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Die Drachenprinzessin, Band 2: Schicksalsschwestern
Die Drachenprinzessin, Band 2: Schicksalsschwestern
Die Drachenprinzessin, Band 2: Schicksalsschwestern
eBook239 Seiten3 Stunden

Die Drachenprinzessin, Band 2: Schicksalsschwestern

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Über dieses E-Book

"Wir mögen weder vom selben Vater abstammen noch hat uns dieselbe Mutter geboren, doch wir sind Schwestern, du und ich", sagte sie. "Schicksalsschwestern, denn Morla hat uns beiden Unrecht angetan."

Da stand Emma nun. Herausgerissen aus der einen Welt, die ihr immer fremd gewesen war, und hineingeworfen in eine andere. Zum ersten Mal verspürt sie zwar ein Gefühl von Heimat, und dennoch begegnet Emma hier so viel Fremdem.
Sie versucht, ihren Platz in dieser anderen Welt zu finden und ihr Schicksal zu erfüllen. Doch muss sie bald schon feststellen, dass diese Welt gar nicht so anders ist, als die, aus der sie kam. Denn man hat ihr Dinge verschwiegen und auch hier wird sie von manchen nur als Mittel zum Zweck betrachtet und benutzt. Doch sie findet auch Verbündete auf ihrem Weg und am Ende bleibt die Frage:

Ergibt sich Emma in ihr vorherbestimmtes Schicksal oder nimmt sie es selbst in die Hand?
SpracheDeutsch
Herausgeberepubli
Erscheinungsdatum20. Okt. 2015
ISBN9783737568746
Die Drachenprinzessin, Band 2: Schicksalsschwestern

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    Buchvorschau

    Die Drachenprinzessin, Band 2 - Ambros Chander

    Ambros Chander

    Die Drachprinzessin

    Band 2

    Schicksalsschwestern

    Impressum

    Copyright: © 2015 Ambros Chander

    www.ambros-chander.de

    Druck und Verlag: epubli GmbH, Berlin, www.epubli.de

    ISBN 978-3-7375-6874-6

    Ambros Chander

    Ambros Chander

    Alles hat seine Zeit!

    Danke an Timo Würz für das wunderschöne Cover und an die Bands ASP und Ally the Fiddle, die mich mit ihrer Musik inspirieren und meine Phantasie immer wieder beflügeln.

    Danke auch an Isabell Klause (Make-up Artist) für eine zauberhafte Verwandlung und Sandra Hofmann (Fotografin) für ein unvergessliches Fotoshooting.

    Inhaltsverzeichnis

    Beschwörung

    Das Erwachen

    Wer sonst?

    Im dunklen Turm

    Verwandlungen

    Mein Herz erkennt dich immer

    Die Ruhe vor dem Sturm

    Ich komm Dich holn

    Küss mich

    Das Minnelied der Incubi

    Eisige Wirklichkeit

    Wechselbalg

    Geisterjagd

    Kokon

    Nie mehr

    Beschwörung

    Sie lief durch die Dunkelheit und warf immer wieder nervöse Blicke über die Schulter. Sie kamen immer näher, doch sie rannte weiter, drückte dabei das kleine Bündel in ihren Armen fest an sich. Nein, sie würden sie nicht bekommen. Niemals!

    Ihr Ziel war klar. Den Weg zur geheimen Insel kannte sie genau. Die Insel der Elfen, die inmitten des Sees Lim Hen lag. Bis an das Ufer des Sees musste sie es schaffen. Am Steg lag ein Boot, das wusste sie. Es lag immer dort, für jene, die die Insel fanden.

    Dicht hinter sich hörte sie die Schergen der Königin. Der falschen Königin, berichtigte sie sich in Gedanken. Sie warf einen hoffnungsvollen Blick zum Himmel und zum bleichen Mond, der die Nacht und den Wald erhellte. Von Anbeginn der Zeit hatten die Menschen auf diese Weise die Elfen um Hilfe gebeten. So versuchte auch sie, ihr Erscheinen zu beschwören. Denn sie brauchte Hilfe, und zwar schnell. Die Bäume standen dicht an dicht. Es wurde immer schwieriger für sie durchzukommen und ihre Verfolger holten auf. Der See ist noch so weit entfernt, dachte sie. »Gleich haben sie uns«, sagte sie zu dem kleinen Bündel in ihren Armen. Doch plötzlich teilten sich vor ihr die Bäume und eine große schlanke Gestalt stand vor ihr. Sie hätte beinahe aufgeschrien, so überrascht war sie. Auch wenn sie herbeigesehnt hatte, dass er kommen würde. Denn sie kannte den Mann, den Elfen, der sie nun reglos ansah. Ebenmäßige Züge, langes schlohweißes Haar und eine Ruhe ausstrahlend, die in absolutem Kontrast zu ihrem eigenen schnellen Atem und rasenden Herzschlag stand.

    Vásíphel Deldúwath!

    Sie sah ihn an, während die Geräusche hinter ihr immer lauter wurden. »Nimm sie, bitte«, flehte sie ihn an. »Sie werden sie töten, wenn du sie nicht in Sicherheit bringst.« Sie hielt ihm das Bündel entgegen. Doch er stand einfach nur da. Hinter ihr knackten die Zweige und Äste der Bäume, als sich die Schergen ihren Weg bahnten. Den Weg zu ihr und …

    Ein gleißender Lichtblitz erfüllte die Nacht.

    Das Erwachen

    Emma schreckte schweißgebadet hoch. Ihr Herz raste von diesem Traum.

    Erinnerungen, sagte eine Stimme in ihr.

    Sie versuchte sich zu beruhigen und sich daran zu erinnern, was passiert war und vor allem, wo sie war. Sie sah sich um, während ihr Kopf weiterhin versuchte, Erinnerungen abzurufen.

    Sie war durch den Spiegel gegangen.

    War sie das wirklich oder glaubte sie es nur? Das hier war zumindest nicht ihr Zuhause und auch nicht ihr Bett. Obwohl, Bett? Ineinander verschlungene Zweige und mit Blättern bewachsene Äste bildeten ihr Lager. Gebettet war sie auf herrlich duftendem Moos. Auch sonst war an dem Raum und seiner Einrichtung nichts Künstliches zu entdecken. Alles war …

    Natürlich, meldete sich wieder die Stimme in ihrem Kopf.

    Emma fasste sich an die Schläfen, schloss die Augen und versuchte, sich an weitere Details der Geschehnisse zu erinnern.

    Was war dann passiert?

    Ein Bild tauchte vor ihrem geistigen Auge auf. Riesige braune Augen, die sie freundlich, fast liebevoll ansahen. Nur dass diese Augen zu etwas noch Riesigerem gehörten.

    Drache! Wieder diese Stimme in ihrem Kopf.

    Energisch schüttelte Emma den Kopf. Sie wollte die abstrusen Gedanken und diese Stimme abschütteln. Langsam erhob sie sich und sah sich in dem Raum um. All das kam ihr vor wie ein Traum. Zweige, Äste und Blätter überall um sie herum. Der Raum bestand aus nichts anderem. Ihr Blick wanderte zur Decke und ihr stockte der Atem.

    Baumkronen!

    Diese verdammte Stimme. Konnte sie nicht mal für fünf Minuten ruhig sein? Emma ging zu der Aussparung, die ihr vorhin aufgefallen war und in der sie eine Art Fenster vermutete. Vielleicht konnte sie durch einen Blick nach draußen herausfinden, wo sie sich befand. Als sie am Fester angekommen war und gerade hinausschauen wollte, schob sich ein massiger weißer Kopf mit einem riesigen Maul voll spitzer Zähne in ihr Blickfeld. Emma stieß einen gellenden Schrei aus, woraufhin der Kopf und somit der Drache, dem dieser gehörte, zurückschreckte.

    Faennarthan war untröstlich. Er hatte sie doch nicht erschrecken wollen. Er hatte ihre Angst und Unsicherheit gespürt und deshalb im Geist mit ihr Kontakt aufgenommen. Er wollte ihr helfen, all dies besser zu verstehen. Er war so froh, dass sie nun hier war. Endlich hatten die Jahre der Suche für ihn ein Ende. Nun fühlte er sich endlich vollständig, nun, da er wusste, dass sie heimgekehrt war. »Was ist los?«, hörte Emma plötzlich eine Stimme hinter sich. »Aemiliana, ist alles in Ordnung mit dir?«

    Diese Stimme. Emma kannte sie, doch all das passte nicht zusammen. Emma drehte sich um und sah in das Gesicht ihrer Freundin. Doch irgendwie schien diese verändert. »Sophie?«, fragte Emma ungläubig. »Bist du das?« »Ja, Aemiliana«, begann sie und hob beschwichtigend die Hände. »Doch in dieser Welt heiße ich Meridiana.«

    Emma wich zurück, als Meridiana sich ihr langsam näherte. Ihr Herz begann zu rasen und schlug ihr bis zum Hals. Irgendetwas stimmte hier nicht. Ganz und gar nicht! Sie betrachtete die Frau, die vor ihr stand. Die Frau, die sie für ihre Freundin gehalten hatte. Sie sah so anders aus. Ihre Kleidung in warmen Braun- und Grüntönen, ein Lederwams, welches sich an sie schmiegte wie eine zweite Haut. So hatte sie etwas Kriegerisches an sich. Denn auch das Messer an ihrer Hüfte und der Bogen und der Köcher mit Pfeilen, die sie über die Schulter gehängt auf dem Rücken trug, waren Emma nicht entgangen.

    Was zum Teufel war hier bloß los? Wurde sie langsam verrückt? Oder war das alles bloß ein böses Spiel, das jemand mit ihr trieb? Emma war verunsichert und die Stimme in ihrem Kopf, die versuchte, beschwichtigend auf sie einzureden, machte es nicht einfacher, ihre Gefühle unter Kontrolle zu bringen. Es war der Drache, der mit ihr sprach. Sie wusste es, hatte es in dem Augenblick gewusst, als sein Kopf in der Fensteröffnung erschienen war. Am liebsten wäre sie einfach davongerannt, wäre es nur irgendwie möglich gewesen. Doch hinter ihr war der Drache und vor ihr stand Sophie.

    Meridiana, berichtigte die Stimme in ihrem Kopf. »Hör auf damit!«, schrie sie aufgebracht und drehte sich zur Fensteröffnung, in der nun wieder der riesige weiße Kopf zu sehen war. Sie funkelte den Drachen wütend an, doch dieser blickte nur traurig zurück. Emma hatte die Nase gestrichen voll. Sie wusste absolut nicht, was hier los war, aber ihre anfängliche Angst schlug nun in Wut um. Sie fürchtete, dass man sie ganz gewaltig auf den Arm nahm. Und das machte sie sauer. Stinksauer! Und doch wusste ein Teil von ihr es besser …

    Plötzlich veränderte sich etwas. Die Anspannung im Raum, die eben noch greifbar gewesen war, verschwand. Sie wich einer sanften Ruhe, die bis in Emmas Innerstes strömte. Ihr Puls und Herzschlag verlangsamten sich und auch ihr Atem wurde ebenmäßig und ruhig, als ein hochgewachsener, schlanker Mann mit langem schlohweißem Haar den Raum betrat. Emma starrte fassungslos zu ihm hinüber, doch sie blieb noch immer absolut ruhig. Vor ihr stand ihr Therapeut und zugleich der Mann aus ihrem Traum, dem die Frau das kleine Bündel entgegengestreckt hatte.

    Dich!

    Emma warf dem Drachen einen resignierten Blick zu und schüttelte den Kopf. Und wieder …

    Tut mir leid!

    Sie sah dem Drachen kurz und ruhig in die Augen und ein Erkennen überkam sie. Emma seufzte und sah dann wieder zu dem Mann mit dem schlohweißen Haar zurück, der genauso bewegungslos dastand wie in ihrem Traum. Er hatte darin keine Anstalten gemacht hatte, das Bündel

    sie, korrigierte sie sich nun selbst, entgegenzunehmen.

    Sie wusste, dass dies Wirklichkeit war, hatte es in ihrem Traum mit erschreckender Klarheit gewusst.

    »Mein Name ist Vásíphel«, sagte er nun. Seine Stimme war wie das Rascheln des Laubes im Wald, wenn der Wind wie ein Flüstern durch die Bäume weht. »Setz dich bitte!«

    Emma ging zu dem Lager, auf dem sie eben noch gelegen hatte, und ließ sich darauf nieder. Alle Anspannung schien mit einem Mal von ihr gewichen zu sein und die eben noch empfundene Wut und Verwirrung waren von einer inneren Ruhe hinweggespült worden. Emma hatte das Gefühl, dass dies nicht von ungefähr passierte, sondern dieser Mann dafür verantwortlich war.

    Sie saß da, ließ die Schultern hängen und lauschte dem, was er ihr nun erzählte. Er begann seine Geschichte mit einem Königspaar, das eine Tochter hatte, Aemiliana. Ihr Glück war perfekt, doch eines Tages starb die Königin völlig unerwartet.

    Die genauen Umstände und die Rolle, die er selbst darin gespielt hatte, verschwieg Vásíphel. Er war noch nicht bereit, sich dem zu stellen, zumindest nicht ihr gegenüber.

    Er fuhr fort, die Geschichte von Aemiliana zu erzählen. Davon, wie der König sich eine neue Frau nahm und wie diese ihren Mann so manipulierte, dass er seine eigene Tochter töten lassen wollte. Ein wehrloses Kleinkind von gerade mal einem Jahr. Doch dieses Kind hatte Glück, denn es hatte einen persönlichen Schutzengel. Seine Amme Catríona, die ehemalige Zofe der ersten Königin. Catríona wollte das Kind in Sicherheit bringen und lief mit ihm davon. Doch die neue Königin, Morla, schickte ihre Schergen hinter ihnen her, um ihren bösartigen Plan zu Ende zu bringen.

    »Sie rannte durch einen Wald, der immer dichter wurde«, murmelte Emma leise vor sich hin, während sie zu Boden starrte. Ihr Traum lief noch einmal vor ihrem geistigen Auge ab. »Und dann traf sie …« Emma hob den Kopf und sah Vásíphel an, der sie anlächelte. »Mich«, beendete er ihren Satz. »Und bat mich um Hilfe.« »Aber du hast ihr nicht geholfen«, sagte Emma. Es war kein Vorwurf, nur das nüchterne Benennen einer Tatsache.

    Vásíphel sah sie unverwandt an, noch immer dasselbe Lächeln auf dem Gesicht, das zuvor auf Emma so beruhigend gewirkt hatte. »Habe ich nicht?«

    Er warf die Frage in den Raum und die Erkenntnis traf Emma blendend hell wie ein Blitz. »Das Licht!«, sagte sie.

    Vásíphel nickte nur. »Das Licht öffnete ein Tor in eine andere Welt, aus der du nun zurückgekehrt bist, Aemiliana.« Seine Augen blickten sie freundlich an und Emma hielt seinem Blick stand. Sie wusste, worauf er hinauswollte. Und so unwirklich, so unglaublich es sich auch anhörte, tief in ihrem Innern fühlte sie doch, dass er die Wahrheit sagte.

    Sie war Aemiliana!

    »Ich wusste, dass Morla nicht aufhören würde, nach dir zu suchen«, fuhr Vásíphel fort. »Auch, dass sie dich finden würde, wenn du in dieser Welt bleiben würdest. Also schickte ich dich fort, zusammen mit deiner Amme. Damit du leben und erwachsen werden konntest, bis du schließlich zurückkehren und die Prophezeiung erfüllen würdest.« »Welche Prophezeiung?«, fragte Emma. Vásíphel setzte die Geschichte fort und erzählte, wie Morla in all den darauf folgenden Jahren Angst und Schrecken verbreitet und den Tod über das Land gebracht hatte. Er erzählte Emma von der Prophezeiung der Elfen, die gewoben worden war, lange bevor Morla an die Macht kam und auch lange bevor Aemiliana das Licht der Welt erblickte.

    Die rechtmäßige Erbin des Drachenthrons,

    Sie kehrt schon bald zurück.

    Sie floh in die andre Welt davon.

    Doch getrübt, so ist ihr Blick.

    Sie weiß nichts von ihrem wahren Ich,

    Hat sich auf ihr neues Leben eingestellt.

    Doch fühlt sie so einsam sich,

    In der für sie so fremden Welt.

    Der Wolf wird sich mit dem Drachen paaren,

    Und bricht damit den Bann.

    Das bringt Frieden nach all den Jahren.

    Wenn sie ihn denn lieben kann.

    Doch ist der Wolf in die andre Welt gereist,

    So lausche still und gib gut Acht,

    Denn alles verlangt doch seinen Preis.

    Mit unaufhaltsam großer Macht.

    Für den Tod ein Leben,

    Damit bleibt das Gleichgewicht.

    Einer muss es geben,

    Das verhindern lässt sich nicht!

    Er ließ die alten Worte wirken und beobachtete seine Tochter genau. Dann führte er die Geschichte zu Ende und offenbarte ihr, dass sie dazu auserkoren sei, das Land von Morlas Schreckensherrschaft zu befreien und wieder Frieden nach Laingladhdôr zu bringen.

    Doch das war zu viel für Emma. Ihr schwirrte der Kopf von alldem. Sie musste hier raus. Als sie aufstand, war sie äußerlich ruhig, doch in ihrem Innern wütete ein Orkan. »Ihr irrt euch«, sagte sie nur. »Ich bin nicht die, für die ihr mich haltet.« Mit diesen Worten wandte sie sich zum Gehen. »Aemiliana!«, rief Meridiana und wollte sie aufhalten. »Nicht«, warf Vásíphel ein. »Lass sie gehen.« »Aber sie muss doch …«

    »Gar nichts muss ich!« Scharf klangen die Worte der Frau, die bis vor kurzem noch Meridianas Freundin gewesen war und von der so viel abhing. »Und ich heiße Emma, nicht Aemiliana!« Sie drehte sich um und rannte aus dem Raum, die Stufen hinunter. Sie bemerkte nichts von der Idylle und Zauberhaftigkeit ihrer Umgebung. Nahm nicht wahr, dass sie sich im Innern eines riesigen Baumes den Weg nach unten bahnte und auch nicht, wie friedlich und ruhig alles um sie herum war. Denn sie war alles andere als das. Sie war aufgewühlt, durcheinander und konnte nicht begreifen, was hier gerade passierte. Mit ihr passierte. Und das machte ihr Angst. Eine Angst, die ihre eisigen Klauen in sie schlug und sie dazu brachte davonzurennen.

    Ja, davonrennen, dachte sie. Das kannst du wirklich gut.

    Doch sie rannte weiter, von ihrer Furcht getrieben, bis sie schließlich nicht mehr konnte. Erschöpft hielt sie an und stützte sich an einem Baum ab. Sie rang nach Atem, als sie das Plätschern von Wasser vernahm. Sie lauschte dem Geräusch und nahm noch etwas anderes wahr. Stimmen, die sie flüsternd zu rufen schienen. Sie lauschte weiter und merkte kaum, dass sie sich bewegte. Sie ging vorwärts und setzte einen Fuß vor den anderen, bis sie schließlich eine kleine Lichtung erreichte. Magisch angezogen, steuerte sie darauf zu und blieb vor einer Felsformation stehen. In einem natürlich entstandenen Becken sammelte sich das Wasser einer Quelle, die weiter oben im Fels entsprang. Oben auf dem Felsen stand eine riesige Esche, deren Äste sich über das ganze Land auszubreiten schienen. Sie kannte diesen Ort, hatte ihn schon einmal gesehen. In einem Traum. Die Wasseroberfläche hatte ihr in einem Bild gezeigt, wie sie durch ihren Spiegel in diese Welt ging. Genau so, wie sie es am Ende auch getan hatte.

    Aemiliana schloss die Augen und lauschte den Geräuschen um sich herum. Dem Plätschern der Quelle und dem Flüstern im Wind. Doch jetzt war da noch etwas anderes. Ein leises, monotones Surren. Sie öffnete ihre Augen wieder und versuchte das Geräusch zu lokalisieren. Sie blickte am Felsen hinauf zu der riesigen Esche und sah dort drei Frauen in langen, dunklen Kapuzenumhängen. Die Frau links hielt eine Waagschale, die sich ungleich neigte. Die Frau auf der rechten Seite saß an einem Spinnrad, mit dem sie weiße Fäden spann, die wie Nebel in alle Winde verstreut wurden. Von ihr kam das leise Surren, das Aemiliana gehört hatte. Doch die Frau in der Mitte war es, die sie in ihren Bann zog. Sie trug einen mit schwachroten Zeichen verzierten Umhang, dessen Kapuze sie tief ins Gesicht gezogen hatte. Ihre linke Hand hielt sie mit der Innenfläche nach oben. Darüber schwebten in einem Halbkreis sieben kleine ovale Steine. Nur schwach konnte Aemiliana erkennen, dass auf ihnen etwas abgebildet war. Abwechselnd traten alle sieben Steine in die Mitte des Halbkreises, einer nach dem anderen. Parallel dazu zeichneten sich auf dem Umhang der Frau leuchtende Zeichen in feurigem Rot ab. Zu jedem Zeichen sprach sie ein Wort. Immer nur eines, aber alle hörten sich für Aemiliana seltsam an.

    F

    Ansuz!

    <

    Kenaz!

    H

    Hagalaz!

    Z

    Eihwaz!

    [

    Perthro!

    Kralle

    Algiz!

    Pilz

    Tiwaz!

    »Wir sind die Nornen, auch Schicksalsschwestern genannt«, sprach die Frau Aemiliana nun direkt an. »Das Schicksal, das deine Zukunft bestimmt, wurde bereits vor langer Zeit von meiner Schwester Urd gesponnen. Meine Schwester Skuld wägt deine bisherigen Taten und deine Schuld ab. Mein Name ist Verdandi. Ich sehe mit Hilfe der Runen das, was ist, und das, was sein kann.« Aemiliana hörte wie gebannt auf ihre Worte und rührte sich nicht. »Ansuz steht für den Verstand und die Weisheit«, fuhr Verdandi fort. »Kenaz steht für das Licht, das dich aus dem Dunkel führt und deinen Weg beleuchten wird. Hagalaz steht für die Verbindung zwischen Gut und Böse. Eihwaz steht in Verbindung mit Yggdrasil, dem Weltenbaum, den du hinter uns siehst, und bildet die direkte Verbindung zwischen Leben und Tod. Perthro verknüpft die Vergangenheit, die Gegenwart und die Zukunft miteinander. Algiz wird dir den Schutz durch höhere Wesen gewähren. Tiwaz steht für Selbstaufopferung und Kampfbereitschaft, um ein höheres Ziel zu erreichen. Die Runen weisen dir den Weg, doch gehen musst du ihn selbst! Dabei wirst du Hilfe brauchen, aber auch Freunde, sonst wirst du scheitern.«

    Nebel wallte auf und hüllte Yggdrasil und die Schicksalsschwestern ein. Als der Nebel sich legte, waren sie verschwunden. Nur der Baum, die Quelle und Aemiliana blieben zurück.

    Aemiliana hörte hinter sich ein Rascheln und seufzte resigniert. »Was willst du hier?«, fragte sie, ohne den Blick nach hinten zu wenden. »Verschwinde!« Sie brauchte sich nicht umzudrehen, um zu wissen, wer hinter ihr stand. Sie fühlte es und war daher nicht überrascht oder gar erschrocken, als sie sich schließlich doch

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