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Bis wir uns finden...
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eBook312 Seiten4 Stunden

Bis wir uns finden...

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Über dieses E-Book

Was, wenn du selbst dein größter Feind zu sein scheinst? Was, wenn sich unangenehm vertraute Dinge ständig wiederholen...Wie sollst du da noch Vertrauen? WEM sollst du vertrauen, wenn du nicht einmal weißt, wer du selber bist?

Ein Jahrzehnt nach ihrem 'Neuanfang' steht Pia wieder einmal vor dem Scherbenhaufen ihres Lebens und muss nun den Weg in eine ungewisse Zukunft antreten. Verwirrt und verletzt setzt Pia wieder nur mühsam einen Schritt vor den anderen, immer begleitet von ihrer besten Freundin Sarah.
Als sich aus heiterem Himmel auch noch ihr Arbeitskollege in ihr Leben schleicht, scheint das Chaos wieder einmal perfekt zu werden...
SpracheDeutsch
Herausgeberneobooks
Erscheinungsdatum16. Aug. 2018
ISBN9783742724861
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    Buchvorschau

    Bis wir uns finden... - Eva Wenzel

    Inhalt

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    Bis wir uns finden

    Vollständige eBook Ausgabe

    © 2018 im Selbstverlag

    © Text: Eva Wenzel

    © Cover: Eva Wenzel

    Alle Rechte vorbehalten. Unbefugte Nutzungen wie etwa Speicherung, Vervielfältigung, Verbreitung oder Übertragung können zivil- oder strafrechtlich verfolgt werden

    Prolog

    Urlaub. Zwanzig. Unklarer Beziehungsstatus.

    Ich sitze auf dem geschlossenen Deckel einer Toilette und greife fahrig nach beiden Trennwänden neben mir. In meinem Kopf dreht sich alles ein bisschen. Aber nur ein bisschen. So schlimm ist es noch nicht, und dann mache ich die Augen zu. Der rhythmische Klang einer bekannten Housemelodie im Stockwerk über mir dringt gedämpft zu mir durch. Nach mehreren durchtanzten Stunden im Club ‚Overnight‘ höre ich auch fernab der Tanzfläche noch einen sonoren Piepton in meinen Ohren. Und ich habe, so glaube ich, allmählich den Überblick verloren über die Anzahl meiner Getränke. Waren es nun zwei oder sogar drei Cocktail Beach? Jedenfalls war ich noch in der Lage dazu, aufrecht und ohne übertriebene Schlangenlinien den Weg zur Toilette zu finden. Verdammt! Was tue ich hier schon wieder?

    Dann fällt mir ein, dass ich dringend mal muss und ich ziehe mich langsam am Türgriff nach oben. Eigentlich ekeln mich diese öffentlichen Toiletten immer etwas an und ich befehle meinen Beinen daher ausdrücklich den Gehorsam, als ich in halb stehender Position meine Blase entleere.

    Der Blick in den Spiegel bei den Waschbecken ist erfreulich und ernüchternd zugleich. Marina, meine Freundin aus der Schulzeit und ich verwendeten heute Abend mindestens eine Stunde für das perfekte Makeup für meinen zwanzigsten Geburtstag. Doch nun, durch das ausgelassene Tanzen der letzten Stunden, ist meine Haut im Gesicht erhitzt und fleckig und mir blicken zwei glasige, helle Augen aus dem Spiegel entgegen. Am liebsten würde ich mir jetzt einen Schwall kaltes Wasser über die erhitzte Haut schütten, doch in Sorge um meinen Eyeliner mache ich nur einige Papiertücher aus dem Spender nass und tupfe mir gezielt die Stirn und das Dekolleté ab. Mir ist nach wie vor leicht schwindelig und ich trinke einige Schlucke Wasser direkt aus dem Hahn. Ich befürchte zwar, dass mein Zeitempfinden ebenfalls in Mitleidenschaft gezogen wurde, doch ich warte besser noch einen Moment, ehe ich mich wieder im Stande fühle, zurück zu meiner Clique zu gehen.

    Meine Clique, das sind derzeit Marina, meine langjährige (und beste) Schulfreundin, sowie Sascha (ihr bester Freund), Torben (unser gemeinsamer Freund) und Markus (eigentlich mein richtiger Freund, derzeit sind wir aber in einer Art Selbstfindungskriese – er ist dennoch zu meiner Feier gekommen). Bis auf Markus, er ist schon 23, sind wir alle gemeinsam in einer Schulklasse gewesen.

    Mit jeder Stufe zurück auf den Dancefloor >Houseküche< (es gibt auch noch die >Technohalle< und das >R’n’B-Séparée< ) dringt mehr und mehr der lauten Beats in mein verschwommenes Bewusstsein zurück, ich schelte mich innerlich für meinen überschwänglichen Alkoholkonsum und verordne mir ein striktes Verbot für den restlichen Abend.

    Im Moment tanzt ungefähr die Hälfte der sich im Raum befindlichen Menschen auf einer runden Tanzfläche, bunt beleuchtet von einigen bunt flackernden Strahlern, doch ich kann meine Freunde nirgends erblicken. Also gehe ich im Slalom um einzelne Grüppchen anderer Cliquen und Paare Meter für Meter in einem großen Bogen um die Tanzfläche, doch auch in den restlichen Ecken sind sie nicht zu finden. Ich krame mein Handy aus der Gesäßtasche, klappe das Display nach oben und tippe ärgerlich eine SMS an Marina.

    Hey. Verdammt wo seid ihr?! Stehe in der Houseküche, aber keiner von euch ist hiergeblieben. Melde dich mal. Pee

    Unschlüssig, wo meine Freunde derzeit tanzen, taste ich mich an der Wand entlang um nicht zu stolpern nach rechts in den Gang zum R’n’B-Séparée und falle dabei beinahe einem großen Mann in die Arme, der nahezu unsichtbar im Schatten des spärlichen Lichts an der Wand lehnt und mit seinem Handy beschäftigt ist. Ungeschickt remple ich ihm in die Seite und ihm fällt das Handy aus der Hand

    >Verflucht, was zum… < er bückt sich eilig und greift nach dem Handy vor meinen Füßen. Als er mit einer tiefen Falte zwischen seinen Augenbrauen schließlich nach dem Übeltäter Ausschau hält springe ich beinahe einen Hops nach hinten und stammle einige Worte der Entschuldigung in seine Richtung.

    >Tut mir leid. Ich habe Sie nicht gesehen in der Dunkelheit. < Ängstlich über weitere Reaktionen auf meine Schusseligkeit abwartend stehe ich vor dem Fremden und verschränke meine Arme zum Schutz vor meiner Brust. Er schüttelt verwundert den Kopf, reibt das Display seines Telefons an seiner Jeans ab und seufzt schließlich, bevor er mir direkt in die Augen blickt und zu meinem Erstaunen keine Wut auf mich zu hegen scheint.

    >Laufen Sie immer …..? < ein Lächeln umspielt seine Augen. Doch meine Ohren klingeln und aus allen Richtungen tönt eine Mischung verschiedener Lieder in unsere Richtung, so dass ich nicht den ganzen Satz verstanden habe, ich trete einen Schritt näher an den Mann heran und rufe nun beinahe gegen den Lärm an: > Wie bitte? Hier ist es so laut! Ich laufe nicht immer betrunken herum, nein! <

    >Ich meinte! < auch er beugt sich näher an mein Ohr herunter und erhebt die Stimme, > ob Sie immer direkt in jemanden hineinlaufen, anstatt ihn einfach normal anzusprechen! <

    Ich brauche einige Sekunden, um den Spaß dahinter auszumachen, doch dann hebe ich schnell den Kopf zu einem Nicken und lache ihm ins Gesicht.

    Endlich vibriert meine Hosentasche, ich hebe mein Handy kurz hoch, nicke dem Fremden entschuldigend und drehe mich zur Seite, während ich mein Postfach öffne.

    Hey Pee, sind in der Bar und trinken was. Ist Markus bei dir?

    Meine Stirn wirft sich in Falten.

    Nein. Bin alleine. Warum?

    Der ist vorhin abgezischt. War irgendwie sauer. Hattet ihr Streit?

    Ja.

    Was war?

    Ach nichts. Ich will mehr, er will das alles so bleibt. Der übliche Kram halt.

    Komisch. Echt. Wäre doch praktisch, sich die Miete seiner Wohnung zu teilen. Ich kapier das auch nicht.

    Ganz in Gedanken fliegt mein rechter Daumen bereits wieder über das Tastenfeld, da wird mir unangenehm bewusst, dass mein Opfer nach wie vor neben mir steht und anscheinend zur geduldigen Sorte Mann gehört, denn er blickt nur ungerührt auf mein Handy und schüttelt mit erhobenen Augenbrauen leicht den Kopf.

    >Sorry. War meine Freundin. Ich wollte wissen wo alle sind, ich war eigentlich auf der Suche nach ihnen. <

    >Und, < dabei verlagert er das Gewicht von einem auf das andere Bein > wo sind denn Ihre Freunde? <

    >Oh Gott. Sorry, wenn ich Sie schon über den Haufen renne und so unhöflich bin, < daraufhin schiebe ich mein Handy schnell in die Gesäßtasche zurück und wische mir die schwitzende Hand an meiner Jeans ab bevor ich sie ihm entgegenstrecke > Pia. Aber alle nennen mich Pee. Der Rest ist in der Bar drüben. <

    >Konrad. < Lächelnd greifen wir einander an den Händen und drücken kurz zu, bevor wir wieder verstummen.

    >Also, Pia… Pee. Wenn wir uns schon in die Arme gelaufen sind, trinken wir noch was zusammen? <

    Es stellt sich heraus, dass Konrad ein Jahr älter ist als ich, demnächst als Offiziersanwärter nach München ziehen wird und die besten Voraussetzungen erfüllt um mich a) schnell in eine brisante Dreiecks-Lage zwischen meiner ungeklärten Beziehung und b) in eine akute wo-verdammt-finden-wir-endlich-eine-ruhige-Ecke-Notgeilheit zu versetzen.

    Leider gesellen sich bald zu meinen bereits zu viel getrunkenen Cocktail Beach auch noch zwei kleine Flaschen Wodka Limonade (und dabei war ich mir vollkommen sicher gewesen, ich hätte den ersten Schwips bereits ausgestanden).

    Anstatt die allgemeine Bar (und somit meine Freunde) aufzusuchen, folge ich Konrad in eine der hinteren Ecken in der R’n’B-Lounge und wir lachen heiter über kleine Anekdoten aus seinem Kasernenalltag (unter anderem eine Detailreiche Rekonstruktion einer Tanzaufführung wenig begabter Rekruten bei einer Geburtstagsfeier zum Lied Y.M.C.A der Village People).

    Angelegentlich vibriert mein Handy stumm in meiner Tasche, doch ich bin so in meine neue Bekanntschaft versunken, dass ich mich von der neuen Wendung meines Abends in den Bann ziehen lasse und darauf nicht reagiere. (Soll Markus doch alleine in seiner Bude hocken, mir Scheißegal!)

    Allmählich verringern sich die bereits spärlich bemessenen restlichen Zentimeter zwischen Konrad und mir zu wenigen Millimetern und ich gebe nach, als er mich dicht an sich zieht.

    Durch sämtliche Ritzen neben dem blickdichten Vorhang glitzert der Morgen in das kleine Zimmer, in dem ich gerade aufwache. Und mein Schädel dröhnt. Umpf! Missmutig greife ich mit einer Hand nach meiner Schläfe und stoße dabei mit dem Ellenbogen gegen den verhüllten Hügel neben mir. Mit einem Schlag bin ich wacher und öffne die Augen vollständig. Okay. Pee, wo bist du gelandet?

    Langsam kommt leben in den Hügel und ein verstrubbelter Kopf taucht unter der Decke auf.

    >Morgen… < Konny, während der Nacht habe ich einen ungezwungenen Kosenamen für meinen Liebhaber entdeckt, streckt sich genüsslich und dreht sich danach in meine Richtung und wir blicken uns unverwandt aus verschlafenen Augen an.

    >Hast du Hunger? Ich könnte gerade sonst was verputzen… < dabei kneift er mir neckend durch die Decke in die Seite und ich kichere wie ein Teenager.

    >Ja klar. An was hast du denn genau gedacht? < erwidere ich und stütze meinen Kopf auf einer Hand ab, während ich mein Gegenüber mustere. Eisgraue Augen in einem Gesicht von ebenmäßigen Zügen blicken zurück. Seine Kastanienbraunen Haare sind nach Art des Militärs zwar recht kurz geschnitten, dennoch sind sie vom Schlafen zerzaust und einige Stellen sind plattgedrückt. Ich stelle zufrieden fest, dass er auch bei tagesähnlichem Licht eine angenehme Erscheinung ist und rücke ihm noch ein Stückchen entgegen, bis sich unsere Nasenspitzen berühren und sich ein feiner Schauer in meinem Bauch bemerkbar macht.

    Wir verbrachten die folgenden Tage entweder in seinem Bett oder streiften, die warmen Sonnenstrahlen genießend, durch Kölns zahlreiche Gassen auf der Suche nach neuen Abenteuern. Es waren unbeschwerte Tage und als wir uns schließlich zum Abschied am Bahnhof in den Armen lagen kullerten mir heiße Tränen über die Wangen. Widersprüchliche Gefühle spielten mit meinen Gedanken, als wir uns die letzten Bekundungen unserer Zuneigung in die Ohren flüsterten. Als Konny schließlich in seinen Waggon stieg und ich endgültig auf mich alleine gestellt den Heimweg antreten musste tat ich dies nur unter größtem Widerwillen und in dem festen Glauben, dass nun die längste und kälteste Winternacht in meinem Kopf entstehen wird, die ich je gespürt hatte.

    Marina, die mich in den letzten Tagen nicht erreichen konnte, passte mich just in dem Moment an meiner Wohnungstüre ab, als ich traurig nach Hause kam und hielt mir eine gehörige Standpauke (Was habe ich mir bloß dabei gedacht einfach so von der Bildfläche zu verschwinden und für mehrere Tage kein Lebenszeichen von mir zu geben). Und so zog ich meine Freundin in meine kleine Junggesellen-Wohnung (Eine 40-Quadratmeter-Ein-Zimmer-Küche-Bad-Wohnung-für-unschlagbar-günstige-400-Euro-Warmmiete im Haus eines alten Ehepaares, welches glücklicherweise mit dem Mietpreis-Wahnsinn der restlichen Stadt nichts anfangen konnte und den Mietspiegel von gefühlt 1980 für angemessen hielt – ich war beiden auf ewig dankbar dafür).

    >Und was ist mit Markus? < Wir hockten uns im Schneidersitz auf meiner bequemen, aber kleinen, Bettcouch gegenüber und nippten an unseren Milchkaffees. Bei Marina konnte ich mir sicher sein, dass der Moralapostel zwar stets am Anfang ihrer Inquisition die Oberhand an sich riss, die hohe Tugend aber schnell einer Beste-Freundinnen-Sensationsgier wich und ich schilderte ihr zum gefühlt tausendsten Mal die zahlreichen Wendungen und Verstrickungen der Teenagerliebe zu Markus, die jüngst in der tiefen Erkenntnis gipfeln musste, dass wir einfach nicht für eine gemeinsame Zukunft geschaffen waren. Als dieses Kapitel vorerst abgehakt schien, löcherte sie mich nun über Konny und die letzten Tage.

    Eine Woche später erhielt ich einen Brief von Konny und zerriss bereits auf dem Weg in meine Wohnung den Umschlag, so gespannt war ich auf seine Worte.

    Hallo Pee (ich hoffe, das ist jetzt richtig geschrieben, oder wäre >Pi< die korrekte Schreibweise?)

    Mein Herz klopfte mir wie wild gegen die Brust, als ich eilig Zeile um Zeile verschlang. Er berichtete von kilometerlangen Jogging-Strecken mit Gepäck, davon, wie er sich kurz vor dem Ziel auch noch den Knöchel verstaucht hatte und dennoch bis zum Schluss weiterkämpfte und dabei sogar seinen Rucksack aufbehielt. Es folgten Zeile um Zeile detailreiche Beschreibungen des geregelten Alltags in seiner Grundausbildung und welch hohe Stücke er auf seine Kollegen hielt. Immerhin folgten, ganz zum Schluss, doch noch einige persönliche Worte zum Abschied. Doch nichts deutete darauf hin, dass wir noch vor einigen Tagen unzertrennlich waren und ich ließ den Brief neben meinem Bett auf den Boden segeln. Unsere Begegnung könnte nun sensationsreich unter dem Titel Freundschaft mit gewissen Vorzügen verfilmt werden. Es war nicht das, was ich erwartet hatte. Und es riss mir den Boden unter den Füßen weg.

    Danach war es die Badewanne, die bei mir das Fass zum Überlaufen brachte. Genau genommen war es nicht die Badewanne selber, sondern ein Duschgel von Markus, das dort noch herumstand und mich hämisch anzugrinsen schien als ich im heißen Wasser zusammenkauerte und mir die Seele aus dem Leib heulte. Was hatte ich mir nur dabei gedacht, Markus ganz ohne ein Wort bei meiner Feier stehen zu lassen und danach für mehrere Tage mit einem wildfremden Kerl unterzutauchen? Das wacklige Gerüst an Plänen, dass ich noch vor einiger Zeit so dringend zusammenzuzimmern versucht hatte (endlich mit Markus zusammenziehen, den nächste Schritt in ein erwachsenes Leben einleiten) erschien mir mit einem Mal unwirklich und irrwitzig angesichts dessen, was in den Letzten Tagen einfach so passiert ist. Und nun stand ich da vor meinem Scherbenhaufen von Leben und Zukunft und starrte immer noch Ratlos auf die nutzlose Flasche Duschgel auf dem Wannenrand.

    Eins

    Dreißig. Langsam schiebe ich dieses sperrige Wort von der einen Ecke meines Bewusstseins in die nächste. Lustig gemeinte Neckereien meiner Kolleginnen, die auf dem Weg in mein Bürozimmer auf mich niederprasselten, vermischen sich zu einem Gedankenmix in meinem Kopf. Denn weder fühle ich mich merklich reifer als noch vor wenigen Jahren, noch empfinde ich das Verhalten älterer Mitmenschen mir gegenüber als verändert.

    Erst kürzlich musste ich an der Supermarktkasse wieder meinen Ausweis vorzeigen, als ich eine Flasche Liqueur eingekauft hatte.

    Einerseits wurmt mich dieser Umstand. Andererseits werde ich noch früh genug älter – also verdränge ich die Gedanken in meinem Kopf und wende mich wieder meinem Bildschirm zu. Zwar befinde ich mich schon seit einer halben Stunde im Büro, doch außer dem fröhlichen Händeschütteln und allgemeinen im-Kreis-der-älteren-Belegschaft-aufgenommen-werden ist bislang nicht viel Produktives mit meinem Arbeitstag geschehen. Das muss sich ändern! Ich greife gerade zur Computermaus und suche den Icon meines Mail-Programms, als mein Telefon klingelt. Sebastian! Ich erkenne seine Nummer sofort. Dennoch melde ich mich mit unserem Praxisnahmen und bleibe sachlich.

    >Zahnarztpraxis Dr. Berger, hier spricht Pia Frühling, was kann ich für Sie tun? < angespanntes Schweigen erwartet mich am anderen Ende der Leitung.

    >Hallo Pia, ich bin es< Sebastian schweigt erneut. Doch ich bin weiterhin nicht bereit, mit ihm zu sprechen. Dennoch muss ich langsam etwas sagen. Sarah, meine Kollegin der ersten Stunde und gute Freundin, wirft mir von schräg gegenüber einem Blick mit hochgezogenen Augenbrauen zu. Ich hebe für eine Sekunde den Kopf, nicke ihr zu und lasse ein Lächeln über meine Lippen huschen. Sie wendet sich wieder ihrer Arbeit zu und ich bleibe mit meinem Telefon-Problem alleine. Die Stille wird unerträglich, schließlich finde ich dennoch meine Sprache wieder.

    >Hallo Sebastian.< ich bleibe bei seinem vollen Namen und überlege gequält, was ich weiter sagen könnte. Doch eilig ergreift er das Wort.>Pia, bitte.< ich halte für einen Moment die Luft an.

    >Leg bitte nicht auf. Okay?< ich schließe für einen Moment fest die Augen.

    >Es tut mir leid was gestern passiert ist< und ich höre einen tiefen Atemzug am anderen Ende der Leitung, bin aber nicht bereit von meinem neuerlichen Schweigen abzurücken.

    >Ich...Ich weiß selber nicht wie es soweit kommen konnte. Ehrlich. Das habe ich so nicht gewollt. Bitte....< beinahe sehe ich sein Gesicht und den verzweifelten Blick von gestern Abend vor meinem inneren Auge. Ich schlucke langsam und fühle ein leichtes Brennen hinter meinen Augen. Verdammt! Ich bin doch auf der Arbeit. Das ist gar nicht gut. Energisch schüttle ich meinen Kopf und zwinge mich zu einer sachlichen Antwort.

    >Sebastian. Du rufst mir gerade auf der Arbeit an. Das geht jetzt nicht. < Zum Glück ist im Büro gerade noch nicht viel los und ich bin dankbar dafür, dass niemand mein privates Gespräch und meinen verzweifelten Gesichtsausdruck zu bemerken scheint. Außer Sarah, die mich erneut unverwandt über unsere Tische hinweg mustert. Diesmal weiche ich ihrem Blick aus und stiere angestrengt auf die Tastatur. Als ich mich wieder gefasst habe drücken meine Hände wütend den Telefonhörer an mein Ohr und ich zische einige böse Worte in die Muschel. Sebastian schweigt. Ich schweige. Endlich erreiche ich einen weniger aufgelösten Gemütszustand und ringe mir ein winziges Zugeständnis für ihn ab.

    >Heute Abend. Ich muss ohnehin noch einige Sachen holen. Von mir aus können wir dann reden< ich atme einmal tief ein und lasse dann den Atem langsam entweichen. Am anderen Ende der Leitung räuspert sich Sebastian verhalten.

    >Ist in Ordnung. Wo sollen wir uns treffen? < seine Stimme klingt belegt, aber gefasst. Eigentlich will ich mich nicht mit ihm treffen. Sein gestriger - soll ich es noch so nennen - Ausrutscher ging mir um exakt diesen einen Ausrutscher zu weit und so wie ich seinen jetzigen Anruf deuten kann, ist ihm das voll und ganz bewusst. Ich beschließe deshalb, meinen Kurs bei zu behalten und führe das Gespräch auf der unnahbaren Schiene weiter.

    >Nein wirklich, Sebastian. Ich komme vorbei und hole ein paar Sachen von mir ab. Wenn du reden willst dann bei dir zu Hause. <

    Ich betone das Wort reden. Mein Handgelenk schmerzt bereits von der Anspannung und ich lockere meinen Griff. Da meine Freundin mich aber weiterhin nicht aus den Augen lässt, nehme ich an, dass ich immer noch aussehe wie eine Amazone auf dem Weg in den Kampf. Besser gesagt, befinde ich mich bereits in einem Kampf, auch wenn ich nur einen simplen Telefonhörer in der Hand halte.

    >Okay. Wann?< seine Stimme, weiterhin gefasst und neutral, dringt mir ins Ohr. Ich werfe einen entnervten Blick auf meine Uhr und bemerke zu meinem Entsetzen, dass es bereits kurz vor neun Uhr ist. Ich muss dringend meine Arbeit aufnehmen, sonst erledige ich meinen Berg an Aufgaben niemals bis heute Nachmittag.

    >Ich denke, dass ich hier bis vier Uhr fertig bin. Also um fünf?<

    >Gut. Dann bis fünf. < Sebastian übernimmt meinen kühlen Tonfall und legt ohne ein weiteres Wort auf. Ich schnaube wütend. Ich weiß gar nicht, was er denn von mir erwartet. Wohl kaum Freude sobald ich seine Stimme höre! Ich knalle energisch den Hörer aufs Telefon und lasse einen tiefen Brummton aus meinem Bauch aufsteigen. Doch bevor ich meine Arbeitszeit noch weiter mit meinen Beziehungsproblemen belaste wende ich den Blick auf meine stets gefüllte Arbeitsmappe und fische nach dem ersten Notizblatt eines unserer Zahnärzte. Wenn ich nicht bald mit meinen Kostenvoranschlägen beginne dann wird das ein schlechtes Licht auf mich werfen. Ich bemühe mich um eine konzentriertere Gemütsverfassung und rufe für meinen ersten KV den entsprechenden Patienten im Programm auf. Als meine Konzentration allmählich wieder die Oberhand zu gewinnen scheint lese ich aufmerksam die Gesprächsnotizen und übernehme den Zahnbefund in das Programm. Endlich verschwindet das unangenehme, angespannte Gefühl aus meinem Bauch und ich stütze mein Kinn auf die Faust. Ich seufze tief und kaue auf meiner Piercing Kugel herum während ich eingehend die Planung studiere. Schließlich habe ich einen Überblick und verfasse eine Email an unser Labor, um dort ebenfalls einen KV einzuholen für unseren Patienten. Danach trage ich nach und nach alle Kürzel für die geplante Arbeit in mein Programm und wähle aus unserem Materialkatalog rasch die üblichen Positionen für unseren Materialbedarf. Erleichtert drücke ich den Button und das Programm rechnet mir automatisch die Gesamtkosten und den Zuschuss der Krankenkassen aus. Auf die Fremdlaborpreise muss ich erfahrungsgemäß immer mehrere Stunden warten, und so beeile ich mich damit, alle weiteren Planungen in den Computer einzupflegen um alle Kostenvoranschläge in einer einzigen Mail an zu fordern.

    Von nun an vergeht die Zeit wie im Flug und ich erschrecke beinahe, als Sarah direkt vor meinem Schreibtisch steht und mich herausfordernd anblickt. Ich hebe die linke Hand, strecke warnend meinen linken Zeigefinger in ihre Richtung und klicke eilig mit der Maus noch einige Dinge in meinem Programm zusammen. Zeitgleich ploppt auch noch das Fenster meines Mail-Programms auf und erfreut bemerke ich den Eingang der Laborkostenvoranschläge. Sarah verschränkt wartend die Arme vor der Brust und hebt die Augenbrauen. Sie will Antworten. Und die Fragen kenne ich bereits. Seufzend wende ich den Blick von meiner Arbeit und zucke mit den Schultern als ich ihr ins Gesicht sehe.

    >Das war Sebastian. Ich habe ihn verlassen.< nun, da die Bombe geplatzt ist, steht ein griesgrämig dreinblickender Geist zwischen meiner Freundin und mir. Ihren Gesichtsausdruck kann man einfach beschreiben. Denn ihr Mund weicht allmählich einer unförmigen Grimasse. Sie ist sprachlos und scheint tatsächlich nicht mich, sondern diesen Geist zu sehen. Ich verziehe den Mundwinkel gequält zur einen Seite und werfe ihr einen Blick nach Oben zu.

    >Gestern war es soweit. Es ist eskaliert, Sarah. Diesmal hat er mich geschubst. Das geht mir zu weit. Ich kann so nicht weiter machen < ich lasse meine Schultern nach unten fallen und senke den Blick. Die kampfbereite Amazone, welche vorhin noch ein professionelles cool-mal-eben-die-drei-Jahres-Beziehung-beendet-Gespräch zu führen gewusst hat ergreift vor dem dämonenhaften Geist zwischen Sarah und mir schnellstens die Flucht und geht irgendwo tief in mir drin in Deckung vor den ganzen Dingen, die jetzt auf mich zukommen werden. Ich fühle erneut das Brennen hinter meinen Augen und fühle mich schrecklich. Doch ich schaffe es stark zu sein, hebe den Blick und sehe Sarah nicht mehr vor mir. Stattdessen erschreckt sie mich zu Tode, als plötzlich ihre Arme von hinten um meinen Hals greifen und mich nach hinten ziehen. Ich rolle mit meinem Stuhl in ihre Richtung und beginne hemmungslos zu schluchzen. Sie stützt ihr Kinn auf meinen Scheitel und raunt mir beruhigende Worte in die Haare. Ich drücke fest meine Augen zusammen, dennoch spüre ich wenig später die ersten heißen Tränen auf meiner Wange nach unten kullern. Ich bemerke, dass ich immer noch mit der rechten Hand die Maus halte und ergreife stattdessen die Arme meiner Freundin. Gott sei Dank arbeitet sie in der gleichen Praxis wie ich. Was wäre der Alltag nur ohne eine gute Freundin. In dieser unvorteilhaften Situation biegt natürlich einer der jüngeren Zahnärzte, Dr. Sommer, um die Ecke und erwischt uns quasi in flagranti beim Freundinnen-Trösten. Sarah springt schnell einen Schritt zurück. Ich bemühe mich um Fassung und strecke meine Wirbelsäule in die Höhe. Belustigt grinst er zunächst Sarah ins Gesicht und beginnt mit einem Necken, doch als sein Blick mich trifft verstummt er jäh und runzelt die Stirn.

    >Was ist denn mit Ihnen los, Pia?< dabei tritt er näher an den Schreibtisch heran, nestelt aus seinem weißen Kittel eine Packung Papiertaschentücher, öffnet den Verschluss und streckt mir die Packung entgegen. Peinlich gerührt ziehe ich mit zwei spitzen Fingern das oberste Tuch heraus und tupfe unter meiner Brille vorsichtig die verräterischen Tränen weg. Ich ziehe leise die Nase hoch und räuspere mich.

    >Ich....mir geht es gerade nicht gut, Herr Sommer.< jetzt nur keine

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