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Ein halbes Dutzend Mord
Ein halbes Dutzend Mord
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eBook243 Seiten2 Stunden

Ein halbes Dutzend Mord

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Über dieses E-Book

Acht Personen sind zu einem Krimi-Dinner geladen. Vom Thema des Spiels inspiriert, beginnen sie einander wahre Mordgeschichten zu erzählen. Die einzige Bedingung dabei: Alle Fälle müssen binnen 24 Stunden gelöst worden sein.
Die heitere Gesprächsrunde wird getrübt, als in unmittelbarer Nähe ein Mordanschlag verübt wird – und einer von den acht Spielern der Täter sein muss...
SpracheDeutsch
Herausgeberepubli
Erscheinungsdatum26. Jan. 2020
ISBN9783750275874
Ein halbes Dutzend Mord
Autor

Bernharda May

Hobbyschriftstellerin, Krimifan und Leseratte. Sie hat weder ein Haustier noch eine Topfpflanze, mit der sie tiefgründige Gespräche führt, und auch keinen interessanten Zweitnamen, um sich von anderen Bernharda Mays abzugrenzen. Mehr wird nicht verraten - denn Geheimnisse machen Frauen im besten Alter erst so richtig interessant!

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    Buchvorschau

    Ein halbes Dutzend Mord - Bernharda May

    Ein halbes Dutzend Mord

    1. Maiglöckchen

    2. Moonlight-Shopping

    3. Tiergehege

    4. Gasheizung

    5. Schnürsenkel

    6. Stoppschild

    7. Ausbruch

    Danksagung

    Impressum

    1. Maiglöckchen

    Cornelia und Hans-Georg Augustin hatten zum Krimi-Dinner geladen. Während sie das Spiel »Der Tote in der Taucherglocke« besorgt und für ihren Mann und sich die passenden Kostüme geschneidert hatte, war es an ihm gewesen, die Einladungen zu verschicken.

    »Wir müssen unbedingt zu acht sein«, hatte Cornelia während der Vorbereitungen betont. »Sonst funktioniert das Ganze laut Spielanleitung nicht. Wir laden auf jeden Fall die Voigts ein. Wilma und ich haben erst letztens beim Frauen-Aktiv über solche Ratespiele gesprochen und sie schien sehr begeistert. Ihren Bruder wird sie gewiss überreden können.«

    Ihr Ehemann hatte bezweifelt, dass Bert Voigt – ein steifer Hauptfeldwebel im Ruhestand – Gefallen an einer fingierten Mördersuche finden würde; erst recht, wenn sich die Teilnehmer dazu verkleiden mussten. Aber tatsächlich saßen heute Abend beide Voigts am Tisch und spielten mit.

    Des Weiteren waren Cornelias Großneffe Ronald und seine Freundin als Gäste vorgesehen gewesen, doch weil die Beziehung noch vor dem Krimi-Dinner in die Brüche gegangen war, hatte er stattdessen seinen Bekannten Kay mitgebracht. Cornelia war davon nicht begeistert, denn Kay war ihr höchst unsympathisch. Ihrer Meinung nach strengte er sich zu sehr an, auf andere witzig zu wirken, und hatte die unangenehme Art, ständig seine Augenbrauen abschätzig nach oben zu ziehen. Dass er freiwillig und sogar mit Begeisterung die Frauenrolle annahm, die ursprünglich Ronalds Freundin zugedacht war, fand Cornelia sehr suspekt. Glücklicherweise deutete Kay das Geschlecht seiner Rolle nur über etwas Schmuck an und hatte davon abgesehen, seinen fülligen Körper in ein Abendkleid zu zwängen.

    Die Gastgeberin selbst hatte eine blonde, hochtoupierte Perücke aufgesetzt, ihr Gesicht im Stil der späten fünfziger Jahre geschminkt und genoss sichtlich ihren Auftritt als mondäne Großstadtdame. Mit ihrer Spielfreude steckte sie die anderen Teilnehmer schnell an. Selbst Hauptfeldwebel a.D. Bert Voigt schien sich wohl zu fühlen, wobei das auch an der angenehmen Rolle des zurückhaltenden Museumswärters liegen konnte. Die hatte ihm Hans-Georg Augustin wohlweislich zugeteilt, weil sie kein besonderes Kostüm verlangte.

    In dem kleinen Ort, wo die Augustins in einem geräumigen Jagdhaus lebten, hatte sich kein weiteres Paar gefunden, das sich für ein Krimi-Dinner interessiert hätte. Deshalb hatte Hans-Georg zwei Gäste der gegenüberliegenden Pension eingeladen, die sich dort unabhängig voneinander ein Zimmer gemietet hatten. Cornelia Augustin war schier begeistert, als sich herausstellte, dass der ältere der beiden Fremden ausgerechnet ein ehemaliger Kriminaldirektor war. Er hieß Henry Herrmann, hatte ein dickes Gesicht mit Knollennase und blickte derart gutmütig drein, dass man ihn schnell ins Herz schloss.

    »Als Polizeichef können Sie unseren gespielten Fall sicher als Erster lösen – außer natürlich, Sie sind der Mörder, haha«, hatte die Gastgeberin zu Beginn des Abends gescherzt. »Was führt Sie überhaupt in unseren bescheidenen Ort?«

    »Ein Kongress der Kriminalpolizei«, hatte die Antwort gelautet, »auf dem ich einen Vortrag über die Organisation der Verbrechensbekämpfung hielt. Das hiesige Tagungszentrum genießt ja bundesweiten Ruhm.«

    »Und warum haben Sie sich in der kleinen Pension gegenüber eingemietet und kein Zimmer im Zentrum genommen?«

    »Wissen Sie«, hatte Herrmann gestanden, »man möchte im Ruhestand nicht ständig von ehemaligen Kollegen umgeben sein. Deshalb zog ich mich in die Pension zurück. Zu meinem Glück, will ich meinen, denn auf diese Weise bin ich in den Genuss Ihrer Einladung zum Krimi-Dinner gekommen.«

    Cornelias Ehemann hatte sich indessen der Urlauberin Judith Strasser angenommen. Man kannte sich bereits vom Sehen, denn sie verbrachte das zweite Jahr in Folge ihren Sommerurlaub im hiesigen Luftkurort. Sie bedankte sich für die Einladung und bedauerte, so kurzfristig kein Kostüm mehr bekommen zu haben. Cornelia half mit einem schwarzen Hut aus ihrer Garderobe aus, der gut zur Rolle der trauernden Witwe passte.

    Nun saßen diese acht Personen seit sechs Uhr abends rund um den Esstisch, rätselten und aßen und vergnügten sich außerordentlich. Das Esszimmer war gemäß der Spielanleitung mit vielerlei Krimskrams ausgestattet worden, denn die Szenerie schrieb das Innere eines Museums vor. Lediglich die Taucherglocke samt Toten musste man sich dazu denken.

    Nach mehreren Dialogen und Fragerunden, für die alle Spieler kleine Rollenheftchen mit Hinweisen benutzen durften, wurde die Hauptspeise serviert: Bœuf bourguignon mit hausgemachtem Kartoffelpüree an glasierten Möhrchen. Erst danach war es den Teilnehmern gestattet, ihren persönlichen Hauptverdächtigen auf einen Zettel zu schreiben, bevor anschließend die Spielanleitung den Fall offiziell auflöste. Obwohl die meisten auf die von Judith gespielte trauernde Witwe getippt hatten, stellte sich die mondäne Großstadtdame als die wahre Täterin heraus. Die Gastgeberin amüsierte sich prächtig darüber, die Mörderin zu sein.

    »Ich gebe zu, ich schwankte zwischen der Witwe und dem Museumswärter« – dabei zwinkerte sie Bert Voigt zu – »denn in Krimis ist ja häufig entweder der Ehepartner oder die am wenigsten verdächtige Person der Täter. Aber ich bewundere Sie, Herr Kriminaldirektor, dass Sie Ihre Niederlage so gut weg stecken. Auch Sie tippten verkehrt.«

    Henry Herrmann lächelte und machte mit den Händen eine entschuldigende Geste.

    »Auch ein Fachmann kann mal irren. Zu meiner Verteidigung muss ich sagen, dass das Spiel seinem Unterhaltungswert zum Trotz eine sehr unrealistische Szenerie entwirft. Wie hat beispielsweise die Täterin den Toten ungesehen in die Taucherglocke hieven können?«

    »Immerhin wird sie in der Einführung als kräftige Frau beschrieben, die einst als Schlachterin gearbeitet hatte«, warf Ronald dazwischen. »Das hätte uns vielleicht ein Hinweis sein sollen.«

    »Es gibt Berufe, in denen Frauen besser nicht arbeiten sollten«, meinte der ehemalige Hauptfeldwebel. »Die Schlachterei ist für eine Dame zu rau und grob.«

    »Ich fürchte, Ihr Verständnis von Frauen ist recht altmodisch«, kicherte Kay frech, »und zudem verklärend. Zart und schwach sind die wenigsten Damen, die ich kenne.«

    »Ach, mein Bruder ist eben ein Junggeselle«, winkte Wilma Voigt ab. »Er hat da seine eigenen verstaubten, realitätsfernen Ansichten.«

    Bert Voigt errötete, schwieg aber.

    »Apropos Realismus«, griff der Gastgeber das gefallene Stichwort auf, »in diesem Spiel wurde ein Mordfall innerhalb weniger Stunden gelöst. Ich kenne mich in der Polizeiarbeit nicht aus, aber wir haben heute einen Experten unter uns. Herr Herrmann, für eine echte Aufklärung braucht es im Polizeialltag doch sicherlich länger?«

    Der ehemalige Kriminaldirektor bemerkte die vielen Augenpaare, die auf ihn gerichtet waren. Er hatte mit Fragen wie dieser gerechnet, denn immerhin saßen um ihn herum ausschließlich Liebhaber von Kriminalliteratur. Wer sonst würde eine Einladung zum Krimi-Dinner so bereitwillig annehmen?

    »Nun«, begann er vorsichtig, »natürlich ziehen sich die Ermittlungen meist arg in die Länge. All die Vernehmungen und Überprüfungen müssen ja nicht nur durchgeführt, sondern anschließend auch ausgewertet werden.«

    »Aber manchmal dauert es tatsächlich nur wenige Stunden«, unterbrach ihn Kay. »Ronald, erinnerst du dich an den Vorfall vor einem Jahr?«

    Bevor Ronald antworten konnte, meldete sich Cornelia Augustin zu Wort:

    »Wenn ich so überlege, kennen auch wir einen Fall, Hans-Georg, der innerhalb von vierundzwanzig Stunden aufgeklärt werden konnte. Weißt du noch damals, als wir im Erzgebirge waren?«

    »Das kann man kaum einen ernstzunehmenden Mordfall nennen, Schatz«, entgegnete ihr Gatte und wandte sich wieder dem Kriminaldirektor zu. »Ich fürchte, Herr Herrmann, wir haben Sie nicht ausreden lassen.«

    Henry Herrmann räusperte sich.

    »Die Dauer der Aufklärung hängt letztlich von den Umständen des Falles ab. Wenn beispielsweise ein Mord innerhalb einer geschlossenen Gesellschaft geschieht und die Kriminalpolizei zufällig bereits in der Nähe ist, kann ein Fall durchaus zügig untersucht und gelöst werden – sagen wir, innerhalb von vierundzwanzig Stunden, wie unsere Gastgeberin gerade formulierte. Mir ist so etwas während meiner Laufbahn tatsächlich schon untergekommen.«

    »Wirklich?«, hakte Cornelia nach und ihre Augen leuchteten. »Erzählen Sie!«

    Herrmann fühlte sich von der Aufforderung geschmeichelt, und als er in den Gesichtern der anderen Gäste ebenfalls unstillbare Neugierde lesen konnte, begann er seinen Bericht:

    »Der Mordfall, von dem ich sprechen will, ereignete sich vor einigen Jahren in der Vorstadt meines Heimatortes. Ich war allerdings als Privatperson involviert. Die offiziellen Ermittlungen leitete ein gewisser Kommissar Tork, den ich damals als einen jungen, umsichtig vorgehenden Kollegen kennenlernte. Er begegnete dem Fall mit nüchterner Bedachtsamkeit und vermied viele Anfängerfehler, wie sie einige seiner Altersgenossen passieren.

    Wie dem auch sei, ich war eines Sonntagnachmittags zu einer gemütlichen Kaffeerunde geladen. Das Patenkind meiner Gattin – ich will sie Ruth nennen – veranstaltete sie, ohne dass es einen besonderen Anlass gegeben hätte. Meine Frau konnte der Einladung aus terminlichen Gründen nicht folgen, also schickte sie mich stellvertretend hin. Es war nur eine kleine Runde. Neben Ruths Gatten Daniel und ihrer achtjährigen Tochter Louise war noch Daniels Arbeitskollege Sahin zugegen sowie die Nachbarin Agnes, eine Apothekerin. Sie werden sicherlich Verständnis dafür haben, dass ich nur bei den Vornamen bleibe und keine Nachnamen erwähne?«

    »Selbstverständlich«, sagte Cornelia.

    »Wir haben uns hier ja nicht versammelt, um Ihre Schweigepflicht anzugreifen oder unbekannte Leute zu diffamieren«, setzte Kay hinzu.

    »Ich kam also kurz nach drei bei den besagten Freunden an«, fuhr der ehemalige Kriminaldirektor fort. »Etwas zu spät, was eigentlich nicht meine Art ist. Ich hatte Schwierigkeiten gehabt, einen Parkplatz zu finden; zu viele Anwohner schienen am Straßenrand zu halten, um mal eben was aus der Apotheke zu holen, die ganz in der Nähe war. Eine regelrechte Schlange stand vor dem Eingang. Wie dem auch sei, ich stellte mein Auto etwas weiter weg ab und hetzte zu Ruth und Daniel. Sie empfingen mich in ihrer Doppelhaushälfte und stellten mir Sahin vor, der sich mit Daniel ein Büro teilte. Die beiden arbeiteten in der IT-Branche, müssen Sie wissen. Die kleine Louise tänzelte um mich herum, denn sie wusste, dass Onkel Henry (also ich) immer ein kleines Spielzeug für artige Kinder einstecken hatte, wenn er zu Besuch kam.«

    Bei diesen Worten blinzelte Cornelia ihrem Gatten fröhlich zu. Offenbar gehörte auch er zu dieser Sorte wohltätiger Onkels.

    »Ich überreichte Ruth einen Strauß Blumen, den sie sogleich in eine Vase steckte.

    ›Die Maiglöckchen, die Louise im Garten gesammelt hat, sind schon ein wenig vertrocknet‹, meinte sie. ›Da können wir sie ebenso gut austauschen.‹

    Wir waren gerade dabei, uns an den Tisch zu setzen, als die Nachbarin hereinplatzte. Ich kannte sie zwar schon flüchtig von einem meiner vorigen Besuche, aber erschrak trotzdem. Agnes kam nämlich nicht zur Haustür herein, sondern hinten herum durch die Terrasse. Das lag daran, dass Daniels Grundstück und ihres ursprünglich einmal eins gewesen waren und nur durch eine Hecke, nicht durch einen Zaun voneinander getrennt waren. Man hatte eine kleine Lücke in der Hecke gelassen und dort ein buntes Gartentürchen installiert, welches jedoch stets unverschlossen blieb.«

    »Klingt, als hätten die beiden Parteien eine gute, vertrauensvolle Nachbarschaft gepflegt«, bemerkte Kay. »Wenn ich da an meine Nachbarn denke…«

    »Es blieb ihnen beinahe nichts anderes übrig«, sagte Herrmann. »Daniel und Ruth bewohnten eine Doppelhaushälfte. Die andere Hälfte gehörte der Apothekerin. Agnes’ Familie hatte vor vielen Jahren das gesamte Gebäude samt Grundstück besessen. Es lag sehr günstig an einer wichtigen Kreuzung. Der alte Apotheker, der Vater der Nachbarin, hatte zur Hauptstraße hin seine Geschäftsräume. Es war eine schöne, altmodische Apotheke, müssen Sie wissen, mit hohen Regalen aus dunklem Holz, die sich die Wände hochzogen. Es gab viele Schubladen mit Porzellanknauf, auf denen in Schreibschrift die Namen der Medikamente standen.«

    »Solche Apotheken liebe ich«, schwärmte Cornelia. »Die wirken immer so gemütlich!«

    »In den privaten Teil des Hauses kam man durch den Eingang, der zur Seitenstraße hinausging. Doch der Konkurrenzdruck durch andere Apotheken sowie Drogerien wuchs und die Familie konnte das große Anwesen nicht mehr bewirtschaften. Glücklicherweise erlaubte die Länge des Hauses eine Trennung in zwei Hälften. Also zog man Trennwände hoch, pflanzte die Hecke und verkaufte den hinteren Abschnitt. Aber ich will Sie nicht allzu sehr mit der Architektur langweilen. Kommen wir zum spannenden Teil meiner Geschichte.«

    Unweigerlich rückten alle Zuhörer etwas näher an den Tisch heran.

    »Agnes kam also später. Sie grüßte uns und setzte sich mir gegenüber. Dabei bemerkte ich diesen typischen Apothekenduft, der ihr anhaftete. Es dauerte etwas, bis wir uns eingerichtet hatten, denn Ruth hatte eine lange, schwere Tischdecke aufgelegt, welche die Beinfreiheit beim Sitzen sehr einschränkte. Kurz darauf servierte Louise eine Sachertorte und verkündete stolz, sie ganz alleine gebacken zu haben.

    ›Papa hat sie sich gewünscht‹, sagte sie, ›und Mama hat nur ein klitzekleines bisschen geholfen.‹

    Wir lachten und lobten das schmackhafte Aussehen. Vor allem die farbenfrohe Blume auf der Tortenmitte, aus diversen Gummitierchen geformt, imponierte uns. Ruth schenkte allen Kaffee ein (das heißt, die kleine Louise bekam eine Tasse Kakao) und Daniel teilte jedem ein Stück Torte zu, bis auf Sahin.

    ›Mein Glaube erlaubt mir nicht, davon zu kosten‹, sagte er entschuldigend und spielte auf die Gelatine und den Rum an, der in der Torte enthalten war. Er hatte sich ein eigenes, bescheidenes Keksgebäck mitgebracht und war damit zufrieden.

    Wir saßen eine Weile ungezwungen da und plauderten. Dabei hatten Sahin und Agnes den größten Anteil am Gespräch. Daniel und Ruth blieben merkwürdig still und Louise fragte nur immer, ob es denn wirklich allen schmecke.

    ›Es ist nämlich ein Geheimrezept aus dem Internet‹, sagte sie, aber niemand, bis auf Agnes, ging darauf ein.

    ›Schade, dass ich zurzeit auf Diät bin‹, sagte sie, ›da werde ich nicht mehr als ein Stück von deinem Meisterwerk schaffen, Louise!‹

    Tatsächlich nahm die Apothekerin nur ganz kleine Häppchen zu sich – wohl hatte sie deshalb ausreichend Zeit, das Gespräch am Tisch zu bestimmen.

    Etwa eine Stunde verfloss und ich hatte mein zweites Tortenstück fast aufgegessen, als ich ein Zwicken im Magen spürte. Ich tat es zunächst ab und trank einen Schluck Kaffee, doch das Zwicken verstärkte sich und ich erlitt einen heftigen Krampf im Bauch. Ich musste mir mein Sakko ausziehen und bemerkte, dass die anderen Herren das Gleiche taten.

    ›Mama, mir ist schlecht‹, klagte Louise und war ganz blass geworden. ›Ich glaube, ich muss brechen.‹

    Ruth hielt sich ihre Hand vor den Mund, offenbar ging es ihr nicht anders.

    ›Irgendwas stimmt nicht‹, sagte Sahin und schaute uns alle an. ›Ihr seht aus, als ob ihr plötzlich alle krank wäret!‹

    Agnes versuchte sich zu erheben, musste sich aber abstützen, weil ihr schwindelig wurde.

    ›Mir scheint, wir haben Vergiftungserscheinungen‹, ächzte sie. ›Ruth, geh mit der Kleinen zur Toilette und stecke ihr den Finger in den Hals! Jemand ruft sofort einen Notarzt. Ich laufe rüber in die Apotheke – irgendwo muss ich noch medizinische Kohle haben.‹«

    Der Kriminaldirektor hielt inne. Er war sich nicht sicher, wie detailliert er die Vergiftung schildern durfte, damit keinem der Zuhörer übel wurde. Judith Strasser schaute, ganz die resolute Krankenschwester, interessiert zu ihm. Die Augustins und die Voigts ließen sich nichts anmerken; in ihrem Alter war man es gewöhnt, über Krankheitssymptome jedweder Art zu schwatzen. Lediglich Ronald und Kay rümpften unbewusst die Nase.

    »Ich fasse mich an dieser Stelle besser kurz«, entschied Herrmann, »denn die Einzelheiten kann man sich ja denken. Uns war klar, dass wir unter irgendeiner Vergiftung litten und Sahin stürzte zum Telefon, um Hilfe zu holen. Agnes, die

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