Nichts bleibt wie es ist
Von Timm Seng
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Buchvorschau
Nichts bleibt wie es ist - Timm Seng
Timm Seng
Nichts bleibt wie es ist.
Himmelstürmer Verlag, Kirchenweg 12, 20099 Hamburg,
Himmelstürmer is part of Production House GmbH
www.himmelstuermer.de
E-mail: info@himmelstuermer.de
Originalausgabe, Juni 2013
Nachdruck, auch auszugsweise, nur mit Genehmigung des Verlages
Rechtschreibung nach Duden, 24. Auflage
Coverfoto: fotolia.de
Das Modell auf dem Coverfoto steht in keinen Zusammenhang mit dem Inhalt des Buches und der Inhalt des Buches sagt nichts über die sexuelle Orientierung des Modells aus.
Umschlaggestaltung: Olaf Welling, Grafik-Designer AGD, Hamburg. www.olafwelling.de
ISBN print 978-3-86361-284-9
ISBN epub 978-3-86361-285-6
ISBN pdf: 978-3-86361-286-3
Die Handlung und alle Personen sind frei erfunden. Jegliche Ähnlichkeiten mit realen Personen wären rein zufällig.
Widmung
Für Amanda
für Walter
und für Ernst
Wie durch einen Tunnel …
Es kam wie durch einen Tunnel. Langsam aber stetig drangen die Geräusche von draußen, vom Gang, wo Leben und Trubel herrschten, in das einsam daliegende und karg eingerichtete Zimmer vor. Das Klappern und Rascheln, wenn jemand draußen auf dem Gang vorbeilief oder mit etwas herumhantierte, das leise Zischen der Luft, das jedes Tun dort draußen mit sich zog, oder das Rufen, Plappern und Schnattern … - was es auch immer sein mochte …, was da jemand, irgendjemand, von sich gab, während die da draußen … Ach, was brachte es auch, sich damit zu beschäftigen.
Waldemar Moser saß in seinem Zimmer und starrte vor sich hin. Alt und grau war er geworden, und wenn sich seine Stimmung trübte, spürte er regelrecht, wie seine Augenlider schwer wurden und seine Wangen in seinem Gesicht nach unten rutschten. Sein Blick glitt nach unten. Er trug ein grau-weißes Hemd, das er gar nicht kannte. Als er hierher kam, hatten sie ihm seine schönen alten Kleidungsstücke genommen und ihm neue gegeben. Alles Dinge, zu denen er überhaupt keinen Bezug hatte. Auf dem Hemd waren die üblichen Flecken vom Essen und Trinken. Dann sah Waldemar aus dem Fenster ins Freie. Es war düster, fast schon dunkel, zu dunkel schon für diese herbstliche Jahreszeit. Man meinte fast, es sei schon tiefer Winter. Wie da die Wolken in Windeseile von dannen zogen, wie der Wind unbarmherzig alles von den Bäumen fegte und riss, was gerade noch in voller Blüte gestanden hatte. Und wie das Laub sich auf dem Boden drehte, zirkulierte oder einfach nur in die nächste Ecke gefegt wurde. Grau und trüb – und so sollte es jetzt weitergehen? Hier drinnen war er geschützt, hier kam nichts an ihn heran, sollte es jedenfalls nicht. Aber Waldemar war
vom ersten Tag, seit dem er hierhergebracht wurde, hochsensibel. Kein Wunder: „Schau mal, Vater, so schön hast du es hier. Ein Zimmer für dich alleine! hatte sein Sohn doch glatt gesagt. Was dem einfällt! Und doch hatte er recht, kam es Waldemar schlagartig in den Sinn: Ganz alleine! „Ganz alleine
, murmelte er vor sich hin. So saß er nun da und sollte seinen Lebensabend verbringen.
Waldemar flüchtete sich in eine Vorstellung: Ein kleines Haus in der Natur, inmitten von Wiesen, Feldern und Wäldern, über einem der freie Himmel, vielleicht noch ein paar Haus- und Kleintiere, ein kleiner Garten mit Obst und Gemüse – alles was man braucht, um sich selbst versorgen und einfach leben zu können. Ganz kuschelig und gemütlich war es in seiner Vorstellung, ein Gefühl von Geborgenheit, Ruhe und Frieden erfasste Waldemar. Ja, um ein Mensch sein zu können, da braucht man vor allem eines – und Waldemar spürte, wie es ganz warm in ihm wurde und wie ihn eine ganz tief liegende, fast verborgene Sehnsucht erreichte. Man braucht …
„Du sollst die Vorlagen holen. Und bring die Schüssel mit", rief eine energische Stimme draußen quer über den ganzen Gang und Waldemar wurde abrupt aus seinen Träumen gerissen.
„Ist ja gut, ist ja gut!" rief er mit gequälter Stimme. Ob das jemand gehört hatte? Wohl kaum, denn diese Schreckschraube …
„Na, wie geht es uns denn?", und schon schaute sie ihm über die Schulter. Und sie klebte und presste ihr Gesicht an seins und rieb noch ein bisschen nach. Will die kuscheln? Pfui, ich bin doch nicht ihr Kind. Aber sie rieb sich dennoch an seinen Haaren, an seiner Backe und Waldemar musste pusten und zupfen, um ihre langen Haare aus seinem Gesicht wieder weg zu bekommen.
„Wir setzen uns jetzt mal schön auf den Topf!" sagte sie bestimmend. Da war keine Widerrede möglich.
„Aber heute morgen …", setzte Waldemar an.
„Heute morgen war heute morgen und jetzt haben wir Mittag. So jetzt stehen wir mal auf und gehen hier rüber. Sie zog Waldemar hoch und zerrte an ihm, dass er sich bewegen möge. „Gerade hinstellen, hab ich gesagt! Halt dich an mir fest. Hier!
Sie nahm seine Hand und drückt sie an ihre Schulter. „Hier hin! betonte sie nochmal und wurde schon wieder ungeduldig, wie gestern … oder letztes Jahr? Weiß Gott, wann es das letzte Mal war. Manchmal ist es gut, wenn man nicht mehr alles weiß. „Herr Gott nochmal, jetzt mach halt mal.
„Aber Margot …"
„Ich bin aber nicht die Margot. Und du sollst jetzt auf Toilette gehen!"
„Aber die Toilette …?"
„Was?" und sie hob ihre Stimme und fixierte ihn gereizt mit ihren Augen.
„Ja die … na … wie heißt es …?"
„So, los hier rüber, bleib stehen."
Waldemar gehorchte, es hatte ja doch keinen Zweck. Da durchfuhr es ihn. „Nicht die Hose!" rief er erschrocken.
„Doch, gerade die Hose. Die Hose muss runter!" und sie grinste, derb und fast anzüglich.
Waldemar blieb hart und klammerte seine Hände an seinen Gürtel.
„Herr Moser! Zum letzten Mal!"
„Was fällt Ihnen ein, empörte sich Waldemar, „Sie … Sie!
„Was willst du! und sie sah ihn überlegen und herausfordernd an. „Pass mal auf, mach nicht wieder Ärger. Du musst aufs Klo und da gehst du jetzt hin!
„Nein!"
„Doch, sofort!"
„Fassen Sie mich nicht an … wer sind Sie überhaupt? und Waldemar rief so laut er konnte: „Margot, Margot!
„Mensch, die Margot ist längst tot und du setzt dich jetzt auf die verfluchte Toilette."
„Margot ist tot? fragte Waldemar und sah sie verblüfft an. „Ja und wer sind Sie?
„Mein Gott, ich bin die Schwester Hannelore."
„Schwester Hannelore?"
„Ja, im Pflegeheim Augusta Brock. Und Sie gehen jetzt auf Toilette, Herr Moser!"
Toi-lette ... lette ... lette, das Wort echote in Waldemars Ohr, so laut und schrill sprach sie. Unerträglich! „Ja … aber, ich dachte …" Und da war es schon passiert. Sie hatte seinen Gürtel gepackt, geöffnet und mit einem Mal war seine Hose unten an seinen Beinen auf dem Boden.
„Nein!" schrie Waldemar.
„Ich halte das nicht mehr aus, erwiderte Schwester Hannelore resigniert. „Dann mach doch in die Hose!
schrie sie ihm ins Gesicht.
Waldemar zog seinen Kopf nach hinten. Sie riecht, sie riecht komisch aus dem Mund, diese … Da hatte sie sich schon umgedreht und hatte das Zimmer verlassen. Waldemar stand neben dem Toilettenstuhl und sah ihr nach. Er war mindestens so verdattert wie sie. Wie war das nochmal … verflixt. Wie kriege ich jetzt die Hose wieder hoch? „Jonas, …Jonas, komm mal!"
Jonas lief in seinem Zimmer auf und ab. Es war schon dämmrig draußen und der Regen prasselte gegen die Fensterscheibe. Und auch in seinem Kopf klopfte es stetig und monoton, so sehr arbeitete es in ihm. Ich mach da nicht mit. Das ist zu viel. Es geht so nicht weiter! Seine Gedanken setzten aus, um sogleich wieder aufzutauchen und ihn zu treiben. Wie ein Film lief alles, was geschehen war und worüber er sich den Kopf zerbrach, vor ihm ab. Immer der einzige zu sein, immer alleine zu sein, während die anderen mitten im Leben stehen, sich amüsieren, sich verabreden, ausgehen, flirten, sich küssen, sich lieben… Und ich? Wo bleibe ich dabei? Jonas seufzte auf und ließ sich auf den Drehstuhl vor dem Schreibtisch am Fenster plumpsen. Er griff nach einem irgendwo auf der Arbeitsplatte herumliegenden Stift und schraubte nervös an der Kappe herum. Der Schweiß brach in seinen Handflächen und zwischen seinen Finger aus. Jonas spürte, wie seine Hand an dem Stift schmierte. Es hatte keinen Sinn: Er warf den Stift weg, fuhr sich mit beiden Händen durch die Haare und ließ sich gegen die Rückenlehne des Stuhls fallen. Der Stuhl drohte dabei zu kippen, fing ihn aber auf. Jonas stieß sich mit dem Fuß am Boden ab und der Stuhl begann sich zu drehen. Er rotierte immerfort, bis er schließlich scheinbar wahllos stehenblieb. Wie beim Roulette, dachte Jonas, und sah sich dem Spiegel, der an seiner Schranktür hing, gegenüber. Vorsichtig und zaghaft sah er auf und betrachtete sich. So saß er da: Heute, an seinem freien Tag, hatte er sich nicht sonderlich zurechtgemacht, mit einer ausgeleierten Jogginghose, einem zu weiten, schon halb ausgebleichten T-Shirt und barfuß – na ja, ich kann noch mehr aus mir machen, dachte sich Jonas und musste lächeln. Und dabei flackerte ein Licht in ihm auf und er betrachtete sich mit anderen Augen: Eigentlich bin ich doch ganz hübsch … Sagt man überhaupt hübsch bei einem Mann? Egal, mit seinen blonden wuscheligen und leicht gelockten Haaren, seinen blau schimmernden Augen und seinem sanften, etwas scheuen Blick hatte er ein gewisses Etwas und das bemerkte er auch hin und wieder an sich und der Reaktion anderer Menschen. Warum soll ich nicht auch jemandem gefallen? Jemand, der ist wie ich, nein nicht wie ich, aber der einfach zu mir passt. Und der mich liebt – und den ich natürlich mindestens genauso liebe! Nur fehlte ihm absolut das Selbstbewusstsein auch so aufzutreten, wie er es müsste, um einmal jemanden kennenzulernen. Oft kam er sich einfach nur gehemmt und fast etwas tollpatschig vor. Er wurde leicht verlegen, errötete und war jedes Mal regelrecht froh, wenn er aus solchen Situationen wieder flüchten konnte. Vielleicht bin ich noch nicht so weit? Aber wann denn dann, rumorte es ungeduldig in Jonas. Und dann auch noch diese Geschichte neulich mit Marc, seinem Kollegen im Pflegeheim, in dem er gerade ein Praktikum machte.
Jonas war mit Marc in einem Wohnbereich im Pflegeheim Augusta Brock während der Spätschicht unterwegs. Marc war schon ausgebildeter Pfleger. Jonas war im gleichen Alter und machte hier ein Praktikum im Sozialdienst in der Hoffnung, dadurch endlich einen festen Job zu bekommen. Aber sie verstanden sich gut. Um ehrlich zu sein, Jonas hatte von Anfang an ein Auge auf Marc geworfen. Marc war etwas kleiner als er, hatte braune kurze Haare und so schöne weiche Züge in seinem schmalen, fast etwas femininen Gesicht. Der kurze dunkle Bart, den er um die Mundpartie und bis zum Kinn hinunter wachsen ließ, war aber mindestens genauso attraktiv und stand ihm richtig gut. Und wenn Marc nicht auf der Arbeit war, trug er zwei kleine Brilliantenstecker im Ohr. Dass er etwas kleiner war als Jonas, störte ihn überhaupt nicht. Vorsichtig, ganz vorsichtig hatte er versucht, sich dem gutaussehenden Kollegen zu nähern, mit ihm zu sprechen, ihn ansehen zu können und seine coole, lässige Ausstrahlung auf sich wirken zu lassen. Es kostete ihn jedes Mal von neuem Überwindung, aber das schöne Gefühl, das er stets bekam, wenn er Marc nur ansah, machte alles wett. Wie in einem Zauberland konnte er in seinen braunen Augen lesen und dabei träumen: Wie es sich anfühlen mochte, neben Marc zu liegen, an seinem frisch gewaschenen Haar zu riechen, ihn zu küssen, oder von ihm erobert zu werden und ihn dabei zu fühlen. Jonas musste sich zusammenreißen, denn der Traum hatte ein jähes Ende gefunden. Marc war stets freundlich und zuvorkommend zu ihm. Bald waren sie regelmäßig in der Pause zusammen eine Zigarette rauchen gegangen und hatten ein bisschen hier- und darüber gequatscht. Kein Zweifel, auch Marc schien Jonas sympathisch zu finden, aber eher als Kumpel. Das hatte Jonas spätestens am letzten Samstag gemerkt und sich eingestehen müssen. Sie hatten noch ein Schwätzchen gehalten und auf der Terrasse eine geraucht. Jana, ebenfalls Pflegerin, und seit seiner Tätigkeit hier, seine gute, wenn nicht gar beste Freundin, war schon aufgebrochen. Sie hatte kurz mit ihnen Pause gemacht und danach noch zu tun. Marc hatte ihr schmachtend hinterhergesehen: „Wenn ich sie mir so anschaue, hatte er geflüstert und Jonas dabei verschwörerisch angegrinst, „scharf ist sie ja schon, oder?
Er wollte wohl an sein männliches Urteil appellieren. Aber Jonas hielt nur den Atem an und spürte, wie ihm die Röte ins Gesicht schoss. Mit einem Mal begann sich alles zu drehen. Die ganze Terrasse wanderte um ihn herum, das Licht von drinnen vom Wohnbereich glitt an ihm ab und die Dunkelheit des angebrochenen Abends umfing ihn, dann war da die große Tanne neben der Terrasse und wieder die Hauswand. Jonas geriet ins Schwanken und musste die Augen schließen, ehe er das Gefühl bekam, das Gleichgewicht zu verlieren. Die Enttäuschung über Marcs offensichtlich anderes Interesse an Jana saß. Kaum merklich seufzte Jonas auf. Er musste sich wieder besinnen. Es kam nun mal vor, dass man es auf diese Weise erfahren musste, das das eigene Interesse nicht auf Gegenliebe stieß. Unangenehm war auch, dass er von einem anderen Mann, der nicht von ihm wusste, in ein solches Gespräch von Mann zu Mann hineingezogen werden sollte. Klar, Marc denkt sich nichts dabei, für ihn bin ich halt … Da redet man eben so daher und denkt sich nichts großartig dabei. Aber wenn er wüsste, dass ich …, würde er dann überhaupt noch so frei und ungezwungen auf mich zukommen? Hastig sah Jonas nach oben in die dunkle Nacht und wieder zur Mitte. Da stand Marc. Mein Gott, hoffentlich hatte er nichts gemerkt. Aber er hatte nicht, er war die ganze Zeit über völlig abgelenkt. Und er schien sich offenbar auch nicht darüber zu wundern, dass Jonas nicht in das Gespräch, ob Jana nun scharf war oder nicht, mit eingestiegen war. Schließlich bin ich mit ihr befreundet, es dürfte Marc klar sein, dass ich mich nicht dazu äußere, selbst wenn ich nicht … wäre.
Aber als Jonas nun so dasaß, überfielen ihn wieder die Zweifel. Marc und die gewünschte Zuneigung, die nun ausgeblieben war, hatten eine Lücke hinterlassen. Jonas musste sich daran gewöhnen, von seinem Arbeitskollegen loszulassen. Auf keinen Fall wollte er sich die Chance, die ihm das Praktikum im Pflegeheim vielleicht bot, wieder vermasseln. Und eine weitere Sorge war von jenem Ereignis geblieben: Was passiert, wenn Marc doch etwas gemerkt hat und wenn alle wissen, dass ich schw…? Herrje, dieses bescheuerte Wort, dieses Labeln und Abstempeln. Warum muss es überhaupt ein Wort dafür geben? Hetero ist doch auch kein Wort, dem diese Bedeutung gegeben wird. Und überhaupt dieser ganze Rummel: Schwulsein ist cool und in. Viele Leute haben heute kein Problem mehr damit, sagt man. Heute sollen ja alle viel toleranter und aufgeschlossener geworden sein, aber gilt das auch für mein Umfeld, hier auf dem Land? Und wenn ich an die Falschen gerate, an Leute, die hinter meinem Rücken über mich tratschen, mich vielleicht sogar als „Schwuchtel bezeichnen und Witze über mich machen? Die Realität sieht oft anders aus. Klar, alle sind tolerant, dachte Jonas mit aufkommendem Zynismus. Verdammt, ich will einfach normal sein! Aber er spürte auch, es half nichts: Er musste sich mit diesem Thema auseinandersetzen: Lange wusste Jonas ja selbst nicht, dass er „schwul
war. Er hatte sich einfach immer so wahrgenommen, wie er sich selbst vorkam und damit war er sich genug. Aber irgendwann waren Fragen aufgetaucht, nach Liebe, Sexualität und Zärtlichkeit. Und heute musste er sich eingestehen, eigentlich war da schon immer etwas in ihm gewesen, was man eben landläufig als „schwul bezeichnet, sprich: Ich selbst bin auch damit gemeint! Ich gehöre zu denen! Ein ganz komisches Gefühl ist das, zu dieser Kategorie zu gehören. Aber abseits von der Kategorie war der Drang immer stärker geworden, mehr über sich und dieses „Schwulsein
zu erfahren. Natürlich hatte Jonas das Internet durchstöbert, dort findet man ja alles. Und natürlich konnte er sich eine zeitlang damit ablenken, zunächst einmal alles herauszufinden über das Schwulsein, wo es herkommt, was es ausmacht, wie man lebt und liebt und vieles mehr noch. „Schwul leben, sagte Jonas leise vor sich hin. Wie schräg und aufgedunsen sich das anhört und er spürte, wie sich eine Gänsehaut auf seinen Armen bildete. Was für ein Quatsch, dachte er sich. Entweder ich lebe oder ich lebe nicht. Und dann noch diese Theorie, dass Homosexualität anerzogen ist. Klar, das kann man immer sagen. Aber irgendwie fühlte Jonas, dieses „Anerzogen
, hängt wie ein Damoklesschwert über der ganzen Sache. Man sucht immer seinen Ursprung und man will als Mensch einen reinen Ursprung haben, man will Vertrauen haben. Aber die Kirche, die Kirche sitzt dazwischen. Da liegt das Problem, begriff Jonas. Kirche und Glauben, das ist Vertrauen, genauso wie Liebe, ob ich nun einen Mann liebe oder eine Frau. Aber wie soll ich dann Vertrauen in meine Liebe haben, wenn Gott, oder die Kirche, … also wer auch immer sagt, dass das nicht richtig sei. Wenn ich denen vertraue, vertraue ich mir nicht. Und wenn ich mir vertraue …? Am Ende bin ich dort, wo ich angefangen habe. Ich muss endlich anfangen zu – leben.
Ob Jana es ahnt?, fragte sich Jonas. Immerhin haben sie sich nun schon näher kennengelernt. Egal, sie würde damit kein Problem haben, sie kennt schließlich selbst diesen Schwulen aus Frankfurt, wie heißt der noch gleich … Christian oder