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Mitternacht: Das Geheimnis des roten Nebels
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Mitternacht: Das Geheimnis des roten Nebels
eBook272 Seiten3 Stunden

Mitternacht: Das Geheimnis des roten Nebels

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Über dieses E-Book

»… Du bist die Schwarze, die Mitternächtliche. Ich glaube, du bist die Dunkelheit, von der die Prophezeiung spricht.«


Auf einer vor den Menschen verborgenen Insel im hohen Norden leben die letzten magischen Wesen, die Werwölfe.
Eines Tages erscheint eine rätselhafte Prophezeiung auf einer Höhlenwand, und roter Nebel beginnt immer wieder über die Insel zu wabern.
Als bei der ersten Verwandlung der 18-jährigen Ylva in einen Wolf etwas Unfassbares geschieht, wird klar, dass das letzte Werwolfrudel in großer Gefahr schwebt.
SpracheDeutsch
Erscheinungsdatum1. Juli 2022
ISBN9783985280094
Mitternacht: Das Geheimnis des roten Nebels

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    Buchvorschau

    Mitternacht - Nele Nilsson

    PROLOG

    Für einen kurzen Moment begegnete er ihrem Blick. Er traf ihre Augen. Augen, die so schwarz waren, dass er sein Spiegelbild deutlich darin erkennen konnte.

    Er wusste, dass er sie irgendwie überreden müsse. Sie, die Frau mit den schwarzen Augen, in denen kein Platz für das Weiß eines gewöhnlichen Augapfels war. Die Frau mit den Rabenfedern im windzerzausten Haar, mit dem schönen, aber ernsten Gesicht. Sie sträubte sich, doch er würde sie überzeugen, indem er ihre Furcht, von der er wusste, dass sie tief in ihr saß, schürte. Eine Furcht, die fast alle magischen Wesen in diesen Zeiten beherrschte. Er war sich nicht sicher, ob sie ihm glaubte, doch das machte nichts. Die blanke Angst und die Hoffnung auf eine bessere Zukunft schienen ihr Misstrauen zu schmälern.

    »Ich weiß, dass du es spürst! Wir alle tun das, doch niemand unternimmt etwas dagegen«, sagte er.

    »Natürlich spüre ich es, ich wäre töricht, wenn ich das abstreiten würde. Doch manchmal muss man Dinge geschehen lassen, alles hat seinen Grund«, war die Antwort. Ihre Stimme klang rauchig, als hätte sie sie lange nicht benutzt.

    »Hilf mir! Wenn ich nichts unternehme, wird es bald keine magischen Wesen mehr geben auf dieser Erde«, flehte er. Für einen kurzen Moment fragte er sich, ob er es übertrieben hatte, ob er seine Stimme zu weinerlich hatte klingen lassen. »Ich will doch nur helfen …«, versuchte er seine Worte abzumildern.

    Sie schnaubte, ließ ihn aber, wenn auch widerwillig, in ihre winzige Hütte.

    Drinnen, geschützt vor dem zerrenden Wind, erklärte er ihr seinen Plan. Den Plan, den er sich als Deckung für sein eigentliches Vorhaben überlegt hatte.

    Mit verschränkten Armen stand sie da und lauschte, stimmte aber letztendlich zu, ihm zu helfen. Dennoch misstrauisch begann sie eine Szenerie auf dem Holztisch aufzubauen.

    Als sie damit fertig war, sah er das eigentliche Objekt seiner Begierde im Zentrum diverser Dinge liegen. Da waren Steine, die mit Zeichen versehen waren, Knochen, getrocknete Kräuter, Holzschalen mit kleinen Flammen darin … Das alles lag, scheinbar zufällig angeordnet, auf der zerfurchten Holzplatte. Doch er wusste, dass das hier alles andere als zufällig war. Denn sie wusste, was sie tat. Genau deshalb war er zu ihr gekommen.

    Das Amulett im Zentrum des Tisches begann zu glühen. Der grüne Edelstein leuchtete von innen heraus, und er verspürte einen unglaublichen Drang, es an sich zu nehmen. Seine Hände lösten sich leicht von der Tischplatte, doch plötzlich schoss ihre schmale Hand nach vorn und schnappte sich die Halskette.

    Er sog die Luft ein und schalt sich im gleichen Moment innerlich für diesen Ausbruch. Er durfte nicht so unvorsichtig sein, wenn er wollte, dass sein Plan aufging. Er brauchte das Amulett, das durch ihr Ritual nun bereit war, dafür. Also zwang er sich zur Ruhe, ließ die Hände sinken und sah sie an. Allerdings spürte er, dass es vielleicht zu spät war. Die Glut der Vorsicht war zu einer Flamme des Misstrauens geworden.

    »Sag es mir!«, raunte sie fordernd. Die Falte zwischen ihren Augenbrauen wurde tiefer. »Sag mir, wozu du es wirklich brauchst!«

    »Ich habe es dir bereits erklärt. Ich möchte helfen, möchte die Kraft nutzen, um die Menschen zurückzudrängen. Sie müssen daran gehindert werden, die magischen Kreaturen zu verfolgen!«, sagte er und wollte erneut vorsichtig nach dem Amulett greifen.

    Sie schloss es fester in ihre Faust. »Ich kann es hier aufbewahren und mit dir zusammen gehen, wenn du es brauchst. Ich werde darauf aufpassen und es dir im Ernstfall überreichen, dann …«

    »Nein!«, fiel er ihr ins Wort, schroffer, als er es geplant hatte. Er war mit seiner Geduld fast am Ende.

    Sie riss die schwarzen Augen auf. »Niemand sollte so viel Macht allein besitzen.«

    »Aber diese Macht nutze ich, um uns allen zu helfen!«, schrie er nun schon fast. Der Wind hatte deutlich zugenommen, und die Fensterläden der klapprigen Hütte verursachten lautes Getöse.

    »Wenn es doch für uns alle ist, dann lass mich helfen. Lass mich dir einen Teil dieser Bürde abnehmen«, flüsterte sie, doch er hörte die Provokation in ihrer Stimme.

    »Du verstehst es nicht, Hexe!«, brüllte er jetzt und ging auf sie zu. Sie wich keinen Zentimeter zurück, und er spürte, wie die Wut in ihm hochkochte. Er hatte so lange auf dieses Amulett gewartet, auf die Chance, alles zu besitzen. Und jetzt kam dieses verdammte Weibsstück auf die Idee, sich ihm in den Weg zu stellen. Er packte das Gelenk der Hand, mit dem sie das Schmuckstück umklammert hielt. Er konnte die unglaublichen Kräfte des Steines fühlen, wie sie ihn anzogen, ihn mit der süßen Aussicht auf unbegrenzte Möglichkeiten lockten. Für eine Sekunde dachte er, sie würde ihre Hand öffnen. Doch dann hob sie die andere, schnippte mit den Fingern und alles wurde schwarz. So dunkel, dass er mit offenen Augen nichts als sternenlose Nacht sah. Sie riss sich los, und er fuchtelte mit den Händen in der Luft herum, bekam sie aber nicht mehr zu fassen. Der Sturm draußen heulte auf und zwischen den Windböen hörte er ein Rascheln wie von Federn.

    »Nein!«, brüllte er, als er realisierte, was das Rascheln auslöste.

    Langsam verflüchtigte sich die Dunkelheit, und die Hütte kam wieder zum Vorschein. Die Tür stand offen, und er sah gerade noch einen Raben vom Boden aufsteigen. Er stürzte auf das Tier zu, versuchte es zu greifen, doch vergebens. Er stieß einen Wutschrei aus und sah dem Vogel hinterher, der im starken Seewind strauchelnd davonflog. Panisch blickte er sich vor der schiefen Hütte um und hastete bis an die steilen Klippen. Der Rabe war nur noch ein schwarzer Punkt am dunkelgrauen Himmel. Er sank auf die Knie und hämmerte mit den Fäusten auf den Boden. Er war so nah dran gewesen. So nah dran an grenzenloser Macht.

    LYKAON COMPREHENSIVE SCHOOL

    Polnische Volkssage

    Ein Bauer war sieben ganze Jahre lang Werwolf gewesen. Als nun seine Zeit um war, wurde er wieder in einen Menschen verwandelt. Nackt und hungrig lief er den ganzen Tag seinem Haus zu. Dort wohnte seine Frau mit seinen Kindern. Am späten Abend endlich kam er an und klopfte an die verschlossene Tür.

    »Wer da?«, so rief es aus der Hütte und der Bauer erkannte die Stimme seiner Frau.

    »Ich bin es! Dein Mann! Geschwind mach auf!«

    »Alle guten Geister loben den Herrn! Um Gottes willen, Mann, steh auf!«, rief das erschrockene Weib und der Bauer sah seinen alten Knecht herauskommen, der unterdessen seine Frau geheiratet hatte und Herr vom Hause geworden war.

    Der Knecht hielt eine große Mistgabel in der Hand und wollte den rechtmäßigen Besitzer damit vertreiben. Erzürnt über die Treulosigkeit seiner Frau rief der Bauer schmerzlich aus: »Oh, warum bin ich kein Werwolf mehr, wie würd’ ich gleich das böse Weib bestrafen!«

    Kaum hat er so gesprochen, so wird der frevelhafte Wunsch erfüllt. Von Neuem ist er in einen Wolf verwandelt und wütend stürzt er sich auf seine Frau und wirft sie um mitsamt dem Kinde, das aus der zweiten Ehe war und an der Mutter Brust lag.

    Das Kindlein fraß er auf und auch die Frau zerbiss er tödlich.

    Auf der Unglücklichen Geschrei liefen bald die Nachbarn zusammen und warfen sich vereint auf das reißende Tier. Es vermochte sich nicht lange zu widersetzen. Die Bauern erhoben ein Freudengeschrei. Als sie aber beim Lichte eines Kienholzes das Untier näher beschauten, da erkannten sie zu ihrem Schrecken, dass der Landmann getötet dalag, der vor sieben Jahren spurlos verschwunden war und von dem wohl mancher erzählt hatte, er sei in einen Werwolf verwandelt. Nun war menschliche Hilfe für ihn zu spät und auch die Bäuerin starb bald darauf an ihren Wunden.

    »Oh pfft … Untier?«, schnaubte Ylva leise und verdrehte theatralisch die Augen. »Was denken Menschen nur, wie wir sind?«

    »Na ja, wenn ich mir Bruno so ansehe, könnten sie recht haben«, flüsterte Marvina neben ihr.

    Beide konnten ein Kichern nicht unterdrücken.

    »Ich befürchte, das ist eine Beleidigung für jedes Tier!« Ylva zog dabei eine Grimasse und schielte übertrieben. Ihre Freundin presste sich die Hand auf den Mund, um nicht laut loszulachen.

    »Miss Kirrin, Miss Koun! Wenn Sie unser Fach ›Geschichte der Lykanthropie‹ nicht interessiert, dürfen Sie den Klassenraum gern verlassen. Niemand zwingt Sie, hier zu sein«, raunte Mr Argyle, ein älterer Herr mit lichter werdendem Haar.

    Einige Augenpaare ihrer Mitschüler wandten sich zu ihnen. Die beiden Mädchen verstummten und sahen etwas beschämt drein.

    Der betagte Lehrer drehte sich zurück zur Tafel und fuhr Notizen schreibend und mit monotoner Stimme fort, die gerade gelesene Volkssage zu analysieren: »Durch die Passage ›… loben den Herrn!‹ erkennen wir, dass es eine reine Menschenerzählung ist. Oder würde ein Werwolf einen ›Herrn‹ loben? Der christliche Bezug gibt hierbei Aufschluss auf die Menschenkultur, aus der dieser Text stammt …«

    Niemand zwingt uns?, dachte Ylva und rollte die dunkelbraunen Augen. Wenn ich meine Abschlussprüfungen bestehen möchte und auf eine gute Uni gehen will, werde ich das wohl durchstehen müssen …

    Im Allgemeinen war Ylva eine gute und ehrgeizige Schülerin, die keine Probleme mit dem Schulstoff hatte. Sie wollte nach dem Abschluss an der Lykaon Comprehensive School auf das Festland und eine Universität für Menschen besuchen. Sie hatte vor, dort Medizin zu studieren und als Ärztin auf die Insel zurückzukehren, auf der sie und ihre Artgenossen lebten. Leider war es den Bewohnern der Insel nicht gestattet, für immer fortzubleiben. Um eine gute Ausbildung zu erlangen, durften sie für einige Zeit, mit Erlaubnis des Hohen Rates, auf das Festland, doch mussten sie danach umgehend zurückkehren. Das verdankten sie einem Vertrag aus sehr alten Zeiten, geschlossen von Fürsprechern, die längst in Vergessenheit geraten waren. Zumindest konnte sie sich an deren Namen nicht mehr erinnern, woran, da war sie sich fast sicher, Mr Argyles schuld war.

    Trotz des Geflüsters mit ihrer Freundin und des langweiligen Lehrers konnte Ylva auch in der Mittagspause nicht aufhören über diese fehlerhafte Denkweise der Menschen nachzugrübeln.

    Untier? … Verwandelt? … Ein Menschenkind gefressen? …  Niemals würde ein Werwolf so etwas tun. Mal davon abgesehen, dass wir nicht verwandelt werden, sondern selbst entscheiden können, wann und wo dies geschieht. Nun ja, bis auf das eine Mal …

    »Na!«

    Sie wurde von ihrem Freund Caleb, der sein Tablett geräuschvoll auf den Cafeteriatisch knallte, aus ihren Gedanken gerissen.

    »Weißt du, was heute in genau zwei Wochen ist?« Er sah ihr eindringlich in die Augen, bevor er sich setzte.

    »Hmmm … nein, absolut keine Ahnung …«, sagte sie übertrieben ironisch.

    »Oh Mann, Ylvi, verschone mich!«, lachte der groß gewachsene Junge. »Ich kann es kaum erwarten, achtzehn zu werden. Und noch weniger kann ich es erwarten, mich endlich verwandeln zu können. Die Schnelligkeit, Ausdauer, mit Werwolfohren hören können … Und stell dir vor, ich werde gar kein grauer Wolf?«

    »Caleb, ich würde mich nicht zu sehr …«, begann Marvina zögernd, während auch sie sich an den Tisch setzte.

    »Nein, überlegt doch mal, ihr beiden! Es kam schon einige Male vor, dass ein Kind eine andere Fellfarbe hatte als seine Eltern. Ich könnte aus der Arbeitersiedlung zu euch in die Hügel kommen und ich könnte etwas erreichen. Ich könnte Wächter werden! Wie ich es mir immer erträumt habe …« Er sah die Mädchen aufgeregt mit seinen großen, stahlblauen Augen an. Die beiden schwiegen, doch Caleb ließ sich seinen Enthusiasmus nicht nehmen. »Das wäre super! Ylva wird Ärztin, Marvina bekommt als erste Frau jemals einen Sitz im Hohen Rat und ich werde ein Wächter. Wir würden gemeinsam in den Hügeln leben, Haus an Haus«, ergänzte er nicht minder aufgeregt.

    Ein kleines bisschen ließ Ylva sich jetzt von Calebs Träumereien mitreißen. Sie schmunzelte.

    »Oder stellt euch vor, ich wäre seit dreihundertfünfundsiebzig Jahren der erste Schwarze! Der rechtmäßige Alpha. Ich würde Bjarne sofort herausfordern!« Er lachte siegessicher und ballte eine Hand zur Faust.

    »Du Angeber! Sag das lieber nicht zu laut, sonst bereitet er sich noch auf diesen Kampf vor«, witzelte Marvina augenzwinkernd.

    Seit Jahrzehnten hatte niemand Bjarne, den Bärenwolf, herausgefordert. Er war der Anführer der Insel und des Volkes der Werwölfe. Auch wenn er schon seit langer Zeit nicht mehr unbedingt volksnah war, rankten sich doch immer noch unzählige Legenden um seine Stärke.

    Die drei Freunde sinnierten die Mittagspause über und vergaßen dabei die Gedanken an die bevorstehenden Abschlussprüfungen, an die ersten Verwandlungen und der somit vielleicht drohenden gesellschaftlichen Trennung. Sie saßen in der Cafeteria der einzigen Schule der Insel, in der noch jedes Kind vermeintlich gleich war, da sich die Fellfarbe noch nicht offenbart hatte, bevor sie dann am Nachmittag nach Hause fuhren in ihre unterschiedlichen Leben. Hinauf in die Hügel oder hinab ans Wasser.

    Nach der Mittagspause ging der Unterricht an diesem Tag schließlich eher körperlich weiter.

    »Lykanthropes Kampfverhalten« stand auf dem Plan. Es war eines von Ylvas Lieblingsfächern (neben kreativem Schreiben und menschlich-wölfischer Anatomie als Wahlfach), ein Überbleibsel einer älteren Generation, als Kriege und Kämpfe zwischen Werwölfen und anderen magischen Wesen noch zum Alltag gehörten. Selbst die jungen Wölfe sollten sich verteidigen können, sobald sie die Fähigkeit der Verwandlung besaßen.

    Die Welt wimmelte früher von Kreaturen, von denen viele magisch oder es zumindest teilweise waren. Als die Menschen begannen sich immer weiter auszubreiten und mit der gezielten Ausrottung der leichter zu fangenden Geschöpfe, wie Elfen oder Irrlichter, anfingen, wurden die magischen Geschöpfe zunehmend seltener und weniger, schließlich blieben nur die Wölfe zurück. Die Werwölfe waren die stärkste und mitunter klügste Art in der magischen Welt. Sie wussten sich sowohl zu verteidigen als auch unauffällig zu verhalten.

    Die Menschen verloren nach und nach ihr Gespür für das Übernatürliche, und so wurden selbst die Werwölfe irgendwann als Märchen abgetan. Übrig blieben nur Sagen, wie die im Unterricht, oder neumodische Teeniefilme. Die Schlachten versiegten, das Unterrichtsfach blieb als Ertüchtigungsmaßnahme für die Schüler. Sportunterricht für angehende Werwölfe.

    In den ersten Schuljahren war das Kampftraining in Mädchen und Jungen aufgeteilt, und jede Gruppe lernte die unterschiedlichen Stärken spezifisch zu nutzen. In der Regel waren die weiblichen Werwölfe etwas kleiner und zierlicher, was sie zu schnelleren Kämpferinnen machte. So lehrte man ihnen, ihre flinken Bewegungen zu nutzen. Die männlichen Wölfe waren deutlich kräftiger und mit gut einem Meter fünfzig Schulterhöhe in Wolfgestalt, fast zehn Zentimeter größer als ihre weiblichen Artgenossen. Sie verließen sich auf ihre enorme, magisch gesteigerte Stärke, gegen die kein irdisches Lebewesen anzukommen vermochte. Da noch kein Schüler sein Ritual vollzogen hatte und sich somit nicht verwandeln konnte, übte man selbstverständlich in menschlicher Gestalt.

    Mrs Evmorphia, die Sportlehrerin, trat vor die Klasse. Wie in jeder einzelnen Stunde bisher begann sie mit ihrer Predigt, die fast immer den exakt gleichen Wortlaut hatte: »Meine Lieben, wie ihr wisst, verändert ein Werwolf sein Wesen nicht, sobald er seine Erscheinung gewechselt hat. Ihr könnt weiterhin denken wie ein Mensch, doch nutzt die körperlichen Vorzüge des Wolfes. Alles, was man als Mensch gut kann, verbessert auch den Werwolf physisch und psychisch …«

    Caleb seufzte theatralisch, und seine Freunde begannen zu lachen und zu grunzen.

    »… also heißt es für euch: Sprungkraft verbessern, ausweichen üben und verschiedene Abwehrtaktiken und Angriffsstrategien verinnerlichen. Da ihr jetzt im Abschlussjahr seid, fällt der Unterricht für alle Schüler gleich aus. Mädchen und Jungen üben gemeinsam, das simuliert das reale Schlachtengetümmel am ehesten. Denkt immer dran: Stärkt ihr euren menschlichen Körper, stärkt ihr auch den Wolf in euch!« Sie lächelte zufrieden.

    Die Sportlehrerin, deren Vorfahren einem altgriechischen Wolfgeschlecht angehörten, ließ alle Schüler sich gegenüber in Reihen aufstellen. Die erlernten Taktiken wurden nun seit fast einem Schuljahr miteinander und gegeneinander gefestigt. Die Jungen sollten angreifen, die Mädchen ausweichen und abwehren.

    Ylva und Caleb standen sich mit einigen Metern Abstand gegenüber. Er fuhr sich durch die blonden Haare und rief lächelnd: »Hey Ylvi, es tut mir jetzt schon leid, aber du wirst keine Chance haben!«

    »Bitte zeig ihm, wie eine Wölfin das macht«, rief Marvina lachend von einigen Plätzen weiter links aus, da sie die Stichelei mit angehört hatte. Ihr Partner war Bruno, das bullige, aber etwas beschränkte Sport-Ass der Schule. Die winzige Marvina würde keine Chance gegen die rohe Gewalt des Jungen haben.

    Ylva grinste Caleb angriffslustig an und ging in

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