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Fated Shadow II: Pentref Mawre
Fated Shadow II: Pentref Mawre
Fated Shadow II: Pentref Mawre
eBook409 Seiten4 Stunden

Fated Shadow II: Pentref Mawre

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Über dieses E-Book

Schlummert in Aveline noch ein Fünkchen der Dimensionswandlerin Nagual?
Das zumindest vermuten Samael, der Höllendämon, und Azrael, der gefallene Engel.
Um Gewissheit zu erlangen, macht sich das ungleiche Trio auf den Weg nach Pentref Mawre, eine andere und magische Dimension.

Doch dort erwartet sie eine Überraschung: Das Reich hat einen neuen Herrscher.

Und der hat seine ganz eigenen Pläne mit ihnen ...

SpracheDeutsch
HerausgeberBookRix
Erscheinungsdatum24. Jan. 2019
ISBN9783743845459
Fated Shadow II: Pentref Mawre

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    Buchvorschau

    Fated Shadow II - Kim Rylee

    Lektionen

     »Knie dich hin.« Der unterschwellige Befehlston stand im Widerspruch zu seiner sanften Stimme. Mit wenigen Schritten war er beim Fenster und verdunkelte den Raum, indem er die schweren fliederfarbenen Vorhänge zuzog.

    Ohne Widerworte sank Aveline auf die Knie. Die innere Anspannung wollte sie auffressen, als sie aufsah und den hochgewachsenen Mann vor sich beobachtete. Eine kleine Lampe mit mattem Schein war die einzige Lichtquelle. Während sich ihre Augen an die dunklen Lichtverhältnisse gewöhnten, versteifte sich ihr Körper spürbar.

    Die Temperatur im Zimmer schien kontinuierlich anzusteigen. Die dicken Vorhänge konnten die Hitze von draußen nicht gänzlich verbannen. Er zog sein schwarzes T-Shirt aus, warf es lässig auf den opulenten Sessel neben sich, bevor er sich umdrehte und sie anschaute.

    Zum ersten Mal konnte Aveline seinen Oberkörper genauer betrachten und spürte plötzlich Hitze in sich aufsteigen. Ihre kleinen Flügel entfalteten sich. So sehr sie auch versuchte, es zu unterbinden, es gelang ihr nicht. Sie streckte ihre Brust heraus. Als wollten sie ihr Luft zufächeln, bewegten sich die Schwingen mit leichten Schlägen. Mit gebanntem Blick starrte sie ihn an und musste unweigerlich schlucken. Ein leichter Schweißfilm legte sich über ihre Stirn.

    Jeder Muskel seines durchtrainierten Oberkörpers, der von wohlgeformten Armen eingerahmt wurde, zeichnete sich ab. Die Proportionen stimmten bis ins kleinste Detail.

    Während er sie umrundete, schaute er sie aus seinen blauen Augen durchdringend an, wie ein Tiger, der seine Beute ins Visier nahm.

    Mit wachsamem Blick verfolgte Aveline jede seiner Bewegung. Schließlich war er aus ihrem Sichtfeld verschwunden, als er hinter ihr zum Stehen kam. Ihre kleinen Flügel streckten sich zu den Seiten, dehnten sich aus, bis die Kralle an jedem Ende in bedrohlicher Stellung verharrte. Aveline schloss die Augen und legte den Kopf in den Nacken. In dieser Position wartete sie darauf, was passieren würde.

    Azrael so nah hinter ihrem Rücken zu wissen, verursachte ihr ein seltsames Gefühl in der Magengegend. Bilder, die sie eigentlich vergessen wollte, tauchten vor ihrem geistigen Auge auf. Eine Gänsehaut schoss ihre Wirbelsäule hinunter.

    In diesem Moment ergriffen seine Hände ihre Flügel, hielten sie kraftvoll fest und drückten sie nach unten.

    Aveline erstarrte und keuchte. Ihr Puls begann zu rasen. Die Flügel wehrten sich heftig und wollten der Umklammerung entfliehen. Immer wieder wurde ihr Oberkörper kräftig vor und zurück gerissen. Verzweifelt versuchte sie, die Schwingen zur Ruhe zu zwingen, sie zu bändigen. Sie wollte aufstehen, doch Azrael hielt ihre Flügel fest im Griff, und damit auch sie.

    »Atme, Aveline! Ganz ruhig«, hauchte er ihr von hinten ins Ohr.

    »Konzentriere dich auf die Schwingen.«

    So sehr sie es auch versuchte, es wollte ihr nicht gelingen. Verbissen presste sie die Lippen zusammen.

    »Es geht nicht«, keuchte sie hilflos.

    »Gib jetzt nicht auf, Aveline«, ermahnte er sie. Seine Stimme wurde forscher, drängender.

    Noch immer spürte sie die kräftigen Hände, die verhinderten, dass sie von dem wilden Geflatter ihrer Schwingen durch das Zimmer gezerrt wurde. Schließlich riss sie sich zusammen, schloss die Augen und schaffte es tatsächlich, etwas ruhiger zu werden. Das Schlagen der Flügel ließ allmählich nach, als ein Seufzer der Erleichterung aus ihr herausbrach. Ein Schweißtropfen rann ihre Wange hinunter, während sie sich dazu zwang, weiterhin ruhig zu bleiben. Krampfhaft konzentrierte sie sich auf ihre Atmung. Presste die Lippen zu einem schmalen Streifen zusammen. Versuchte, ihren wild pochenden Herzschlag zu bändigen.

    Langsam und ganz sachte strich er mit dem Finger an der äußeren Kante ihres ledrigen Flügels entlang, der sofort erstarrte, bis er schließlich bei der Kralle angelangt war. Das Gefühl, das sich in ihr entwickelte, war unbeschreiblich. Fast erotisch. Diese körperliche Reaktion verwirrte sie. Avelines Wangen erröteten, zugleich stellten sich ihre Nackenhärchen auf. Erneut beschleunigte sich ihr Atem und die Schwingen begannen wieder um sich zu schlagen.

    Ohne Vorwarnung bohrte sich eine der Krallen in ihren Oberarm wie der Stachel eines Skorpions, verhakte sich in ihrem Fleisch und riss mit einem Ruck ein Loch in die Haut.

    Sie schrie schmerzerfüllt auf. Blut rann an ihrem linken Arm hinab. Reflexartig schnellte ihre Hand zur Wunde und bedeckte sie. Gerade noch konnte sie verhindern, das Gleichgewicht zu verlieren.

    Noch immer wollten sich die Flügel nicht beruhigen.

    Sie versuchte erneut, sich zu konzentrieren. Tatsächlich hatte sie das Gefühl, dass die Flügel langsamer in ihren Bewegungen wurden, bis sie ausgebreitet verharrten.

    »Setz dich auf die Fersen, Engelchen, dann hast du mehr Halt, und atme tief ein und aus.« Behutsam strich er kurz mit der Hand über ihr glattes Haar. Aveline folgte seiner Anweisung, während er ein weiteres Mal zu einer Runde um sie herum ansetzte.

    »Das machst du sehr gut.«

    Er stellte sich vor sie, mit dem Gesicht zum Fenster.

    Verwundert blickte Aveline auf die Tätowierung auf seinem Rücken. Zum ersten Mal nahm sie das Körperbild in seiner Gesamtheit wahr. Noch nie hatte sie Azrael mit freiem Oberkörper gesehen. Sie fragte sich, ob er sich für seine Tätowierung schämte.

    Vielleicht eine Jugendsünde? Innerlich schüttelte sie den Kopf, da sie noch nicht einmal wusste, wie alt Azrael tatsächlich war.

    »Wieso hast du dir Flügel auf den Rücken tätowieren lassen?«

    Als er den Kopf zur Seite drehte, legte sich der Anflug eines Lächelns in seinen Mundwinkel.

    Sie genoss den Anblick dieses wunderschönen Profils, seine weichen und doch markanten Gesichtszüge, die sie vor Entzücken dahinschmelzen ließen. Seine Anmut raubte ihr fast den Atem.

    Richtig sexy! Besonders bei diesen verruchten Lichtverhältnissen. Ist das etwa ein verlegenes Lächeln, das ich gerade in seinem Ausdruck zu sehen glaube?

    Sein Rücken spannte sich und er stemmte die Hände in die Hüften. Die Muskeln begannen miteinander zu tanzen und ließen die Flügeltätowierung lebendig wirken.

    Aveline traute ihren Augen nicht. Erstaunt öffnete sie den Mund. Ihre Sinne wollten ihr wohl gerade einen Streich spielen. Die Tätowierung verwandelte sich in richtige Flügel. Und was für Flügel! Riesige, aber wunderschöne schwarz glänzende Federn umgaben Azrael wie eine Aura, als er sich ihr zuwandte. Er schien ihre Verblüffung zu genießen. Als er einen plötzlichen Flügelschlag machte, wehte ihr langes schwarzes Haar dabei über die Schultern auf ihren Rücken. Aveline konnte nicht anders, als zu staunen.

    Ihre Flügel wollten sich ebenfalls beweisen und setzten das heftige Flattern fort.

    Avelines Miene verzerrte sich.

    »Verdammt! Nicht schon wieder«, stöhnte sie und zog sich weitere schmerzhafte Schnittwunden zu. Sie warf sich auf den Boden, um der Attacke zu entfliehen. Doch die Flügel drangsalierten sie immer wieder.

    »Aua! Verdammte Dinger! Lasst mich endlich in Ruhe«, rief sie voller Entsetzen und schlug nach ihnen, als würde eine angriffslustige Wespe ihren Körper umkreisen.

    Azrael hatte Erbarmen, fing die Schwingen ein und umklammerte sie, sodass sie Aveline nicht weiter verletzen konnten.

    »Atme, Aveline! Ganz ruhig. Du musst sie kontrollieren, nicht sie dich«, erklärte er in einem forschen Ton, doch sie hatte keine Ahnung, wie sie das anstellen sollte. Die Schwingen machten einfach, was sie wollten. Er lockerte seinen Griff.

    »Au!« Erneut schaffte es eine Kralle, sich in ihren Arm zu bohren.

    »Ich kann es nicht!« Sie war der Verzweiflung nah. Mit einem heftigen Ruck riss sie sich aus Azraels Umarmung und Schmerz durchbohrte ihre Schultern. Kurz hatte sie Angst, dass einer der Flügel gebrochen sein könnte, doch die Schwingen setzten ihr heftiges Flattern unerbittlich fort.

    Sie wollte diese eigenwilligen Dinger, die ihr nur das Leben schwer machten, nicht haben. Andauernd zerrissen ihre T-Shirts. Schützend legte sie die Hände über den Kopf, damit die Krallen sich nicht auch noch an ihrem Gehirn zu schaffen machen konnten.

    »Das schaffst du schon. Du darfst nicht verzweifeln; die Flügel spüren das. Auch sie müssen sich erst an dich gewöhnen. Gib ihnen die Möglichkeit.« Zärtlich zog er sie zu sich. Azrael hielt Avelines ungewollte neue Errungenschaft fest, um die Quälgeister daran zu hindern, sie weiterhin zu terrorisieren. Mit dem freien Arm umarmte er sie.

    Sie drückte ihre Stirn gegen seine starke Brust.

    »Dann sollen diese hässlichen Dinger mir eine Chance geben und damit aufhören, mich umzubringen«, schluchzte sie.

    »So einfach geht das nicht. Du bist diejenige, die sie kontrollieren soll und muss.« Er zog seine mächtigen Schwingen ein.

    »Daher wird es deine Aufgabe sein, sie davon zu überzeugen, dass sie dir vertrauen können.« Er runzelte die Stirn, während sein Blick für ein paar Sekunden länger auf ihren Flügeln verweilte.

    »Glaub mir, wenn ich dir sage, dass du nicht willst, dass sie dich beherrschen.«

    Eine Minute lang schauten sie sich an.

    Aveline kaute auf ihrer Unterlippe herum. In ihren Augen sammelten sich Tränen. Unsicher senkte sie den Blick.

    »Ich lasse jetzt los. Okay?«

    Alte Feinde - neue Freunde?

    Wie ein wildes Tier, eingesperrt in einem zu kleinen Käfig, lief sie in dem riesigen Wohnzimmer der Hotelsuite auf und ab. Sie trug ein schwarzes Spaghetti-Top, eines der wenigen Kleidungsstücke, das die Schwingen noch nicht zerfetzt hatten. Gerade legten ihre Flügel eine Pause ein und schlangen sich wie eine Korsage um ihren Oberkörper. Dabei kreuzten sich die beiden Krallen und bildeten eine Art Verschluss vor ihrer Brust. Samaels durchdringender Blick verfolgte sie bei ihrer Wanderung.

    »Seit über drei Wochen haltet ihr mich hier schon fest. Ich muss mal wieder raus. Ich brauche frische Luft und …« Aveline überlegte kurz, doch ihr fiel nur etwas typisch Weibliches ein, »... neue Klamotten und Schuhe!«

    »Schuhe!« Dem Dämon sackten die Mundwinkel nach unten.

    »Echt jetzt, Aveline?«, schnaubte Samael.

    »Außer diesen Knobelbechern, die das Ende deiner Beine einleiten, lässt du doch kein anderes Paar Latschen überhaupt in die Nähe deiner Füße.« Genervt rollte er mit den Augen.

    »Wie nennst du meine Doc Martens? Knobelbecher?« Demonstrativ stampfte sie auf den Dämon zu. Er wollte gerade etwas erwidern, als Azrael durch die Tür geschlendert kam. Der Erzengel wirkte heiter, fast schon ausgelassen, was bei ihm eher eine Seltenheit war. Er hatte zwei große Einkaufstüten bei sich und reichte sie Aveline.

    »Hier, für dich. Ich hoffe, es sagt dir zu.«

    Aufgeregt nahm sie die Tüten entgegen und wühlte darin herum. Zwei schwarze Hosen, vier Oberteile sowie ein paar Dessous.

    Woher kennt er denn meine Größe? Verwundert hob sie die Augenbrauen, zog einen schwarzen Spitzen-BH heraus und sah ihn an.

    »Ist es die richtige Größe?« Unsicherheit spiegelte sich in seinen Augen.

    »Kannst du Gedanken lesen?«

    Ihre Überraschung verursachte ein Zucken in seinem Mundwinkel.

    »Wir brechen bald auf, und da, wo wir hingehen werden, gibt es keine Geschäfte oder Boutiquen, wie du sie kennst. Also dachte ich, du wirst etwas brauchen«, wechselte er das Thema.

    »Azrael, der Frauenversteher«, neckte Samael ihn, während er sich eine Zigarette drehte. Falls Erzengel überhaupt erröten konnten, dann hatte Azrael sich gut unter Kontrolle. Auch seine Miene veränderte sich nicht. Zu lange kannte er bereits den Dämon, um sich darüber aufzuregen, wenn der ihn aufzog.

    »Wir gehen fort? Wohin?« Aveline schnappte sich die Tüten. Die Aufregung hatte nun vollends von ihr Besitz ergriffen. Endlich kam sie aus dem Hotelzimmer heraus.

    »Wir fahren nach Stonehenge«, erklärte Samael ruhig und blies Ringe aus Rauch in die Luft.

    Die Geschenke fielen mit einem dumpfen Geräusch zu Boden.

    Aveline runzelte die Stirn.

    »Stonehenge? Dort gibt es doch nur ein paar alte Steine. Was wollen wir da?« Ihre Laune erreichte gerade den Keller des Hotels und wollte sich darin verstecken.

    Außer der kleinen Ortschaft Amesbury und diesem Steinkreis gab es dort nichts.

    Samael bemerkte ihren Unmut.

    »Dort gibt es bei Weitem mehr, als du denkst, Aveline.«

    An dieses diabolische Grinsen hatte sie sich auch in den letzten Wochen nicht gewöhnen können.

    Samael war ein Dämon, direkt der Unterwelt entstiegen. Aveline wusste um seine Kräfte, seine Schwarze Kunst, denn die hätte sie fast am eigenen Leib zu spüren bekommen.

    Sie hatte den Weißen Schatten namens Nagual in sich getragen. An ihrem zwanzigsten Geburtstag wollte Nagual von ihrem Körper Besitz ergreifen, um mit ihrer Schwester Zalmona die Erde zu beherrschen.

    Samael und der Dunkle Engel Azrael machten gemeinsame Sache. Sie hatten das Schlimmste verhindern können, ohne Aveline töten zu müssen.

    Nagual war in Avelines Träumen erschienen – die einzige Art, in der sie mit ihrem Wirtskörper kommunizieren konnte. Dabei hatte sie ihr gezeigt, zu welchen üblen Taten Azrael und der Dämon fähig waren. Hautnah musste Aveline erleben, wie Azrael und Samael den Weißen Schatten, mit viel Geschick, in die Unterwelt beförderten. Aveline wusste, Samaels Fähigkeiten waren hier, auf der Erde, nicht so stark ausgeprägt, doch sie reichten immer noch aus, um reichlich Chaos und Zerstörung herbeizurufen.

    Sie überlegte, ob der Spruch, dass Menschen sich ändern konnten, auch für Dämonen galt. Bis vor kurzem hatte sie noch nicht einmal gewusst, dass Dämonen und Engel wirklich existierten. Und nun war sie selbst ein Engel geworden. Allerdings mit verstümmelten und, ihrer Ansicht nach, hässlichen Flügeln ohne Federn, die sich so gar nicht zum Fliegen eignen wollten.

    In den letzten Wochen hatte Azrael versucht ihr beizubringen, wie man sie unter Kontrolle brachte. Mit mäßigem Erfolg. Entweder war er kein guter Lehrmeister oder sie eine dumme Schülerin, die einfach nichts gebacken bekam. Noch immer hatten die Flügel ein Eigenleben, klappten einfach so aus und zerrissen dabei jedes Mal ihre T-Shirts. Ähnlich wie bei einer Fledermaus befand sich an der Seite der beiden ledrigen Schwingen jeweils eine fiese Kralle von fünf Zentimetern Länge.

    Aveline hatte die These aufgestellt, dass Batman auch keine Comicfigur war und es ihn wirklich gab. Doch bisher fehlten ihr die Beweise, die ihre Theorie untermauerten.

    »Hast du schon deine Sachen gepackt?«, riss Azrael sie aus ihren Gedanken.

    »Äh ... wie?«

    »Bis zwölf Uhr müssen wir aus der Suite raus sein«, gnatzte Samael.

    »Oh. Nein, noch nicht.« Eilig sammelte sie ihre wenigen Habseligkeiten zusammen, hielt plötzlich inne und blickte Samael überrascht an.

    »Worin soll ich die Klamotten denn transportieren? Etwa in den Papiertüten? Oder hat jemand von euch auch an einen Koffer für mich gedacht? Schließlich besitze ich nichts mehr, außer dem, was sich hier im Hotelzimmer befindet.«

    Wie aufs Stichwort kam Azrael aus dem Schlafzimmer und schob einen riesigen Schrankkoffer vor sich her, in dem bequem ein Mensch Platz gehabt hätte. Um das Ungetüm leichter bewegen zu können, hatte er ihm ein paar Rollen verpasst.

    Avelines Augen wurden riesig, als sie das alte Ding erblickte.

    »Wow! Wo hast du dieses zarte Teil denn aufgegabelt?« Vorsichtig umrundete sie das Museumsstück, bei dessen Anblick jeder Magier vor Entzücken in die Hände geklatscht hätte. Für eine Zaubershow war der Koffer das ideale Requisit. Ihre Hand befühlte das harte und bereits rissig gewordene Leder, die stumpfen Riemen und die abgenutzten Schlösser. Der Koffer reichte ihr bis zum Hals.

    Azrael zog eine Augenbraue hoch.

    »Das ist unser Reisekoffer. Ich denke, da wird auch noch Platz für deine Klamotten sein«, erwiderte er trocken. Dann öffnete er die eine Seite der Tür, schließlich die andere.

    Aveline war so baff, dass sie kein Wort mehr herausbrachte. Sofort begann sie, ihre Sachen darin zu verstauen. Dazu benötigte sie gerade mal fünf Minuten, denn so viele Kleidungsstücke besaß sie schließlich nicht.

    Samael gab den Zimmerschlüssel ab und sie gingen zum Van.

    Abrupt blieb Aveline stehen, als Azrael die Tür zur Seite schob. Ihr Herzschlag beschleunigte sich und die Flügel begannen sich auseinanderzufalten.

    Azrael schien ihre Gedanken zu lesen.

    »Keine Panik. Diesmal gibt es keine Ketten für dich.« Mit einer knappen Kinnbewegung deutete er ihr an einzusteigen. Es war die Art von Geste, die ihr noch immer die Säure im Magen aufsteigen ließ, als die Erinnerungen der letzten Fahrt im Van in ihr wieder lebendig wurden.

    Aveline bewegte sich noch immer nicht.

    Der Engel stellte sich hinter sie, damit niemand ihre Flügel sah, und wies mit dem Finger auf den Innenraum.

    Nachdem Aveline noch immer keine Regung zeigte, faltete er ihre Flügel zusammen, legte die Hand in ihren Rücken und schob sie in Richtung des Vans. Sie leistete keinen Widerstand.

    Zögernd stieg sie in den hinteren Teil des Lieferwagens ein und setzte sich auf die schmale Bank. Sie fröstelte und streifte sich ein T-Shirt über das Spaghetti-Top. Aufmerksam durchforstete ihr Blick den Innenraum. Die eiserne Kette hatte jemand entfernt. Nur der Befestigungsring am Boden war noch vorhanden. Der Schrankkoffer sowie eine große Tasche mit Getränken und einigen Sandwiches hatte der Erzengel bereits zuvor in der hinteren Ecke verstaut. Er kroch ebenfalls in den Van.

    Diesmal setzte er sich zu ihr, während Samael sich hinter das Steuer klemmte.

    »Was machen wir, wenn wir in Stonehenge angekommen sind?« Noch immer konnte sie sich nicht erklären, was sie dort sollten.

    »Wir kennen dort jemanden, der uns helfen wird herauszufinden, ob noch etwas von Naguals Lebensenergie in dir fließt. Wenn dem so sein sollte, müssen wir alles daransetzen, dass du diesen Parasiten endlich loswirst. Sonst besteht die Gefahr, dass der Zirkus wieder von vorn beginnt. Und vertrau mir, Engelchen, wenn ich dir sage, dass du auf diese Erfahrung verzichten kannst.«

    Ihr Kiefer klappte nach unten.

    »Ihr glaubt, es steckt immer noch etwas von dieser Bestie in mir?« Ein mulmiges Gefühl beschlich Aveline. Die letzten Ereignisse hatten sich in ihr Gedächtnis eingebrannt. Der Plan, den die Dimensionswandlerin mit ihr verfolgt hatte, hätte zur Folge gehabt, dass nur noch Avelines Körper existierte, ihr Geist jedoch unterdrückt würde. Dieses Wesen hatte vorgehabt, sie umzubringen. Ihr die Lebensenergie zu rauben, um selbst zurück ins Leben zu treten. Aveline erschauderte bei dem Gedanken. Es behagte ihr ganz und gar nicht, noch etwas von diesem schrecklichen Parasiten in sich zu tragen. Und sei es auch nur ein kleiner Rückstand.

    Azrael zuckte mit den Achseln.

    »Das wird sich zeigen.«

    »Wieso denkt ihr, dass es so sein könnte?«, hakte sie vorsichtig nach.

    »Du besitzt Flügel«, schleuderte Samaels ihr barsch entgegen.

    Aveline blickte erschrocken auf und sah im Rückspiegel, wie sich Samaels schmale Augen noch weiter verengten. Innerlich zuckte sie zusammen. Dieser Blick verhieß nichts Gutes. Angst kroch an ihren Beinen empor, umklammerte ihr Herz mit ihren Klauen und drückte kurz zu.

    Samael blieb diese Regung nicht verborgen.

    »Wir wollen dir helfen, Aveline. Wirklich.« Seine Stimme wurde etwas weicher und Aveline versuchte, ihren Atem unter Kontrolle zu bekommen, denn sie spürte die Flügel, die sich erneut ausbreiten wollten. Sie nahm einige tiefe Atemzüge und konnte gerade noch verhindern, dass sie ihr das Oberteil zerrissen.

    »Was passiert, wenn mir nicht zu helfen ist?«

    Sie überlegte. Unsicher kaute sie auf ihrer Unterlippe herum. Wollte sie wirklich eine Antwort auf diese Frage? Doch sie konnte die Neugierde nicht vertuschen. Sie herrschte über ihr Mundwerk und plapperte einfach darauf los.

    Azrael rückte näher an Aveline heran und legte den linken Arm um ihre Schultern. Er war so verdammt stark. Nie könnte sie gegen jemanden wie ihn bestehen. Und gemeinsam mit seinem Freund, der zudem noch ein Dämon war, hatte sie das denkbar mieseste Kartenblatt in der Hand, das man sich vorstellen konnte. Auch wenn sie in den letzten Wochen immer nett zu ihr gewesen waren, so wusste sie, dass keiner von ihnen zögern würde, sich gegen sie zu stellen, sollte tatsächlich noch etwas von dieser Nagual in ihr stecken.

    »Wir werden alles versuchen, damit wir sie endgültig loswerden, sofern noch etwas von ihr auf dieser Welt weilen sollte. Und du, Engelchen, solltest dir nicht so viele Gedanken machen. Vertrau uns einfach.« Mit dem Zeigefinger tippte Azrael auf ihre Nasenspitze, während Aveline in seinen blauen Augen versank.

    Bilder ihrer ersten Begegnung im Zug kamen ihr in den Sinn. Er war betrunken, seine Kleidung dreckig und kaputt. Damals hatte sie große Abscheu vor ihm empfunden. Dann wurde sie von ihm entführt und schließlich gerettet. Doch auch die Bilder, die Nagual mit ihr teilte, hatte Aveline noch immer im Kopf. Azrael war ein gefallener Engel und alles andere als gutmütig. Der Schein konnte trügen. In seinem langen Dasein hatte er bereits viel erlebt und Leiden verursacht. Dennoch konnte sie nicht leugnen, dass sie etwas für ihn empfand. Samael hingegen … Ihm traute Aveline nicht von hier bis zu ihrer Nasenspitze.

    Der Dämon missbilligte, dass die beiden Engel sich so gut verstanden. Seit David, Avelines damaliger Freund, sie verlassen hatte, kümmerte sich Azrael rührend um sie. Noch immer wurde ihr Herz schwer, wenn sie daran zurückdachte, als David sich von ihr trennte. Er konnte es nicht ertragen, dass sie nun unsterblich war. Oder lag es vielleicht nur an ihren Flügeln? Schließlich war sie ein ganz normaler Mensch gewesen, als sie David im Pub kennenlernte. Sie konnte nachvollziehen, dass David die jüngsten Ereignisse erst einmal verdauen musste. Vielleicht gab es ja doch noch eine Chance für sie beide? Wollte sie es überhaupt? In den letzten Wochen hatte sie sehr viel Zeit mit Azrael verbracht. Nicht, dass sie sich nähergekommen waren, doch etwas schien sie mit ihm zu verbinden. Aveline wusste nicht, was es war, doch sie war dem Erzengel innerlich dankbar. Er brachte ihr vieles bei, hatte sogar einen Verhaltenscodex für Dunkle Engel erstellt. Aveline musste immer schmunzeln, wenn er von ihr verlangte, die Regeln auswendig zu lernen und herunterzubeten.

    »Woran denkst du gerade?«, riss er sie in das Hier und Jetzt zurück.

    Aveline stieß hörbar die Luft aus der Lunge.

    »Es sind so viele Dinge passiert. Ich kann das alles noch gar nicht richtig begreifen. Bin ich wirklich unsterblich? Und habe ich magische Kräfte?«

    In Azraels Antlitz leuchtete Verständnis auf. Er konnte nachvollziehen, was gerade in ihr vorging. Schließlich war auch er nicht von Geburt an ein Engel.

    »Das werden wir alles noch herausfinden müssen. Es ist schließlich das erste Mal, dass aus der Lebensenergie einer Dimensionswandlerin ein ...«, er schien nach dem passenden Begriff zu suchen und fuhr sich mit dem Zeigefinger über das Kinn, »na ja, halt so etwas wie du entstanden ist. Du wirst die Geschichte neu schreiben, Engelchen.« Er hauchte ihr einen Kuss auf den Scheitel und setzte sich auf die gegenüberliegende Bank.

    Aveline war keinen Schritt weitergekommen. Besonders der Gedanke an die Unsterblichkeit machte ihr zu schaffen.

    Wie ist es, wenn man ewig lebt?

    Samael warf ihnen einen argwöhnischen Blick im Rückspiegel zu. Die Zuneigung, die Azrael der jungen Frau zukommen ließ, behagte ihm nicht.

    Der König von Amesbury

    Am späten Nachmittag passierte der Van mit dem illustren Trio Stonehenge.

    Das beliebte Touristenziel war auch diesmal von neugierigen Blicken überhäuft. Hunderte Kameras und Handys versuchten den Steinkreis für die Ewigkeit digital festzuhalten. Drei kreischende Kinder, die auf einen der riesigen Quader zurannten, wurden von ihren Eltern wieder eingefangen. Heute schien es übermäßig viele Besucher zu geben, denn die Sonne zeigte ihr schönstes Gesicht, zudem war es angenehm warm.

    Samael parkte den Wagen in einer kleinen Seitenstraße in Amesbury. Die Stadt mit ihren knapp neuntausend Einwohnern lag in der Nähe des Steinkreises.

    Schließlich stieg er in den hinteren Teil des Vans zu den beiden.

    Interessiert steckte Aveline den Kopf aus der Türöffnung und blickte sich um. Sofort kam Langweile in ihr auf. Amesbury hatte den Charme eines Dorfes.

    Es würde hier nicht so viele Häuser geben, wenn es diese Steine nicht gäbe, schoss es ihr durch den Kopf. Hier gab es nichts Aufregendes.

    Samael bemerkte ihren desinteressierten Ausdruck.

    »Gefällt es dir hier nicht?« Der Sarkasmus triefte aus seinen Mundwinkeln.

    Wäre sie in der Lage gewesen, mit ihren Augen Blitze zu schleudern, so hätte Samael, egal ob Dämon oder nicht, in Deckung gehen müssen. Seine blöde Frage trug nicht gerade zur Besserung ihrer Laune bei.

    Die beiden Männer begannen sich umzuziehen. Samael trug eine weite, an den Beinen bereits ausgefranste Leinenhose, dazu ein zerschlissenes Hemd aus heller Baumwolle. Er zog ein Paar lederne Schuhe hervor, dessen Spitzen vorne leicht nach oben gebogen waren. Trotz der Wärme warf er sich einen Kapuzenumhang aus rauer Wolle um die Schultern.

    Azrael behielt die schwarze Hose an. Er wechselte nur das Hemd und wirkte nun wie ein Edelmann aus dem Mittelalter. Sein Kapuzenumhang sowie seine Stiefel waren ebenfalls schwarz.

    Aveline behielt ihre schwarze Bondagehose und das weite, langärmelige Shirt an, das ihre Flügel verbarg. Zudem fühlte sie sich in ihren Doc Martens noch immer am wohlsten.

    »Nehmen wir den Koffer nicht mit?«, fragte sie, während Azrael den Koffer wieder in der Ecke verstaute.

    »Wenn du ihn trägst, darfst du ihn mitnehmen«, stichelte Samael.

    Langsam war sie diese ewigen Provokationen leid. In ihren Augen war Samael eine ungehobelte Kreatur, die durch die Kinderstube lediglich geflogen war. Von Anstand keine Spur. Mit einer wegwerfenden Geste tat Aveline seine Bemerkung ab.

    Nachdem die beiden Männer sich umgezogen hatten, stiegen sie aus dem Wagen. Azrael schob die Tür zu und Samael betätigte die Fernbedienung. Das Piepsen und dazu ein kurzes Aufflackern der Blinker signalisierten, dass der Wagen verschlossen und die Alarmanlage aktiviert war. 

    Wer würde hier, in diesem verschlafenen Dorf, etwas stehlen wollen? Und ganz besonders diesen Van? Aveline lächelte innerlich, während sie sich an die Zeit zurückerinnerte, als sie mit ihrer Gang schicke Autos und teure Sportwagen gestohlen hatte. Sie war sehr gut darin gewesen, die neusten Alarmanlagen lahmzulegen.

    Denkt dieser Dämon, dass der Van nun nicht mehr gestohlen werden kann? Da irrt er aber gewaltig! Sie schmunzelte in sich hinein.

    »Einen Silberdukaten für deine Gedanken, Aveline.« Samael blickte die junge Frau mit schräg gelegtem Kopf an.

    »Och, ich habe nur ein wenig in der Vergangenheit geschwelgt.« Ihr war nicht nach einem Plausch zumute. Sie musste wissen, was sie in dieser gottverlassenen Gegend wollten.

    »Als du noch kriminelle Machenschaften pflegtest?« Ein geschmeidiges Lächeln huschte über das Gesicht des Dämons, als er das Wort ›kriminelle‹ aussprach. Als hätte jemand einen Schalter umgelegt, verfinsterte sich Avelines Miene.

    Weiß er etwas? Und wenn ja, woher?

    »Was meinst du?«, fragte sie ihn mit einem gespielt unschuldigen Lächeln.

    »Aveline, wir hatten dich schon seit Längerem im Auge. Glaubst du, wir wüssten nicht, was du noch vor zwei Jahren angestellt hast?« Er hob die rechte Hand und ballte sie zur Faust. Nacheinander schnellte ein Finger nach dem anderen hervor, während er die einzelnen Punkte aufzählte.

    »Diebstähle, Einbrüche, Autoschieberei ...«

    »Ist ja gut! Hör auf!«, unterbrach sie ihn barsch und wurde blass – wenn sie überhaupt noch blasser werden konnte. Seit ihrer Verwandlung hatte Avelines Haut einen elfenbeinfarbenen Ton angenommen, welcher der sprichwörtlichen vornehmen Blässe alle Ehre machte.

    »Ihr wisst, was ich ...?« Es verschlug ihr die Sprache und sie senkte traurig den Kopf. Sie hatte so gehofft, dass sie das nun alles hinter sich lassen konnte. Sie wollte ein neues Leben beginnen und dieses dunkle Kapitel in ihrem Buch des Lebens endgültig zuschlagen.

    »Komm, Engelchen!« Azrael ging auf sie zu und legte den Arm tröstend um ihre Schulter. Fast wirkten sie wie ein verliebtes Pärchen, während sie gemeinsam die Straße entlanggingen. Mit mürrischer Miene folgte Samael ihnen, bis

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