Die Chroniken der Seelenwächter - Band 33: Ist Liebe genug?
Von Nicole Böhm
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Über dieses E-Book
Dies ist der 33. Roman aus der Reihe "Die Chroniken der Seelenwächter".
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Rezensionen für Die Chroniken der Seelenwächter - Band 33
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Buchvorschau
Die Chroniken der Seelenwächter - Band 33 - Nicole Böhm
1. Kapitel
William trat aus dem Zelt und streckte seine müden Glieder. Die Sonne war noch nicht aufgegangen, aber der Himmel färbte sich bereits hellblau. Die Luft roch klar und rein, die Vögel zwitscherten, eine Brise wehte sanft durch die Bäume und ließ das Geäst rascheln. Das Wasser des Sees wirkte ruhig, nur kleinere Wellen schwappten ans Ufer.
So friedvoll. So still.
Als wäre es nie anders gewesen. Als hätten er, Anna und die Dowanhowee gestern Nacht nicht einen der gefährlichsten Dämonen eingesperrt und unschädlich gemacht.
Nachdem Kedos gebannt worden war, hatte lange Zeit niemand sprechen oder sich bewegen können. Nach und nach nur war der Hass von den Dowanhowee abgefallen. Männer und Frauen waren zusammengesackt. Vor Erschöpfung, vor Trauer, vor Freude. Viele hatten geweint, mussten sich trösten lassen, um überhaupt zu begreifen, dass es vorüber war. Sie hatten so viel Leid über die Menschen gebracht, so viel gemordet. So viel Blut klebte an ihren Händen und auf ihrer Seele. Die Mitglieder jener Familien, die Kedos als Erste hörig geworden waren, hatten am längsten gebraucht. Noch immer vernahm William aus den Zelten Schluchzer. Es würde wohl dauern, bis alle sich regeneriert hatten.
Er sah sich im Lager um, das sie heute Nacht provisorisch errichtet hatten. Viele hatten im Freien geschlafen oder im Schutz der Bäume, manche waren schon auf den Beinen, sattelten Pferde, verteilten Essen. Das Volk fand sich neu zusammen. Sie mussten erst lernen, miteinander zu leben, statt gegeneinander zu kämpfen.
»Es wird Zeit brauchen«, sagte Oyisha und kam auf William zu. Er stemmte sich auf eine Holzkrücke, um sein verletztes Bein zu schonen; erstaunlich, wie schnell diese Verletzung heilte.
»Die habt ihr«, antwortete William. Vor den Dowanhowee lagen die nächsten Jahrtausende voller Frieden und im Einklang mit der Natur. Und irgendwann würden sie auf die wenigen Personen dezimiert werden, die William in der Gegenwart kannte.
Die dann sogar ins Exil gingen, weil sie das Geheimnis um die Seelenwächter gelüftet hatten.
William seufzte lang und tief und wünschte, er könnte mehr tun oder sagen, um den Dowanhowee zu helfen. Vielleicht könnte er verhindern, dass das Volk sich in alle Himmelsrichtungen verstreute.
Oyisha kam näher und legte eine Hand auf Williams Schulter. »Alles kommt, wie es kommen muss, das solltest du gelernt haben in der Zeit bei uns.«
»Ich habe noch viel mehr als das gelernt.« Er sah dem alten Mann fest in die Augen und spürte Wärme in sich aufsteigen. William war dankbar für diese Erfahrung und froh darüber, dass er den Weg gegangen war. Es war unabdingbar gewesen, genauso wie Ilai es sich vorgestellt hatte. Williams Aufgabe hier war so viel größer geworden als er selbst. Er war über sich hinausgewachsen, genau wie sein Element, das weiterhin sanft in seinen Adern pochte. Die Magie des Feuers brodelte in ihm. Neben Anna im Arm zu halten war das eine der schönsten Empfindungen seines Lebens.
Auf einmal brannte das Mal an seiner Brust stärker. William hielt die Luft an. Bilder flackerten unklar in ihm hoch, gepaart mit dem Gefühl von Vertrautheit und Heimat. Er sah plötzlich Kedos vor sich, wie er in einer großen Halle kämpfte und zurückgedrängt wurde. Jemand erhob den Stab, so wie sie es selbst in der Nacht zuvor getan hatten, um den Dämon zu fangen. Die Worte, die ihn einsperrten, wurden gesprochen, die Energie wurde entfesselt. William sah es ganz deutlich vor sich. Es war fast das gleiche Ereignis, wie es gestern bei ihnen stattgefunden hatte, aber nicht in ihrer Zeit.
Er sah wieder in die Zukunft.
»Will?«, fragte Anna und kam ebenfalls aus dem Zelt.
William blickte zum See und lief einfach los. Anna und Oyisha folgten ihm dichtauf. Die Wasseroberfläche kräuselte sich, genau an der Stelle, an der sie gestern Kedos‘ Körper dem Element übergeben hatten.
Wellen schlugen gegen das Ufer, der See geriet in Unruhe. Kalako und Tiriak hielten ihre Bögen bereit und spannten Pfeile ein; nur für den Fall, dass Kedos gleich aus den Fluten sprang und sie erneut angriff.
»Komm schon«, flüsterte William. Er wusste nicht, was er tun sollte, falls der Dämon zurückkehrte. Vielleicht hätten sie diesem Ritual nicht einfach so vertrauen sollen. »Ich hätte es besser wissen müssen«, sagte er.
»Was meinst du?«, fragte Anna.
»Magie. Eine der wichtigsten Regeln lautet, dass man keine Rituale durchführen soll, von denen man nicht alles weiß. Wir haben uns blind darauf verlassen, dass diese Zeichnungen uns helfen würden, aber wir hatten keine Beweise dafür.« Nur weil ein paar Schattendämonen sie verschont hatten, weil Meda ihnen gesagt hatte, sie sollten dorthin gehen, hieß das doch nicht, dass sie auf ihrer Seite gestanden hatten, oder? »Was, wenn wir Kedos stärker gemacht haben? Die Schattendämonen sind immerhin seine Geschöpfe gewesen.«
»Hast du denn das Gefühl?«
Er fasste sich wieder an die Brust und schüttelte den Kopf.
»Wir haben unsere Elemente dadurch zurückbekommen und die Armbänder, warum also sollte dieses Ritual schädlich gewesen sein?«, fragte Anna.
»Ich weiß nicht, vielleicht bin ich nur paranoid und … Achtung!« Eine gewaltige Explosion entlud sich aus der Mitte des Sees. Eine Fontäne spritzte auf, gefolgt von einem grellen Licht und einem entsetzlichen Brüllen, das alles erschütterte. William warf sich mit Anna zu Boden, es war reiner Reflex, sich schützend über sie zu rollen. Das Wasser traf sie alle. Es schoss mit derartiger Gewalt auf sie nieder, dass es auch Kalako und Tiriak von den Füßen riss. Oyisha konnte sich weiter hoch auf die Böschung retten, ehe er getroffen wurde.
»Geht es allen gut?«, rief er.
William wurde von dem nassen Element bedeckt und biss die Zähne zusammen. Er hatte Wasser noch nie gemocht und würde es wohl auch nie.
Ihn fröstelte, als er sich langsam aufrichtete. Der See zog sich zurück, schwappte noch ein paar Mal gegen das Ufer, doch er beruhigte sich zusehends. Kalako und Tiriak richteten sich auf. Sie waren alle patschnass geworden.
»Was ist das?«, fragte Tiriak und deutete auf die Stelle, an der die Fontäne eben hochgeschossen war.
»Da schwimmt jemand!«, rief Kalako und warf den Bogen weg. »Eine Frau!«
»Was?«, rief William. Die beiden Männer sprangen schon in den See und schwammen zu ihr. William wollte ihnen nach, doch Anna hielt ihn zurück, weil sie genau wusste, dass er nicht gut im Wasser war.
»Sie haben es im Griff«, sagte sie.
Kalako und Tiriak kamen rasch an die Stelle; die Frau war wieder untergegangen, Tiriak tauchte nach ihr. William hielt weiter Ausschau. Das Brüllen, das eben aus dem See gekommen war, schien noch in den Bäumen nachzuhängen, sonst passierte nichts mehr.
Auf einmal schoss Tiriak wieder nach oben und hielt sie in den Armen. Kalako half ihm, sie ans Ufer zu bringen. William und Anna traten näher, erst jetzt erkannte er Details. Sie trug Kleidung, die nicht in diese Zeit passte: Stiefel, Jeans, ein Shirt.
William zog das Kreuz, das er am Hals trug, hervor und küsste es. »Beim heiligen Vater«, sagte er leise, auch Anna kam neben ihn und starrte die Frau an, die Tiriak auf seine Arme hob und aus dem See trug.
»Das ist Payden!«, rief Anna.
Tiriak brachte sie mit Leichtigkeit an Land und bettete sie vorsichtig an der Böschung ins Gras.
»Ihr kennt sie?«, fragte er.
»Ja. Sie kommt aus unserer … Heimat«, sagte William und beugte sich über sie. Payden atmete keuchend und schwer, ihre Haut war verbrannt, sie roch nach Feuer, als hätte sie eben in einem Flammenmeer gebadet. »Sie braucht Wasser und Medizin.« Er strich ihr die Haare aus der Stirn, ihre Kleidung war an vielen Stellen zerrissen, die Wunden waren zum Teil tief, sie bluteten noch. Payden hatte zahlreiche blaue und violette Flecken. Als William sie an der Seite streifte, atmete sie zischend ein und stöhnte vor Schmerz.
»Als wäre sie mit etwas zusammengestoßen«, sagte Anna.
»Etwas Gewaltigem.«
»Ich trage sie ins Lager«, sagte Tiriak.
William konnte das natürlich auch, aber Tiriak beugte sich schon über sie und hob sie hoch. Kalako eilte voraus, rief ein paar Leute zusammen, damit sie Wasser und Medizin brachten. Payden stöhnte leise, ihre Lider flatterten, doch bevor sie etwas sagen konnte, klappten sie schon wieder zu.
Oyisha trat zwischen Anna und William und sah den dreien hinterher. »Sie ist eine von uns.«
»Wie meinst du das?«, fragte William.
»Sie gehört zu unserer Familie.«
»Zu den Niakajahey?«
Oyisha nickte, legte eine Hand auf sein Herz, atmete einmal tief ein und aus und folgte dann den anderen ins Lager. William drehte sich zu Anna und sah sie fragend an.
»Was soll das? Warum ist Payden hier?«
»Keine Ahnung, aber möglicherweise hat es wirklich was mit Kedos in unserer Zeit zu tun. Vielleicht konnten sie ihn fangen.«
»Was nicht erklärt, warum Payden in der Vergangenheit auftaucht.«
»Es sei denn, Kedos war in der Gegenwart nur so zu bannen, indem er zurückgeschickt wurde. Payden könnte in die Schusslinie geraten sein.«
»Du meinst, es ging gar nicht darum, ihn in der Gegenwart einzusperren, sondern ihn wieder in die Vergangenheit zu schicken?«
Sie zuckte mit den Schultern, mehr als spekulieren konnten sie nicht. Sie liefen ebenfalls zurück zum Lager. Hoffentlich konnte Payden ein paar Antworten bieten. »Was meinte Oyisha eben, dass Payden zu ihrer Familie gehört?«, fragte Anna.
»Sie stammt von Damia ab. Das hatte sie mir erzählt. Payden hatte ein Buch daheim, in dem alle Stammbäume aufgelistet waren. Als der Eid gebrochen wurde, der das Geheimnis um die Seelenwächter lüftete, erschien Damias Name in dem Buch und Payden konnte ihre Familie zurückführen.«
»Sie sieht anders aus, ist dir das aufgefallen?«
»Ja, mehr wie eine Dowanhowee.«
»Das muss an diesem Serum liegen, das Ananka ihnen allen gegeben hat, um das Ritual überhaupt ausführen zu können, das Kedos erweckte.«
William blickte zum Lager, eine kleine Traube hatte sich um Payden gebildet. Niaka und Kalako kümmerten sich rührend um sie, versorgten bereits ihre Wunden, eine ältere Frau setzte das Gebräu zur Heilung auf und sang ein leises Lied dabei. Die Dowanhowee halfen, ohne nachzufragen. Sie gaben ihre ureigene Magie an andere weiter. Uneigennützig und offen. William war froh, dass das Volk zurück zu seinem Ursprung gefunden hatte.
Sie stellten einen Schutz gegen die Witterung um Payden auf, damit sie nicht in der Sonne lag, die aufgegangen war. William und Anna wollten sie nicht stören, aber er konnte kaum abwarten, mit ihr zu sprechen.
Ein Stück Heimat.
Sie war dort gewesen, sie konnte ihnen von Akil und den anderen erzählen! Sie würden endlich erfahren, was daheim passiert war.
Sein Blick glitt über den See, der nun wieder völlig ruhig die Sonne spiegelte.