Die Chroniken der Seelenwächter - Band 27: Im Rausch der Elemente
Von Nicole Böhm
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Über dieses E-Book
Jaydee gibt alles, um rechtzeitig zu Anna zu gelangen und sie vor Cocos Helfer zu schützen. Er spürt, wie ihm die Zeit davonrinnt.
Kedos setzt den Seelenwächtern weiterhin zu. Der Dämon wird von Stunde zu Stunde mächtiger und reißt die Macht des Feuers zunehmend an sich.
Dies ist der 27. Roman aus der Reihe "Die Chroniken der Seelenwächter".
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Bände 13-24 (Staffel 2)
Die Archive der Seelenwächter 2 (Spin-Off)
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Rezensionen für Die Chroniken der Seelenwächter - Band 27
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Buchvorschau
Die Chroniken der Seelenwächter - Band 27 - Nicole Böhm
1. Kapitel
Es ist soweit.
Anna konnte nicht glauben, dass der Zeitpunkt gekommen war und sie Will verabschieden sollte. Er lehnte schwer auf ihr, während sie langsam durch den Tunnel auf den eigentlichen Tempel zuliefen. Anna genoss diese letzten Momente völlig eigennützig. Sie atmete seinen Duft ein, sie wollte sich an jede kleine Berührung von ihm erinnern. Wie seine Finger sanft über ihre Taille strichen – ohne dass er es vermutlich bemerkte –, bis hin zu dem Spiel seiner Muskeln, das sie nur allzu deutlich mit jedem Schritt wahrnahm.
Es erforderte ihre gesamte Willenskraft, nicht mit ihm umzukehren und ihn für sich zu behalten. Dieser Moment zerriss sie mehr als alles andere in ihrem Leben. Nach allem, was sie bisher durchgestanden hatte, war dies die größte Herausforderung.
Will nahm etwas Gewicht von ihr und fing an, eigenständiger zu gehen. Anscheinend bekam er mehr Kraft, je weiter sie ins Innere des Tempels vordrangen. Anna ließ ihn, obwohl sie ihn lieber wieder an sich gedrückt hätte. Sie warf ihm einen kurzen Seitenblick zu, wollte mit ihm sprechen, ihm noch tausend Dinge sagen, aber sie wusste nicht, wie oder was, welche Worte überhaupt einen Sinn ergaben in dieser Situation.
Sie war so leer und gleichzeitig so voll.
Er bemerkte, wie sie ihn musterte und blickte ebenfalls zu ihr. Die dunklen Verästelungen, die von der Kopfwunde ausgingen, zogen sich leicht zurück. Die Einschussstelle hatte aufgehört zu bluten. Vielleicht doch ein Zeichen, dass sie auf dem richtigen Weg waren?
Will blieb stehen.
»Was?«, fragte Anna.
»Ich glaube, ich muss allein weiter.«
Sie hielt die Luft an. Das war er: der Abschied. Endgültig.
Ihre Finger krampften, bis sie zitterten. Ihr Atem kam nur noch flach. Sie gab sich Mühe, Ruhe zu bewahren, aber sie merkte, wie sie scheiterte.
»Ich liebe dich«, sagte sie.
»Ich liebe dich«, sagte Will.
Worte, so einfach und doch von so großer Bedeutung. Waren sie genug? Wusste er wirklich, was sie für ihn empfand? Oder musste sie mehr sagen, mehr tun, mehr sein?
Er lief los.
Einfach so.
Sie ließ ihn.
Einfach so.
Er sah sie nicht noch einmal an, hielt sie nicht noch einmal fest; küsste sie kein letztes Mal.
Warte!, wollte sie schreien. Geh nicht! Ich brauche dich!
Aber sie tat es nicht. Weil sie stark war. Oder dumm.
Anna schlang die Arme um sich, ihre Füße drängten nach vorne, sie wollte ihm hinterher, ihn umarmen, niederreißen, ihn für immer lieben.
Nur noch eine Berührung.
Nur noch ein Kuss.
Nur noch ein Mal!
Sie kratzte mit den Fingernägeln über ihre Haut, wie sie es früher tausendfach getan hatte, aber es half ihr nicht. Es brachte keine Erleichterung, keine Ruhe. Anna starrte Will hinterher, bis Tränen ihre Sicht vernebelten und sie lautlos weinte. Mit letzter Kraft hielt sie die Trauer in sich, denn sie wollte nicht, dass er es mitbekam; dass er auf diesen letzten Metern doch noch einknickte und umkehrte. Eisern blieb sie ihrem Vorhaben treu, bis sie den Druck kaum noch ertrug; bis sie keine Luft mehr bekam, ihr schwindelig wurde und sie alles doppelt sah.
Erst dann schloss sie für einen kurzen Moment ihre Augen. Als sie sie wieder öffnete, war Will fort. Er hatte den Tempel betreten. Sie war allein.
Minutenlang stand sie reglos auf der Stelle. Erst glaubte sie, dass sich ihre Emotionen Bahn brechen würden, doch es kam nichts. Vielleicht war der Schmerz zu groß, vielleicht zerbrach sie in diesem Moment.
»Will«, hauchte sie und erkannte ihre eigene Stimme kaum noch. Sie klang entzweit. Etwas, das Andrew in all den Jahren der Folter nie geschafft hatte, sollte jetzt gelungen sein?
War es das, was mit ihr passierte? War dieser Schmerz in ihrer Brust das Zersplittern ihres Herzens? Sie atmete tief ein, war es so leid zu kämpfen. Hatte sie ihr Soll nicht mehr als erfüllt? Was musste sie noch auf sich nehmen, um endlich glücklich sein zu dürfen? Um das zu haben, was sie sich ersehnte?
Liebe.
Einfache, echte, reine Liebe, so wie sie zwischen ihr und Will existierte.
Ein Windhauch streifte sie von hinten. Ihr Element machte auf sich aufmerksam, wollte ihr zeigen, dass sie nicht allein war, doch es genügte kaum.
Anna wusste nicht, ob sie noch mal die Kraft hatte aufzustehen, nachdem sie von Neuem niedergedrückt worden war. Sie wusste nicht, ob das Leid nun doch zu viel für ihre Seele geworden war; ob sie daran zerbrechen würde.
Minutenlang stand sie regungslos da, bis sie endlich herumdrehte und stoisch zum Ausgang lief.
Wohin sollte sie nun? Nach Hause? Zu den anderen?
Sie wären für sie da, ohne Zweifel, aber würde das ihre Pein lindern? Sollte Anna wirklich heute Nacht in dem Bett schlafen, in dem Will vor Kurzem noch mit ihr gelegen hatte? Sollte sie unter die kalten Laken kriechen, auf seine leere Seite blicken?
Taumelnd irrte sie weiter, quälte sich jeden einzelnen Schritt hinaus, bis es endlich vor ihr heller wurde.
Das Licht blendete sie und zeigte ihr gleichzeitig den Weg. Anna trat nach draußen, nahm einen tiefen Atemzug frischer Luft in sich auf und ließ ihr Element durch ihren Körper rauschen. Es breitete sich sofort in ihren Adern aus und vibrierte in ihrer Seele nach. Anna öffnete die Arme, wollte es in Empfang nehmen, doch auf einmal war da Angst.
Wenn mir das auch entrissen wird ...
Kedos hatte Will vom Feuer getrennt, er könnte es genauso mit ihr machen, ihr diesen letzten Halt stehlen, der ihr noch geblieben war.
Sie fing an zu beben. Allein der Gedanke daran erdrückte sie. Ihr Element war nun der letzte Anker. Bei ihm konnte sie sich bedingungslos fallen lassen. Sie durfte das nicht auch noch verlieren!
Mit einem schweren Herzen trat sie auf die freie Fläche vor dem Tempel und sah sich um. Die Sonne war weitergewandert, es war kühler geworden und der Wind stärker. Er wirbelte die Sandkörner auf, trieb sie Anna in die Augen und über ihre Haut.
Bee und Jack warteten in der Nähe des Felsens, wo sie vor dem Wind geschützter waren. Anna ging auf die beiden Tiere zu. Ihr Herz krampfte, als sie Wills Parsumi gesattelt und abreisebereit dort stehen sah.
»Er ist weg«, sagte sie leise. Natürlich würden sie sich um Jack kümmern; er würde eine Aufgabe erhalten, bei ihnen leben, in der Hoffnung, dass Will eines Tages doch zurückkehrte.
Vielleicht ja.
Vielleicht nein.
Sie legte Jack eine Hand auf den Hals, wollte seinen Zügel nehmen, doch der Parsumi riss den Kopf nach oben und blähte die Nüstern. Bee tat es ihm gleich, sie spitzte die Ohren und starrte nach rechts.
»Was ist?« Anna drehte sich ebenfalls um, aber sie konnte weder etwas hören noch sehen oder spüren. Was nichts zu heißen hatte. Parsumi witterten Gefahren oft noch vor den Seelenwächtern.
Anna legte eine Hand auf den Gürtel mit ihren Wurfmessern und ging einige Schritte nach vorne. Ein weiterer Windhauch streifte sie von der Seite, trug ein geflüstertes Wort zu ihr: »Pass auf!«
Sie fuhr herum, konnte nicht klar erkennen, woher die Stimme gekommen war. »Will?«
»Kämpfe!«
Nein, das war nicht Will. Es klang tiefer. Herber.
»Ilai?«
Ihr Herz machte einen Satz. Der Wind fuhr unter ihre Haare, strich über ihren Hinterkopf. Es fühlte sich an, als hielte Ilai sie fest, als holte er sie zu sich, um ihr etwas ins Ohr zu hauchen.
Anna versteifte ihren Körper, unsicher, ob sie sich darauf einlassen sollte.
»Es wird alles gut«, sagte er. Sie hatte Mühe, ihn zu verstehen. Er klang so weit von ihr entfernt und dennoch so nah. »Ich warte auf dich.«
»Was ... was meinst du damit?«
»Dreh dich um!«
Sie tat es, und in der gleichen Sekunde bekam sie einen heftigen Schlag ins Gesicht. Anna flog einen Meter durch die Luft, überschlug sich und rutschte über den sandigen Boden. Sie fiel den Parsumi zwischen die Füße. Die beiden tänzelten herum, bemühten sich, Anna nicht zu treten. Ein Mann stürzte sich von vorne auf sie und packte sie am Kragen. Anna reagierte instinktiv, drehte sich von ihm weg, noch ehe er sie ein zweites Mal erwischen konnte. Er hatte die Bewegung allerdings vorausgeahnt und packte sie stattdessen an der Kehle.
Der Druck war enorm. Anna röchelte, wurde hochgehoben und noch einmal nach hinten geworfen. Sie knallte gegen den Felsen. Der Mann kesselte sie zwischen sich und der Wand ein. Anna kickte nach vorne, traf ihn am Schienbein, dann höher und schließlich in seine Mitte. Er zuckte nicht mal mit der Wimper, schien keinerlei Schmerz wahrzunehmen. Stattdessen kam er näher, bis sie seinen kalten Atem auf ihrer Haut spürte.
Sie warf den Parsumi einen raschen Blick zu. Normalerweise reagierten sie nur, wenn sie angegriffen wurden, ansonsten hielten sie sich zurück. Doch Jack legte schon die Ohren an, zielte nach vorne auf Annas Angreifer, als plötzlich ein zweiter Mann auftauchte. Er sprang aus einem Portal, das sich aus dem Nichts aufgebaut hatte und sofort wieder kollabiert war.
Der Fremde trat vor Jack, zielte mit einem Schwert auf den Kopf des Tieres. Jack wich aus, doch der Mann erwischte ihn auf der Seite und schlitzte ihm den halben Hals auf.
»Nein!«, brüllte Anna. Parsumi waren zäh, doch auch sie konnten verletzt und getötet werden.
Sie trat abermals zu, konnte sich kaum noch rühren und wurde zwischen dieser Masse an Leibern und dem uralten Tempel der Seelenwächter eingequetscht.
»Bau den Schutzkreis«, sagte der Mann, der sie festhielt, ohne einen Millimeter von ihr zu weichen. Der zweite gehorchte, griff in seine Tasche und streute ein Pulver auf den Boden um sie herum.
Nun reagierte auch Bee und wollte ebenfalls angreifen, doch der Mann hielt schon seine Waffe bereit. Als sie mit dem Vorderhuf auf das Pulver trat, zischte es und eine Rauchwolke stieg auf. Sie scheute zurück, warf den Kopf herum und tänzelte auf die Seite.
Anna schlug und trat mit aller Kraft, doch egal, was sie machte: Es gelang ihr nicht, sich zu befreien. Ihre Hand wanderte an ihren Gürtel, sie erreichte eines der Wurfmesser, zog es heraus und stach ihrem Angreifer in die Brust.
Er reagierte erneut nicht, schüttelte nur ungehalten den Kopf.