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Cercle: Beschütze mich
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eBook266 Seiten3 Stunden

Cercle: Beschütze mich

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Über dieses E-Book

"Aber meine Loyalität gilt dem Cercle, den Regeln hier - das will Vergeltung."

Er
Ich wollte nur Rache. Rache für meine Waffen, meine Männer. Rache für meine Mutter. Das du mir über den Weg läufst, war nicht der Plan.

Sie
Ich wollte nur eins: Leben retten und nicht von ihm gefunden werden. Dann kam diese eine Nacht, ein Leben und plötzlich gefährdest du meine Existenz.
SpracheDeutsch
HerausgeberBooks on Demand
Erscheinungsdatum23. Feb. 2022
ISBN9783755775164
Cercle: Beschütze mich
Autor

SJ Scar

SJ Scar ist der Pseudonymname einer Selfpublisher Neuautorin mit bosnischen Wurzeln aus Nordrhein-Westfalen. Sie schreibt schon seit jungen Jahren, allerdings feiert sie mit "Cercle -Beschütze mich" ihr erstes Debüt. Sie schreibt vorzugsweise (Dark) Romance Suspence. Selbst liest sie gerne Dark Romance, Psychothriller und New Adult Bücher.

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    Buchvorschau

    Cercle - SJ Scar

    Kapitel 1

    Noch zehn Minuten und die Schicht ist um. Mein Blick verfolgt den Zeiger und ich habe das Gefühl, dass er immer langsamer wird. Meine Augen sind schwer, ich habe eine zwölf Stunden Schicht hinter mir und ich will nur noch in mein Bett.

    „Kayla, kannst du noch eben nach Mr. Melbourne sehen, bitte." Ich drehe mich zu Lillie, die genauso müde aussieht, wie ich mich fühle. Ihr brauner Pony steht in allen Richtungen ab und sie drückt zum wiederholten Mal ihre Brille auf die Nase. Mit einem schmalen Lächeln nicke ich und lasse mir die Akte von Mr. Melbourne in die Hand drücken. Kurz vor dem Zimmer von Mr. Melbourne, einem alten Mann, der eine Herz-OP hinter sich hat, werfe ich einen Blick in seine Akte und betrete anschließend das Zimmer. Mr. Melbourne liegt seelenruhig und schlafend in seinem Krankenbett. Wie gern ich auch mal wieder seelenruhig in meinem Bett liegen würde. Leise und ohne ihn zu wecken, gehe ich zu dem Monitor neben seinem Bett. Seine Werte sehen alle stabil aus, die Infusion sitzt immer noch gut an seinem Arm, kurz notiere ich Uhrzeit und Datum in die Akte und hacke alles ab, um direkt wieder das Zimmer zu verlassen. Ein Blick auf die Uhr reicht, um erleichtert aufzuseufzen.

    „Wir können endlich nach Hause. Lillie stößt mich gegen die Schulter und wackelt mit ihren Augenbrauen. „Ich will nur noch ins Bett. Die letzten Stunden waren schlimm, erwidere ich, während ich die Akten ordentlich zusammen- und weglege. „Harte Nacht, Ladies?" Lillie und ich drehen uns um und Paolo steht vor uns. Seine Schicht beginnt erst und ein wenig Freude breitet sich in mir aus. Ich kann endlich nach Hause, und ganz viel Schlaf nachholen. Die zwölf Stunden Schicht ist jedes Mal hart und seine beginnt erst. Allerdings retten wir hier Menschenleben, wir helfen ihnen gesund zu werden oder mit ihren Krankheiten umzugehen. Gibt es etwas Schöneres, bei all der Grausamkeit auf dieser Welt? Menschleben retten, das Einzige was ich will.

    „Mal sehen, wie du nach deiner Schicht aussiehst Paolo, wir sehen uns in zwölf Stunden", höre ich Lillie fröhlich flöten, während ich ihr anschließend in den Personalraum folge. Schnell ziehe ich mich um, und atme gierig die frische Morgenluft ein, als wir das Krankenhaus verlassen. Es ist noch dunkel, aber früh am Morgen. Doch an diese Kälte hier werde ich mich nie gewöhnen, sodass ich meine Jacke enger um mich ziehe. Ich hasse diese Schichten, in denen ich in der Dunkelheit zur Arbeit oder zurück nach Hause muss. Ständig schaue ich über die Schulter und muss wohl wie eine verrückte aussehen. Aber dieser Gedanke, diese Angst. Sie verfolgt mich. Kurz verabschiede ich mich von Lillie und trete meinen Heimweg an. Eine andere Wahl habe ich nicht. Ein Auto kann ich mir momentan nicht leisten, da meine Studiengebühren immer noch abbezahlt werden müssen. Die Busstation ist ein paar Ecken weiter und genau in die endgegengesetzte Richtung, diese Tortur nehme ich nicht in Kauf. Ich werde wie immer zügig nach Hause laufen, nur ein paar Blocks. Alles wird gut. Mir passiert nichts. Immer wieder wiederhole ich mein Mantra, während ich mich umsehe und versuche unauffällig zu bleiben. Atme, atme. Doch ich spüre langsam die Angst, die ganz tief in mir hinaufsteigen möchte und ich mich am liebsten in eine Ecke hocken wollen würde, um mich zu verstecken. Um dich zu verkriechen, korrigiert mich eine innere Stimme. Bei Tageslicht rempeln sich die Menschen hier an und in der Dunkelheit scheint hier keine Menschenseele zu sein. Plötzlich erregt ein Mann auf der anderen Straßenseite meine Aufmerksamkeit. Ich schiele vorsichtig zu ihm, während ich weiterhin zügig geradeaus laufe. „Bitte, folge mir nicht. Bitte, lass mich", wispere ich leise vor mich hin und bete innerlich dafür. Ich bin fast so weit an ihm vorbei, dass ich den Kopf drehen müsste, um ihn zu sehen, doch ich höre immer noch keine Schritte. Ein gutes Zeichen. Ich bin wie immer wachsam, achte auf jeden Schatten, jede Bewegung und jedes Geräusch. Meine Handflächen sind schwitzig, den Atem halte ich vor Angst immer wieder an. Ich habe mir wohl den schlechtesten Beruf mit meinen Ängsten ausgewählt. Ich hätte irgendwo, verkrochen in einem Büro tagsüber sitzen sollen, statt Schichten zu schieben. Aber ich wollte ja unbedingt Menschenleben retten, obwohl ich Menschenkontakt gern vermeide. Super Kayla, wirklich toll.

    Abrupt bleibe ich stehen. War das… Ein Schrei. Ich erstarre, nicht mehr fähig mich zu bewegen, geschweige denn meinen Kopf zu drehen und mich umzusehen. Einzig meine Hand wandert vorsichtig zu dem kleinen Amulett an meinem Hals und umfasst es. Es beruhigt mich ein wenig. Mein Atem geht jedoch weiterhin unregelmäßig, ich höre mein Herz in den Ohren pochen. Beweg dich!! Lauf!! Orientier dich!! Langsam spüre ich die Panik in mir aufkommen, aber ich werde nicht länger hier stehen bleiben und erneut das Opfer sein. Im selben Moment beginnen meine Beine sich in Bewegung zu setzen, vorsichtig schaue ich mich sogar um, der Mann auf der anderen Straßenseite ist nirgends zu sehen. Gott, lass ihn nicht hinter mir her sein. Meine Beine legen einen Zahn zu und ich biege in die nächste… Mit einem Ruck drücke ich mich zurück an die Wand. Das kann doch nicht… Mist!! Ich atme ein paar Mal tief durch, bevor ich es wage, vorsichtig um die Ecke zu schielen. Geschockt presse ich mir die Hand gegen den Mund, um ein Aufschreien zu unterdrücken. Tränen stehen mir in den Augen. Drei Typen komplett in schwarz gekleidet, ihre Gesichter kann ich nicht erkennen, es ist zu dunkel, doch die Motorräder auf der Straße entgehen mir nicht. Ich sehe genug, um zu wissen, dass ich mich keinen Millimeter mehr bewegen sollte. Aber ich kann den Blick von dem Kerl auf den Knien nicht abwenden. Sein Kopf ist gesenkt und blutverschmiert. Zwei der Typen halten ihn jeweils an einem Arm, während der andere sich zu ihm hockt. Ich verstehe kein Wort, und ich bin mir ziemlich sicher, ich will auch nichts davon hören. Lauf!! Ruft mir die Stimme in meinem Kopf zu, aber ich schaffe es nicht, weil die andere an dem Menschenleben hängt. Er ist verletzt.

    Vorsichtig ziehe ich den Kopf zurück und lehne ihn gegen die Wand. „Mist", zische ich leise. Mein Blick wandert von rechts nach links, die Straße ist menschenleer, nur die Straßenlaternen spenden ein wenig Licht, zu wenig für mich. Ich sollte in meinem Bett sein.

    Denk nach. Denk nach. Ein weiterer Schrei lässt mich zusammenzucken und unwillkürlich die Augen schließen. Atme, atme Kayla. Schnell öffne ich sie wieder, bevor mich meine Angst komplett in ihren Bann gezogen hat. Das wäre mein Ende. Erneut beuge ich mich leicht vor, um hinüberzusehen. Die kalten Backsteine pressen sich gegen meinen Körper, während ich versuche nicht aufzufallen. Tränen rinnen mir langsam über die Wange. Der Typ in der Hocke zieht ihm vorsichtig ein Messer aus dem Bauch, um kurz darauf erneut zuzustechen. Ich stehe regungslos da, sehe das viele Blut, während in meinem Kopf jegliche Überlebungsmöglichkeiten aufgezählt werden. Innere Blutungen, beschädigte Organe… Kurz kommt mir der Gedanke, dass sie ihn vielleicht auch einfach umbringen werden. Und wenn nicht? Was habe ich alles in meiner Tasche? Verbandszeug, Pflaster, Desinfektionsmittel? Sollte reichen bis der Krankenwagen kommt. Oder auch nicht? Ein weiteres Mal lehne ich mich zurück gegen die Wand. Ich will das nicht, ich kann das nicht. Ich will hier nur weg. Aber mein bescheuerter Drang Menschenleben zu retten, lässt es nicht zu. Weitere Tränen rollen über meine Wange und ich beiße mir auf die Lippe, um nicht zu schluchzen. Einatmen. Ausatmen. Nachdenken. Ich habe geschworen jedem Menschen zu helfen, der medizinische Hilfe braucht, aber das? Meine Gedanken fahren Karussell als ich plötzlich mehrere Motoren höre, und Reifen quietschen über den Asphalt. Meinen Rücken drücke ich noch dichter an die Wand, doch nichts passiert. Keine Motorräder kommen aus der Gasse heraus. Ein paar Mal atme ich tief ein und aus, bevor ich genug Mut besitze, erneut um die Ecke zu sehen. MIST!!

    Meine Beine laufen ohne meine Zustimmung los, der leichte Wind schlägt mir um die Ohren und ich spüre, wie meine Angst zurückweicht und ich in den medizinischen Modus verfalle. Sobald ich bei dem Kerl bin, schüttle ich ihn leicht. „Hey, hey du. Wach auf, los." Vorsichtig klopfe ich ihm auf die Wange, um anschließend seinen Atem, seine Pupillen und Puls zu überprüfen. Gott sei Dank, beides vorhanden. Seine angeschwollenen Augen öffnen sich langsam von selbst und ein schmerzerfülltes Stöhnen verlässt seinen Mund. Seine dunklen Locken kleben ihm an der Stirn. „Fuck!, zischt er plötzlich. „Gut, du bist wach. Bleib das bitte auch. Mein Name ist Kayla, ich bin Assistenzärztin. Ich möchte kurz nach deinen Wunden sehen, bevor ich den Krankenwagen rufe, ich muss…

    „Nein!! Kein… Krankenwagen… Keine… Polizei", seine Stimme ist kaum hörbar.

    „Aber sie… Plötzlich ergreift er meine Hand, was mich zusammenschrecken lässt. Mit aufgerissenen Augen sehe ich ihn an und habe den Drang meine Hand wegzuziehen. „Kein. Krankenwagen, presst er bedrohlich hervor. Unwillkürlich nicke ich und entziehe ihm meine Hand. „In Ordnung, aber ich muss mir das ansehen. Die Blutung stoppen", erwidere ich schließlich. Ein kurzes Nicken reicht mir und ich schalte automatische erneut in den Medizinermodus. Ich greife nach meiner Tasche, die ich achtlos neben mir liegen gelassen habe. Desinfektionsmittel. Perfekt. Ich schiebe sein Shirt hoch und sehe drei Stichwunden. Vorsichtig ertaste ich sie. Sie scheinen keine lebenswichtigen Organe verletzt zu haben. „Das ist gut, flüstere ich. Im Augenwinkel bemerke ich, dass er den Kopf versucht zu heben, jedoch schnell wieder sinken lässt. „Bleiben sie ruhig liegen. Das wird jetzt etwas brennen. Während ich es sage, schütte ich etwas Desinfektionsmittel auf die Wunden. „Verfluchte Scheiße!! Spinnst du?", presst er erneut hervor, doch ich ignoriere ihn geflissentlich. Ich krame in meiner Tasche und finde endlich das Verbandszeug, dass ich immer dabei habe und eine Kompresse. Gott, ich dachte ich wäre bescheuert sowas immer dabei zu haben, seit… Ich schüttle meinen Kopf, um mich zu konzentrieren. Ich reiße die Packung auf und drücke sie mit etwas mehr Druck auf die Wunde. Dies wiederhole ich zwei weitere Male. „Gut, hör zu. Du musst mir jetzt helfen. Ich muss… Kurz überlege ich wie es am besten funktionieren wird. „Du musst gleich den Rücken etwas durchstrecken, damit ich den Verband unter deinem Rücken schieben kann. Ich schaue zu ihm auf, weil keine Reaktion kommt. Seine Augen sind wieder halb geschlossen, und die Schwellungen in seinem Gesicht nehmen stetig zu. „Hey, hast du mich verstanden. Komm schon", sage ich leise und rüttle vorsichtig an ihm.

    „Verstanden, Doc." Erwidert er nach einem kurzen Moment. Sofort mach ich mich an die Arbeit. Es dauert etwas, bis es funktioniert, aber dann gelingt es mir und ich ziehe den Verband fest. Erleichtert fahre ich mir mit dem Handrücken über die Stirn. Und jetzt? Er ist versorgt, verschwinde!! Aber ich kann nicht. Stattdessen frage ich ihn, wie er gedenkt von hier zu verschwinden. „Mein Handy, es ist in der Jacke. Er braucht lange, um seine Sätze zu beenden und muss immer wieder hörbar nach Luft schnappen. „Nimm es, und wähl´ die letzte Nummer. Ich komme seiner Anweisung nach, und halte es ihm hin. Nervös kaue ich auf meiner Lippe, und spüre, wie das Adrenalin langsam nachlässt. Mein Blick wandert wieder erneut durch die Gegend, um zu überprüfen, ob jemand in der Nähe ist. Wieder höre ich das Pochen in meinen Ohren, werde unruhig und nervös. „Auf der Brick. Schnell, höre ich ihn kurzatmig sagen, bevor er auflegt. „Sie sollten ins Krankenhaus, versuche ich es erneut, diesmal klingt meine Stimme nicht mehr so selbstbewusst und ich hasse mich dafür.

    „Dean. Mein Name ist Dean. Er schließt seine Augen, um sie kurz darauf wieder vorsichtig zu öffnen. „Danke. Du hast… mir… vermutlich das Leben gerettet, fügt er dann noch hinzu. „Du solltest aufhören zu reden, das ist anstrengend für deinen Körper, sage ich und suche erneut das Desinfektionsmittel und ein paar Taschentücher. Vorsichtig schütte ich etwas davon auf die Taschentücher und tupfe es an den Wunden in seinem Gesicht. „Fuck, Doc. Sie bringen mich wohl doch noch um, zischt er mich an. „Entschuldigung", sage ich kleinlaut. Eine Stille tritt ein und ich fühle mich immer mehr unwohler, ich habe mein Versprechen gehalten, jetzt sollte ich schnell nach Hause. Sofort!!

    Plötzlich lässt mich jedoch ein Motorengeräusch innehalten. Bevor ich realisieren kann, woher das Geräusch kommt, hält ein dunkler Jeep mit quietschenden Reifen vor uns. Instinktiv rücke ich ein Stück nach hinten, bis ich die kalte Wand in meinem Rücken spüre. Sie sind zurück. Ich hättet rennen sollen, mahnt mich mein Gewissen. Die Türen werden zugeschlagen und ich schließe vor Schreck die Augen. Die Angst, die Panik, das Zittern, alles kommt zurück und ich bin unfähig etwas zu tun. Der Medizinermodus ist nicht mehr aktiv und nur die verängstigte Version meiner selbst bleibt zurück, wofür ich mich verabscheue. So wollte ich nie sein und doch bin ich es.

    „Verdammt, Dean!", ruft eine tiefe männliche Stimme, doch ich höre sie nur, da ich meine Augen immer noch fest geschlossen halte.

    „Was zur Hölle? Wer ist die Kleine? Eine weitere Stimme. Ich spüre eine Hand auf meiner Schulter, weshalb ich zusammenschrecke und die Augen aufreiße. Ein Kerl mit vollem, schwarzem Bart sieht mich an. „Hey, wer…

    „Ich… ich… habe nur… geholfen. Ich…", stottere ich vor mich hin. Mach den Mund auf, rette dich. Erkläre dich!! Langsam stehe ich auf, presse meinen Rücken jedoch weiterhin gegen die Wand, während der Bärtige meiner Bewegung folgt. Seine grünen Augen wirken im Licht der Straßenlaternen bedrohlich. Im Augenwinkel sehe ich wie Dean von einem Typen mit kurz geschorenem Haar ins Auto gehievt wird. Panisch sehe ich den Typen vor mir an, bevor er noch irgendetwas sagen kann, renne ich los. Ich renne so schnell ich kann, so schnell mich meine Füße tragen können. Nur nicht zurücksehen, Kayla. Nur nicht zurücksehen!

    Kapitel 2

    Ich starre die weiße Decke in meiner Wohnung, die sich an manchen Stellen abblättert, seit einer Ewigkeit an. An schlafen ist nicht mehr zu denken. Erst als ich an meiner Tür panisch ankam, habe ich bemerkt, dass ich meine Tasche dort liegen gelassen habe, und seitdem schaffe ich es keine Minute ohne Angst zu verspüren. Das hier war mein sicherer Ort. Bei jedem Schritt im Hausflur, bei jedem Türklopfen nebenan oder Stimmen, meine ich sie würden mich holen. Mein Körper hört nicht auf zu zittern. Ich habe meinen Zweitschlüssel bei meiner Nachbarin abgeholt und habe sofort die Tür hinter mir verschlossen. Sogar einen Stuhl habe ich davorgestellt. Sicher ist sicher. Aber nichts hilft gegen die ständig aufsteigende Panik, die meinen Körper übernehmen möchte. Selbst das Duschen hat mich nicht entspannen lassen. Jetzt liege ich in meinem Bett und starre die Decke seit zwei Stunden an. Draußen ist die Sonne aufgegangen und scheint leicht durch meine billigen zugezogenen Gardinen. Mein Apartment ist überschaubar. Eine kleine Küchennische, mein Bett, davor eine alte Zweiercouch. Ein paar Kommoden und ein schmaler Schreibtisch. Für mehr hat es nicht gereicht. Ich muss zugeben, allzu viel Mühe und Geld stecke ich hier auch nicht rein, es wird sich nämlich auch dann nicht nach Zuhause anfühlen. Bisher hat sich keine Wohnung und kein Ort nach Zuhause angefühlt. Hier ist es oft kalt und regnerisch, die Sonne scheint auch nur alibimäßig. Dabei liebe ich die Sonne oder den Geruch von Regen auf trockener Erde. Ich wende mich erneut, an schlafen ist einfach nicht zu denken. Ich muss was tun. Vielleicht hilft mir das Buch? Ich stehe auf und gehe um mein Bett herum zur Couch, darauf liegt eine alte abgenutzte Ausgabe von ´Wenn deine Seele mich umgibt´. Ich nehme sie und mache es mir auf der Couch, mit der dünnen, beigen Decke gemütlich, bevor ich in die Welt von den zwei alten, einsamen Menschen eintauche.

    Es ist heiß. Meine Füße tun mir weh, und ich befürchte, dass sie total blutig sind. Ich habe Durst, ich bin müde, ich will… Ich kann nicht mehr. Alles um mich herum ist verschwommen, meine Sicht ist nicht mehr ganz klar. Und plötzlich ist da ein Knall…

    Ich schrecke auf, meine Haut ist nass vom Schweiß und ein weiterer Knall lässt mich zusammenzucken. „Mist", flüstere ich vor mich hin. Es war nur ein Traum.

    Schnell suche ich nach meinem Handy, dass ich in meiner Jeans finde. Es ist fast wieder Nacht, ich habe den ganzen Tag verschlafen. Mist, Mist, Mist. Ich höre meinen Nachbarn laut rufen, wahrscheinlich ein weiterer Streit mit seiner Frau. Ich vergrabe das Gesicht in meine Hände, und atme ein paar Mal tief durch. Langsam verlangsamt sich meine Atmung und mein Puls scheint sich auch wieder zu beruhigen. Mechanisch greife ich nach der Wasserfalsche auf dem Tisch und nehme einen großen Schluck, bevor ich mich wieder hinlege. Die Erinnerungen des morgens holen mich wieder ein. Die drei dunkel gekleideten Typen, die Schreie, das viele Blut. Dean, seine Männer und meine Tasche. Unwillkürlich schließe ich meine Augen. Mist. Ich muss meine Karte sperren lassen und mir einen neuen Ausweis im Krankenhaus ausstellen lassen. Verdammt, überhaupt einen neuen Ausweis muss ich mir besorgen. Super gemacht, Kayla. Echt super.

    Erneut greife ich nach meinem Handy und rufe im Krankenhaus an, melde meinen Dienstausweis als verloren und bitte für die nächste Schicht um einen neuen. Miles aus der Verwaltung ist wenig erfreut darüber, aber immerhin dankbar, dass ich es sofort gemeldet habe. Wenn er wüsste. Um den Rest kümmere ich mich nach der Schicht am nächsten Tag, bei Tageslicht.

    Der Weg zur Arbeit war etwas angenehmer, da es am helllichten Tag war, allerdings schaute ich mich dennoch doppelt so oft um als sonst. Die Angst liegt mir immer noch in den Knochen und ist spürbarer denn je. Meine Gedanken sind ständig damit bestätigt, sich zu fragen, ob sie mich suchen. Schlimmer noch, was wenn sie mich finden.

    „Miss Grace. Ein zucken durchfährt mich und ich drehe mich erschrocken um. „Entschuldigen Sie, ich wollte Sie nicht erschrecken.

    „Schon in Ordnung, Dr. Cathal", erwidere ich mit einem schmalen Lächeln. Ich muss mich besser konzentrieren. Denk daran, Menschenleben stehen auf dem Spiel.

    „Wir bekommen gleich einen Schwerverletzten, ich möchte, dass sie mir assistieren. Machen Sie sich bereit." Ich nicke und gehe mich sofort für die Einlieferung des Patienten fertig machen. Ich habe gerade meine Handschuhe übergezogen, als der Patient eingeliefert wird. Sofort schaltet mein Kopf um und alles läuft wie auf Knopfdruck. Keine Angst, keine Panik, ich rede mit dem Patienten, ich agiere mit meinem Team zusammen. Diese Version meiner Selbst gefällt mir am besten. Ich bin nicht schreckhaft, ich habe keine Angst. Ich will mich nicht verkriechen und stottere auch nicht vor mich hin. Ich weiß was ich tue, jeder Handgriff sitzt, ich wähle die richtige Dosis und kann ohne Probleme mich frei bewegen. Mich frei bewegen. Frei. Doch ich weiß, sobald ich diese Wände hier verlassen habe, sobald ich das Gebäude verlasse, wird die Angst mich wieder in ihre Mangel nehmen, weil ich nirgends wirklich sicher bin. Und jetzt noch weniger.

    „Gut gemacht, Miss Grace", lobt mich der Arzt, als ich meine Kopfbedeckung vor der Notaufnahme ausziehe und nach frischer Luft schnappe. Es regnet, wahrscheinlich wird es das den ganzen Tag. Der Patient hat seinen Autounfall so gerade noch überlebt, musste jedoch Notoperiert werden. Als ich mich entschieden habe Medizin zu studieren, wollte ich einfach nur einen lang ersehnten Traum mir erfüllen. Doch als ich die Möglichkeiten hatte es zu studieren, wollte ich jedes Menschenleben retten, was ich retten konnte. Ich gab mir selbst ein Versprechen. Ich arbeitete Tag und Nacht, studierte alle Bücher, lernte sie auswendig und war einer der besten Studierenden. Doch theoretisch sieht vieles einfach aus. Schritte werden erklärt, und am Ende heißt es fertig. Aber in der Realität kommt es zu Blutungen, zu unerwarteten Komplikationen. Kein Mensch gleicht dem Anderen und schon gar nicht dem aus dem Lehrbuch. Ich habe lange gebraucht, um los lassen zu lernen, um Abstand zu den verlorenen Leben zu gewinnen. Dennoch lasten sie auf meiner Seele,

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