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Maigret hat Skrupel
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eBook171 Seiten3 Stunden

Maigret hat Skrupel

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Über dieses E-Book

Kurz nach Neujahr. Am Quai des Orfèvres herrscht Flaute, bis ein Besucher die Ruhe stört: Xavier Marton, Verkaufskönig von Modelleisenbahnen, beschuldigt seine Frau, sie wolle ihn vergiften. Kaum aufgetaucht, ist Marton schon wieder verschwunden. Maigret will den Fall bereits zu den Akten legen. Doch noch am selben Tag wird Martons Gattin bei ihm vorstellig und behauptet nun ihrerseits, ihr Mann sei verrückt und trachte ihr nach dem Leben. Als mit Martons Schwägerin eine dritte Person auf der Bildfläche erscheint, ist das Chaos komplett
SpracheDeutsch
HerausgeberKampa Verlag
Erscheinungsdatum25. Nov. 2021
ISBN9783311702849
Maigret hat Skrupel
Autor

Georges Simenon

Georges Simenon, geboren am 13. Februar 1903 im belgischen Liège, ist der »meistgelesene, meistübersetzte, meistverfilmte, mit einem Wort: der erfolgreichste Schriftsteller des 20. Jahrhunderts« (Die Zeit). Seine erstaunliche literarische Produktivität (75 Maigret-Romane, 117 weitere Romane und über 150 Erzählungen), seine Rastlosigkeit und seine Umtriebigkeit bestimmten sein Leben: Um einen Roman zu schreiben, brauchte er selten länger als zehn Tage, er bereiste die halbe Welt, war zweimal verheiratet und unterhielt Verhältnisse mit unzähligen Frauen. 1929 schuf er seine bekannteste Figur, die ihn reich und weltberühmt machte: Kommissar Maigret. Aber Simenon war nicht zufrieden, er sehnte sich nach dem »großen« Roman ohne jedes Verbrechen, der die Leser nur durch psychologische Spannung in seinen Bann ziehen sollte. Seine Romane ohne Maigret erschienen ab 1931. Sie waren zwar weniger erfolgreich als die Krimis mit dem Pfeife rauchenden Kommissar, vergrößerten aber sein literarisches Ansehen. Simenon wurde von Kritiker*innen und Schriftstellerkolleg*innen bewundert und war immer wieder für den Literaturnobelpreis im Gespräch. 1972 brach er bei seinem 193. Roman die Arbeit ab und ließ die Berufsbezeichnung »Schriftsteller« aus seinem Pass streichen. Von Simenons Romanen wurden über 500 Millionen Exemplare verkauft, und sie werden bis heute weltweit gelesen. In seinem Leben wie in seinen Büchern war Simenon immer auf der Suche nach dem, »was bei allen Menschen gleich ist«, was sie in ihrem Innersten ausmacht, und was sich nie ändert. Das macht seine Bücher bis heute so zeitlos.

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    Buchvorschau

    Maigret hat Skrupel - Georges Simenon

    1

    Ein Besucher am Dienstagvormittag

    Es kommt am Quai des Orfèvres selten vor, höchstens ein- oder zweimal im Jahr, und ist im Nu wieder vorbei: Nach einer Zeit fieberhaften Arbeitens, wenn ein Fall den nächsten jagt, manchmal sogar drei, vier Fälle gleichzeitig das gesamte Personal in Atem halten, sodass keiner weiß, wo ihm der Kopf steht, und die Inspektoren übermüdet, verstört und mit rotgeränderten Augen herumlaufen – tritt plötzlich Stille ein. Mit einem Schlag herrscht totale Flaute, die nur ab und zu von einem unbedeutenden Anruf unterbrochen wird.

    So war es am Tag zuvor gewesen, einem Montag. Montags geht es am Quai allerdings immer stiller zu als an anderen Tagen. Am Dienstag um elf Uhr vormittags herrschte noch die gleiche schläfrige Atmosphäre. In dem weiten Korridor drückten sich unbehaglich zwei oder drei schäbige Gestalten herum, Spitzel, die ihren Bericht abliefern wollten. Im Büro der Inspektoren waren außer den Grippekranken alle auf ihrem Posten.

    Während Maigret meistens nur mit Mühe ausreichend Leute für dringende Fälle zusammenbekam, hätten ihm heute fast alle Mitarbeiter seiner Abteilung zur Verfügung gestanden.

    Allerdings war es in ganz Paris dasselbe. Es war der 10. Januar. Nach den Festtagen bewegten sich die Menschen noch wie in Zeitlupe und blickten mit leichtem Brummschädel auf die bevorstehende Fälligkeit von Miete und Steuern.

    Passend zur allgemeinen Stimmung zeigte sich der Himmel in einem eintönigen Grau, das dem des Straßenpflasters ähnelte. Es war kalt, wenn auch nicht so sehr, dass es in der Zeitung erwähnt wurde. Eine ungemütliche Kälte, die einem erst bewusst wurde, wenn man eine Weile draußen unterwegs war.

    In den Büros glühten die Heizkörper und machten die Luft noch drückender. Hin und wieder gluckerte es geheimnisvoll in den Rohren.

    Wie Schüler nach der Prüfung nahmen sich manche nun die Arbeiten vor, die immer auf später verschoben werden: unvollständige Berichte in den Schubladen, nicht fertiggestellte Statistiken, öder Verwaltungskram.

    Die meisten Leute, von denen man sonst in der Zeitung liest, befanden sich an der Côte d’Azur oder beim Wintersport.

    Hätte Maigret in seinem Büro noch den Kohlenofen stehen gehabt, den man ihm lange Zeit dagelassen hatte, obwohl das ganze Gebäude mit einer Zentralheizung ausgestattet worden war, so hätte er ab und zu Kohlen nachgeschüttet und in der Glut gestochert, dass die Funken sprühten.

    Er war nicht schlechter Laune, aber auch nicht recht in Form. Im Bus vom Boulevard Richard-Lenoir hatte er sich kurz gefragt, ob er wohl eine Grippe ausbrütete.

    Vielleicht war es seine Frau, die ihn beschäftigte. Tags zuvor hatte ihn sein Freund Pardon, der Arzt aus der Rue Picpus, unvermutet angerufen.

    »Hallo, Maigret. Bitte sagen Sie Ihrer Frau nicht, dass ich Sie informiert habe.«

    »Worüber?«

    »Sie hat mich vorhin aufgesucht und dringend gebeten, Ihnen nichts davon zu sagen.«

    Vor noch nicht einem Jahr war der Kommissar ebenfalls bei Pardon gewesen und hatte ihn seinerseits gebeten, Madame Maigret nichts von dem Besuch zu verraten.

    »Machen Sie sich bloß keine Sorgen. Ich habe sie gründlich untersucht. Es ist nichts Ernstes.«

    Gestern bei Pardons Anruf hatte sich Maigret schon so bleiern gefühlt wie heute Morgen. Ihm stand noch immer derselbe Bericht bevor, den er fertigstellen musste.

    »Was für Beschwerden hat sie denn?«

    »Seit einiger Zeit kommt sie beim Treppensteigen außer Atem, und vor allem morgens sind ihr die Beine schwer. Wie gesagt, kein Grund zur Beunruhigung. Nur der Kreislauf ist nicht ganz, wie er sein sollte. Ich habe ihr Tabletten verschrieben, die sie zu jeder Mahlzeit einnehmen soll. Und wundern Sie sich nicht, wenn sie weniger isst. Ich habe ihr auch eine Diät verordnet. Ich möchte, dass sie fünf oder sechs Kilo abnimmt. Das würde die Herztätigkeit erleichtern.«

    »Sind Sie sicher, dass …«

    »Ich verspreche Ihnen, es ist absolut nichts Gefährliches, aber ich hielt es für besser, Sie in Kenntnis zu setzen. Tun Sie bitte so, als würden Sie nichts bemerken. Ihre größte Sorge ist, dass Sie sich Sorgen machen.«

    Wie er seine Frau kannte, hatte sie sich das Medikament gleich in der nächsten Apotheke besorgt. Pardon hatte ihn am Vormittag angerufen. Mittags beobachtete Maigret seine Frau unauffällig, aber in seiner Anwesenheit nahm sie keine Tablette. Auch am Abend nicht. Er suchte im Buffet vergeblich nach einem Medikament. Auch in der Küche fand er nichts.

    Wo versteckte sie die Tabletten? Sie hatte weniger gegessen als sonst, sogar auf den Nachtisch verzichtet, obwohl sie Süßes liebte.

    »Ich mache mal eine kleine Abmagerungskur«, hatte sie scherzend gesagt. »Ich platze langsam aus allen Nähten.«

    Maigret vertraute Pardon. Er regte sich nicht auf. Und doch bedrückte ihn die Sache. Besser gesagt, sie machte ihn melancholisch.

    Im Jahr zuvor war er selbst krank gewesen und hatte sich drei Wochen lang schonen müssen. Nun war seine Frau an der Reihe. Sie hatten also beide, fast unbemerkt, das Alter erreicht, in dem kleine »Reparaturen« anfallen. Ähnlich wie bei den Autos, die plötzlich immer wieder in die Werkstatt gebracht werden müssen.

    Für Autos allerdings kann man Ersatzteile kaufen, ihnen sogar einen neuen Motor einsetzen lassen.

    Als der Bürodiener an die Tür klopfte und eintrat, wie immer ohne eine Antwort abzuwarten, war sich Maigret gar nicht bewusst, dass er solchen Gedanken nachhing.

    Er blickte von seiner Akte auf und sah den alten Joseph wie im Traum an.

    »Was gibt es?«

    »Jemand wünscht Sie dringend persönlich zu sprechen.«

    Joseph kam, wie immer auf leisen Sohlen, näher und legte ihm einen Anmeldezettel hin.

    Es war ein mit Bleistift geschriebener Name, aber da er Maigret nichts sagte, entfiel er ihm gleich wieder. Er wusste später nur noch, dass es ein zweisilbiger Name war, mit dem Anfangsbuchstaben M. Lediglich der Vorname blieb ihm im Gedächtnis. Xavier. So hatte nämlich sein alter Chef am Quai des Orfèvres geheißen, Xavier Guichard.

    Unter dem vorgedruckten Grund des Besuches stand etwas wie: muss unbedingt mit Kommissar Maigret sprechen.

    Joseph wartete regungslos. Es war so dämmerig im Büro, dass man eigentlich hätte Licht machen müssen, aber dem Kommissar fiel es nicht ein.

    »Empfangen Sie ihn?«

    Maigret zuckte mit den Schultern und nickte.

    Warum nicht? Kurz darauf wurde ein Mann in den Vierzigern hereingeführt. Es war nichts Besonderes an ihm, er sah aus wie irgendeiner der Abertausenden, die abends um sechs zur Metro eilen.

    »Entschuldigen Sie die Störung, Herr Kommissar.«

    »Nehmen Sie Platz.«

    Der Mann wirkte nervös, wenn auch nicht übertrieben, vielmehr bewegt, wie so viele, die in dieses Büro kamen. Er trug einen dunklen Mantel, den er aufknöpfte, bevor er sich setzte, hielt seinen Hut zunächst auf den Knien und legte ihn nach einer Weile neben sich auf den Teppich.

    Er lächelte mechanisch, vermutlich ein Zeichen der Schüchternheit. Nachdem er sich geräuspert hatte, sagte er:

    »Der Anfang ist immer das Schwierigste, nicht wahr? Natürlich habe ich mir x-mal zurechtgelegt, was ich Ihnen sagen möchte. Das tut wohl jeder, der zu Ihnen kommt. Aber jetzt, wo es so weit ist, hat sich alles verflüchtigt.«

    Erneut ein Lächeln, dieses Mal Zustimmung oder Ermunterung des Kommissars erbittend. Aber Maigrets Interesse war noch nicht geweckt. Der Mann kam in einem ungünstigen Moment, der Kommissar war mit seinen Gedanken nicht ganz da.

    »Sie bekommen sicher viele Besuche dieser Art. Leute, die von ihren kleinen Angelegenheiten berichten, die sie für sehr bemerkenswert halten.«

    Er hatte braunes Haar und sah nicht schlecht aus, auch wenn die Nase ein wenig schief war und die Unterlippe etwas zu fleischig.

    »Ich kann Ihnen versichern, bei mir liegt die Sache anders. Ich habe lang gezögert, ob ich einen viel beschäftigten Mann wie Sie behelligen soll.«

    Vermutlich hatte er ein mit Akten vollgestopftes Büro erwartet, in dem zwei, drei Telefone gleichzeitig klingelten, Inspektoren sich die Klinke in die Hand gaben, Zeugen oder Verdächtige auf den Stühlen hockten.

    An einem anderen Tag hätte es durchaus so sein können, doch die Ernüchterung des Mannes entlockte dem Kommissar kein Lächeln. Er sah vielmehr aus, als dächte er überhaupt nichts.

    Dabei betrachtete er in Wirklichkeit den Anzug seines Besuchers. Er war aus gutem Stoff, tiefgrau, fast schwarz und stammte gewiss von einem erstklassigen Schneider. Dazu trug der Mann schwarze Schuhe und eine unauffällige Krawatte.

    »Denken Sie nicht, dass ich verrückt bin, Herr Kommissar. Kennen Sie vielleicht Doktor Steiner an der Place Denfert-Rochereau? Er ist Neurologe. Das ist, glaube ich, mehr oder weniger das Gleiche wie ein Psychiater. Er wurde schon mehrmals als Sachverständiger in Prozessen vor dem Schwurgericht hinzugezogen.«

    Maigrets dichte Augenbrauen hoben sich nur ein wenig.

    »Sie haben Doktor Steiner aufgesucht?«

    »Ja. Ich habe ihn konsultiert. Er untersucht einen, aber das nur nebenbei, ungefähr eine Stunde lang sehr gründlich, er überlässt nichts dem Zufall. Er konnte nichts finden. Er hält mich für völlig normal. Was meine Frau betrifft, die er nicht gesehen hat …«

    Er hielt inne. Sein Monolog entsprach wohl nicht dem, was er sich zurechtgelegt hatte. Mit einer mechanischen Geste zog er ein Päckchen Zigaretten aus seiner Tasche, wagte aber nicht zu fragen, ob er rauchen dürfe.

    »Bitte, rauchen Sie«, sagte Maigret.

    »Danke.«

    Seine Finger waren etwas ungeschickt. Er war nervös.

    »Verzeihen Sie. Ich sollte mich besser beherrschen. Aber ich bin wirklich bewegt. Plötzlich sehe ich Sie zum ersten Mal leibhaftig in Ihrem Büro, mit Ihren Pfeifen …«

    »Darf ich fragen, welchen Beruf Sie ausüben?«

    »Damit hätte ich beginnen sollen! Es ist ein etwas ausgefallener Beruf, und Sie lächeln vielleicht darüber, wie viele Menschen. Ich arbeite im Kaufhaus Les Grands Magasins du Louvre in der Rue de Rivoli. Offiziell bin ich erster Verkäufer in der Spielwarenabteilung. Vor den Festtagen wusste ich natürlich nicht, wo mir der Kopf stand. Aber der größte Teil meiner Arbeit besteht aus einer anderen Tätigkeit: Mein Spezialgebiet ist die Modelleisenbahn.«

    Es war fast, als hätte er vergessen, warum er eigentlich gekommen war und wo er sich befand, als wollte er nun ausschließlich über sein Lieblingsthema sprechen.

    »Sind Sie im Dezember einmal an den Grands Magasins vorbeigekommen?«

    Maigret sagte weder Ja noch Nein. Er wusste es nicht. Er erinnerte sich nur vage an die riesige Leuchtreklame an der Fassade, aber was die sich bewegenden bunten Figuren darstellten, hätte er nicht sagen können.

    »Wenn ja, dann haben Sie im dritten Schaufenster in der Rue de Rivoli eine genaue Nachbildung der Gare Saint-Lazare mit Schienen, Vorort- und Schnellzügen, Signalen und Stellwerken gesehen. Es hat mich drei Monate Arbeit gekostet. Ich musste in die Schweiz und nach Deutschland fahren, um dort einen Teil des Materials zu besorgen. Ihnen kommt das vielleicht kindisch vor, aber wenn Sie wüssten, welchen Umsatz wir allein mit den Modelleisenbahnen machen … Glauben Sie nicht, unsere Kundschaft besteht nur aus Kindern! Auch erwachsene Männer, darunter welche in bedeutender Stellung, begeistern sich für Modelleisenbahnen. Ich werde oft in Privathäuser eingeladen, um …«

    Er unterbrach sich wieder.

    »Langweile ich Sie damit?«

    »Nein.«

    »Hören Sie mir zu?«

    Maigret nickte. Sein Besucher musste zwischen vierzig und fünfundvierzig Jahre alt sein. Der Ehering war aus Rotgold, flach und breit, ähnlich dem des Kommissars. Außerdem trug er eine Krawattennadel in Form eines Eisenbahnsignals.

    »Wo war ich? Ich bin selbstverständlich nicht gekommen, um mit Ihnen über Modelleisenbahnen zu sprechen. Ich weiß, dass ich Ihre Zeit beanspruche. Aber Sie müssen ja wissen, wo Sie mich einordnen sollen, nicht wahr. Um auch das zu sagen, ich

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