß der mit geblümtem Linoleum belegten Treppe sah man eine blutjunge Frau hin und her gehen.

    Maigret deutete auf das Baby in der Hängematte.

    »Ist das Ihr Sohn?«

    »Es ist kein Sohn, Monsieur. Es ist eine Tochter. Sie heißt Yolande. Wie meine Schwester, und da sie die Patin ist …«

    Staatsanwalt Parrain fand es angebracht, sich einzuschalten, nachdem er dem Schreiber bedeutet hatte, sich Notizen zu machen.

    »Erzählen Sie uns, was geschehen ist.«

    »Also, ich habe ihn herausgefischt, und der Kollege vom anderen Schiff hat mir geholfen.«

    Er zeigte auf die Poitou, an deren Heck ein Mann am Steuerrad lehnte und zu ihnen herüberblickte, als wartete er darauf, dass er an die Reihe kam.

    Ein Schlepper stieß mehrere Signaltöne aus und fuhr langsam, vier Kähne hinter sich herziehend, flussaufwärts. Jedes Mal, wenn einer der Kähne in Höhe der Zwarte Zwaan vorüberkam, hob Jef van Houtte den rechten Arm, um zu grüßen.

    »Kannten Sie den Ertrunkenen?«

    »Ich hatte ihn noch nie gesehen.«

    »Wie lange haben Sie schon hier festgemacht?«

    »Seit gestern Abend. Ich komme aus Jeumont mit einer Ladung Ziegelsteine für Rouen. Ich wollte durch Paris durchfahren und die Nacht an der Schleuse von Suresnes bleiben. Plötzlich habe ich bemerkt, dass mit dem Motor irgendwas nicht stimmte. Unsereins übernachtet nicht gern mitten in Paris, verstehen Sie?«

    Maigret bemerkte von Weitem zwei oder drei Clochards unter der Brücke und unter ihnen eine sehr dicke Frau. Er meinte, sie schon einmal gesehen zu haben.

    »Wie ist das vor sich gegangen? Hat sich der Mann ins Wasser gestürzt?«

    »Das glaube ich nicht, Monsieur. Wenn er sich ins Wasser gestürzt hätte, was hätten dann die beiden anderen hier gewollt?«

    »Wie spät war es? Wo waren Sie? Berichten Sie uns ganz genau, was an diesem Abend geschehen ist. Sie haben kurz vor Einbruch der Dunkelheit am Quai festgemacht?«

    »Richtig.«

    »Haben Sie einen Clochard unter der Brücke bemerkt?«

    »Solche Dinge bemerkt man nicht. Es sind immer welche dort.«

    »Was haben Sie dann getan?«

    »Wir haben zu Abend gegessen, Hubert, Anneke und ich.«

    »Wer ist Hubert?«

    »Mein Bruder. Er arbeitet bei mir. Anneke ist meine Frau. Sie heißt Anna, aber bei uns sagen wir Anneke.«

    »Und dann?«

    »Mein Bruder hat seinen guten Anzug angezogen und ist tanzen gegangen. Ist ja schließlich noch ein junger Kerl.«

    »Wie alt?«

    »Zweiundzwanzig.«

    »Ist er hier?«

    »Er macht Einkäufe, müsste aber bald zurückkommen.«

    »Was haben Sie nach dem Essen gemacht?«

    »Ich habe am Motor gearbeitet. Ich habe sofort gesehen, dass Öl auslief, und da ich heute Morgen weiterfahren wollte, habe ich den Schaden repariert.«

    Verstohlen beobachtete er die Herren nacheinander, mit dem misstrauischen Blick von Leuten, hätte man sagen können, die es nicht gewohnt sind, mit der Justiz zu tun zu haben.

    »Wann waren Sie damit fertig?«

    »Nicht mehr gestern Abend. Erst heute Morgen bin ich fertig geworden.«

    »Wo waren Sie, als Sie die Schreie gehört haben?«

    Er kratzte sich am Kopf und starrte auf das vor Sauberkeit blitzende Deck.

    »Zuerst bin ich noch einmal hinaufgegangen, um eine Zigarette zu rauchen und um zu sehen, ob Anneke schlief.«

    »Wann war das?«

    »Gegen zehn Uhr … Ich weiß es nicht genau.«

    »Schlief sie?«

    »Ja, Monsieur. Und die Kleine auch. Sie weint nachts manchmal, weil ihre ersten Zähne kommen.«

    »Dann sind Sie wieder zu Ihrem Motor zurückgegangen?«

    »Aber sicher.«

    »War es dunkel in der Kajüte?«

    »Ja. Meine Frau schlief ja dort.«

    »War das Deck auch dunkel?«

    »Sicher.«

    »Und dann?«

    »Viel später dann habe ich ein Motorengeräusch gehört, als würde ein Auto in der Nähe des Schiffes halten.«

    »Haben Sie

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