Die Chroniken der Seelenwächter - Band 20: Es war einmal ...: (Urban Fantasy)
Von Nicole Böhm
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Über dieses E-Book
Jaydee findet langsam zurück in sein Leben und erholt sich vom Fieberwahn. Er erzählt Abe von seinen Erlebnissen und überlegt, wie er in all den Lügen und Geheimnissen, die ihn sein Leben lang begleitet haben, einen Sinn finden kann.
Auch Akil stellt sich seinen Aufgaben und tritt - gemeinsam mit Ben - in eine Welt ein, die ihm mehr abverlangt, als er je angenommen hat. Er erhält eine weitere Vision, in der er abermals ein Leben retten muss. Dieses Mal von jemanden, den er kennt - und es könnte bereits zu spät sein.
Dies ist der 20. Roman aus der Reihe "Die Chroniken der Seelenwächter".
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Rezensionen für Die Chroniken der Seelenwächter - Band 20
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Buchvorschau
Die Chroniken der Seelenwächter - Band 20 - Nicole Böhm
1. Kapitel
Jaydee
Als ich aus der Höhle trat, fühlte ich mich merkwürdig. Mir war schwindelig, meine Beine waren kraftlos, und in meinen Eingeweiden rumorte die Unruhe. Mein Körper gehörte nicht länger mir, er war wie ein unpassendes Kleidungsstück, das ich mir von jemandem geliehen und angezogen hatte. Es war befremdlich und unangenehm, und ich musste dieses Gefühl so schnell wie möglich abstreifen.
Ich nahm einen tiefen Atemzug und inhalierte die eisige Luft. Der Sauerstoff breitete sich in meinen Lungen aus, erinnerte mich daran, dass ich lebendig war. Die Vögel trällerten ihre Lieder, der Himmel zog sich dunkelblau über mich. Es war ein perfekter Wintertag, kalt und kristallklar. Ich schloss die Augen und sog alles wie ein Ertrinkender in mich auf, in der Hoffnung, die Eindrücke könnten mich ankern. Meine Haut prickelte, ein Teil von mir hing noch immer bei Coco fest. Die Reise war zu intensiv gewesen, als dass ich sie einfach vergessen konnte.
Ich musste Geduld haben, mir die Zeit lassen, die ich brauchte, und mir mit jedem Atemzug bewusst machen, wer ich war.
Kleinigkeit also ...
Ich fokussierte mich auf die Umgebung. Alles war versunken im Schnee, der Wind raschelte leise in den Ästen, es roch nach Tannen, nach Winter, nach Ruhe. Die Uhrzeit konnte ich nicht schätzen, ich sah die Sonne nicht, aber vermutlich war es Mittag. Ob ein Tag vergangen war, eine Woche, ein Monat, das wusste ich nicht. Wenn die Seele auf Wanderschaft ging, spielte Zeit keine Rolle mehr.
Und was für eine Wanderung es gewesen war.
Als ich vor ein paar Minuten nackt aus diesem seltsamen Trip erwacht war, hatten Leoti, Abe, Tate und Rowan noch bei mir gesessen. Sie hatten mich gesund gepflegt, mir mit Kräutern und ihrer ganz eigenen Magie die Krankheit aus dem Körper gezogen und mich dann alleingelassen. Wenigstens hatten sie mir Klamotten hingelegt: warme, mit Pelz gefütterte Schuhe, feste Hosen aus Leinen, ein langärmeliges Shirt und eine Jacke. Normalerweise störte mich Kälte nicht, ich wäre auch mit weniger ausgekommen; aber ich spürte, dass ich noch geschwächt war und Energie für die Heilung benötigte.
Ich streckte den Arm aus, drückte auf meiner Schulter herum. Sie fühlte sich besser an, etwas steif noch, und die Narbe, die sich quer über den Muskel zog, scheuerte unangenehm am Stoff. Hoffentlich legte sich das, sonst würde Anthonys Drohung doch wahr werden: »Jedes Mal, wenn du den Arm bewegst, wirst du an mich denken und an das, was ich mit dir gemacht habe. Ich bin für immer ein Teil von dir.«
Die Erinnerung an ihn trieb die Wut von Neuem nach oben. Ich ballte die Hände zu Fäusten, bohrte die Nägel fest in meine Haut, ein leises Knurren kam über meine Lippen. Ich schloss die Augen, zwang mich selbst zur Ruhe und den Jäger in seine Abgründe. Auch wenn ihn die Dowanhowee zurückgedrängt hatten, dürstete er nach dem Blut, das ihm verwehrt geblieben war. Ich musste auf ihn aufpassen, womöglich mehr als sonst. Also fokussierte ich mich auf meinen Atem, auf die kalte Luft, die mich durchflutete. Fast meinte ich, das leise Summen der Dowanhowee zu hören, ihren monotonen Singsang, mit dem sie mich aus dem Koma geholt hatten. Ich legte den Kopf schräg, lauschte dem Geräusch, doch es war nicht mehr als ein Echo aus meiner Seele.
Ob es wirklich stimmte, dass die Seelenwächter von ihnen abstammten? Es würde sehr vieles erklären, vor allen Dingen ihre Immunität uns gegenüber.
Aber nicht, warum Ilai uns nie davon erzählt hat.
Wobei es mich nicht wundern sollte. Ilai hatte sein eigenes Süppchen gekocht, das wurde mir immer mehr bewusst. Wenn ich darüber nachdachte, wie viel er vor uns geheim gehalten hatte ... Nicht nur die Sache mit mir, auch als Anna und ich nach dem Kranich geforscht hatten, hatte Will alle Beweise aus der Bibliothek verstecken müssen, damit wir im Dunkeln tappten.
»Die Seelenwächter sind nicht so rein, wie du denkst. Ilai war einer der schlimmsten.«
Cocos Worte über ihn. Sie sickerten langsam in mich, wie ein Mantra, das sich mit jeder Wiederholung verfestigte. Ilai hätte mir gleich nach meiner Ankunft vor neun Jahren von meiner wahren Herkunft erzählen können, doch er hatte es vorgezogen zu schweigen. All die Zeit hatte er mich beobachtet, mich mit meinen quälenden Gedanken alleingelassen und mir die Wahrheit verwehrt. So viele Geheimnisse. Immer und immer wieder. Auch jetzt noch. Für jeden Stein, den ich umdrehte, jede Frage, die beantwortet wurde, tauchte ein neues Rätsel auf.
So wie das mit Coco und mir. »Wir sind auf das reduziert, was wir von Anfang an waren: Seelen, die im Mutterleib zusammengefunden haben und als Geschwister das Licht der Welt erblickten.«
Noch wusste ich nicht, was ich mit dieser Information tun sollte, ob sie Auswirkungen auf mich hatte; aber bisher fühlte ich mich nicht anders als vorher auch, und selbst wenn es stimmte: Ich war nicht mehr der, den sie zurückhaben wollte. Ich war nicht Kian.
Ich bin Jaydee Stevens.
Von Mikael Stevens großgezogen. Er war mein Vater gewesen, er hatte alle Höhen und noch viel mehr Tiefen meines Erwachsenwerdens mit mir durchschritten. Er hatte mich aufgefangen, mir geholfen, wenn es mir schlecht ging, und mir seine bedingungslose Liebe geschenkt. Er war alles für mich gewesen, meine Familie, mein Halt, mein Zuhause. Ich schüttelte mich, griff an meine Schläfen und massierte sie. Mir schwirrte der Kopf von all den Eindrücken. Meine Seele stand vollkommen neben meinem Körper, als wären es zwei getrennte Wesen.
Vielleicht half Bewegung.
Ich zog den Kragen enger und stapfte ziellos durch den Schnee davon. Diese Gegend war mir vertraut, hier hatten wir damals Unterschlupf gefunden, als die Schattendämonen mutiert waren und auf alles Jagd gemacht hatten, was ihnen in die Quere gekommen war. Ben und ich waren in einem wagemutigen Stunt auf Mirabell aus der Höhle geprescht, weil wir Jess retten wollten, die in einem Dorf gestrandet gewesen war.
Jess ...
»Du verzehrst dich nach ihr, und diese Sehnsucht wird stärker sein als alles andere.«
Ja, das tat ich, und dennoch beunruhigte mich der Gedanke an sie zutiefst. Mich fröstelte auf einmal. Vielleicht lag es an der Kälte, vielleicht daran, weil mir voll und ganz bewusst war, was ich ihr angetan hatte. Was ich uns angetan hatte ...
»Lieber sterbe ich. Und dich nehme ich mit.«
Das hatte ich genauso gemeint. Jedes Wort, jedes Gefühl, jede Boshaftigkeit; alles war aus den Tiefen meiner Seele gekommen, und ich hätte sie am liebsten mit meinem gesamten Hass zerstört. Als wir uns gegenübergestanden hatten und sie mir in die Augen gesehen hatte, erkannte sie es. Ihr war klar geworden, dass sie etwas von mir verloren hatte, und ich war mir noch nicht sicher, ob ich es zurückholen konnte, ob das mit uns noch eine Zukunft hatte.
Wir hätten das niemals anfangen sollen.
Von Beginn an hatten wir gewusst, dass wir mit dem Feuer spielten, und nun hatten wir uns gehörig die Griffel verbrannt. Jess hatte mir ihr Herz und auch ihren Körper geschenkt, sie hatte mir alles gegeben und dafür Schmerzen zurückbekommen. Welche Frau wollte so einen Mann haben?
»Soll ich für dich anrufen?«, fragte auf einmal eine Mädchenstimme hinter mir.
Ich zuckte vor Schreck zusammen und fuhr herum. Im ersten Moment hätte ich schwören können, dass Coco dort stand, doch es war Flo.
Sie wartete zwei Meter von mir entfernt, Benson saß brav neben ihr und sah mich schwanzwedelnd an.
»Ich ...« Verflucht, ich hatte sie weder gehört noch gewittert oder sonst was. Waren meine Sinne durch den Fieberwahn derart verkrüppelt? »Wie lange folgst du mir schon?«
Sie zuckte mit den Schultern. Flo hatte sich verändert, seit ich sie zuletzt gesehen hatte. Bei dem Angriff der Dämonen hatte sie ihre Mutter verloren und war zur Vollwaise geworden. Der Verlust hatte die Unschuld aus ihren Zügen vertrieben und sie erwachsener gemacht. Ihre Haare waren länger, sie hatte an Gewicht und Kurven zugelegt, und ihre Gesichtszüge waren markanter geworden. Sie konnte ihre Herkunft nicht leugnen, die Dowanhowee-Gene waren nicht zu übersehen.
»Ben hat drei Mal angerufen und nach dir gefragt«, sagte sie. »Abe meinte, ich solle nach dir sehen und Ben Bescheid geben, sobald du bereit bist.«
Ben. Und Akil. Sie hatten mich hergebracht. Glaubte ich zumindest, Wills Schlafzauber hatte mich ziemlich ausgeknockt. Die beiden hatten mich überwältigt und mit allem, was sie gehabt hatten, niedergerungen. Zorn stieg bei dem Gedanken an den Kampf in mir auf. Die Wunde an meiner Schulter zuckte, ganz kurz meldete sich der Jäger. Er hasste es, wenn er verlor.
»Bist du denn bereit?«, hakte Flo nach und zog meine Aufmerksamkeit zurück zu sich. Ich biss auf die Innenseite meiner Wange, zwang mich, die niederen Instinkte dort zu halten, wo sie hingehörten.
Nicht jetzt. Der Jäger hatte seine Zeit gehabt, nun war es vorüber.
»Wo ist Akil?«, fragte ich.
»Bei Ben, in dessen Wohnung. Er hat eins eurer Pferde.«
»Einen Parsumi.«
Sie nickte. »Von Akil. Es war ein Geschenk.«
Interessant. »Wie lange war ich in der Höhle gewesen?«
»Zwei Nächte und den halben Tag.«
Verdammt.
»Es ist Mittag. Wir haben Suppe gekocht, falls du Hunger hast.«
Den hatte ich tatsächlich. Mein Magen knurrte, mein Mund war völlig ausgetrocknet. Flo lächelte mich an, drehte herum, bevor ich ihr antworten konnte, und hüpfte davon. Sie trug ein Kleid, das eher in den Sommer passte als in den Winter, Boots, die meinen nicht unähnlich waren, keine Jacke, dafür einen dicken Schal. Interessantes Styling.
Benson sprang sofort auf und folgte ihr bei Fuß. Die beiden agierten wie eine Einheit, als könnte der eine die Gedanken des anderen lesen. Würde mich nicht wundern, wenn es tatsächlich so wäre.
Ich sah mich noch einmal um, dann lief ich ihr nach. Den Weg ins Dorf hätte ich auch ohne sie gefunden, bei meinem letzten Aufenthalt hatte ich mir alles gut eingeprägt. Dennoch war es angenehm, Gesellschaft zu haben, auch wenn Flo die ganze Zeit über nur vor sich hinsummte, statt zu reden. Ab und an warf sie ein Stöckchen für ihren Hund und genoss ansonsten das Winterwetter.
Nach einem kurzen Fußmarsch gelangten wir ins Dorf. Es sah noch so aus, wie ich es in Erinnerung hatte. Die Kampfspuren lauerten an jeder Ecke, einige der Häuser waren unbewohnbar, Dachziegel fehlten und zum Teil die Fenster – bei einem Gebäude sogar die Tür.
»Ihr kommt mit dem Aufbau nicht voran.«
»Nein, aber wir haben es uns trotzdem schön gemacht. Ich wohne jetzt bei Rowan. Er ist mein Vormund geworden.«
Das machte Sinn. Sie brauchte einen Elternersatz, und Rowan war im perfekten Alter dafür.
»Kann ich dich etwas fragen?«
»Das tust du doch schon.«
Ich schmunzelte. Die Dowanhowee liebten Wortklauberei. »Weißt du zufällig, wie weit die Geschichte eures Volkes zurückgeht? Also, wie viele Jahre?«
»Sehr viele Tausende Jahre. Abe erzählt gerne die alten Sagen.«
»Und welche genau?«
»Von Niakajahi, der Tochter des Schmieds, die ganz allein und zu Fuß vier Monde lang in den Bergen umherirrte, weil sie nach einem besonderen Kraut suchte, das gegen Wundbrand half. Ihr Vater hatte sich verletzt und ...«
»Ich dachte eher an Geschichten über die Seelenwächter und die Dowanhowee.«
»Warum sagst du das dann nicht?«
Ja, warum eigentlich nicht? »Ist dir etwas bekannt?«
Sie führte mich die Straße hinunter auf ein Haus zu. Hinter den Fenstern brannte Licht, ich roch Gewürze, frisches Brot, Kaffee. Mein Magen zog sich vor Hunger zusammen. Die letzte Mahlzeit lag viel zu