Die Chroniken der Seelenwächter - Band 35: Die Nachfahren Sophias
Von Nicole Böhm
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Über dieses E-Book
Jaydee sieht sich Kontrahenten gegenüber, denen er kaum gewachsen scheint. Weder körperlich noch mental. Er muss seine gesamte Kraft aufbringen, um sich ihnen zu entziehen. Wird sie ausreichen?
Dies ist der 35. Roman aus der Reihe "Die Chroniken der Seelenwächter".
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Rezensionen für Die Chroniken der Seelenwächter - Band 35
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Buchvorschau
Die Chroniken der Seelenwächter - Band 35 - Nicole Böhm
1. Kapitel
Jessamine
Ich konnte kaum richtig atmen, während ich durch die halbdunklen Gänge der Bibliothek wanderte. Mein Herz hämmerte, der Puls rauschte mir in den Ohren. Dieser Ort war erfüllt von purer Magie. Sie vibrierte in den Wänden und dem Boden und legte sich wie ein Film über meine Haut. Ich war zwar keine ausgemachte Büchernärrin, die regelmäßig in Romanen versank, aber ich konnte mich der Faszination dieser Halle nur schwer entziehen; eingehüllt von der Geschichte der Seelenwächter, in einem Tempel, der fast genauso alt war wie sie selbst.
»Unglaublich«, sagte Emma und kam neben mich. Sie war ruhig geworden, seit wir weiter in die Bibliothek vorgedrungen waren. »Mich könnte auf der Stelle der Blitz treffen und ich wäre glücklich gestorben.«
»Sag solche Dinge nicht zu laut«, warf Akil ein. »Manchmal gehen Sachen schneller in Erfüllung, als uns lieb ist.«
»Stimmt«, sagte Emma und bog nach links in einen Gang ab. Kurz darauf quietschte sie vor Freude. »Die Geschichte über die Entdeckung Amerikas! O mein Gott!«
Akil lachte leise und sah in die einzelnen Gänge, die Tausende Bücher in ihren Fächern beherbergten. Er hatte mir erzählt, dass Ilai ihm aufgetragen hatte, er sollte hier in ein Geheimfach schauen, das er einst angelegt hatte. Ich war sehr gespannt darauf, zu sehen, was drin war.
»Ich muss dort entlang«, sagte Akil und deutete einen Gang hinunter.
»Soll ich mit dir kommen?«
»Ich informiere dich, sobald ich was Spannendes gefunden habe. Vielleicht ist in dem Fach auch nur Ilais Lieblingsrezept für Schokokuchen.«
»Glaubst du nicht wirklich, oder?«
»Er mochte Schokokuchen echt gerne, also wer weiß. Wenn du mehr über die Nomaden herausfinden willst: Es ist alles chronologisch sortiert.«
»Also muss ich in die Zeit 215 v. Chr.?« Da hatte Akil Safraz kennengelernt.
»Früher. Safraz und Ilai arbeiteten ja schon eine Weile zusammen, als ich zu ihnen gestoßen bin.«
»Alles klar.« Ich schaute mich nach Emma um, die noch bei Kolumbus festsaß. Vielleicht wäre das jetzt die Gelegenheit, Akil auf Ben anzusprechen. Vorhin hatte er gesagt, dass es Neuigkeiten von ihm gab. »Was ist mit Ben passiert? Du sagtest, du hättest ihn getroffen.«
»Ja, ich …« Er kratzte sich am Hals, was er immer tat, wenn er nicht wusste, wie er Dinge formulieren sollte. »Ich bin ihm begegnet und habe ihn meine Seelenenergie ziehen lassen.«
»O mein Gott.« Ich legte eine Hand über meinen Mund und schauderte. Auch ich war schon Opfer eines Schattendämonenangriffs geworden und wusste genau, wie ekelhaft es sich anfühlte.
»Es ging nicht anders, er hätte sonst einen Menschen …«
»Ich verstehe.«
Akil nickte nur. »Ich habe außerdem jemanden getroffen, der uns helfen kann. Mit Ben. Ihm zeigen, wie er sich ernähren soll, ohne dabei Unschuldige zu töten.«
»Ach ja? Wen denn?«
»Flipp nicht aus, okay?«
Ich zog die Augenbrauen zusammen, und eine Woge aus Unruhe stieg in mir hoch.
»Es ist … Joanne …«
»Wie bitte?!« Meine Stimme hallte laut in den Gängen wider und kehrte als Echo zu mir zurück.
Akil zog nur kurz den Kopf ein und legte die Hände auf meine Schultern, um mich zu beruhigen.
»Das ist hoffentlich nicht dein Ernst!«
»Bedauerlicherweise ja. Sie hat mir einen Deal angeboten, ich habe zugesagt.«
»Akil!« Ich machte mich von ihm los, lief ein paar Schritte zurück und funkelte ihn an. »Diese Frau … Dieser Dämon hat mir alles genommen, was ich geliebt habe! Ariadne! Violet! Sie hat mich in meinem eigenen Haus überfallen, sie hat mich gefoltert und mir den Boden unter den Füßen weggezogen!«
»Ich weiß, Jess. Denke nicht, dass das leicht für mich war.«
»Ich … Ich fasse es nicht!« Ich fuhr herum, stieß ein Brüllen aus, das genauso nachhallte wie mein Ruf von eben.
»Hey«, sagte Akil leise und trat von hinten an mich heran. Ich spürte seine Wärme, noch ehe er eine Hand an mich legte. Sein moosiger Duft hüllte mich ein, beruhigte sofort meine Nerven und vermittelte mir Ruhe, wie nur er es konnte.
Zum ersten Mal wollte ich mich dagegen wehren. Ich wollte ihn wegschieben, ihn beschimpfen, auf ihn einprügeln, weil er Joanne zurück in unser Leben gelassen hatte; als könnte er etwas dafür, dass sie so ein Biest war.
Akil spürte es. Er spürte, was in mir vorging, und er tat genau das Richtige. Er murmelte Worte, die ich nicht mit dem Geist verstand, aber mit dem Herzen. Er beruhigte mich, legte eine Hand auf mein Dekolleté und zog mich an seine feste Brust. »Ich habe fast genauso reagiert«, flüsterte er in meine Haare. »Und ich hätte sie auf der Stelle getötet, aber sie hatte eine verdammt gute Verhandlungsbasis. Sie hat Ben.«
Sie hat Ben.
Diese Worte fegten alles nieder.
Diese verdammte Göre hatte etwas, das wir liebten, und sie nutzte es gnadenlos zu ihrem Vorteil aus.
Weil es das war, was sie konnte. Sie liebte es, Menschen zu manipulieren und so zu biegen, wie sie es brauchte. Sie war nur auf ihren Vorteil aus und hatte nun vom Schicksal genau die Karten in die Hand gelegt bekommen, die sie benötigte, um uns auszuspielen. Schon wieder betrog mich das Leben. Schon wieder bekam ich die volle Breitseite ab.
In ruhigen Worten erklärte Akil mir alles von ihrer Begegnung, angefangen von der Geisel, die Joanne genommen hatte, bis hin zu ihrem Zerfall und dem Hinweis mit dem Flügelmal. Er hielt mich die ganze Zeit fest. Sein starker Arm lag um meine Schultern, seine Brust schmiegte sich an meinen Rücken. Ich war eingehüllt in die Kraft der Natur, eingehüllt in diese Stärke, die kein Orkan der Welt hinwegfegen konnte.
»Sie hat mir Violet genommen«, flüsterte ich zwischendrin.
»Ich weiß.«
»Sie hat mir so viel genommen.« Meine Stimme brach, und ich hasste mich dafür. Ich wollte Joanne nicht noch mehr Macht über mich geben, ich wollte nicht einknicken, indem ich anfing zu weinen. Das hatte sie nicht verdient.
»Ich weiß«, wiederholte Akil nur wieder und wieder, bis ich mich einigermaßen beruhigt hatte. »Es tut mir leid, dass du damit konfrontiert wirst. Ich wünschte, ich könnte sie von dir fernhalten, aber ich glaube wirklich, dass sie uns helfen wird.«
Ich schnaubte nur. Akil verstand es.
»Als Ben mich aussaugte, hat er übrigens weitere Schattendämonen gesehen. Eine Frau namens Meda. Sie redete vom Gefüge der Zeit, genau wie Jonathan. Alles kommt immer wieder dorthin zurück.«
Ich löste mich von ihm und drehte mich herum, sodass ich ihn ansehen konnte. Meine Augen brannten von Tränen, die ich nicht geweint hatte. »Dann wird es echt Zeit, dass wir mehr darüber erfahren.«
»Sehe ich auch so.«
Ein leises Räuspern erklang neben mir. Ich blickte über meine Schulter und sah Emma, die an einem Regal wartete. Keine Ahnung, wie lange sie schon dort stand, aber ihre sonst so funkelnden Augen wirkten traurig und besorgt.
»Alles klar hier?«, fragte sie und runzelte die Stirn.
»Ja.« Ich schüttelte mich, rieb mir noch mal durchs Gesicht und stemmte die Hände in die Hüften. »Lasst uns anfangen, ich muss was tun.«
Akil nickte, sah zwischen mir und Emma hin und her und deutete dann in einen Gang zu unserer Rechten. »Ihr könnt euch in Ruhe umsehen, ich finde euch.«
»Danke«, sagte ich und klang kühler als beabsichtigt. Akil sollte nicht denken, dass ich sauer auf ihn war, denn das war ich nicht. Er hatte getan, was er für richtig erachtet hatte, und ich vertraute ihm. Ich war sauer auf die Umstände. Sauer darauf, dass das verdammte Schicksal uns immer wieder Knüppel zwischen die Beine warf, wenn wir gerade erst aufgestanden waren.
Plötzlich kamen mir Ashriels Worte von damals in den Sinn, als sie mich kennenlernte: »Es ist dir vorherbestimmt, zu leiden, und es ist noch lange nicht vorüber. Geliebte Menschen werden dich verraten, du wirst weiterkämpfen müssen, alles was dich erwartet, wurde nur zu einem einzigen Zweck erschaffen: deine Seele zu zerbrechen.«
Dieser Fluch schien mir wirklich anzuhaften, egal wohin ich ging.
Ich schloss mich Emma an und lief mit ihr tiefer in die Bibliothek hinein.
Wir schwiegen für eine Weile, ehe sie das erste Mal wieder gluckste. Ich sah ihr an, wie sie ihre Freude unterdrücken wollte, vielleicht aus Rücksicht auf mich.
»Lass es ruhig raus«, sagte ich.
Sie klatschte in die Hände und quiekte etwas lauter. Ich musste schmunzeln. Emma war wie ein kleines Kind, das sich über alles freuen konnte. Aus vollem Herzen. Wie unglaublich beneidenswert.
»In die Welt der Seelenwächter zu kommen, war das Beste, was mir je passiert ist«, sagte sie leise.
»Interessanter Standpunkt.«
»Ich weiß. Und schräg, nach allem, was wir mitgemacht haben. Aber ich empfinde es wirklich so. Mein Alltag war vorher so gewöhnlich und langweilig. Ich habe mich zwar mit Freunden verabredet und versucht, Spaß zu haben, aber ich hatte keine Ahnung, was es heißt, wirklich am Leben zu sein. Etwas zu bewegen, anderen zu helfen, zu kämpfen. Auch auf die Gefahr hin, dabei zu sterben. Ich bin nicht leichtsinnig oder so, aber ich würde mich auch nie vor einer Aufgabe drücken. Egal wie gefährlich sie ist. Wir tragen so viel Verantwortung für andere, wir können so viel Gutes bewirken und so viel Schlechtes abwehren. Der Preis dafür ist für uns, diese Bürde zu tragen und mit der ständigen Angst zu leben, aber ich trage sie gerne. Ich zahle diesen Preis gerne, weil ich weiß, dass es sinnvoll ist.«
Emma wirkte in der Tat völlig im Einklang mit sich und erinnerte mich schmerzlich an die Dowanhowee, die mittlerweile im Exil lebten. Vielleicht lag es an der Wandlung, die Emma und die anderen drei durchgemacht hatten. Das Serum, das Ananka ihnen gespritzt hatte, veränderte immerhin ihre DNA, und sie kehrten mehr zu ihren Wurzeln zurück. Aber vielleicht war das alles schon in Emma gewesen und kam nun verstärkt hervor.
Wir gingen schweigend weiter und gelangten endlich an die Regale, die wir vom Datum her suchten. Emma und ich teilten uns auf, sie nahm die rechte Seite, ich die linke. Mir wurde ein wenig schwindelig ob der unzähligen Bücher.
Hoffentlich mussten wir nicht tagelang suchen, ehe wir fündig wurden.
2. Kapitel
William stand am Ufer des Sees und blickte über die fast glatte Oberfläche. Die Sonne warf ihre letzten Strahlen auf die ruhigen Wellen, ein weiterer Tag neigte sich dem Ende zu. Seit Kedos besiegt worden war, kehrte William jeden Abend hierher und betrachtete das natürliche Spektakel. Er liebte den Sonnenunter- oder aufgang. Der Stern verkörperte Williams Element wie nichts anderes. Pures Feuer. Energie so hell und strahlend, dass sie Lichtjahre zurücklegen und bis zur Erde vordringen konnte. Wärme kribbelte in Williams Adern