Dr. Norden Bestseller 78 – Arztroman: Dr. Behnisch muß schweigen
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Über dieses E-Book
Patricia Vandenberg ist die Begründerin von "Dr. Norden", der erfolgreichsten Arztromanserie deutscher Sprache, von "Dr. Laurin", "Sophienlust" und "Im Sonnenwinkel". Sie hat allein im Martin Kelter Verlag fast 1.300 Romane veröffentlicht, Hunderte Millionen Exemplare wurden bereits verkauft. In allen Romangenres ist sie zu Hause, ob es um Arzt, Adel, Familie oder auch Romantic Thriller geht. Ihre breitgefächerten, virtuosen Einfälle begeistern ihre Leser. Geniales Einfühlungsvermögen, der Blick in die Herzen der Menschen zeichnet Patricia Vandenberg aus. Sie kennt die Sorgen und Sehnsüchte ihrer Leser und beeindruckt immer wieder mit ihrer unnachahmlichen Erzählweise. Ohne ihre Pionierarbeit wäre der Roman nicht das geworden, was er heute ist.
Nur ein wichtiger Anlaß konnte Dr. Daniel Norden bewegen, am verkehrsreichen Vormittag in die Stadt zu fahren. Dieser Anlaß war an einem Mittwoch im April gegeben. Eine Patientin, die in der Neurochirurgischen Klinik operiert worden war, hatte dringend um seinen Besuch gebeten. Er konnte Verena Reisner diese Bitte nicht abschlagen. Er hatte sie zu dieser Operation überredet. Er hatte ihre Ängste vertrieben, aber nun schien es, als plagten sie diese schlimmer denn je. Dr. Otting, der sie operiert hatte und sich geradezu rührend um sie bemühte, war deprimiert, weil ihre Genesung keine Fortschritte machte. Auch er hatte ihn um Hilfe gebeten. Nun war es Dr. Norden tatsächlich gelungen, die angemeldeten Patienten bis halb elf Uhr zu versorgen. Drei hatte er zu einem anderen Termin bestellt. Der Fall Verena Reisner beschäftigte ihn schon über Monate und so sehr, daß auch seine Frau Fee in allen Einzelheiten darüber informiert war. Verena war Sportlehrerin, vierundzwanzig Jahre jung, hübsch und sportlich. Im Winter war sie beim Skifahren gestürzt, außer Prellungen hatte sie jedoch keine Verletzungen davongetragen. Doch seit diesem Sturz hatte sie dann über immer stärkere Kopf- und Rückenschmerzen geklagt und schließlich so sehr unter Depressionen gelitten, daß Dr. Norden zu einer Generaluntersuchung geraten hatte. Dabei hatte sich dann herausgestellt, daß sich direkt unter der Wirbelsäule ein Hämatom gebildet hatte, dem nur durch eine Operation beizukommen war. An sich war die Geschwulst nicht bösartig gewesen, doch die Operation hatte sich als schwierig erwiesen, da sehr leicht ein Nerv hätte verletzt werden können.
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Dr. Norden Bestseller 78 – Arztroman - Patricia Vandenberg
Dr. Norden Bestseller
– 78 –
Dr. Behnisch muß schweigen
Patricia Vandenberg
Nur ein wichtiger Anlaß konnte Dr. Daniel Norden bewegen, am verkehrsreichen Vormittag in die Stadt zu fahren. Dieser Anlaß war an einem Mittwoch im April gegeben. Eine Patientin, die in der Neurochirurgischen Klinik operiert worden war, hatte dringend um seinen Besuch gebeten. Er konnte Verena Reisner diese Bitte nicht abschlagen. Er hatte sie zu dieser Operation überredet. Er hatte ihre Ängste vertrieben, aber nun schien es, als plagten sie diese schlimmer denn je.
Dr. Otting, der sie operiert hatte und sich geradezu rührend um sie bemühte, war deprimiert, weil ihre Genesung keine Fortschritte machte. Auch er hatte ihn um Hilfe gebeten.
Nun war es Dr. Norden tatsächlich gelungen, die angemeldeten Patienten bis halb elf Uhr zu versorgen. Drei hatte er zu einem anderen Termin bestellt.
Der Fall Verena Reisner beschäftigte ihn schon über Monate und so sehr, daß auch seine Frau Fee in allen Einzelheiten darüber informiert war.
Verena war Sportlehrerin, vierundzwanzig Jahre jung, hübsch und sportlich. Im Winter war sie beim Skifahren gestürzt, außer Prellungen hatte sie jedoch keine Verletzungen davongetragen. Doch seit diesem Sturz hatte sie dann über immer stärkere Kopf- und Rückenschmerzen geklagt und schließlich so sehr unter Depressionen gelitten, daß Dr. Norden zu einer Generaluntersuchung geraten hatte. Dabei hatte sich dann herausgestellt, daß sich direkt unter der Wirbelsäule ein Hämatom gebildet hatte, dem nur durch eine Operation beizukommen war.
An sich war die Geschwulst nicht bösartig gewesen, doch die Operation hatte sich als schwierig erwiesen, da sehr leicht ein Nerv hätte verletzt werden können.
Dr. Otting hatte die Operation perfekt durchgeführt, aber es brachte ihn fast zur Verzweiflung, daß seine Patientin davon nicht überzeugt zu sein schien. Dabei bestand für ihn kein Zweifel, daß der Eingriff ein voller Erfolg war.
Das sagte er auch Dr. Norden, als dieser nun, knapp nach elf Uhr, in der Klinik erschienen war. Er zeigte ihm als Beweis auch die Röntgenaufnahmen.
Dr. Otting war ein ruhiger und besonnener Arzt, und trotz seiner jungen Jahre hatte er schon große Erfolge auf dem Gebiet der Neurochirurgie erzielt. Er war die Zuverlässigkeit in Person.
»Frau Reisner hat kein Vertrauen zu mir«, sagte er beklommen.
»Hat sie das gesagt?« fragte Dr. Norden.
»Nein. Sie ist verschlossen wie eine Auster. Man kommt einfach nicht ins Gespräch mit ihr. Vielleicht erreichen Sie mehr, Herr Kollege. Vielleicht hat sie persönliche Probleme.«
»Sie meinen, daß psychische Belastung eine Rolle spielt?«
»Eine andere Erklärung kann ich nicht finden, aber wenn sie sich nicht mitteilt, kann man schwer einhaken.«
»Dann werde ich es mal versuchen. Ich kenne sie ja länger. Was sagt denn ihr Verlobter?«
Dr. Otting sah ihn erstaunt an. »Sie ist verlobt? Das wußte ich nicht. Sie hat noch keinen Besuch bekommen.«
Dr. Norden runzelte die Stirn. »Vielleicht liegt da das Problem«, sagte er. »Mal sehen, ob ich etwas erreiche.«
Da Verena in einem Zweibettzimmer lag und man dort nicht ungestört sprechen konnte, ließ Dr. Otting sie mit dem Rollstuhl ins Ärztezimmer bringen. Dr. Norden war erschrocken, als er sie sah. Freilich ging auch eine solche Operation nicht spurlos an einem Menschen vorbei, aber Verena war nur noch ein Schatten ihrer selbst. Ihre Augen lagen tief in den Höhlen, ihre Lippen waren nur ein dünner, blasser Strich.
Er mußte sich sehr zusammennehmen, um ihr sein Erschrecken nicht zu zeigen.
Tränen traten in ihre Augen, als er ihre Hand ergriff. »Mit mir ist nichts mehr los, Herr Doktor.«
»Aber wer wird denn so etwas sagen? Ich habe mir die Röntgenaufnahmen angeschaut. Es ist doch alles bestens in Ordnung. Warum wollen Sie nicht daran glauben?«
»Herbert hat mich aufgegeben. Ihm hat man anscheinend die Wahrheit gesagt. Ich möchte sie auch von Ihnen hören. Hier wird man doch nur getäuscht.«
»Das reden Sie sich aber ein, Fräulein Reisner. Oder es wurde Ihnen eingeredet, was allerdings unverantwortlich wäre. Dr. Otting ist ein sehr gewissenhafter Arzt. Es bereitet ihm große Sorgen, daß Sie so deprimiert sind.«
»Wie sollte ich das nicht sein? Ich stehe doch nur vor Trümmern. Meinen Beruf kann ich nicht mehr ausüben, meine Verlobung ist gelöst, ich bin ein Wrack. Ich kann Herbert nicht gram sein.«
»Wie ich hörte, haben Sie keine Besuche bekommen«, sagte Dr. Norden zögernd.
»Wozu auch? Herbert haßt Krankenhausluft. Er war wohl auch böse, daß ich die Wohnung nicht kaufen wollte. Aber ich wollte doch erst gesund werden. Jetzt werde ich keine Wohnung mehr brauchen. Bitte, widersprechen Sie nicht. Ich weiß, daß Sie es gut meinten. Die Kopfschmerzen hätte ich ja auch nicht mehr ertragen. Aber jetzt habe ich niemanden mehr. Sie sind der einzige Mensch, zu dem ich noch Vertrauen habe. Ich möchte Sie um etwas bitten.«
»Zuerst möchte ich Sie um etwas bitten, Fräulein Reisner«, sagte er energisch. »Nämlich darum, nicht so zu reden, als müßten Sie sterben. Sie müssen sich endlich von diesen Depressionen befreien. Da hat ein tüchtiger Arzt Sie operiert, und Sie scheinen sich gar keine Gedanken darüber zu machen, wie Sie ihm schaden können mit dem Vorwurf, daß er versagt hat.«
Erschrocken blickte sie ihn an. »Aber ich mache ihm doch keinen Vorwurf«, sagte sie heiser.
»Nicht mit Worten vielleicht, aber mit Ihrem mangelnden Vertrauen. Und mich selbst trifft das auch, weil ich Ihnen zu der Operation geraten habe, und weil ich heute Dr. Otting in Schutz nehmen mußt. Er kann nichts dafür, daß Ihr Verlobter Sie im Stich gelassen hat, ich kann auch nichts dafür, und Sie sollten einem solchen Mann nicht nachtrauern. Er kann keine Krankenhausluft vertragen! Na, das ist eine schöne Liebe! Er nimmt es Ihnen übel, daß Sie keine Wohnung gekauft haben. Vielleicht war er nur darauf aus? Was ist das denn für ein Mensch? Entschuldigen Sie, wenn ich das so klipp und klar sage, aber wollten Sie denn nur eine Frau für gute Tage sein? Woher nimmt der Besagte eigentlich das Wissen, daß Sie nicht mehr gesund werden?«
»Er hat es doch schon vermutet, als ich in die Neurochirurgische gegangen bin. Da würden sie mich bloß zum Krüppel machen, hat er gesagt. Und bin ich das nicht?«
»Sie können sich freilich an den Rollstuhl klammern, wenn er unbedingt rechtbehalten soll. Aber Sie können sich auch aufraffen, aufstehen und Ihre Kräft mobilisieren. Ich hätte große Lust, diesem Herbert mal gehörig meine Meinung zu sagen. Unglaublich taktvoll, das Wort Krüppel zu gebrauchen. Haben Sie denn überhaupt schon versucht, auf Ihren Beinen zu stehen, ein paar Schritte zu gehen? Ich kannte mal eine Verena Reisner, die sich nicht unterkriegen ließ. Mein liebes Mädchen«, fuhr er sanfter fort, »es gibt viel schlimmere Dinge auf der Welt als eine enttäuschte Liebe. Und für einen Arzt gibt es nichts Schlimmeres, als wenn ein Patient resigniert, obgleich dafür überhaupt kein Grund vorhanden ist.«
»Nun sind Sie auch noch böse mit mir«, sagte sie kläglich.
»Liebe Verena Reisner, ich habe Patienten, die alt und gebrechlich sind, schon unendlich viel Leid erfahren haben und dennoch am Leben hängen. Ich möchte Ihnen helfen, genauso wie Dr. Otting, aber Sie müssen sich auch helfen lassen. Ich reiche Ihnen die Hand, würden Sie jetzt mal versuchen, sich zu erheben?«
Er sagte es mit einem fast hypnotischen Zwang.
»Ich kann es doch nicht«, flüsterte sie.
»Von allein geht es nicht. Ich helfe Ihnen doch.«
»Sie werden sehen, daß es nicht geht.«
»Schade«, sagte er. »Was meinen Sie, wieviel junge Menschen, die gezwungen sind, ein Leben lang am Rollstuhl gefesselt zu sein, Sie beneiden würden um die Chance, die Ihnen geboten wurde. Sind Sie nie solchen Menschen begegnet, die trotz ihres Leidens den Lebensmut nicht verloren haben? Wo ein Wille ist, da ist auch ein Weg. Und es sollte Ihnen doch eigentlich eine Genugtuung bereiten, eines Tages beschwingten Schrittes vor den Verflossenen hinzutreten und sagen zu können: ›Bin ich nun ein Krüppel, lieber Herbert?‹ Und dann werden Sie einem Mann begegnen, der nicht auf eine Wohnung erpicht ist. Einem, dem etwas an Ihnen liegt.« Plötzlich kam ihm noch eine Idee, wie er sie herausfordern könnte, denn dies war der einzige Weg, sie der Lethargie zu entreißen. »Ein Jammer, daß ich dem guten Dr. Otting diese Suppe eingebrockt habe. Nun wird er wohl auch noch seine Stellung verlieren.«
»Aber warum denn das?« fragte Verena bestürzt.
»Wenn ein Chirurg bei einer so verhältnismäßig einfachen Operation versagt, ist er hier fehl am Platze.«
»Aber, das will ich doch nicht«, flüsterte sie. »Er hat sich doch wirklich so viel Mühe gegeben!«
»Dann sollte er auch den Erfolg dieser Mühe sehen. Also, versuchen wir es wenigstens mal?«
Er wartete ihre Antwort nicht ab. Er hob sie empor. Sie war federleicht und zu kraftlos, ihm Widerstand entgegensetzen zu können.
Er stellte sie auf ihre Füße. Sie knickte ein, aber er hielt sie fest. »Sie sind nicht krank, Sie sind nur schwach, und die Kraft kommt nicht von selbst«, sagte er. »Jeden Tag ein paar Schritte. Mädchen, machen Sie mir bloß keine Schande. Rechtes Bein, linkes Bein,