Entdecken Sie Millionen von E-Books, Hörbüchern und vieles mehr mit einer kostenlosen Testversion

Nur $11.99/Monat nach der Testphase. Jederzeit kündbar.

Schulterblick: Die Welt durch deine Augen
Schulterblick: Die Welt durch deine Augen
Schulterblick: Die Welt durch deine Augen
eBook193 Seiten2 Stunden

Schulterblick: Die Welt durch deine Augen

Bewertung: 0 von 5 Sternen

()

Vorschau lesen

Über dieses E-Book

Aufgrund eines Herzfehlers braucht die sechzehnjährige Eske Hoffburg dringend ein Spenderherz. Sie stammt aus der einflussreichen und wohlhabenden Schicht Berlins. Ihre Eltern versuchen, Eskes Behandlung um alles in der Welt voranzutreiben. Im Gegensatz zu dieser oberflächlich heilen Familienwelt steht Jaqueline Pohl, die sich selbst Petty getauft hat. Sie schlägt sich mehr schlecht als recht durchs Leben, indem sie ihre Sorgen in Alkohol und Drogen ertränkt. Bei einer illegalen Party wird sie von der Polizei aufgesammelt und mit Verdacht auf Alkoholvergiftung ins Krankenhaus eingeliefert.
Die Welten der beiden Mädchen kollidieren zufällig in besagtem Berliner Krankenhaus und stellen beide Mädchen vor eine schwierige Entscheidung. Wird jedes Mädchen bekommen, was es verdient?
SpracheDeutsch
Herausgebertredition
Erscheinungsdatum27. März 2020
ISBN9783347022096
Schulterblick: Die Welt durch deine Augen

Ähnlich wie Schulterblick

Ähnliche E-Books

Allgemeine Belletristik für Sie

Mehr anzeigen

Ähnliche Artikel

Rezensionen für Schulterblick

Bewertung: 0 von 5 Sternen
0 Bewertungen

0 Bewertungen0 Rezensionen

Wie hat es Ihnen gefallen?

Zum Bewerten, tippen

Die Rezension muss mindestens 10 Wörter umfassen

    Buchvorschau

    Schulterblick - Tjorven Boderius

    Vorwort

    Das Leben ist ein Spiel – für manche.

    Das Leben ist kurz – für mich.

    Ich bin sechzehn und ich werde sterben:

    Das Leben ist kein Spiel.

    1

    Eske

    Klack, klack, klack - klick,

    bumm bumm, bumm, bumm – bummm - bum.

    Bieep, bie - ep, bie – e – e – ep.

    Ich öffne die Augen. Mit den Fingerkuppen fahre ich über die Schläuche. Zuerst über den Katheter, den sie mir am Arm gesetzt haben, dann über die dickeren, die unter mein Top führen. Resigniert lasse ich die Hände auf den Saum des Stoffes sinken. Auf der Höhe meiner Ohren brummt ein elektrischer Kasten, der meine Herzströme misst. Mittlerweile bin ich an sein eintöniges Piepen gewöhnt. Biep-Biep-Biep. Der Takt ist gleichmäßig, aber er fühlt sich ungewohnt an. Vielleicht sind es meine Gedanken, die das Brummen und die elektrischen Impulse schwer werden lassen. Mein Kopf schmerzt, als verursachen meine schnellen Gedanken dort eine Massenkarambolage. Ich lasse meinen Hinterkopf noch tiefer ins Kissen sinken, als könnte mich der weiße Stoff schlucken. Mir kommt der Gedanke an zu Hause, an ein richtiges Bett - ein Bett, das sich nicht hoch und runterfahren lässt. Eines, das den Krankenschwestern nicht entgegenkommt und mir nicht das Gefühl gibt, ich sei weniger formbar, weniger leblos als ein lächerliches Bett. In meine Nase steigt der muffige Geruch, der schon die ganze Zeit in der Luft liegt. Ein Geruch, der wohl zu jedem Krankenhaus gehört, mir aber erst jetzt auffällt, wo ich mir selbst überlassen und außer Reichweite von gut riechendem Krankenhauspersonal bin. Manchmal kommt mir der Gedanke, dass das eine Art Kompensation ist. Verhüllt in ihre weißen Kittel ist der individuelle Geruch das einzige, was die Kittelträger voneinander abhebt. Aber irgendwie tut mir die Mischung aus Parfum und Muff gut und ich sehne mich nach dem nächsten Mal, wenn die Tür aufschlägt. Für den Anflug einer Sekunde wäge ich ab, ob ich jemanden rufen soll. Dabei fällt mein Blick auf den kleinen Knopf, der neben mir auf der Matratze liegt - in greifbarer Nähe. Doch ich verwerfe den Gedanken. Es wäre gemein, die Krankenschwestern nur wegen ihres guten Geruchs zu missbrauchen. Vielleicht könnte ich sie auch bitten das Fenster zu öffnen? - Nein!, denke ich und presse die Lider aufeinander. Ich winde mich unter dem Schmerz in meiner Brust, wie der Aal im Fischernetz. Ein Brennen kriecht durch meine Herzkranzgefäße und flacht langsam ab. Zurück bleibt ein taubes Gefühl in meiner engen Brust. Oder ist das bloß mein Kopf der schwer wird? Allmählich kommt es mir vor, als sei ich alt. Wirklich alt. Zu alt, um zu leben. Und wenn ich nur zu alt für meinen Körper bin: Ich bin zu alt, um länger zu atmen, länger Schmerz zu empfinden - diesen Schmerz zu empfinden. Dabei bin ich erst sechzehn. Ich bin die jüngste in meinem Jahrgang, und trotzdem fühle ich mich, als hätte ich schon hundert Jahre in meinem Körper verbracht.

    2

    Petty

    Mit den Augen fange ich die Lichtstrahlen ein, die sich in der rissigen Spiegeloberfläche brechen. Vereinzelt verzerren tiefe Furchen mein Spiegelbild. Ich fahre mir gähnend durch die filzigen Haare. Seit einem Jahr habe ich Dreadlocks. Die beste Erfindung der Menschheit! Immer noch gähnend mache ich den Wasserhahn an und halte meinen verfilzten Schopf unter den lauwarmen Strahl. Als ich das Shampoo in die nassen Strähnen reibe, versuche ich mich an die letzte Nacht zu erinnern, doch ich stoße nur auf Gedächtnisfetzen. Ein ironisches Lächeln ziert mein Gesicht. Mit den Händen stemme ich mich gegen das Waschbecken. Kalte Wassertropfen fallen auf mein T-Shirt. Mechanisch hebe ich den Kopf und blinzle mein Spiegelbild an. Fast berührt meine Stirn die gesprungene Oberfläche. Ich mustere mein eingefrorenes Lächeln, das sich mit meinen verschlafenen Augen beißt. Augen, die mit Glück erst morgen wieder wach sind. Diesen wunschlosen Zustand will ich haben, denke ich und mein Lächeln wird noch ein Stückchen größer. Ich fühle alles intensiver, während mein Kopf die unwichtigen und schmerzvollen Sachen ausblendet. Mittlerweile ist es für mich normal, dass ich benebelt bin. Ich liebe den Nachgeschmack von Alkohol und das Abschalten mehr als das eintönige Dasein, das ich bis vor ein paar Jahren gehabt habe. Er poltert gegen die Badezimmertür. Ich schaue auf und zwänge mich aus meiner nassen Kleidung. Zügig tausche ich das weite Schlafshirt gegen ein schwarzes Oberteil, das nach ihm riecht, und suche mir eine zerschlissene Jeans. Wieder peinigt er das Holz. Ich schweige und schließe den Hosenbund. Hastig wasche ich den Rest meines Gesichts, bevor ich meine Augen mit einem kräftigen Lidstrich versehe und die Locken über dem Abfluss auswringe. Wieder kontrolliere ich mein Spiegelbild auf der rissigen Oberfläche. Ich beobachte, wie sich meine Pupillen weiten und wieder zusammen ziehen. Es wird noch viele Momente geben, die ich durch diesen Schleier ziehen werde. Mein Leben liegt vor mir - ein Dasein voller Fehler, die auf mich warten; neben der Möglichkeit zu vergessen, was einmal war. Entschlossen stoße ich mich vom Waschbeckenrand ab und drücke die Türklinke herunter.

    3

    Eske

    Ich stütze mich auf, krame den schimmernden Einband unter dem Bett hervor, den ich im letzten Winter auf dem Dachboden gefunden habe. In der Sonne glänzt er wie Samt, aber hier wirkt er spröde. Mit den Fingern fahre ich über das Plastik und spüre seine Kälte. Ich finde die Seiten und blättere in ihnen, bis ich auf die Liste stoße. Eine belanglose Aufreihung, die mich die Augen verdrehen lässt. Die Türklinge wird heruntergedrückt. Überrumpelt zucke ich zusammen und schiebe das Buch unter das klebrige Kopfkissen. Die Luft ist schwül, mein Kopf schwer. Das Einzige, das den Raum ausfüllt ist mein röchelndes Atmen.

    Jemand öffnet die Tür. Zögernd und schleppend – fragend? Mein Herz schlägt wie verrückt, ein ungleichmäßiges Piepen begleitet den Schmerz in meiner Brust. Zitternd versuche ich es zu beruhigen - mich zu beruhigen, doch ich freue mich zu sehr. Als erstes sehe ich den Schopf meiner Mutter, ihre dunkle Mähne aus dicken Haaren, die sie zu einem spartanischen Zopf geflochten hat. Sie scheint auf ihm geschlafen zu haben, was ihr nicht ähnlich sieht. Trotzdem schenkt sie mir ein Lächeln. Auch wenn ihre Augen ihren Kummer nicht verbergen können, klingt meine Freude nicht ab. Meine Arme finden ihre und meine Nase taucht in den Duft ihres Parfums, das mich immer an sie erinnern wird. Eine blumige Note, die aus mir wieder ihr kleines Mädchen macht. In ihrer Gegenwart fange ich an zu schluchzen - jämmerlich, wie jenes Baby, nicht wie eine Sechzehnjährige. Und doch ist es viel zu lange her, dass ich im Arm meiner Mutter lag. Meinen Kopf an ihre Schulter schmiegen zu können tut so gut, dass der Schmerz mich für einen Moment loslässt. Ich habe sie vermisst; ihr Lächeln, ihre Augen und ihre reservierte Art. Doch sie hat sich verändert: Ihre Wangen sind ein gesunken und es scheint, als wären ihre Augenringe eingraviert. Ihr Lächeln wirkt entschuldigend - fast flehend, nicht mehr losgelöst oder frei. Ich schlucke. Sie löst sich aus der Umarmung, lächelt mich aber weiter an. Sind ihre Augen trüber geworden? Oder bilde ich mir den milchigen Film auf ihrer Iris nur ein?

    „Alles wird gut." Es klingt wie eine Frage. Die Stimme meiner Mutter wird zum Ende hin verdächtig dünn und bricht. Mehr als ein Nicken schaffe ich nicht. Sie, meine Mutter, die knallharte Geschäftsfrau, ist aufgelöst. Kein Wunder, ihre einzige Tochter liegt im Sterben. Ich will nach meinem Vater fragen, aber ich bringe nicht den Mut auf. Nun schaut sie mich an. Wieder schenkt sie mir diesen liebkosenden Blick, der mich verwirrt, der all die Jahre gefehlt hat, den ich mir gewünscht habe. Nun ist er da. Zum Greifen nah. Ich müsste nur die Hand ausstrecken und könnte die Fältchen um ihren Mund anfassen - doch ich wage es nicht, aus Angst sie könnten verschwinden.

    „Die Kur wirst du nachholen, das ist schon alles mit der Schule geklärt", beginnt sie und verwandelt sich augenblicklich wieder ein Stück zurück. Sie zerrt die Muttergestalt fort und sperrt sie weg. Ich weiß nicht wohin und wie ich sie zurückholen kann. Ehe ich mich versehe, habe ich sie wieder, die Frau, die sich hinter den Zahlen und Formalitäten versteckt: Ehefrau – Hausfrau – Managerin - Mutter. Ihre Gedanken kreisen um die Kur, die ich abbrechen musste, um die versäumten Schultage, die Kosten des Krankenhausaufenthaltes und um die Reha. Akribisch beschäftigt sie sich mit diesen Nebensachen, als könnte sie mit Gewissheit sagen, dass ich es schaffe, dass wirklich alles gut werden wird. Ein Ammenmärchen, das ich aufgehört habe zu glauben, als ich im Gymnasium das erste Mal bewusstlos vom Stuhl gekippt bin und die Rennerei von Arzt zu Arzt anfing. Als meine Gesundheit, die ich immer wieder unvernünftig auf die Probe gestellt habe, plötzlich nicht mehr selbstverständlich war. Ich beiße mir auf die Lippe und schaue ihr in die Augen: Leuchtendes Blau, das sich wie ein diffuser Schleier um ihre Iris legt.

    „Wer weiß denn schon…", fange ich an und höre wie meine Stimme bricht.

    „Wer weiß was?!" Schon an der Art wie sie meine Worte aufgreift, merke ich, wie verzweifelt sie ist. Ich schweige. Ich möchte sie nicht weinen sehen. Denn ich hasse es, wenn Menschen, zu denen ich aufschaue, die gewohnte Härte ausstrahlen, nachgeben – weich werden. Obwohl es diesen Menschen genauso zu steht wie einer Sechzehnjährigen, komme ich damit nicht klar. Es ist wie ein Schlag in die Magengrube aus dem Hinterhalt, der mir die ernste Situation in den Schädel hämmert. Bevor die erste Träne sich wie eine Perle in Mutters Wimpern sammelt, zu groß für ihre Augen wird und ihr von der Wange rinnt, presse ich die Lider zusammen und stöhne. Vor Schmerz, vor Zittern und vor Ausweglosigkeit. Wie kann ich davor wegrennen? Die Antwort ist so beklemmend, dass ich sie runterschlucke und schwöre, sie in mir zu begraben. Ich hasse es ausgeliefert zu sein, doch wegrennen kann ich nicht mehr – und meine Augen vor der Wirklichkeit zu verschließen wird immer schwieriger.

    4

    Petty

    Ich stehe vor ihm. Meine Augen erfassen seine. Für einen Moment überlege ich, mich auf die Zehenspitzen zu stellen und ihm einen Kuss auf die aufgesprungenen Lippen zu drücken, während ich mit den Händen durch seine bronze- farbenen Haare fahre. Stattdessen drücke ich ihn beiseite. Irritiert verzieht er das Gesicht. Er macht einen Satz und schiebt seinen freien Oberkörper inklusive Angeber-Sixpack zur Seite, sodass ich „freie Bahn" habe. Scheiße!, denke ich und drücke die Fingerkuppen in die Mulde oberhalb meiner Nasenwurzel - als könnte

    Gefällt Ihnen die Vorschau?
    Seite 1 von 1