Fast wäre es zu spät gewesen: Dr. Norden – Retro Edition 4 – Arztroman
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Über dieses E-Book
Dr. Norden ist die erfolgreichste Arztromanserie Deutschlands, und das schon seit Jahrzehnten. Mehr als 1.000 Romane wurden bereits geschrieben.
Für Dr. Norden ist kein Mensch nur ein 'Fall', er sieht immer den ganzen Menschen in seinem Patienten. Er gibt nicht auf, wenn er auf schwierige Fälle stößt, bei denen kein sichtbarer Erfolg der Heilung zu erkennen ist. Immer an seiner Seite ist seine Frau Fee, selbst eine großartige Ärztin, die ihn mit feinem, häufig detektivischem Spürsinn unterstützt. Auf sie kann er sich immer verlassen, wenn es darum geht zu helfen.
Dr. Daniel Norden war mit einigen Untersuchungsbefunden beschäftigt, die ihm einiges Kopfzerbrechen bereiteten, als Helga Moll, seine Sprechstundenhilfe, an seinen Schreibtisch trat. »Ist noch etwas, Molly?«, fragte er freundlich. »Frau Hollenberg ist eben gekommen. Sie möchte nur ein Rezept. Sie sieht sehr elend aus.« Dr. Norden sah Helga Moll geistesabwesend an. Die Untersuchungsbefunde, mit denen er sich gerade befasst hatte, bezogen sich auf eben diese Frau Hollenberg. Er fuhr sich mit der Hand über die Augen, als wolle er düstere Bilder wegwischen. »Einen Augenblick noch«, sagte er heiser. Was hat er nur?, dachte Helga Moll. Was mag ihn so sehr beschäftigen, dass er so geistesabwesend ist? Dr. Daniel Norden betrachtete die beiden Karten, die vor ihm lagen. Astrid Hollenberg, zweiundvierzig Jahre alt, Ehefrau des Bankdirektors Matthias Hollenberg, Mutter eines zweiundzwanzigjährigen Sohnes und einer zwanzigjährigen Tochter, war noch nicht lange seine Patientin. Doch waren schon zwei Karten mit vielerlei Bemerkungen gefüllt.
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Fast wäre es zu spät gewesen - Patricia Vandenberg
Dr. Norden – Retro Edition
– 4 –
Fast wäre es zu spät gewesen
Patricia Vandenberg
Dr. Daniel Norden war mit einigen Untersuchungsbefunden beschäftigt, die ihm einiges Kopfzerbrechen bereiteten, als Helga Moll, seine Sprechstundenhilfe, an seinen Schreibtisch trat.
»Ist noch etwas, Molly?«, fragte er freundlich.
»Frau Hollenberg ist eben gekommen. Sie möchte nur ein Rezept. Sie sieht sehr elend aus.«
Dr. Norden sah Helga Moll geistesabwesend an. Die Untersuchungsbefunde, mit denen er sich gerade befasst hatte, bezogen sich auf eben diese Frau Hollenberg.
Er fuhr sich mit der Hand über die Augen, als wolle er düstere Bilder wegwischen.
»Einen Augenblick noch«, sagte er heiser.
Was hat er nur?, dachte Helga Moll. Was mag ihn so sehr beschäftigen, dass er so geistesabwesend ist?
Dr. Daniel Norden betrachtete die beiden Karten, die vor ihm lagen. Astrid Hollenberg, zweiundvierzig Jahre alt, Ehefrau des Bankdirektors Matthias Hollenberg, Mutter eines zweiundzwanzigjährigen Sohnes und einer zwanzigjährigen Tochter, war noch nicht lange seine Patientin. Doch waren schon zwei Karten mit vielerlei Bemerkungen gefüllt.
Vor vier Monaten hatte man ihn zum ersten Mal in das Haus des Bankdirektors gerufen, einem der schönsten Häuser weit und breit, da hatte Astrid Hollenberg eine schwere Grippe gehabt.
Nein, jetzt hatte er keine Zeit mehr, dies alles zu überdenken. Schnell steckte er die Karten weg, damit Frau Hollenberg sie nicht zufällig sah. Gleich darauf betrat sie das Sprechzimmer.
Vor vier Monaten war sie, trotz der Grippe, eine auffallend schöne Frau gewesen, jetzt war sie nur noch ein Schatten ihrer selbst, eher mager als schlank zu nennen, durchsichtig blass, die Augen tief umschattet.
Daniel Norden war aufgestanden und schob ihr schnell einen Stuhl hin. Er sah, dass ihre Hände zitterten und sich Schweißtropfen auf ihrer Stirn bildeten. Sprechen konnte sie momentan gar nicht.
»Es geht Ihnen nicht gut«, stellte er fest. »Warum haben Sie mich nicht rufen lassen?«
»Es braucht niemand zu wissen, dass ich mich nicht wohl fühle«, erwiderte sie bebend. »Übermorgen wollen wir die Verlobung meiner Tochter feiern, da muss ich wohlauf sein. Bitte, verschreiben Sie mir ein Medikament, das mir wenigstens über die paar Tage hinweghilft.« Müde und kraftlos klang ihre Stimme.
Sie gehört ins Bett, dachte Daniel Norden, besser noch gleich in eine Klinik.
Er konnte die Befunde nicht vergessen. Es musste etwas geschehen. Das konnte und durfte er ihr nicht verheimlichen.
Und er wusste doch nicht, wie er anfangen sollte, als die schönen kummervollen Augen ihn anblickten.
»Bitte, Herr Doktor«, sagte sie leise. »Es muss doch etwas geben, das mich von diesen grässlichen Schmerzen befreit.«
»Vorübergehend ja«, erwiderte er. »Aber wie lange ein solches Mittel wirkt, ist von Fall zu Fall verschieden. Ist Ihre Gesundheit nicht wichtiger als die Verlobungsfeier? Ihre Tochter würde das doch sicher einsehen.«
»Trixi schon, aber soll ich ihr denn alles verderben? Sie ist jung, sie freut sich so sehr. Sie ist glücklich. Und auch mein Mann hat an unserem zukünftigen Schwiegersohn nichts auszusetzen. Er würde denken –«, sie unterbrach sich und blickte auf ihre Hände, die sich fest ineinander verschlungen hatten.
»Was würde er denken?«, fragte Dr. Norden behutsam.
»Dass ich diese Verlobung hintertreiben will. Ich bin nicht so ganz damit einverstanden damit wie er«, flüsterte sie.
Das allerdings waren nun sehr private Dinge, in die er sich nicht einmischen konnte und wollte, aber Astrid Hollenberg war seine Patientin. Er trug die Verantwortung für sie.
»Ich werde Ihnen jetzt eine Injektion machen, die Ihnen helfen wird«, sagte er. »Aber dann müssen wir uns doch noch unterhalten, gnädige Frau.«
Sie nickte automatisch. Schnell hatte Daniel die Injektion aufgezogen und ebenso schnell gespritzt.
»Bleiben Sie liegen«, sagte er, »ruhen Sie sich ein bisschen aus, bis die Wirkung eintritt.«
Sie nickte wieder.
Er lehnte sich in seinen Sessel zurück.
»Ich halte eine klinische Untersuchung für dringend erforderlich«, sagte er. »Bitte, erschrecken Sie nicht, es ist eine Vorsichtsmaßnahme. Meine Mittel reichen nicht aus, um die Ursache Ihrer Schmerzen festzustellen. Es ist meine Pflicht, Sie darauf aufmerksam zu machen, dass die Blutsenkung und das Blutbild zu äußerster Vorsicht mahnen.«
Er beobachtete sie, während er dies sagte. Die tiefe Resignation, die ihr Gesicht anfangs so schmerzzerrissen erscheinen ließ, schwand mehr und mehr. Ihre Augen bekamen wieder Glanz.
»Es geht mir schon viel besser«, sagte sie. »Warum haben Sie mir dieses Mittel nicht schon längst gespritzt? Es hilft doch. Ja, es hilft!«
Ihre Stimme war lauter und kräftiger geworden, auch freudiger, obgleich doch ein leiser Vorwurf in ihr schwang.
»Es ist ein Betäubungsmittel, das unter Umständen Süchtigkeit nach sich ziehen kann«, erklärte Dr. Norden, »ich habe es Ihnen nicht gegeben, damit Sie die Verlobung gut überstehen, sondern von den quälenden Schmerzen befreit werden. Aber ich denke, dass Sie sich nicht nur betäuben, sondern gesund werden wollen. Deshalb möchte ich Sie nochmals eindringlich ermahnen, auf meinen Rat zu hören und sich einem Facharzt anzuvertrauen.«
»Welchem?«, fragte sie.
Daniel zögerte. »Dr. Gordon«, sagte er.
»Was ist das für ein Arzt?«
Die Frage hatte er gefürchtet, da ihr der Name nicht bekannt war.
»Ein Neurochirurg.«
Ihre Augen weiteten sich. Sie wirkten riesengroß in dem schmalen Gesicht.
»Ich bin doch nicht nervenkrank«, sagte sie bebend. »Ich bilde mir diese Schmerzen nicht ein.«
»Das soll damit nicht gesagt sein. Ich nehme an, dass ein Gliom diese Schmerzen bewirkt. Es kann durchaus ein gutartiges Gliom sein, das auf das Nervensystem drückt, aber wenn Sie nicht davon befreit werden, werden die Schmerzen immer schlimmer.«
»Immer schlimmer«, wiederholte sie schleppend. »Noch schlimmer? Aber jetzt geht es mir doch gut. Ich spüre gar nichts mehr.« Sie lachte auf. »Kommen Sie zu der Verlobungsparty«, fuhr sie heiter fort. »Überzeugen Sie sich, wie gut es mir geht.«
Ihr Gesicht hatte wieder Farbe bekommen, ihre Augen glänzten. Sie glänzten unnatürlich, aber das würde wohl nur ein Arzt bemerken. Doch aller Charme, der sie in gesunden Tagen so begehrenswert machte, zeigte sich auch jetzt. »Und meinetwegen bringen Sie auch Ihren Neurologen mit, wenn Sie ihn so gut kennen. Ja, es würde mich freuen, Sie bei uns begrüßen zu können.«
Sie kramte in ihrer Handtasche, nahm eine Büttenkarte heraus und sagte nahezu euphorisch: »Bitte, da ist die Einladung.«
Sie sprach fantastisch auf dieses Medikament an, aber Dr. Daniel Norden wusste nur zu gut, dass seine Wirkung nicht länger als vierundzwanzig Stunden anhalten würde. Er ließ sich nicht so täuschen von ihren beschwingten Schritten wie Molly.
»Nanuchen?«, fragte sie verdutzt, »sind Sie unter die Wunderheiler gegangen? Vorhin konnte sich Frau Hollenberg doch kaum aufrecht halten.«
Er sagte einen Namen, und da wurde die gute Molly blass.
»Guter Gott«, seufzte sie, »und was kommt danach?«
»Meiner Meinung nach nur eine Operation, und dann können wir nur hoffen, dass sie gelingt.«
»Dann waren es ihre Befunde, über denen Sie so gebrütet haben?«, kombinierte sie.
»Ja, Molly, und jetzt ist mir mies. Sie wollen übermorgen die Verlobung ihrer Tochter feiern, und dazu hat sie mich auch noch eingeladen.«
»Was werden Sie tun?«
Er überlegte ein paar Sekunden. »Hingehen, um eventuell das Schlimmste zu verhindern. Und jetzt werde ich gleich mal Michael Gordon anrufen und ihn fragen, ob er nicht mit von der Partie sein will.«
*
Dr. Michael Gordon war seit vier Monaten Chefarzt an der Neurochirurgischen Klinik. Vom gleichen Jahrgang wie Dr. Norden, hatte er bereits eine steile Karriere gemacht, die er allerdings keiner Protektion, sondern seinen besonderen Fähigkeiten verdankte. Dazu war er ein sehr interessanter Mann, bei dessen Erscheinen in dieser Klinik sogleich die Herzen aller Schwestern höher geschlagen hatten, auch das Herz der Narkoseärztin Cornelia Kuhlmann, deren Herz allerdings leicht entflammbar war.
In diesen vier Monaten war es allerdings keiner gelungen, diesem ernsten Männergesicht auch nur ein einziges Lächeln zu entlocken.
Das gelang nur kranken Kindern, die ihm anvertraut waren. Wenn Dr. Gordon mit ihnen allein war, entfaltete sich der ganze Gefühlsreichtum dieses Mannes, der sich diesem Beruf verschrieben hatte, weil er hatte miterleben müssen, wie seine jüngere, über alles geliebte Schwester an einem inoperablen Gehirntumor gestorben war.
Mit aller Leidenschaft und innerer Beteiligung wollte er solchen Leiden Einhalt gebieten, helfen und heilen, wo andere schon aufgegeben hatten. Aber immer und immer wieder musste er die deprimierende Erkenntnis gewinnen, dass auch noch so heißes Helfenwollen seine Grenzen hatte. Das hatte ihn über seine Lebensjahre hinaus ernst und reif gemacht. Ein Privatleben kannte er kaum. Ab und zu traf er sich mit Daniel Norden, aber als dieser ihn anrief, um ihn zu einer Party einzuladen, war er doch verwundert.
»Was soll ich da, Daniel?«, fragte er.
»Das erkläre ich dir. Es hat seinen guten Grund. Es geht um eine Patientin. Ich brauche deine Hilfe. Michael.«
Seine Hilfe versagte er niemandem, und er wusste mittlerweile auch, dass Daniel genauso wenig an Partys gelegen war wie ihm. Daniel war schließlich verlobt, und ihm stand der Sinn nicht nach Amüsements.
»Komm vorher noch auf einen Drink zu mir, dann erkläre ich dir das Wichtigste«, hatte Daniel gesagt. »Wir fahren gemeinsam hin.«
Der Freitagabend war herangekommen. Michael Gordon war recht müde von einem anstrengenden Arbeitstag, einer schweren Operation, die allerdings so günstig verlaufen war, dass er einen zufriedenen Eindruck machte.
Daniel servierte ihm dann noch seinen Wundercocktail, der kolossal belebend wirkte. In seiner Gesellschaft war Michael auch lebhafter als sonst.
»Willst du mir jetzt nicht erklären, warum du mich unbedingt auf dieses Fest schleppen willst?«, fragte er. »Wohin geht es eigentlich?«
»Zu Bankdirektor Hollenberg. Seine Tochter verlobt sich heute.«
Der Name sagte Michael nichts. Sein schmaler gutgeschnittener Mund verzog sich zu einem spöttischen Lächeln.
»Braucht