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Weiberstammtisch - Wilderei
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eBook343 Seiten4 Stunden

Weiberstammtisch - Wilderei

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Über dieses E-Book

Der Weiberstammtisch in Ammerleiten kommt nicht zur Ruhe. Zenzis Sohn Hubert steht nach mehr als einem Jahrzehnt im Feuerwehrhaus und hat große Pläne, die das ganze Dorf beschäftigen. Mitten im Gewusel treiben neben Liebe und Lust auch Wilderer ihr Unwesen. Darum müssen sich nun die Emmi, Josi, Walli, Traudi und Zenzi zuvorderst kümmern. Nicht nur widerspenstiger Nachwuchs, sondern auch untreue Ehemänner bringen die ein oder andere Ammerleitnerin um deren Contenance.
SpracheDeutsch
HerausgeberWOLFSTEIN
Erscheinungsdatum24. Nov. 2023
ISBN9783954521258
Weiberstammtisch - Wilderei

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    Buchvorschau

    Weiberstammtisch - Wilderei - Sabine Herbst

    Prolog 

    Es war finster. Besser gesagt: Es war stockfinster. Man sah kaum die Hand vor Augen, geschweige denn, dass man einen Schatten werfen konnte. Das sollte allerdings jetzt nicht heißen, dass bei den zwei Gestalten, die sich mitten in der Nacht im Dickicht des Bergwaldes herumtrieben, kein Blut mehr durch die Adern floss. Ganz im Gegenteil. Der Puls raste und der Blutdruck stieg von Minute zu Minute, je näher sie ihrem Ziel kamen. Und dennoch bewegten sie sich, als wären sie nicht von dieser Welt. Fast war es, als schwebten sie über den Waldboden. Wie Nebelschwaden, die im Morgengrauen aus den Feldern und Wiesen aufstiegen, durch den Wald zogen und für einen kurzen Moment Geräusche und Gegenstände verschluckten.

    Die Dunkelheit in dieser Nacht war schwärzer denn je, wenn es dafür überhaupt eine Steigerung geben sollte. Schwarz ist schwarz, könnte man meinen. Aber dem war nicht so. Der Mond am Himmel war nicht zu sehen. Er war weg. Wie ausradiert. Hatte er das Weite gesucht, um dieser Szenerie nicht beiwohnen zu müssen? Eines konnten die beiden Männer in dieser Situation mit Sicherheit sagen: Nicht einmal der Mond war ihr Zeuge. Konnte es je eine bessere Gelegenheit geben?

    Es waren nur noch ein paar Schritte, dann hatten sie ihr Ziel erreicht. Die Lichtung am Niedermoos lag direkt vor ihnen und war ideal für ihr Vorhaben. Sie zogen ihre Hüte tiefer in ihre geschwärzten Gesichter und stellten vorsichtig die Kragen ihrer Lodenumhänge auf. Es war kein Windhauch zu spüren. Der größere und kräftigere der beiden gab seinem Partner kurze Handzeichen. Dieser nickte, drehte sich kaum vernehmlich um und wurde nach ein paar Schritten von der Dunkelheit verschluckt. Er ging in Deckung. Ganz allein in diesem erhabenen Moment, obwohl sein Kumpane sich nicht weit von ihm im Dickicht versteckt hatte. Das Moos, auf dem er kniete, machte leicht blubbernde Geräusche. Seine Bundeswehrhose feuchtete allmählich am Knie durch. Doch das spürte er nicht. Er befand sich in einer Art Trance. All seine Gedanken, die ihn beschäftigten, hatte er ausgeblendet. Eine Leere erfasste ihn und zugleich stiegen das Verlangen, die Sucht, die Aufregung, »Es« in den nächsten Minuten ein weiteres Mal zu tun. Eine Schweißperle lief ihm von der Stirn über die linke Wange, obwohl es nur sechs Grad hatte. Er bemerkte, dass seine Körpertemperatur mehr und mehr stieg. Ein Garant, dass der erlösende Zeitpunkt nicht mehr fern war.

    Und da war es! Ein leises, kurzes Knacken! Wahrscheinlich ein kleiner Ast. Nicht weit von ihm entfernt. Er nahm an, dass es so ca. fünf bis sieben Meter sein mussten. Südöstlich, vermutete er. Er drehte sich ganz langsam in die Richtung und erblickte, mehr schemenhaft als richtig, endlich die Gestalt seines Begehrens. Langsam und vorsichtig griff er mit der linken Hand unter sein Cape, streifte den Lederriemen von seiner rechten Schulter und holte sein Jagdgewehr hervor. Bedächtig visierte er sein Ziel an. Sein Finger bewegte sich langsam zum Abzug, berührte das Metall. Der erhabenste Moment für ihn war nun zum Greifen nah.

    »Hatschi«, machte es auf einmal hinter ihm. Zwei rehbraune Augen blickten zu ihm; die Gestalt machte eine Kehrtwendung und löste sich im Nichts auf. Er schoss. Vorbei.

    Wutentbrannt warf er seinen Umhang hinter sich, schulterte sein Gewehr und stampfte ohne Rücksicht auf Geräusche oder was auch immer zu seinem Kumpel. Die Nacht war immer noch pechschwarz. Er sah nicht den starken Ast, der in Kopfhöhe vor ihm war. Mit Karacho lief er darauf zu und wurde mit voller Wucht zurückgeworfen. Da lag er nun, wie ein Maikäfer auf seinem Panzer, fluchte und jammerte vor sich hin und griff sich immer wieder mit der Hand an die stark blutende Stelle seiner Stirn.

    Währenddessen hatte auch sein Begleiter den Weg zu ihm gefunden, obwohl es, wie schon vorher erwähnt, mehr als Nacht war.

    »Und?«, meinte dieser, »alles ok bei dir?«

    »Du Volldepp, du damischer«, schrie der am Boden liegende. »Das Blut läuft mir in Bächen vom Hirn runter, der Rehbock ist weg, weil du deinen Riechkolben nicht unter Kontrolle hast und da fragst du mich, ob alles in Ordnung ist?«

    »Ja mei«, entschuldigte sich der, der inmitten von Tannengrün und Brombeersträuchern rotzeln musste, »ich hab’ halt a Allergie gegen Brombeeren.«

    Der andere, der immer noch auf dem weichen Moos lag, musste trotz Blessuren am Kopf, schallend lachen.

    »A Brombeerallergie? Und des als … Ja so ein Schmarrn. Jetzt komm, hilf mir auf und lass uns verschwinden, bevor noch des ganze Dorf da ist.«

    Mit Wehklagen und allergiebedingtem Geschniefe verließen sie nicht mehr ganz so lautlos den Ort des Geschehens, denn jetzt pressierte es. Die Morgendämmerung machte sich auf den Weg und weckte nicht nur die Bewohner des Waldes, sondern auch die Einwohner von Ammerleiten. Und wenn sie eines nicht gebrauchen konnten, dann einen Wildereralarm.

    - 1 - 

    Traudl fing an zu kreischen und konnte sich einfach nicht mehr beruhigen. Erst nachdem ihr Walli einen Stoß in die Rippen gab, hörte sie damit auf und bekam dafür sofort leichte Schnappatmung.

    »Was schreist denn so ‘rum wie eine deiner blöden Hennen? Wir ha’m des Auto doch ersteigert.«

    Walli hatte noch gar nicht registriert, dass Traudls hysterische Reaktion einen ganz anderen Grund hatte als den Kauf von Zenzis Fiat 500.

    »Da, da, …«, stotterte sie und gestikulierte wild mit ihren Armen in Richtung Tür.

    Walli hob den Kopf, Emmi und Josi drehten sich langsam um, Zenzi saß da und schwieg.

    Walli war die Erste, die wieder fast alle ihre Sinne beisammenhatte.

    »Mi leckst am Arsch!«

    Josi runzelte die Stirn, schaute Emmi an und fragte: »Kannst du mich mal aufklären, warum dieser gutaussehende Typ Traudl fast in den Wahnsinn treibt?«

    »Das ist doch der Hubert«, flüsterte Emmi ihr zu.

    »Zenzis Sohn aus, aus …, äh in Kanada war er, glaub’ ich.«

    »Echt jetzt? Der Hubert, der uns immer beim Fischen die Forellen hat ausnehmen lassen? Den hätt’ ich nicht mehr erkannt. Wahnsinn!«

    Hubert stand immer noch im Türeingang, wartete und beobachtete seine alten und neuen Nachbarinnen und mittendrin seine Mutter, die immer noch stumm am Stammtisch saß und ihren Sohn anstarrte, als wäre eine übernatürliche Erscheinung in der guten Stube des Feuerwehrhauses von Ammerleiten zu Besuch.

    »Jetzt sag halt au’ mal was!«

    Traudl hatte sich wieder im Griff und fuhr sich durch die Haare, um wenigstens das Chaos auf ihrem Kopf zu beseitigen.

    »Willst jetzt net mal aufstehen und deinen verschollenen Sohn begrüßen?« Traudl bekam sich gar nicht mehr ein. Beide Reisachers, Mutter und Sohn, wie hin betoniert und stumm wie die Fische.

    Endlich schien sich Zenzi aus ihrer Schockstarre zu lösen und rempelte Traudl kräftig an.

    »Lass mi ‘naus«, schnauzte sie ihre Banknachbarin an.

    Traudl rutschte an die Außenseite der Eckbank, stand auf und machte für Zenzi Platz.

    »Endlich!« Walli schnaufte laut und klopfte ihrer Freundin auf die Schulter.

    »Dann begrüß mal deinen verlorenen Sohn!«

    Traudl rutschte zu Walli auf und war, wie der Rest auch, still.

    Schließlich ergriff Hubert das Wort und unterbrach damit das Schweigen zwischen Mutter und Sohn.

    »Hi Mama. Da bin ich wieder.«

    Er drehte sein Basecap mit dem Schild nach hinten und ging auf Zenzi zu. Diese stand immer noch an der gleichen Stelle und runzelte immer mehr die Stirn in Falten. Tausend Gedanken schossen ihr durch den Kopf. Sie konnte es gar nicht glauben, dass ihr Hubert jetzt einfach so und ohne Vorwarnung – ja Vorwarnung war das richtige Wort – urplötzlich vor ihr stand. Sie war immer der Meinung gewesen, dass sie mit sich im Reinen damit war, dass Hubert in Kanada war und sie nur so wenig, bzw. gar nichts von ihm hörte. Aber anscheinend war dem nicht so. Sie fühlte, dass ein lang unterdrückter Groll in ihr aufstieg und sie ihm am liebsten …

    Patsch machte es laut!

    Die hatte gesessen!

    Ein kurzes, aber heftiges Raunen war vom Stammtisch zu hören.

    Hubert rieb sich die linke Wange, grinste und nahm Zenzi in den Arm, die sich noch etwas sträubte. Dann fiel auf einmal die Anspannung von ihr ab und sie schluchzte laut auf und weinte hemmungslos in Huberts rotkariertes Holzfällerhemd.

    »Ich hab’ dich so vermisst, Mama«, gestand Hubert und drückte Zenzi noch fester an sich.

    »Du Depp«, brachte Zenzi gerade noch so heraus. Die Tränen liefen ihr in Bächen die Wangen herunter.

    »Mach des nie, nie wieder!«

    Hubert nahm ein Taschentuch aus seiner Jeans und gab es seiner Mutter. Sie schnaubte sich kräftig, wischte sich die Tränen ab und blickte zu ihrem Sohn auf. Hubert war zwar auch nicht groß, hatte aber immerhin mehr als Zenzis 1,55 m Größe.

    »Ich geh jetzt nicht mehr weg. Das versprech’ ich dir.«

    »Versprich nix, was net halten kannst«, antwortete Zenzi und drückte Hubert einen dicken Kuss auf die lädierte, noch immer leicht rote Wange.

    Emmi, Josi, Traudl und Walli schnauften erleichtert aus und lehnten sich einigermaßen entspannt zurück.

    »Du bleibst also jetzt da?«

    Traudl hatte sofort diesen Wortfetzen aufgeschnappt und musste natürlich gleich wissen, was es mit diesem ominösen Versprechen auf sich hatte.

    »Jetzt lass doch mal die beiden«, tadelte Josi.

    »Die Zwei haben sich weiß Gott wie lange nicht gesehen, gehört, gespürt. Da kannst du doch nicht einfach so mir nichts, dir nichts reinplatzen und das Wiedersehen stören!«

    »Genau«, mischte sich nun auch Emmi ein. Sie rieb sich mit der Hand über den Bauch, um ihren Untermieter so ein wenig zu beruhigen.

    »Was ihr immer so habt«, gab Traudl schnippisch zurück. »Man muss doch wissen, was so kommt.«

    »Du musst wissen, was da so kommt«, korrigierte sie Walli. »Des kannst jetzt wieder gar net haben, dass du noch net weißt, wie es weitergeht mit dem Hubert und so, gell?«

    Walli schüttelte den Kopf und nahm einen Schluck aus der Bierflasche.

    Traudl raunte etwas Unverständliches und griff missmutig nach der Flasche Bier, die vor ihr stand.

    »Gibt’s denn heut’ bloß den Hopfensaft aus der Flasche? Bei so einem Anlass?« Wieder einmal hatte Traudl perfekt das Thema gewechselt und es hatte fast keiner bemerkt.

    Hubert löste sich von seiner Mama und wandte sich, zur Freude vor allem für Traudl, der Stammtischtruppe zu.

    »Hi Ladies«, begrüßte er die Wegbegleiterinnen seiner Mutter in einem Slang, der deutlich machte, dass er lange in Kanada gelebt hatte. Er versprühte dabei seinen italienischen Charme und seine blauen Augen strahlten wie die des italienischen Schauspielers, der den Italowestern salonfähig machte.

    »Griaß di Hubert.« Emmi stand auf und umarmte ihren Freund aus Kindertagen herzlich.

    »Gut schaust du aus, Emmi. Du strahlst ja richtig und dein Haar leuchtet … wie Feuer.«

    Traudl verdrehte die Augen, Emmi strahlte noch mehr.

    »Ah geh!«, wiegelte sie ab. »Ganz normal bin ich. So wie immer.«

    »Schwanger, so wie immer«, murmelte Traudl vor sich hin und nahm zur Sicherheit einen Schluck aus der Flasche, um ja nicht antworten zu müssen, falls sie gefragt werden würde.

    »Wenn du das sagst«, erwiderte Hubert und wandte sich Josi zu.

    »Hi Josina-Baby! Besuchst du deine Grandma gerade in Ammerleiten?«

    Josi seufzte und klärte Hubert über das Ableben ihrer Oma und den Grund ihrer Anwesenheit in Bayern auf. Je mehr sie darüber berichtete, um so betroffener schaute Hubert drein. Ihm wurde so langsam bewusst, dass er rein gar nichts mehr über die Geschehnisse der letzten, gut zehn Jahre wusste. ›Vielleicht hätte ich mich doch öfter melden sollen‹, grübelte er. ›Vielleicht, vielleicht auch nicht.‹

    »Geht ja schon guat los.« Traudl hatte schnell ihr Bier runtergeschluckt und begutachtete die Begrüßungszeremonie mit Argusaugen.

    »Noch so ein gimprischer, amerikanischer, kanadischer, was weiß ich Gockel in Ammerleiten«, flüsterte sie zu Walli.

    »Erst wird das junge, knackige Gemüse vernascht und dann macht er sich eventuell noch über die abgelagerten Äpfel her.«

    »Kannst es net erwarten, dass er dich begrüßt und mit seinen jungen, starken Armen umschlingt?« Walli musste laut auflachen und prostete Hubert zu.

    »So ein Schmarrn. Ich mein’ halt nur!«

    »Ja, ja, du meinst wie immer nur. Is’ scho’ recht, Frau Huber.«

    Endlich widmete sich Hubert den besagten Lageräpfeln zu.

    »Hi Walli und Traudl. Schön euch wiederzusehen.« Dabei rollte er so sehr das »R« beim Wort Traudl, dass Emmi gleich rote Wangen bekam.

    »Griaß di Hubert«, begrüßte Walli ihren Nachbarn und reichte ihm die Hand.

    »Du warst ja schon immer für Überraschungen guat, aber des heut … da haut’s mir ja echt den Vogel ‘naus.« Sie lachte dabei herzlich und prostete ihm mit ihrem Bier zu.

    »Griaß di Herr Reisacher«, hieß Traudl den Sohn von Zenzi willkommen und reichte ihm auch ihre Hand.

    »Hello Traudl. Du hast dich wirklich fast nicht verändert. Ich bin ganz, ganz … ohne Worte.«

    Eines musste man ja wirklich mit Neid anerkennen: diese bayrisch-italienische Mischung, dazu jetzt noch dieser amerikanisch/kanadische Touch kam wirklich gut bei allen Damen im Feuerwehrhaus an. Für jede hatte er ein Kompliment parat, das zumindest die anwesende, weibliche Bevölkerung von Ammerleiten ein wenig schmachten und dahinschmelzen ließ. Nicht auszudenken, was Sissi und Hedwig von diesem »kanadischen Italo-Bayer« halten würden.

    Dabei war er überhaupt kein Schwafler. Mehr als ein Kompliment war nicht aus ihm heraus zu kitzeln. Brauchte es auch nicht. Er schaute sein weibliches Gegenüber an, ein nettes Wort und die Ladies gackerten los. Hubert nickte nur noch wohlwollend und warf so Brocken und Wortfetzen wie »absolut« oder »wirklich?« ein und die jungen und auch die etwas reiferen Mädels gurrten weiter.

    Zenzi betrachtete das Ganze von der Theke aus und schenkte sich ein weiteres Mal ein Schnapsglas mit einem »Vitus Spezial« ein.

    ›Mein Sohn hat sich nicht viel verändert‹, stellte sie fest. Immer noch konnte er mit wenig Worten das weibliche Geschlecht ganz unruhig werden lassen. Das war schon als Teenager so. Manche Mädels radelten damals von weiß Gott woher nach Ammerleiten, um ihn zu besuchen. Kleine Dramen spielten sich damals ab, denn Hubert wollte gar nichts von seinen Schulfreundinnen wissen. Er wollte nur freundlich sein und sie zum Lächeln bringen, meinte er damals zu seiner Mutter. Dass die Mädels das anders sahen, kam ihm nicht in den Sinn. Das Wichtigste war ihm sein Spezi Korbinian, mit dem er tagein, tagaus nach der Schule zusammen war, angeln ging oder mit ihm an ihren Mofas herum schraubte.

    »Weiber«, sagten sie damals mit 14 Jahren, »brauch’ mer net.« Nur Emmi und Josi, wenn sie in den Ferien da war, durften dabei sein.

    Und nun war er wieder in Ammerleiten und sie fragte sich warum. Was hatte ihn dazu veranlasst, Kanada, sie wusste im Moment gar nicht, wo er dort gelebt hatte, zu verlassen? Sie hoffte, dass er es ihr irgendwann mal erzählen würde. Aber das konnte dauern, wenn er nach ihr kam. Und das tat er – zu mindestens 50 Prozent.

    Sie schnappte sich die Flasche Schnaps, nahm weitere Gläser von der Theke und gesellte sich zum Stammtisch, um eine Runde auszugeben. Das Timing war perfekt. Nur so bemerkte Zenzi sofort, dass Traudl ihre Neugier nicht mehr unter Kontrolle halten konnte. Flirterei hin oder her, was ja ganz schön war und auch guttat. Aber jetzt wollte Frau Huber wissen, warum, wieso, weshalb und überhaupts der Reisacher Hubert nach Ammerleiten zurückgekommen war.

    Sie nahm das von Zenzi eingeschenkte Glas, setzte ihr schönstes Lächeln auf und prostete Hubert zu.

    »Prost Hubert. Auf deine Rückkehr nach Ammerleiten.«

    Walli schaute Traudl ganz erstaunt an und schnappte sich auch ihr Glas und prostete mit den anderen Hubert zu.

    »Was ist denn mit dir los?«, meinte Walli zu ihr.

    »So kennt man di gar net. Sonst bist doch immer gegen Zuwachs in Ammerleiten.«

    Emmi schaute etwas sparsam und wollte schon anfangen zu protestierten, doch Walli verbesserte sich schnell.

    »Ausgenommen natürlich die Kinder, die da noch in Ammerleiten auf die Welt kommen.«

    »Jetzt hast aber Glück gehabt«, warf Emmi ein und grinste Walli an.

    »Wieso?«, antwortete Traudl schnippisch zurück.

    »Der Hubert ist doch einer von uns, gell? Und wer weiß, warum er wieder daheim ist. Das wird schon seinen Grund haben. Oder Hubert?«

    Hubert schaute verdutzt, sagte aber nichts.

    »Willst uns net sagen, was dich jetzt nach so langer Zeit wieder in den heimischen Hafen geführt hat? Des tät’ mich jetzt schon interessieren.«

    Zenzi reichte es.

    »Jetzt langt’s Traudl. Du wirst es schon noch rechtzeitig erfahren. Komm Hubert, wir gehen jetzt heim.«

    So schnell konnte man gar nicht schauen, da hatte sie schon ihre Jacke an, verabschiedete sich kurz und knapp von der Stammtischtruppe und verschwand im Schlepptau mit ihrem Sohn in die laue Septembernacht.

    Zurück blieben vier Frauen mit vielen Fragezeichen im Gesicht.

    Was waren das für aufregende drei Monate gewesen. Die Ankunft von Josi in Ammerleiten, der heimliche Urlaub in Italien, Zenzis Erkrankung, die Gott sei Dank gut ausging und nun noch das: ein Auto ersteigert und die Heimkehr des verlorenen Sohnes von Zenzi.

    Das war jetzt einfach zu viel. Richtig erledigt von so viel Aufregung lehnten sie sich zurück und schwiegen eine Zeitlang.

    »Ich kann’s noch gar net glauben, dass der Hubert wieder da ist.« Emmi stand auf, stemmte die Hände in die Hüften und ging auf und ab. »Einfach so, aus dem Nichts.« Sie schüttelte den Kopf.

    »Das kannst’ wohl sagen«, erwiderte Josi. »Wenn man so was im Film sieht, dann sagt man sich, dass dies einem nicht passieren kann. Aber siehst ja. Es geht doch. Ich mein’, ich bin ja noch nicht so lange da und hab’ auch noch nicht so den Einblick, aber das ist schon der Hammer mit dem Hubert.«

    »Und wie«, antwortete Walli.

    »Und was meinst du jetzt dazu? Du sagst jetzt gar nix mehr Traudl, wo du doch vorher so viel dazu zu sagen hattest.« Walli drehte sich zu Traudl hin und grinste verschmitzt.

    Traudl bockte sichtlich und blieb still. Wenigstens für ein paar Sekunden.

    »Weißt Walli, des tangiert mich jetzt gar net so mit dem Hubert.«

    Walli unterbrach Traudl mit einem lauten Prusten und hieb ungestüm mit der Faust auf den Tisch, dass die Bierflaschen auf dem massiven Eichentisch nur so vor Freude hüpften.

    »Des tangiert di net! I’ lach mi’ kaputt. Wo hast denn des wieder aufgeschnappt.«

    Sie gackerte weiter und nun konnten sich Emmi und Josi auch nicht mehr zurückhalten und stimmten in das ansteckende Lachen von Walli mit ein.

    »Sagt’s einmal! Seid ihr denn voll narrisch geworden?«, plärrte Traudl zwischen rein und versuchte sich so wieder Gehör zu verschaffen.

    »Jetzt lasst mich halt mal ausreden.« Traudl schüttelte über so viel infantiles Getue den Kopf und versuchte es ein weiteres Mal, sich gegen die Geräuschkulisse durchzusetzen. Doch je mehr sie es versuchte, um so lauter wurde das Gelächter und am Ende konnte sich auch Traudl nicht mehr gegen das ansteckende Lachen der anderen wehren und lachte mit.

    »Ihr seid’s so blede Weiber«, kicherte sie.

    »Mir tut schon alles weh vor lauter Lachen.«

    »Und mir erst«, erwiderte Emmi. »Ich muss aufpassen, dass ich mir net in die Hose piesel.«

    »Du darfst des!«, gab ihr Josi zur Antwort. »Schieb es einfach auf das Kind.«

    »Das arme Kind«, griente Walli. »Wird jetzt schon als schwarzer Peter oder Petra benutzt.« Sie schnaufte laut aus und langsam beruhigten sich auch die anderen von diesem Lachanfall.

    »Aber jetzt sag doch mal, was du uns erzählen wolltest«, meinte Josi zu Traudl. »Warum tan …!«

    Sie unterdrückte ihr aufsteigendes Lachen und schaute Traudl angestrengt an, um sich zu konzentrieren.

    »Neuer Anlauf. Warum juckt es dich denn gar nicht so, dass der Hubert jetzt wieder in Ammerleiten ist?«

    »Ja mei«, entgegnete Traudl und strich sich eine Strähne aus ihrem Gesicht. »Ich hab’ im Moment so viel um die Ohren mit der Parisreise, die ja am Montag los geht. Und ja – der Ignaz hat alles geplant, was die Reise an sich betrifft. Aber da ist ja noch so viel zu tun. Den Betriebshelfer musste ich bestellen, beim Frauenbund die Sitzung absagen, E-Mails schreiben …«

    Sie stöhnte und überlegte, was sie noch vergessen haben könnte.

    »Ach ja! Das Wichtigste hab’ ich ja noch gar net erwähnt.« Sie machte eine kurze Pause, um die Spannung zu erhöhen, was ihr auch gelang. Walli, Josi und Emmi schauten sie fragend an und warteten, welche wichtige Aufgabe sie noch in ihrem prall gefüllten Alltag unterbringen musste.

    »Jetzt sag schon und lass dir nicht alles aus der Nase ziehen«, schnauzte Emmi ihre Nachbarin an.

    So kannte man Emmi gar nicht, war sie doch sonst fast immer tiefenentspannt. Aber die Hormone hatten sie im Moment knallhart im Griff. Sehr zum Leidwesen von Sepp, der die volle Breitseite dieses Schwangerschaftscocktails abbekam. Launisch und unentspannt scheuchte sie ihren Mann von A nach B, während sie sich dem Nestbautrieb hingab. Bis jetzt verhielt er sich still, sagte nichts, wenn seine Holde wieder mal einen Wutanfall bekam, weil er nicht so tat, wie sie das wollte. So kannte er seine Emmi nicht. Das Einzige, was ihm dabei half den Mund zu halten und zu parieren, war die Tatsache, dass vielleicht das fünfte Kind doch das lang ersehnte Mädchen sein würde, das er sich so sehr wünschte. Eine kleine Prinzessin mit rotblonden Haaren, so wie seine Emmi und vielen lustigen Sommersprossen auf der Nase. Er schickte jedes Mal ein Stoßgebet in den Himmel, wenn Emmi es wieder mal zu bunt trieb: »Liebes Universum! Lass mich diesen Schmarrn überstehen und bitte, bitte lass es ein Mädel sein!« Die Leute, die Sepp genauer kannten, wussten aber auch – ja, er wünschte sich eine Tochter, aber Hauptsache der fünfte Gschwend Nachwuchs war gesund. Egal ob Mädel oder Bub.

    »Ja ist ja schon gut«, meckerte Traudl zurück. »Bei deiner letzten Schwangerschaft warst echt entspannter. Kaum auszuhalten, wie du gerade bist.«

    Emmi brummte und verschränkte die Arme.

    »Also, um es kurz zu

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