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HeroIn - Band 1: Liebesroman
HeroIn - Band 1: Liebesroman
HeroIn - Band 1: Liebesroman
eBook441 Seiten6 Stunden

HeroIn - Band 1: Liebesroman

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Über dieses E-Book

*Überarbeitete und korrigierte Auflage. Stand: Januar 2018*

Als Sohn eines Top-Managers sind Valentin Wohlstand und eine sorgenfreie Karriere-Zukunft in die Wiege gelegt worden. Mit Partys, Alkohol- und Drogenexzessen und illegalen Straßenrennen verbringt er seine Nächte; Langeweile und Einsamkeit treiben ihn an. Valentin lässt sich zwar auf zahlreiche One-Night-Stands, aber nie auf Gefühle ein. Bis er auf Elena trifft.

Elena weiß genau, was sie will: ihr Studium beenden, einen Mann finden, heiraten und dann den kleinen Vince aus dem Kinderheim adoptieren. Doch sie trifft auf Valentin – genau den Falschen für ihre Pläne.

Elena berührt mit ihrer Ruhe etwas in Valentin; bei ihr kommt er runter. Doch das schätzt und hasst er zugleich. Er verliebt sich in sie, doch liebt er auch sein exzessives Leben. Elena und die Liebe zu ihr werden für ihn zu einer der härtesten Drogen.

Dies ist keine stürmische Lovestory oder erotischer Roman, sondern eine gesellschaftskritische Geschichte mit ungewöhnlicher Romanze

Empfohlenes Lesealter ab 16/17 Jahre

Der zweite und letzte Teil erscheint im Februar 2018.

SpracheDeutsch
HerausgeberBookRix
Erscheinungsdatum11. Juli 2018
ISBN9783743830028
HeroIn - Band 1: Liebesroman

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    Buchvorschau

    HeroIn - Band 1 - Christine Eder

    HeroIn

    du fragst mich, ob ich pessimistisch sei

    Verlag:

    BookRix GmbH & Co. KG

    Implerstraße 24

    81371 München

    Deutschland

    Coverdesign: © Licht Design – Kristina Licht

    Korrektorat/Lektorat: Andreas März/Sabrina Heilmann

    2. Korrektorat: Sandra Nyklasz

    Gedichte: © Andreas März

    Alle Rechte vorbehalten.

    Kein Teil dieses Werkes darf in irgendeiner Form (durch Fotografie, Mikrofilm oder ein anderes Verfahren) ohne schriftliche Genehmigung der Autorin reproduziert oder unter Verwendung elektronischer Systeme verarbeitet, vervielfältigt oder verbreitet werden.

    Alle handelnden Personen und Handlungen dieses Buches sind frei erfunden und nur aus reinen Vermutungen entstanden. Jegliche Ähnlichkeit mit lebenden oder bereits verstorbenen Personen wäre rein zufällig.

    © Christine Eder 2017

    2. Auflage 2021

    Prolog

    Ich habe mich in meinen Zielen verirrt, in der Zeit, in meinem Leben, in den Gefühlen und vor allem … in der Liebe.

    Was ist eigentlich Liebe? Liebe – das ist Glück, Emotionen und Begeisterung. In ihr rauschen tausende unvorstellbar große, innige und bis dahin noch unentdeckte Gefühle, die einen süchtig und abhängig machen. Liebe ist wie eine Droge, nach der unser Körper verlangt, bis wir irgendwann in die Sucht abstürzen.

    Die Liebe belebt uns, stellt uns auf die Beine, bringt uns zum Lachen und zum Weinen. Sie ist jenseits von Gut und Böse, ein Geschenk und ein Fluch zugleich, Verlust und Selbstfindung. Liebe ist ein sehr schönes Erlebnis, das unser Inneres aus dem Gleichgewicht bringt, uns bis zum Himmel ragen und an nichts anderes mehr denken lässt.

    Je mehr man durch das unbegrenzte Glück der Liebe aufsteigt, desto tiefer fällt man und erlebt den Untergang auf Erden. Plötzlich sind Herz und Verstand nicht mehr auf einer Wellenlänge. Die Liebe kann nun mal vergänglich sein. Nichts im Leben ist ewig, auch das Leben selbst nicht. Liebe und Tod sind sehr starke Ereignisse im Leben eines jeden. Sie schlagen gnadenlos zu, wenn es an der Zeit ist und wir es am wenigsten erwarten.

    Kapitel 1

    Valentin

    Der Wecker meines Handys klingelt vibrierend auf meinem Nachttisch, sodass es meinen Schädel zerreißt. Es fühlt sich so an, als würde jemand auf meinem Hirn wie auf dem Becken eines Schlagzeugs scheppern.

    Ich strecke meine Hand aus, taste mit meinen Fingern danach, suche den verdammten Nervtöter, finde und schalte ihn ab. Stöhnend drehe ich meinen Kopf zur anderen Seite und spüre, dass noch jemand neben mir in meinem Bett liegt und vor meiner Nase atmet. Ich bemühe mich, meine schweren Augenlider ganz zu öffnen und klar zu sehen. Aber das Bild verschwimmt wie ein ziehender Nebel, der mein Bewusstsein davontreiben lässt.

    Scheiße, ich habe gestern wieder mal übertrieben. Ich seufze und fahre mir mit der Hand über das Gesicht. Blinzelnd schaue ich mir den fremden Körper in meinem Bett genauer an. Eine Frau, und sie ist nackt. Habe ich eine Prostituierte mitgenommen? Oder einfach nur eine Bereitwillige?

    Einige Minuten brauche ich noch, um ganz zu mir zu kommen und meine Sinne wieder in den Urzustand zu bringen. Mein Schädel brummt, vor meinen Augen dreht sich immer noch alles. Meine Kehle ist wahnsinnig trocken und verlangt nach Wasser. Meine Nase klebt und zieht, als würde da drin jeden Moment die Haut reißen. Ich reibe an ihr, ziehe ständig die Luft ein und bewege meine Nase hin und her.

    Stöhnend richte ich mich auf, klettere aus dem Bett, lasse sie – wer auch immer sie ist – liegen und schaue mich um. Klamotten liegen zerstreut um das Bett herum, und dazwischen eine leere Kondomverpackung.

    Schlaftrunken halte ich mein Handy in der Hand und gehe barfuß und nackt ins Wohnzimmer. Ich bemerke eine halbleere Wasserflasche, die ich vom Couchtisch nehme, und kippe den Inhalt hinunter. Jetzt muss ich nur noch schnell duschen gehen, denn ich stinke wie ein Müllsack mit verwesendem Inhalt.

    Im Badezimmer blickt mir mein Spiegelbild entgegen: kurze dunkelbraune Haare und blaue Augen, unter denen braune Augenringe leuchten, die auf eine durchzechte Nacht deuten. Schleunigst bringe ich mein Aussehen in Ordnung, indem ich mein Gesicht mit kaltem Wasser wasche, dann nehme ich Nasenbefeuchter aus dem Schrank und inhaliere tief.

    Nachdem ich die Zahnbürste in meinen Mund gesteckt habe, schreibe ich nebenbei eine Nachricht an meinen Freund Enzo: Hey, weißt du vielleicht, wer die Nackte in meinem Bett ist? Nutte?! Die gleiche Frage schicke ich an Thomas und Rudolf.

    ,Freunde‘ habe ich viele, doch sie alle tatsächlich als solche zu bezeichnen, kann ich nicht wirklich. Eher als Bekannte, mit denen ich mal etwas unternehme und mir die Zeit vertreibe, wenn sie oder ich jemanden zum Feiern brauchen.

    Enzo, Thomas und Rudolf sind die einzigen Freunde, denen ich vertrauen kann und mit denen ich meistens auch abhänge. Mit ihnen bin ich seit der Schule befreundet. Enzo und ich kennen uns bereits seit dem Kindergarten und haben früher nach der Schule Fußball und Autorennen, genauer gesagt Gran Turismo, auf der Play-Station gespielt. Aber daraus sind wir sehr schnell herausgewachsen und haben begonnen, uns mit anderen Dingen zu beschäftigen. Wir haben schnell das Nachtleben entdeckt. Am Gymnasium habe ich dann Thomas kennengelernt, während Enzo die Realschule besuchte und auf Rudolf traf. Von da an verbrachten wir zu viert unsere Zeit, was sich bis heute nicht geändert hat.

    Aber ich gelange allmählich an einen Wendepunkt in meinem Leben, an dem ich mir denke, dass meine Grenze wohl bald erreicht sein wird. Junge, du wirst langsam alt.

    Nicht wirklich alt. So alt, dass man den Jugendquatsch einfach nicht mehr machen kann – oder eher darf, aus Sicht der Erwachsenen. Thomas hat das von uns wohl als Erster begriffen. Er zeigt sich inzwischen immer seltener, weil er eine Freundin gefunden hat, mit der er es ernst zu meinen scheint. Im Gegensatz zu uns übrigen drei.

    Ich warte, bis sie mir antworten, und nehme in der Zwischenzeit eine ausgiebige Dusche, wo ich versuche, meine Erinnerungen an den gestrigen Abend zu sortieren. Vergeblich. Das ist ja eine Weltmeisterschaftsaufgabe: Finde die Nadel im Heuhaufen. So kommt mir gerade auch mein Gehirn vor. Tausend bunte Bilder huschen durch meinen Kopf: lachende, betrunkene, kreischende und tanzende Gesichter. Alles sind nur Fetzen, nichts Klares ist dabei.

    Gestern war ich mit einigen Geschäftspartnern nach der Arbeit in einem Club, wo wir etwas getrunken haben. Davor hatten wir ein ausgiebiges Gespräch, in welchem ich sie von den Produkten meiner Firma überzeugen wollte, damit sie den Vertrag mit uns unterschreiben. Ich hoffe, meine Überzeugungsarbeit war erfolgreich.

    Ich weiß noch, dass ich mich danach mit den Jungs verabredet habe und wir in eine Bar gegangen sind, die voll mit feiernden Menschen war. Darunter waren auch unzählige Mädels, aus denen wir uns die Schönsten heraussuchten. Wir tanzten mit ihnen, tranken nicht wenig Champagner, welcher dann in härtere Drinks überging, und liefen aufs Klo, um Snow zu schnüffeln. Je länger der Abend wurde, desto unverschämter und hemmungsloser wurden die Mädels. Und dann … Ende im Gelände. Ein Riss. Loch. Keine Erinnerungen mehr an gestern.

    Ich steige aus der Dusche und schaue auf mein Handy. Keiner von meinen Freunden hat mir geantwortet. Ich rufe sie an, doch keiner geht ran. Die Säcke pennen bestimmt noch ihren Rausch aus! Angepisst stapfe ich aus dem Badezimmer.

    Als ich in mein lichtdurchflutetes Schlafzimmer trete, sitzt die Fremde, nur mit ihrem Höschen bekleidet, auf dem Bett und zieht sich gerade das Kleid über den Kopf. Als ihr Gesicht erkennbar wird, schaut sie mich musternd von oben bis unten an und bleibt mit ihren dreisten Augen an meinem Glied hängen.

    »Wow!« Ein Grinsen breitet sich auf ihrem Gesicht aus und sie schaut flirtend wieder zu mir.

    »Natürlich, wow!«, gebe ich zurück. Ich fühle mich in meinem Körper sehr wohl und habe daher keinerlei Komplexe, mich nackt zu zeigen.

    Sie sieht hübsch aus, trotz ihrer verschmierten Wimperntusche unter den Augen, hat einen schlanken Körperbau und verdammt lange Beine. Genau mein Geschmack. Lange dunkelblonde Haare mit unregelmäßigen Locken, die ziemlich zerzaust aussehen, umrahmen ihr Gesicht. Wahrscheinlich waren sie gestern noch topgestylt. Ich kann mich aber überhaupt nicht an sie erinnern.

    Ich gehe an ihr vorbei und stelle mich mit meinem ihr zugewandten, blanken Hintern vor meinen Schrank, den ich öffne. »Entschuldige, ich habe deinen Namen vergessen«, sage ich und ziehe mir die Calvin-Klein-Unterwäsche an.

    »Alice«, antwortet sie hinter mir, und ich höre, wie sie vom Bett aufsteht.

    Mir kommt plötzlich der Song von Smokie in den Kopf, und ich muss schmunzeln. Alice, Who The Fuck Is Alice? Muss ich sie bezahlen oder nicht?

    Ich nehme das weiße Ralph-Lauren-Hemd vom Bügel, streife es über und drehe mich dann zu ihr um, während ich es schnell zuknöpfe.

    »Und ähm, du … Valentin«, errät sie – oder erinnert – sich, im Gegensatz zu mir.

    »Da ist ja jemand bestens informiert.« Ich lächle sie an und ziehe mir die Paul-Smith-Anzughose an.

    »Na ja … wer kennt dich nicht?«, meint sie neckisch, schlüpft in ihre Pumps und nagt dann an ihrer Unterlippe.

    Doch bezahlen? Wartet sie auf das Geld?

    Sie lächelt mich kurz an und stöckelt aus dem Schlafzimmer. Ich nehme das Jackett meines Anzugs und dann mein Handy in die Hand, das ich in der Hoffnung auf Antworten inspiziere. Da es mir nichts Neues anzeigt, stecke ich es in die Hosentasche und nehme noch mein Portemonnaie mit.

    Alice sieht sich in meiner Penthouse-Wohnung um und geht mit der geschmeidigen Bewegung einer Katze durchs Wohnzimmer zu den Doppeltüren der Dachterrasse. Sie schaut aus den großen Fenstern, aus denen sie unsere Stadt aus der achten Etage einige Sekunden bewundert, während ich ihren knackigen Hintern studiere.

    Sie dreht sich plötzlich zu mir um und geht auf mich zu. Ich werde nervös, weil ich sie dennoch langsam loswerden möchte. Also bleibe ich einfach stehen und betrachte desinteressiert mein Möbeldesign.

    Als sie vor mir stehen bleibt, sehe ich sie wieder an. »Hör mal … Alice! Ich muss mich für die Arbeit fertigmachen. Also …«

    »Ach so, ja klar.« Sie nickt, bleibt aber noch vor mir stehen, was für mich so aussieht, als ob sie nach Worten suchen würde.

    Scheiße, sie wartet tatsächlich auf ihr Geld. Aber wie eine Hure sieht sie doch nicht aus. Obwohl … In den Clubs ist es immer schwer nachzuvollziehen, wer nur einen One-Night-Stand sucht und wer das professionell macht. Komischerweise stylen sich alle irgendwie gleich, ganz egal, ob es sich nun um ein braves oder eher freizügiges Mädchen handelt. And who the fuck is Alice?

    Mir bleibt nichts anderes übrig, als mein Portemonnaie zu zücken und in meinen Scheinen zu wühlen.

    »Was schulde ich dir für die Nacht?«, frage ich und hebe meinen Blick. Oh, oh!

    Ihre flache Hand trifft mich hart an der Wange. Von allen Ohrfeigen, die ich bereits von zahlreichen Weibern kassiert habe, hat es diese wirklich in sich. Kraft hat sie, das muss ich zugeben.

    »Arschloch!«, faucht sie, dreht sich um und stöckelt in den Flur.

    »Ja, da bist du auch bestens informiert.« Ich gehe grinsend hinter ihr her und reibe meine brennende Wange.

    »Ich wollte nur nach deiner Nummer fragen«, keift sie und dreht sich vor der Tür noch mal halb zu mir um.

    »Oh, da bist du aber schlecht informiert! Ich gebe nie meine Nummer raus.«

    Sie reißt die Tür auf, die dann laut hinter ihr zuknallt. Ich höre mein Handy in der Hosentasche klingeln und hole es heraus. Auf dem Display leuchtet Enzos Fratze auf, und ich nehme ab. Er krächzt noch mit ziemlich verschlafener Stimme: »Sie ist keine Nutte!«

    »Danke, aber die Info kommt zu spät«, sage ich und gehe zurück in mein Wohnzimmer, dann nach links in meine offene Küche. »Ich wollte sie bezahlen, und sie hat mir eine gescheuert.« Enzo lacht auf. »Was lachst du? Konntest du mir nicht sofort antworten?«, wettere ich, lächle aber dennoch und stelle meinen Kaffeeautomaten an, um mir einen Espresso zu machen. Ich höre, wie er ächzt, was sich anhört, als würde er sich nebenbei anziehen.

    »Sorry, mec.« Er spricht mich wie so oft mit dem französischen Wort für ,Macker‘ an. »Ich bin selbst gerade aufgewacht, habe meinen Wecker nicht mal gehört«, behauptet er jetzt in Eile. »Sag mal, was war gestern eigentlich los?«

    »Das fragst du mich? Ich habe doch selbst keine Ahnung!« Ich nehme lachend die Tasse in die Hand und nippe an dem heißen Espresso.

    »Hey, nachdem wir das Zeug geschnüffelt haben … Bzzz, kein Licht mehr da«, parodiert er lachend den französischen Akzent, den er selbst kaum hat, weil er in Deutschland geboren wurde. »Shit, wo sind meine Socken? … Ah, da.«

    »Das hat Thomas irgendwo herbekommen. Fragen wir ihn dann später.« Ich öffne die Terrassentüren und gehe raus.

    Blauer Himmel. Sonne. Hochsommer. Geil. Ich atme kräftig die frische Luft ein.

    »Na okay, ich muss jetzt zur Arbeit«, sagt Enzo. »Heute bleibt alles, wie wir es abgesprochen haben, oder?«

    »Na klar.« Ich grinse breit.

    »Ich werde in der Werkstatt auf dich warten«, schnauft er in den Hörer.

    »Ja, tschüss.«

    »Au revoir!«, blödelt er und legt auf.

    Ich nehme lächelnd das Handy vom Ohr und sehe Thomas’ Antwort auf meine auch an ihn gerichtete Frage: Sie ist keine Hure!

    Ich tippe zurück: Danke, das weiß ich schon selbst. Was hast du uns gestern für ein Zeug gegeben?

    Seine Antwort kommt sofort: »Ich dachte, es wäre Koks. Scheint aber Heroin gewesen zu sein.«

    Du Hirni! Sieh beim nächsten Mal genauer hin und pass auf, von wem du das Zeug bekommst, schreibe ich ihm, während ich meinen Espresso trinke und nebenbei eine rauche.

    Ich schaue in der Galerie meines Handys die Fotos vom gestrigen Abend durch: Ein schiefes Bild, auf dem ich Enzo, breit in die Kamera grinsend, umarme, auf dem nächsten bin ich – vermutlich mit Alice – mit einem Glas Whisky in der Hand, wir albern und tanzen auf der Tanzfläche. Die Gesichter werden mit jedem Blättern durch die Bilder klarer und klarer. Es folgt ein Selfie, auf dem ich noch ziemlich fein rausgeputzt aussehe. Ich habe es gemacht, kurz bevor ich auf die Party gegangen bin. Genau das stelle ich auch rein! Ich lade mein Foto bei Facebook und Instagram hoch und sehe, wie die ersten Likes vergeben werden.

    In meiner Garage gehe ich an meinem kirschroten, getunten Mazda MX-5 vorbei, setze mich aber in meinen Geschäftswagen, einen schwarzen 3er-BMW, und fahre in die Arbeit. Die Stadt ist belebt wie eh und je, und natürlich sind die Staus hier einfach unvermeidbar.

    Hamburg. Meine Heimatstadt. Hier lebe ich. Hier regieren Tourismus und Business. Die Stadt ist aufgrund ihrer vielen Sehenswürdigkeiten nicht nur eines der attraktivsten Ziele, sondern durch den Hafen auch ein Zentrum für Handel und Industrie. Hamburg und Reichtum – das ist eins. Die Reichen sind der größte Bevölkerungsteil der Stadt. Ihnen hat die Schuldenkrise in Europa nicht zugesetzt, sondern sie noch reicher gemacht.

    Auch ich gehöre zu der wohlhabenden Sorte und arbeite in der Firma meines Vaters. Er zählt zu den größten Top-Managern Deutschlands; seine Firma gehört zu der G & G – Unternehmensgruppe im Industriekonzern Elektrotechnik und Elektrik. Ich werde häufig damit konfrontiert, dass ich den Luxus nur meinem Vater zu verdanken habe, was zum größten Teil auch stimmt. Doch im Gegensatz zu den anderen jungen wohlhabenden Kindern, die ihr Vermögen geerbt oder von ihren reichen Eltern zugesteckt bekommen haben und nicht arbeiten wollen, habe ich fleißig gelernt, studiert und arbeite für mein Geld. Meine schicke Wohnung, meine Autos, die Rechnungen der Restaurants, Clubs oder Bars kann ich mir selbst leisten. Also sollte ich doch mein Leben in vollen Zügen genießen dürfen. Mit dem Neid kann ich sehr gut umgehen. Die Meinungen über mich, mein Vermögen oder was ich damit anstelle, gehen mir am Arsch vorbei. Ich lebe meine Momente. Ich lebe mein Leben. Alles Weitere und die anderen sind mir echt egal.

    Elena

    Mein Zimmer ist mit Sonnenlicht durchflutet. Das schöne Wetter beflügelt meine Laune, und ich strecke mich genüsslich in meinem Bett. Draußen höre ich schon das hektische Gewusel der Stadt und die vorbeirauschenden und hupenden Autos. Das Haus steht direkt an einer stark befahrenen Hauptstraße.

    Ich freue mich wahnsinnig, dass heute Freitag ist. Wenigstens am Wochenende werde ich diesem Lärm entfliehen. Ach, ist es schön, schon am frühen Morgen mit dem Gezwitscher der Vögel und einer frischen Brise Morgenluft, die vom offenen Fenster hereinweht, aufzuwachen und wenigstens für ein paar Tage dem Druck dieser Stadt zu entgehen.

    Leicht beschwingt springe ich aus meinem Bett auf die Beine. Ich nehme meine am Vorabend bereitgelegte Kleidung vom Stuhl und schlüpfe in ein leichtes Sommertop und in die durchgescheuerte Jeans. Zufrieden betrachte ich mich im Schrankspiegel und gehe anschließend aus meinem Zimmer.

    So wie an jedem anderen Tag bemerke ich auch heute wieder, dass meine Mitbewohnerin Roma noch nicht wach ist. Ich habe sie vor einem Jahr hier in Hamburg kennengelernt und kurz darauf mit ihr eine WG gegründet.

    Nachdem ich in der Küche den Wasserkocher angestellt habe, gehe ich zu ihrem Zimmer. Ich öffne die Tür, presse lächelnd meine Lippen zusammen und bleibe im Türrahmen stehen. Sie schläft bis auf den letzten Drücker und verbreitet dann auch gleich in Windeseile ihre schlechte Laune.

    Ich kann es auf den Tod nicht ab, wenn mich Menschen sinnlos reizen. An sich bin ich ein sehr ausgeglichener und ruhiger Mensch, und mich so richtig aus der Bahn zu werfen, hat bis jetzt noch keiner geschafft. Ich weiß sogar ehrlich gesagt gar nicht, ob ich schreien kann, wenn ich so richtig wütend bin.

    Romas Gesicht wird von ihren schwarzen gewellten Haaren verdeckt, ihre Beine und Arme sind quer über das Bett verteilt. Das ist vielleicht ein Dornröschen.

    »Aufstehen!«, rufe ich laut und lache leise drauflos, als sie zusammenzuckt, aber weiterhin stöhnend im Bett liegen bleibt.

    »Oh Elena, musst du so schreien?«, brummt sie in das Kissen, wälzt sich etwas hin und her und entspannt sich schließlich wieder auf dem Bauch liegend.

    »Los, steh auf. Sonst wirst du wieder stinkig, weil du dich beeilen musst.«

    »Uhu«, murrt sie und rührt sich nicht.

    »Also, ich werde dich kein zweites Mal wecken«, drohe ich ihr an.

    »Uhuu«, wiederholt sie nun etwas leiser.

    »Wie du willst«, sage ich.

    »Uhuuu.« Sie rührt sich immer noch nicht.

    Ich gehe dennoch aus ihrem Zimmer und verschwinde im Bad, putze meine Zähne, kämme meine dünnen dunkelblonden Haare und lasse sie offen über meine Schultern fallen.

    Als ich rauskomme und an Romas Zimmer vorbeigehe, liegt sie immer noch regungslos im Bett. »Roma!«, rufe ich.

    »Ah?«

    »Steh auf.« Ich bleibe wieder in der Tür stehen.

    Sie richtet sich langsam und schaukelnd in eine halbwegs sitzende Position auf, lässt aber ihre Augen noch zu.

    »Uhuuu.« Sie streift eine Haarsträhne aus dem Gesicht. »Bin … wach«, brummt sie verschlafen.

    »Deine Augen sagen was ganz anderes«, kichere ich, und sie versucht diese aufzumachen.

    »Ich bin wach«, krächzt sie und klimpert mit ihren langen Wimpern.

    »Okay.« Ich lächle über diesen Anblick und gehe in die Küche.

    Beim Frühstück esse ich mein Müsli mit Milch und lese nebenbei in aller Ruhe die regionale Zeitung. Doch diese Ruhe geht dahin, als Roma in die Küche poltert und sich währenddessen ihre Haare zu einem wilden Pferdeschwanz bindet.

    »Oh, du hast mir schon einen Tee gekocht?«, sagt sie breit lächelnd, als sie ihren Becher sieht. Mit einem Schritt ist sie bei mir. »Du bist die Beste.« Sie gibt mir einen Kuss auf die Wange.

    »Ich weiß«, schmunzle ich und lese kauend weiter.

    Sie nimmt den Becher in beide Hände und trinkt hastig, ohne sich zu setzen. »Was liest du da?«, fragt sie.

    »Einen Artikel darüber, dass Cannabis im Schanzenviertel kontrolliert verteilt wird, um den illegalen Drogenhandel einzudämmen«, informiere ich sie und blättere weiter.

    »Aha … hm«, bringt sie nur hervor und nippt erneut an ihrem Becher.

    »Pff, Schanzenviertel«, schnaube ich und blättere die Seiten der Zeitung durch. »Als ob das nur da ein Problem wäre!«

    »Wo sonst?«, hakt Roma nach, schaut auf ihre Uhr und trinkt noch schneller, als ich es für möglich halten würde.

    »Hast du dir schon mal die Reichen angeschaut? Denkst du wirklich, dass sie nur in den edlen Restaurants sitzen, wo sie ihre Champagnerflasche von Moët Dom Pérignon extra mit dem Etikett nach außen zum Saal stehen haben, damit es alle genau sehen können? Nein! Sie veranstalten die wildesten Partys, wo auf keinen Fall nicht nur Alkohol fehlen darf, sondern auch Drogen. Aber niemand will ja von solchen Ausschweifungen sprechen oder etwas bemerken. Man kann das Schniefen mit der Nase einfach auf eine Pollenallergie schieben, wo in Deutschland fast jeder darunter zu leiden scheint«, rede ich mich in Rage. »Sie sind doch bloß ein scheinbar zivilisierteres Ghetto.«

    Roma kichert amüsiert auf. »Hast du dich jetzt mal wieder ausgesprochen?«

    »Ja, jetzt habe ich mich etwas beruhigt!«

    Sie stellt ihren Becher in die Spüle. »Du und deine große Liebe für die Reichen«, spöttelt sie breit lächelnd, woraufhin ich nur schmunzelnd meine Lippen zusammenpresse.

    Ja, mit den Reichen habe ich so meine Probleme. Sie zeigen von sich nur die besten Seiten und verbergen die Wahrheit und ihre Macken hinter ihrer Etikette. Sie sind doch alle sehr intellektuelle und nennenswerte Menschen, die natürlich nie davon sprechen, wer Kokain schnüffelt, in der Pornografie mitwirkt, Plagiate vertreibt, sein Image pflegt oder sich irgendeinen Titel kauft. Alle wissen, dass sie es tun, und dennoch weiß niemand, dass es getan wird. Verdrängung und Ignoranz sind wohl in unserer heutigen Gesellschaft zu weit verbreiteten Krankheiten geworden.

    Ich falte die Zeitung zusammen, während Roma zurück in ihr Zimmer geht. Sekunden später prescht sie mit ihrer Tasche in den Flur, während ich meine Müslischale und ihren Becher abspüle und anschließend meine Hände abtrockne.

    Sie schaut aus dem Türrahmen heraus. »Sehen wir uns heute noch, bevor du fährst?«

    »Ja. Ich fahre erst am Abend.«

    »Na gut, dann bis später.«

    »Bis dann.« Wir geben uns Wangenküsse zum Abschied, und sie schießt aus der Wohnung, um zu ihrer Ausbildungsstelle zur Einzelhandelskauffrau zu fahren.

    Auch ich nehme meinen Rucksack, werfe ihn über die Schulter und gehe aus der Wohnung. Vor dem Haus bleibe ich neben meinem Yamaha-Motorrad stehen, ziehe meinen Blouson an, setze den Helm auf und bemerke bereits beim Aufsteigen, dass mir echt heiß wird. Also fahre ich rasch los zur Zeitungsredaktion, in der ich momentan ein Praktikum für mein Journalismusstudium absolviere.

    Ich versuche, die Staus auf den Nebenstraßen zu umfahren. In solchen Situationen bin ich echt froh, dass ich ein Motorrad habe und kein Auto und dass der Fahrtwind mich in dieser Hitze abkühlt. Vielleicht gibt es heute ja endlich mal ein Gewitter.

    Ich liebe Donnerwetter sowie lauwarmen Sommerregen und den Geruch, wenn er auf der heißen Erde verdampft. Ich halte mich gern in der Natur auf, genieße die Ruhe und ihre leisen Geräusche. Manchmal sitze ich stundenlang im Grünen und träume dabei einfach nur.

    Wünsche habe ich wenig. Ich brauche keine teuren Sachen oder Klamotten. Mir ist nicht wichtig, viel Geld zu besitzen oder danach zu jagen, damit ich wie die Made im Speck leben kann. Ich bin ein bescheidener und kein materiell orientierter Mensch. Um in meinem Leben glücklich zu sein, brauche ich nicht viel – im Gegensatz zur heutigen Mehrheit der Menschen, die nur nach materiellem Vermögen zu urteilen scheint.

    Vielleicht war es in unserer Welt immer so, aber heutzutage kommt es mir so vor, als würden sich die Reichen immer mehr bereichern, während die Armen noch ärmer werden. Die Menschen regieren die Welt, und Geld regiert die Menschen. Je mehr sie davon haben, desto mehr wollen sie. Die Kluft zwischen den Wohlhabenden und den Armen wird größer. Der Mittelstand stirbt langsam aus, als ob er die Pest hätte, die ihm nach und nach alles nimmt, bis er am Existenzlimit leben muss und in seinem Leben nur noch dahinvegetiert.

    Die Wohlhabenden wissen einfach nicht, was das heißt, jeden Tag in Not zu leben, jeden Cent einzeln umzudrehen oder gar hungern zu müssen. Sie interessieren sich nicht dafür, wie viele Menschen auf der Straße leben. Empathie ist für die ein Fremdwort. Sie denken nur an sich selbst, fühlen sich wie die Helden der Welt, sind aber für mich nichts anderes als selbstverliebte Egoisten. Insbesondere die jüngeren Würstchen, die am Steuer der Autos ihrer Väter sitzen, betrachten sich als erfolgreich. Diejenigen, die tatsächlich ein wenig Macht besitzen, versuchen dir zu beweisen, dass du in deren Gesellschaft ein Nichts bist. Es gibt kein Konzept von Ehre und Würde, und Bescheidenheit wird schon längst als Schwäche angesehen. Die Menschen, die ein gutes Herz haben, werden heutzutage als Last angesehen, deren Leben als eintönig erscheint und nur als eine Verzögerung des Schicksals betrachtet wird.

    Es ist kein Neid gegenüber den Wohlhabenden, nein. Ich halte mich für einen gütigen Menschen und würde nie jemandem etwas Böses wünschen. Nur komme ich aus einem schwierigen Ort und würde meine Kindheit niemandem wünschen. Daher kenne ich die Seite der Armut sehr gut. Ich hatte manchmal sogar tagelang Hunger gelitten, hatte keine anständige Kleidung und kannte weder Liebe noch Zärtlichkeiten in meiner Kindheit. Ich stand oft mit meiner kindlichen Hilflosigkeit allein, versuchte meine Wut mit Liebe zu bekämpfen, doch hatte nur noch mehr Druck auf meiner Seele.

    Ich bin gerade erst neunzehn Jahre alt, und es scheint mir, als hätte ich bereits zwei Leben gelebt. Das Alter ist für mich nur eine Zahl, und diese Zahl zeigt nicht unbedingt das Wissen eines Menschen. Alles hängt von den erlebten Schicksalen und Rückschlägen im Leben ab und wie sehr das Ganze einen gezeichnet hat. Die einen werden davon schwach, bei den anderen stärkt es den Charakter, und bei einigen entwickelt sich für manche Handlungen eine Art Abneigung. Das Letzte spricht wohl für mich.

    Kurz bevor ich die Redaktion erreiche, muss ich dennoch auf eine lebhafte Straße rausfahren und bleibe an einer roten Ampel neben einem dicken BMW stehen. Und da haben wir so einen Typen! Ich schaue ins Auto, in dem ein jüngerer Anzugschnösel sitzt und die typischen wischenden Handbewegungen an seinem iPhone macht. Die Ampel schaltet auf Grün. Er legt rasch sein Handy weg, fährt geradeaus und ich biege nach links ab.

    Kapitel 2

    Valentin

    An der letzten Kreuzung bleibe ich an einer roten Ampel stehen und schaue im Terminplaner meines Handys, ob ich heute irgendwelche Meetings außerhalb habe. Ich versuche ernsthaft mich zu konzentrieren, während links neben mir ein Motorrad steht, das mir langsam auf den Senkel geht. Als die Ampel umschaltet und der Fluss der Autos sich voran bewegt, lege ich schnell mein Handy auf dem Sitz ab und fahre ebenfalls los.

    Vor dem dreiundzwanzigstöckigen Geschäftsgebäude, in dem ich arbeite, parke ich mein Auto und steige aus. Meine Kollegen, die ich zum größten Teil nicht einmal kenne, beeilen sich pünktlich zu kommen. Sie laufen in der angemessenen Bekleidung mit ihren Akten- und Laptoptaschen ins Gebäude, während sie telefonieren oder noch schnell Nachrichten überfliegen oder schreiben.

    Ich bleibe vor der Tür stehen und rauche auf die Schnelle noch eine, wie auch einige andere Leute, da uns vor kurzem das Rauchen im Gebäude untersagt wurde. Aus gesundheitlichen Gründen. Natürlich! Als ob sich jemand um unsere Gesundheit schert, außer wenn es ums Geld der Krankenversicherungen geht.

    In der obersten Etage steige ich als einer der Letzten aus dem Fahrstuhl aus und marschiere durch das Großraumbüro zu meinem Büro. Die Geräusche der verschiedenen Drucker, klingelnden Telefone, Kopierer und der querbeet sprechenden Menschen durchdringen mein noch unausgeschlafenes und empfindliches Gehirn. Ich versuche allmählich meine Gedanken zu sortieren, um konzentriert meiner Arbeit nachgehen zu können. Ich hätte eine Aspirin nehmen sollen. Am liebsten wäre ich jetzt allein schon der Geräuschkulisse wegen geflüchtet.

    Freundlich begrüße ich meine Kollegen und lächle sie an. Dieselben Reaktionen bekomme ich zurück. Ob sie tatsächlich froh sind, bei der Arbeit anwesend zu sein? Das bezweifle ich. Die Mehrheit der Leute arbeitet heutzutage nur notgedrungen, um nicht in die sozialen Problemsümpfe abzurutschen. Das war immer so und wird sich wohl auch nie ändern.

    Ich schüttle freundlich die Hände meiner Kollegen, die überwiegend Leiter verschiedener Abteilungen sind. Einige von ihnen stopfen mir geradezu diese heuchelnde Freundlichkeit in den Arsch. Bei mir bringt das nichts. Allerdings haben es einige bei meinem Vater geschafft, sich hochzuschleimen und sich mit einer widerwärtigen Hochnäsigkeit in das lederne Sesselchen niederzulassen. Jetzt denken sie, nicht mehr denken zu müssen, und wälzen ihre Arbeit auf die untergeordneten Mitarbeiter ab.

    Obwohl ich dazu sagen muss, dass ich selbst Verkaufsleiter bin und meine Arbeit auch gerne weiterreiche. Der einzige Unterschied: Ich bin der Sohn des Chefs und musste meinem Vater Gott sei Dank weder damals, als ich die Stelle zugewiesen bekam, noch jetzt in den Arsch kriechen. Es war allein seine Entscheidung, mich mit der Leiterstelle zu krönen, die ich einfach so aus Bequemlichkeit hingenommen und akzeptiert habe.

    »Herr Weber«, ruft eine weibliche Stimme hinter mir, an der ich sofort die Sekretärin meines Vaters erkenne.

    Ich drehe mich bereits mit einem Lächeln zu ihr um. Sie trägt wie immer einen makellosen, eleganten Rock und eine Bluse.

    »Ihr Vater will Sie sprechen«, setzt sie mich in Kenntnis.

    »Danke, Sylvia. Er kann wohl nicht ohne mich leben.« Ich drehe mich um und gehe weiter.

    Vor meinem Büro verlangsame ich meine Schritte und begutachte eine unbekannte junge Frau, die jetzt auf dem Platz meiner Sekretärin sitzt. Ich wusste schon, dass mein Vater jemanden für mich einstellen will, doch … Hat er etwa keinen Geschmack?

    Sie sieht nicht wirklich anziehend aus, obwohl sie schöne Kleidung an ihrem knochigen Körper trägt, die aber nicht wirklich gut sitzt. Sie wirkt verbiestert, und ihre dunkelrote Ray-Ban-Brille und die strenge Frisur, zu der sie ihre schwarzen Haare arrangiert hat, verleihen ihr etwas Hartes.

    Sie springt sofort von ihrem Stuhl auf, als ich vor ihr stehen bleibe.

    »Hallo, oh, äh … guten Tag«, redet sie schnell und verwirrt drauflos, blinzelt etwas verloren und streckt mir ihre Hand entgegen. »Ich bin Melanie Groth, Ihre neue Sekretärin.«

    Ich gebe ihr die Hand und zwinge mich irgendwie zum Lächeln.

    »Valentin Weber«, stelle ich mich trocken vor.

    Sie schaut mich mit halbgeöffnetem Mund an, als ob sie mit ihren Augen an meinem Gesicht kleben geblieben wäre. Ehrlich gesagt wirkt ihr Blick auf mich gerade so, als würde sie sich vorstellen, wie ich ihr die Bluse herunterreiße, sie auf den Tisch werfe und dann mit meiner Zunge über ihren Körper gleite. Eine schöne Vorstellung … Hm, aber nicht mit ihr.

    Ich hebe erwartungsvoll eine Augenbraue und warte, ob sie mir noch etwas sagen möchte. Wie auf ein Schusskommando kommt sie erschrocken zu sich und beginnt in den Papieren auf ihrem Tisch zu wühlen.

    »Äh … Herr Weber hat mir gesagt, dass Sie als Erstes immer die Liste mit den Umsatzzahlen sehen möchten.«

    »Als Erstes möchte ich immer einen Espresso«, werfe ich ein und merke, wie schroff es rüberkommt.

    Sie stockt leicht, wobei ihre Hand mit der Liste in der Luft hängen bleibt.

    »Aber ja, ich möchte auch die Umsatzzahlen sehen«, sage in einem versöhnlichen Tonfall und nehme ihr diese ab.

    Sie nickt und schaut verloren umher. »Okay … gut«, murmelt sie nervös. »Dann mache ich Ihnen jetzt einen Espresso.«

    »Ich bin gleich nicht am Platz, Sie können ihn mir später bringen«, informiere ich sie. Sie schaut mich blinzelnd an, senkt dann aber ihren Blick mit einem leisen »Okay«.

    Bevor die Kleine vor Nervosität noch völlig durchdreht, gehe ich in mein Büro, in dem in der Mitte mein Arbeitstisch steht. Durch die Glastür kann ich das Großraumbüro sehen und die Kollegen bei der Arbeit beobachten. Hinter mir aber kann ich Hamburg durch die großen Fenster betrachten, während ich in meinen Gedanken hänge oder mich einfach nur ausruhe.

    Ich schaue durch die Glastür und sehe, wie Melanie an ihrem Platz mit den Händen über den Tisch huscht, als ob sie eine Marionette wäre. So kommen mir die Sekretärinnen meistens auch vor: Marionetten, deren Fäden man ziehen kann, wie man will. Ein erbärmlicher Gedanke, ich weiß.

    Nachdem ich mich im Computer einloggt und ein paar Papiere von meinem Schreibtisch auf den unbearbeiteten Stapel geworfen habe, nehme ich mir eine Aspirin aus der Schublade und mache mich schließlich auf den Weg zu meinem Big Boss.

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