Entdecken Sie Millionen von E-Books, Hörbüchern und vieles mehr mit einer kostenlosen Testversion

Nur $11.99/Monat nach der Testphase. Jederzeit kündbar.

Die Witwe Appelhoff mischt sich ein
Die Witwe Appelhoff mischt sich ein
Die Witwe Appelhoff mischt sich ein
eBook401 Seiten5 Stunden

Die Witwe Appelhoff mischt sich ein

Bewertung: 0 von 5 Sternen

()

Vorschau lesen

Über dieses E-Book

Die Witwe Appelhoff meint es gut. Gern möchte sie ihren Wohlstand mit anderen teilen und unterstützt allerlei gemeinnützige Zwecke. Wenn da nur nicht immer diese leidigen Verbrechen dazwischen kämen! Natürlich muss sie dann eingreifen: Dreiste Diebe, scharfsinnige Erpresser und sogar ein Mörder in ihrem eigenen Haus sind für sie nichts weiter als Störfaktoren, die nach Meinung der vielbeschäftigten Dame nicht schnell genug überführt werden können. Auch wenn Kommissar Hövelmeyer ihr Engagement nicht immer zu würdigen weiß – was macht das schon?
SpracheDeutsch
Herausgeberepubli
Erscheinungsdatum24. Juni 2021
ISBN9783754135877
Die Witwe Appelhoff mischt sich ein
Autor

Bernharda May

Hobbyschriftstellerin, Krimifan und Leseratte. Sie hat weder ein Haustier noch eine Topfpflanze, mit der sie tiefgründige Gespräche führt, und auch keinen interessanten Zweitnamen, um sich von anderen Bernharda Mays abzugrenzen. Mehr wird nicht verraten - denn Geheimnisse machen Frauen im besten Alter erst so richtig interessant!

Mehr von Bernharda May lesen

Ähnlich wie Die Witwe Appelhoff mischt sich ein

Ähnliche E-Books

Krimi-Thriller für Sie

Mehr anzeigen

Ähnliche Artikel

Rezensionen für Die Witwe Appelhoff mischt sich ein

Bewertung: 0 von 5 Sternen
0 Bewertungen

0 Bewertungen0 Rezensionen

Wie hat es Ihnen gefallen?

Zum Bewerten, tippen

Die Rezension muss mindestens 10 Wörter umfassen

    Buchvorschau

    Die Witwe Appelhoff mischt sich ein - Bernharda May

    Inhaltsverzeichnis

    Cover

    Titel

    Impressum

    Karte von Friedershagen

    1. Die Witwe Appelhoff kennt die Jugend

    2. Die Witwe Appelhoff hat die Sommergrippe

    3. Die Witwe Appelhoff regelt Erbangelegenheiten

    4. Die Witwe Appelhoff nimmt einen Anruf entgegen

    5. Die Witwe Appelhoff spitzt ihre Ohren

    6. Die Witwe Appelhoff politisiert

    7. Die Witwe Appelhoff liest zwischen den Zeilen

    8. Die Witwe Appelhoff ist filmreif

    9. Die Witwe Appelhoff beweist Fingerspitzengefühl

    10. Die Witwe Appelhoff beißt sich die Zähne aus

    Danksagung

    Lesetipps

    Bernharda May

    Die Witwe Appelhoff mischt sich ein

    WA-back02e

    Kriminalerzählungen

    Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.dnb.de abrufbar.

    Texte: © Copyright by Bernharda May

    Umschlaggestaltung: © Copyright by Janne Gret

    Verlag:

    JanneGret Selbstverlag

    Postfach 11 11 03

    35390 Gießen

    bernharda.may@gmail.com

    Friedershagen-B

    Alle Figuren und Begebenheiten, die in diesem Buch geschildert werden, sind fiktiv. Jegliche Ähnlichkeit mit lebenden oder verstorbenen Personen sind unbeabsichtigt und wären rein zufällig.

    Die Witwe Appelhoff kennt die Jugend

    Hoch im Norden, wo das Mecklenburgische unmerklich ins Vorpommersche übergeht und die Wellen der Ostsee mal feinen Sand, mal flache Steine unter die Schatten der Steilküsten spülen, liegt Friedershagen. Es gehört zu jenen kleinen Ortschaften, die vor vielen Jahrhunderten von mutigen Siedlern gegründet worden waren, nachdem der Mensch aus den drei Inseln Zingst, Darß und Fischland ein Ganzes geschaffen und mit dem Festland verknüpft hatte. Die so entstandene Halbinsel wird seitdem nordwärts von der See, im Süden von den Bodden begrenzt.

    Freilich war Friedershagen zur Zeit seines Anfangs noch kein beschaulicher Urlaubsort gewesen wie jetzt, sondern ein gewöhnliches Fischerdorf. Heutzutage bringt traditioneller Fischfang allerdings wenig ein und die Leute müssen sich ihr finanzielles Einkommen auf andere Weise sichern. Zwar kann Friedershagen mit keinen großen Hotels aufwarten, wie man sie aus berühmten Ostseebädern kennt; doch immerhin gibt es neben zwei privaten Pensionen eine kleine Jugendherberge und ein Wirtshaus mit Gästezimmern, sodass zumindest jene Touristen eine Unterkunft finden, deren Komfortansprüche von bescheidener Natur sind.

    Zwei solcher Touristen waren ein Herr und ein junges Mädchen, die sich eines Samstagmittags in der Jugendherberge als Alfons Schmidt nebst Tochter Madeleine anmeldeten. Sie erwischten die Herbergsmutter in einem erregten Zustand, der keineswegs ihrem gewöhnlichen Naturell entsprach. Nicht, dass sie sonst zu den mürrischen oder unsympathischen Mitmenschen gezählt hätte, aber ihre heutige Gesprächsbereitschaft wäre all ihren Freunden und Bekannten als unverhältnismäßig hoch eingeschätzt worden. Familie Schmidt, die zum ersten Mal in Friedershagen weilte, wusste das natürlich nicht und war angenehm überrascht, das Klischee des wortkargen Norddeutschen gleich bei ihrer Ankunft widerlegt zu finden.

    »Willkommen in unserer kleinen Herberge! Hatten Sie eine angenehme Reise? Bei der Hitze sind Sie sicherlich mit offenen Fenstern gefahren. Oder hat Ihr Wagen Klimaanlage? Ich bin Anke Schubiak und immer für Sie da, wenn Sie irgendetwas brauchen – nur fürs Zuwedeln von Luft bin ich nicht zuständig, haha!«

    »Schmidt mein Name«, erwiderte der Herr und lüftete kurz den Hut. »Entschuldigen Sie bitte, wenn ich meine Kopfbedeckung aufbehalte, aber die Sonne tut meiner hohen Stirn nicht gut.«

    »Das kenne ich von meinem Ex-Mann, der hatte auch eine Halbglatze«, sagte Anke Schubiak leichthin, »und so förmlich müssen wir hier sowieso nicht sein. Ihre Ausweise bräuchte ich kurz, danke. Oh, aus Wismar sind Sie, wie ich sehe. Schöne Stadt, hat sich sehr herausgemacht in den letzten Jahren. Sie haben das Zimmer Zwo Null Drei, Herr Schmidt, und Ihre Tochter gleich daneben die Zwo Null Vier. Sie teilen sich das Bad in der Mitte. Hier die Schlüssel und dann bitte Ihre Unterschrift. Die Ausweise zurück. Frühstück ist von sieben bis neun, Nachtruhe ab 22 Uhr. Für den Strand können Sie sich extra Handtücher bei uns leihen. Bettwäsche bringt Ihnen mein Sohn gleich her. Den können Sie auch alles fragen, wenn Sie mich nicht vorfinden sollten. Das wird vor allem morgen der Fall sein, da kriegen wir nämlich hohen Besuch.«

    »Hohen Besuch?«, fragte Madeleine und zeigte eine Reihe strahlend weißer Zähne. »Etwa ein Promi?«

    »Ein Promi nicht«, lachte Anke Schubiak, »aber ein Komitee vom Heibideu.«

    Madeleine musste über das merkwürdige Wort lachen, weil es in ihren Ohren sehr drollig klang. Herr Schmidt dagegen schaute irritiert drein, denn »Heibideu« sagte ihm rein gar nichts. Er strich sich nachdenklich über den Vollbart.

    »Das ist die Abkürzung für einen neuen Verein«, erklärte Anke Schubiak. »Der Heimatliche Bildungsreisen Deutschland e.V. hat sich vor Kurzem gegründet und baut ein Netzwerk verschiedener Herbergen, Schullandheime und dergleichen auf, die einen besonderen heimatkundlichen Fokus bieten. Da hoffe ich natürlich, dass ich mit meinem kleinen Haus und den Programmpunkten drumherum überzeugen kann.«

    »Wir drücken Ihnen die Daumen«, sagte Herr Schmidt freundlich, »und wenn es hilft, werden Madeleine und ich dem Komitee vorschwärmen, wie toll Sie es hier haben. Vielleicht kriegen wir ja dann Rabatt?«

    »Ach, Sie scherzen«, lachte Anke Schubiak und rief nach ihrem Sohn. »Mattis, bring zweimal Bettwäsche!«

    Ein hochgewachsener junger Mann kam um die Ecke, gelbgestreifte Bettbezüge unterm Arm, und grüßte schüchtern die Gäste. Seine Mutter wollte eben noch etwas sagen, als das Telefon klingelte. Mit einem Handzeichen gab sie Mattis zu verstehen, Familie Schmidt auf die Zimmer zu führen, während sie den Hörer abnahm. Dabei entging ihr, wie Madeleine ihrem Sohn keck zuzwinkerte.

    »Jugendherberge Schubiak«, meldete sie sich. Kurz darauf zuckte sie zusammen. »Jetzt schon? Das ist aber zeitig! Danke, dass du mir Bescheid sagst! Ja, bis später!«

    Sie legte auf und wählte eine andere Nummer.

    »Gerlinde, hier ist Anke. Sag deiner Chefin, das Komitee sei bereits im Anmarsch! Die Kröger hat mich gerade angerufen, muss die Leute wohl gerade eben getroffen haben. Ja, das Fräulein Kröger. Nein, nicht die Frau Doktor. Deine Chefin soll so schnell wie möglich herkommen, ich brauche ihre moralische Unterstützung. Danke! Ach, wenn nur alles klappt!«

    Ankes letzte Worte hörte Gerlinde am anderen Ende der Leitung schon nicht mehr. Sie hatte bereits aufgelegt und tippelte eilends von Küche zu Esszimmer, um die wichtige Neuigkeit zu überbringen.

    Ihre »Chefin« war die wohlhabende Witwe Appelhoff, die gemeinsam mit ihrem Bruder in einem ehemaligen Gutsverwalterhaus lebte, welches etwas abgelegen von Friedershagen nahe am Bodden lag. Mit seinem Reetdach und der roten Backsteinfassade gehörte es zu den Schmuckstücken des Ortes. Gerlinde hatte dort bereits als junges Küchenmädchen gearbeitet, als die Witwe Appelhoff noch ein kleines Kind gewesen war. Später war sie zur Köchin und Haushaltshilfe aufgestiegen.

    Aufgrund der vielen Jahre, die sie treu für die Familie gearbeitet hatte, und der wenigen Jahre, die zwischen ihrem Alter und dem der Witwe lagen, hielt Gerlinde allzu viel Förmlichkeit für unnötig. Ohne ihr Kommen mit einem Klopfen anzukündigen, platzte sie ins Speisezimmer und verkündete:

    »Die Herrschaften vom Heibideu treffen ein. Die Schubiak wartet.«

    »Danke dir, Gerlinde«, sagte die Witwe Appelhoff, am Kopfe des hölzernen Esstisches thronend, woraufhin die Köchin nickte und sich in ihre Küche zurückzog.

    Ihr Bruder Jörg, der in seinem Rollstuhl an der breiten Längsseite saß, unterbrach für einen kurzen Augenblick die Zerteilung einer dicken Kartoffel.

    »Heibideu?«, fragte er. »Heckst du wieder ein Projekt aus, um die verkorkste Jugend zu retten?«

    »Wenn du es so formulieren willst«, antwortete die Witwe. »Anke will mit ihrer Jugendherberge dem Verein der Heimatlichen Bildungsreisen beitreten.«

    »Und sie kann sich die Vereinsbeiträge leisten?«

    Jörg war jemand, der stets skeptisch blieb und jeder guten Idee etwas Negatives abgewinnen konnte. Aber gerade darum mochte ihn seine Schwester so gern.

    »Ich werde das Geld zunächst für sie auslegen. Für den Mitgliedsbeitrag erhält Ankes Jugendherberge Werbung in den Vereinsprospekten, die wiederum bundesweit an alle Schulen gehen, sowie eine Homepagegestaltung über Heibideu selbst. Unsere Hoffnung ist, dass durch die Reklame mehr Schulklassen auf uns aufmerksam werden und herkommen. Dann kommen die Auslagen wieder rein.«

    »Und was sollen die Kinder hier in unserem abgelegenen Nest treiben? Auf die Bäume klettern, um W-LAN-Empfang zu kriegen?«

    »Sie sollen etwas über die Boddenlandschaft lernen, die ja mehr oder weniger einzigartig ist«, erklärte die Witwe Appelhoff und fuchtelte dabei ungeduldig mit Messer und Gabel herum. »Sachkundelehrer nehmen ein Angebot wie dieses gewiss gern wahr. Stadtkinder können ihrer betonierten Umgebung entfliehen und sich hier in freier Natur bewegen. Dabei lernen sie die Küstenflora live kennen, statt darüber in trockenen Lehrbüchern zu lesen.«

    »Noch dazu dürfen sie am Strand lärmen, bis sich keiner mehr dort entspannen kann«, bemerkte Jörg, denn er war auch jemand, der gern sarkastische Bemerkungen machte. Dies wiederum schätzte seine Schwester nicht sehr.

    »Falls es dich tröstet: Der Heibideu richtet sich auch an Senioren und gestaltet geschichtliche Reisen aus. Einen Historiker wie dich dürfte das doch freuen?«

    »Ich freue mich«, brummte Jörg und stocherte in seinem Gemüse herum.

    Die Angewohnheit seiner Schwester, sich und ihr Vermögen für allerlei wohlmeinende Zwecke einzusetzen, empfand er trotz aller Ehrbarkeit manchmal als anstrengend. Die Witwe Appelhoff hingegen strahlte unbezwingbares Selbstvertrauen aus. Mit teurer Jacke und adrettem Hut bestückt, verabschiedete sich von Jörg, rief Gerlinde durch den Flur noch ein lautes »Tschüs« zu und schwang sich aufs Fahrrad.

    Keine fünf Minuten brauchte sie, da war sie schon bei Anke Schubiak angelangt. In ihrem Übermut wäre sie beinahe mit einer anderen Frau zusammengestoßen, die soeben aus der Herberge trat, um abzureisen. Die Fahrradbremse quietschte, die fremde Frau erschrak und ihre pinkfarbene Reisetasche fiel zu Boden, als sie – gerade noch rechtzeitig – auswich.

    »Entschuldigen Sie vielmals«, bat die Witwe Appelhoff.

    »Kein Problem«, gab die Urlauberin freundlich zurück und begutachtete ihr pinkfarbenes Kleid, ob der aufgewirbelte Staub auch ja keine Flecke hinterlassen hatte. »Bei der Hitze sind unsere Reflexe eben nicht die besten, gell?«

    »Lassen Sie mich wenigstens helfen, Ihr Gepäck wieder aufzulesen.«

    Die beiden kamen ins Gespräch und nebenbei erspähte die Witwe Appelhoff, wie Anke Schubiak an der Tür zwei gut gekleidete Gäste empfing.

    »Was das wohl für Leute sind?«, fragte die pinkfarbene Urlauberin. »Sie erscheinen mir etwas overdressed für den Besuch einer Jugendherberge, gell?«

    »Das muss das Komitee sein, dass die Einrichtung prüfen will«, antwortete die Witwe Appelhoff. »Es geht um die Mitgliedschaft in einem neuen Netzwerk, müssen Sie wissen.«

    Die beiden gut gekleideten Gäste verschwanden hinter der Eingangstür und ehe sie zufiel, schlüpften Alfons und Madeleine Schmidt hinaus und liefen in Richtung Strand.

    »Komm, Papa, beeile dich!«, rief das junge Mädchen fröhlich.

    »Dein alter Herr kann nicht so schnell, lauf nur schon voran!«

    Die Witwe Appelhoff verabschiedete sich inzwischen von ihrer Zufallsbekanntschaft.

    »Ich muss jetzt hinein und dazustoßen. Ich bin froh, dass unser kleiner Beinahe-Unfall nichts angerichtet hat und wünsche Ihnen eine gute Heimreise. Nicht wahr, es hat Ihnen in Schubiaks Jugendherberge doch sehr gefallen?«

    »Äh, ja«, erwiderte die Urlauberin. »Es war alles hervorragend.«

    Sie runzelte die Stirn, während sie ihre Reisetasche in den Kofferraum steckte.

    »Klingt nach einem ›aber‹?«

    Die Witwe Appelhoff wollte unbedingt wissen, ob etwas nicht in Ordnung gewesen sei. Jeder kleinste Mangel könnte schließlich den Erfolg beim Heibideu gefährden!

    »Mir ist, als hätte ich die zwei Herrschaften schon mal gesehen«, sagte die Frau langsam. »In einem anderen Urlaubsort, letztes Jahr…«

    »Das kann gut sein«, meinte die Witwe Appelhoff. »Die müssen sich ja vom Verein aus verschiedene Herbergen anschauen und reisen demzufolge viel herum.«

    Die pinkfarbene Frau setzte sich ins Auto und startete den Motor, wirkte dabei aber geistesabwesend. Die Witwe Appelhoff wollte schon gehen, da rief ihr die andere aus dem geöffneten Fenster zu:

    »Ich kann mich irren, aber ich muss Sie warnen: Die beiden sind nicht das, wofür sie sich ausgeben!«

    Und damit fuhr sie davon. Nun war es die Witwe Appelhoff, die die Stirn runzelte. Was sollte sie denn mit dieser Warnung anfangen?

    »Bestimmt irrt sich die Dame«, sagte sie zu sich. »Sie hat ja vorhin zugegeben, dass die Hitze ihr zusetzen würde.«

    Die kryptischen Worte der Abreisenden beiseite schiebend, betrat sie die Jugendherberge und stellte fest, dass sich Anke Schubiaks Aufregung inzwischen so weit gesteigert hatte, dass ihre Geschwätzigkeit in völlige Sprachlosigkeit umgeschlagen war: Kaum eine Silbe konnte die Herbergsmutter von sich geben, während ein grauhaariger, untersetzter Herr mit Schnauzbart und eine dünne Dame mit verschnörkelter Brille auf der Hakennase sich bei ihr als Komitee für Heimatliche Bildungsreisen Deutschland e.V. vorstellten.

    »Wir sind sehr erfreut, Ihre Bekanntschaft machen zu dürfen, Frau Schubiak«, lächelte der Herr und reichte ihr die Hand. »Mein Name ist Ewald Bunsen und das neben mir ist Mechthild Staudt.«

    »Ja«, sagte Anke Schubiak nur und hätte beinahe ehrfürchtig einen Knicks gemacht, bevor sie sich darauf besann, wie albern das wirken würde.

    »Wie besprochen werden wir die kommenden drei Nächte in Ihrem Etablissement verbringen und prüfen, ob Ihre Programmideen sowie die Angebote in der unmittelbaren Umgebung zu unserem Verein passen«, fügte die dünne Dame hinzu.

    »Ja«, sagte Anke Schubiak wieder und blickte sich verunsichert um, als ob sie Verstärkung suche.

    Die kam – rechtzeitig vor einer peinlichen Pause – in Gestalt der Witwe Appelhoff, welche energisch den Arm des älteren Herrn ergriff und kräftig schüttelte.

    »Appelhoff mein Name«, lächelte sie, »ich habe Frau Schubiak geholfen, die Programme zu entwickeln, die wir für die Teilnehmer Ihrer Bildungsreisen anbieten könnten. Solange Frau Schubiak Ihre Daten in den PC eingibt und die Schlüssel zu Ihren Zimmern holt, kann ich Ihnen ja bereits ein paar Vorschläge zeigen?«

    Während sich Anke Schubiak aus ihrer Starre löste und tat, was die Witwe Appelhoff ihr indirekt aufgetragen hatte, kramte Letztere aus ihrer Tasche mehrere Papierbögen hervor und breitete sie vor Herrn Bunsen und Frau Staudt aus.

    »Wie Sie unschwer sehen können, haben wir unsere Ideen nach verschiedenen Kriterien sortiert. Ganz oben finden Sie Möglichkeiten, wie wir Schulklassen Erholung und Bildung zugleich bieten wollen – als Jugendherberge ist das ja unsere wichtigste Klientel. Aber wir haben auch die älteren Herrschaften berücksichtigt, die laut Ihrer Website ebenfalls gern Bildungsreisen über Heibideu buchen…«

    Die Witwe Appelhoff hätte am liebsten gleich alles präsentiert, was sie sich für das Komitee ausgedacht hatte. Sie wurde jedoch von Familie Schmidt gebremst, die gerade vom Strand zurückkam. Herr Schmidt hatte sich mit Hut, Sonnenbrille und Jackett weitestgehend vor der Sonne geschützt, Madeleine dagegen trug einen knappen Bikini und hatte ihr Handtuch leger um die Schultern geworfen, um ihre frische Bräune zu präsentieren. Lediglich drei unappetitliche Mitesser auf der Stirnmitte schmälerten ihre jugendliche Schönheit. Fröhlich grüßten sie die anderen Gäste.

    »Ein herrliches Wetter bei Ihnen«, schwärmte Herr Schmidt, »und dank der Seeluft leidet man auch nicht so schrecklich unter den Sonnenstrahlen.«

    »Noch weniger gelitten hättest du, wenn du ins Wasser gekommen wärst, Vati!«, mahnte seine Tochter, ohne mit dem Kaugummikauen innezuhalten.

    »Ach was«, Herr Schmidt zuckte mit den Schultern, »an den Dünen zu wandern ist ebenso schön. Ich habe ja gehofft, einen Kranich zu sehen, aber das ist mir noch nicht gelungen.«

    Die Witwe Appelhoff mischte sich ein:

    »An den Badestränden werden Sie kaum Glück haben, aber wandern Sie ruhig mal ins Naturschutzgebiet. Kranichzeit ist allerdings erst im Herbst.« Sie wandte sich an das Komitee. »Für eben jenen Zeitabschnitt haben Frau Schubiak und ich überlegt, ein saisonales Sonderprogramm rund um den Kranich zu kreieren. Was meinen Sie?«

    Ehe Frau Staudt oder Herr Bunsen etwas erwidern konnten, schlug sich Herr Schmidt an die hohe Stirn.

    »Sie müssen von dem Komitee sein, das die Herberge begutachtet, nicht wahr? Und ich plaudere mitten in Ihre Besprechung hinein, das tut mir leid. Was die Kraniche angeht«, er lächelte der Witwe Appelhoff zu, »danke für den Tipp! Dann gebe ich die Suche besser auf und mache es mir am Strand mit einem guten Buch gemütlich.«

    »Du kannst gern von mir diesen schrecklichen Roman haben, den wir über die Ferien lesen müssen, Vati«, sagte Madeleine und holte ein blaues Taschenbuch aus ihrer Strandtasche hervor. »Er ist so sterbenslangweilig!«

    »Du wolltest den Deutsch-Leistungskurs wählen«, erinnerte ihr Vater sie, »und ich habe dich gewarnt, dass da viel Lektüre auf dich zukommen wird.«

    »Schon, aber über die Ferien…?«

    »Ja, auch das. Es sind eh nur Pfingstferien. Und meckere nicht über den Roman, das ist ›Kleiner Mann – was nun?‹ von Fallada, den kann man wirklich gelesen haben. Wurde der Roman nicht sogar hier geschrieben?«

    Er wandte sich ans Komitee, welches jedoch ratlos die Schultern hob und senkte.

    »Nicht ganz«, wusste die Witwe Appelhoff. »Auf Hiddensee.«

    »Nahe genug«, meinte Herr Schmidt. »Also kannst du das Buch in einer Umgebung studieren, die fast genau jener entspricht, wo es entstand. Toll, nicht wahr?«

    Madeleine hatte für den Enthusiasmus ihres Vaters nur ein verächtliches Stöhnen übrig, woraufhin jener dem Rest der Anwesenden ein entschuldigendes »Teenager eben« zuwarf.

    Mittlerweile hatte Anke Schubiak ihren zwei neuen Gästen die Zimmerschlüssel in die Hand gedrückt, Mattis hinzugerufen und ihn gebeten, das Gepäck des Komitees nach oben zu bringen.

    »Wenn Sie sich frisch gemacht haben, werden Frau Appelhoff und ich Ihnen gern die nähere Umgebung zeigen und vielleicht schon eventuelle Programmvorschläge näher besprechen«, sagte sie und das Komitee war einverstanden.

    Als der »hohe Besuch« sich entfernt hatte, atmete Anke Schubiak hörbar auf und drückte die Witwe Appelhoff an sich.

    »Ich glaube, wir haben einen positiven ersten Eindruck auf sie gemacht!«

    »Und dein Sohn scheint einen positiven Eindruck auf dieses junge Fräulein gemacht zu haben«, lächelte ihre Freundin belustigt und deutete auf Madeleine, die sich in eine Ecke gesetzt hatte und gelangweilt in ihrem blauen Taschenbuch blätterte.

    »Was meinst du?«, fragte Anke Schubiak.

    »Hast du den Blick nicht bemerkt, den sie Mattis zuwarf? Dein Sohn hat ihn jedenfalls kapiert, so rot, wie er anlief. Die Lütte scheint sich verguckt zu haben.«

    Die Herbergsmutter zuckte desinteressiert mit den Achseln. Sie war nicht in der Verfassung, auf Flirtversuche junger Leute zu achten, wo es doch um die Zukunft ihrer Einrichtung ging. Um den gelungenen Ersteindruck beim Komitee zu festigen, holte sie die drei besten Fahrräder, die sie besaß, aus dem Keller packte kleine Getränkeflaschen und etwas Obst in einen Korb und lud Frau Staudt und Herrn Bunsen, sobald sie wieder aufgetaucht waren, zu einer Radpartie ein. Bewaffnet mit ihren Papierbögen schloss sich die Witwe Appelhoff an.

    Sie fuhren durch Friedershagen, vorbei an mehreren Landhäusern (nicht alle so geräumig wie das Appelhoff’sche Anwesen), deren Fassaden mit buntbemalten Fensterläden verziert waren. Ihre Reetdächer erinnerten an die Zeit, als noch viele Seefahrer und Kapitänsfamilien darin wohnten. Anke Schubiak stellte während der Fahrt ihre Einfälle für mögliche Ausflüge des Heibideu vor.

    »Unsere Kirche ist aus Kohlebrand-Backstein gebaut und manche unserer Häuser in Friedershagen stammen aus der Gründerzeit«, erzählte sie. »All diese Bauten sind für Reisegruppen reiferer Jahrgänge sehenswert, die sich für Architektur interessieren. Daneben wollen wir aber auch die geographischen und biologischen Besonderheiten integrieren, die wir hier mit Bodden und Ostsee direkt vor der Haustür vorfinden. Nicht wahr, Lotte?«

    Die Witwe Appelhoff reagierte nicht, denn sie musste die ganze Zeit über an die Warnung der pinkfarbenen Urlauberin denken. Sie fragte sich, was an ihren Worten dran gewesen sein könnte. Im Gespräch über Hans Fallada hatte sie den Eindruck gewonnen, dass irgendwas nicht stimmte. War es die Tatsache, dass keiner vom Wirken des Schriftstellers auf Hiddensee gewusst hatte? Müsste einem Experten für Bildung und Heimatkunde so etwas nicht geläufig sein? Andererseits: Wieso sollten sich zwei Leute ausgerechnet als Heibideu-Komitee ausgeben? Was könnten sie damit bezwecken?

    Als Herr Bunsen merkte, dass von seiner gedankenverlorenen Begleitung keine Antwort zu erwarten war, sagte er freundlich an ihrer Stelle:

    »Ich finde, dass Ihre Jugendherberge eine vorzügliche Lage aufweist. Chancen für Erholung und Erforschung liegen selten so nahe beieinander wie hier. Nicht wahr, Frau Staudt?«

    Letztgenannte, obgleich sie als die körperlich Fitteste erschien, hechelte unbeholfen hinterdrein, da sie schon lange keine Fahrradtouren mehr gemacht hatte. Dennoch war ihre Laune ungetrübt und sie stimmte ihrem Vereinskollegen zu:

    »Vor und nach den Lerneinheiten und Forschungsstudien können die Schüler ohne verkehrstechnischen Aufwand zum Strand gelangen, um sich dort körperlich zu ertüchtigen. Das passt sehr gut zum Heibideu. Langsam wird es aber Zeit, dass wir zurückkehren und einen Blick über Frau Appelhoffs Verschriftlichungen werfen, meinen Sie nicht auch?«

    Und dankbar nahm Frau Staudt zur Kenntnis, wie die anderen drei ihren Vorschlag annahmen. In der Herberge angekommen, wurden die Fahrräder abgestellt und man suchte den Speisesaal auf.

    »Mattis wird die Räder in den Keller stellen«, sagte Anke Schubiak und sah sich suchend nach ihrem Sohn um. »Einstweilen wollen wir uns stärken. Sönke, unser Koch, ist für die Verpflegung hier verantwortlich.«

    Sie geleitete das Komitee zur Kantine und stellte den Gästen einen Hünen von Mann vor.

    »Freut mich«, sagte Herr Bunsen und wusste nicht, ob er den riesigen Mann siezen oder duzen sollte, denn Sönke war ein Name, den er weder als Vor- noch Zunamen einzuordnen wusste. Der Koch gab einfach nur ein »Tach« von sich und widmete sich wieder seinen Töpfen.

    Anke sah sich immer noch nach Mattis um, fand ihn aber nicht. Die Witwe Appelhoff holte erneut ihre Unterlagen hervor und breitete sie auf dem Esstisch aus.

    »Vorhin sprachen wir ja von den Angeboten, die wir erwachsenen Heibideu-Kunden machen könnten. Aber auch für Bildungsreisende im Grundschulalter haben wir etwas Feines: Eine Rallye bezüglich der Geschichte unserer Gegend! Das kommt bei Kindern ja immer an. Was Natur und Umwelt angeht, hat uns eine Lehrerin von hier geraten, Elemente wie Stationenlernen oder Gruppenpuzzle einzubinden. Was meinen Sie?«

    Frau Staudt zeigte sich sehr beeindruckt und auch Herr Bunsen nickte zufrieden, bewiesen die Ausarbeitungen doch eindeutig, wie sehr sich die hiesige Jugendherberge auf die prüfenden Blicke des Vereins vorbereitet hatte. Sie diskutierten weitere denkbare Bildungsangebote, wobei die Witwe Appelhoff bemerkte, dass beide Vertreter vom Heibideu sich sehr gut mit den Gesprächsinhalten auskannten.

    »Also sind sie doch vom Verein«, sagte sie sich, »und keine Betrüger. Man sollte eben auf die Worte von Zufallsbekanntschaften nichts geben.«

    Frau Staudt fragte, ob es in Friedershagen auch schöngeistige Schätze wie berühmte Dichter oder Musiker gebe. Bunsens ursprüngliche Idee eines Kochkurses für Jugendliche, um ihnen die heimische Küche nahezubringen, kam allerdings nicht zur Sprache. Sönke hatte zwar ein schmackhaftes Abendgericht zubereitet, welches für Kantinenspeise wirklich überdurchschnittlich gut war; sein Auftreten wirkte aber nach wie vor einschüchternd und abweisend – unpassend für die Art von Kinderkochkurs, die dem Komitee vorschwebte.

    Mahlzeit und Gespräch zogen sich bis in den späten Abend hin. Als die Sonne bereits untergegangen war, musste sich die Witwe Appelhoff verabschieden.

    »Mein Bruder fragt sich bestimmt, wo ich stecke«, sagte sie und schüttelte den anderen die Hand. »Ich lasse Ihnen die schriftlichen Ausarbeitungen selbstverständlich hier. Vielleicht kann ich Sie ja überreden, mich morgen zu besuchen? Mein Haus liegt unmittelbar am Bodden, da können Sie aus nächster Nähe die vielfältigen Möglichkeiten sehen und einschätzen.«

    Sie winkte Sönke zu und gab ihm mit erhobenem Daumen zu verstehen, wie sehr sein Abendessen ihr gemundet hatte. Der Koch nahm es mit einem Nicken zur Kenntnis, wohl die freundlichste Geste, zu der er fähig war. Die Witwe Appelhoff eilte daraufhin zu ihrem Fahrrad, schwang sich auf den Sattel und fuhr davon, sich wundernd, dass Mattis die anderen drei Räder noch immer nicht in den Keller gebracht hatte.

    Anke Schubiak kehrte mit den Gästen in den Speisesaal zurück und wollte ihnen gerade eine gute Nacht wünschen, als sie wütendes Gebrüll und Türknallen vernahm, das vom ersten Stockwerk zu kommen schien.

    »Du meine Güte, ist es bei Ihnen immer so laut?«, fragte Frau Staudt.

    »Und das nach Beginn der Nachtruhe«, tadelte Herr Bunsen.

    Die Herbergsmutter versprach, nach dem Rechten zu sehen, und eilte hinauf. Auf halber Treppe kam ihr Mattis entgegen, ganz blass um die Nase.

    »Kümmere dich um die Räder«, fuhr sie ihn an, ohne anzuhalten.

    Oben traf sie einen entrüsteten Herrn Schmidt vor. Seine hohe Stirn leuchtete zornesrot und der Vollbart bebte vor Wut.

    »Meine Tochter und ich reisen morgen ab. Unser Aufenthalt ist storniert!«

    »Aber was ist denn los?«, wollte Anke Schubiak wissen.

    Als Antwort wurde ihr die Tür vor der Nase zugeworfen. Ratlos sah sie zur Nachbartür, wo Madeleine mit verweinten Augen stand. Das Mädchen senkte den Kopf und schloss ihre Zimmertür ebenfalls, wenngleich bedeutend leiser als ihr Vater.

    Für gewöhnlich würde Anke Schubiak geklopft und auf eine ausführliche Erklärung bestanden haben. Angesichts des Komitees, das auf der Treppe stand, verzichtete sie jedoch auf eine Fortführung der Szene.

    »Wahrscheinlich familiäre Konflikte«, flüsterte sie Herrn Bunsen und Frau Staudt zu. »Kann in den besten Familien vorkommen.«

    »So so«, sagte Herr Bunsen nur und zog sich aufs zweite Stockwerk zurück, wo sich sein Zimmer befand.

    Frau Staudt folgte ihm stumm.

    »Herrje, wie peinlich«, ärgerte sich Anke Schubiak und ging, da sie ja ohnehin nichts mehr an dem Vorfall ändern konnte, zu Bett.

    Die Witwe Appelhoff erfuhr all das und noch mehr erst am folgenden Morgen, als sie in Friedershagens einziger Einkaufsmöglichkeit, Becks Lädchen, ihre Besorgungen machte. Dieses Lädchen war eine Mischung aus Kiosk, Lebensmittelgeschäft, Drogerie und Poststelle. Lorenz Beck stand am Schalter und war in ein Gespräch mit Frau Kröger und dem jungen Ortspolizist Peer Hövelmeyer vertieft, während die Witwe Appelhoff bei den Zeitschriften stand und nach einem Rätselheft für Profis suchte.

    »Stinkwütend war er, als er ins Auto gestiegen ist«, sagte Frau Kröger, »stinkwütend! Und genauso stinkwütend hat Anke ihm nachgeschaut.«

    »Kein Wunder, wenn er die Zeche prellt«, meinte Beck. »Glauben die Leute aus der Stadt etwa, sie würden überall freie Kost und Logis bekommen?«

    »Anke Schubiak hat bei uns keine Anzeige gegen ihn erstattet«, gab Peer Hövelmeyer zu bedenken. »Wir wissen also gar nicht, ob er seinen Aufenthalt nun bezahlt oder nicht bezahlt hat.«

    »Anke muss ihn verärgert haben«, mutmaßte Frau Kröger.

    »Wie das denn?«, fragte Hövelmeyer. »Man hat bisher nie Schlimmes über ihre Herberge gehört.«

    »Keine schmutzigen Betten, niemals schlechtes Essen…«, zählte Beck auf.

    »Da bleibt nur eine Schlussfolgerung übrig«, behauptete Frau Kröger und sah die Herren mit einem ganz gewissen Blick an.

    »Sie meinen –?« Beck wagte die Frage nicht zu beenden.

    »Oh ja!« Frau Kröger nickte mehrmals. »Sie ist eine Frau im besten Alter. Und schon so lange geschieden!«

    »Nein, das kann ich nicht glauben«, schüttelte Peer Hövelmeyer den Kopf.

    Die Witwe Appelhoff hielt es nicht mehr aus. Wenn ihre Freundin Anke in ein Drama verwickelt war, wollte sie das genau wissen. Also fragte sie, was Frau Kröger genau gesehen haben wollte, und erfuhr, wie Herr Schmidt und seine Tochter bereits am Morgen, noch vor dem Frühstück, mit allem Gepäck abgereist waren.

    »Hätte ich in dem Moment nicht gerade die Praxisfenster geputzt, ich würde das gar nicht bemerkt haben«, erzählte Frau Kröger.

    Sie war die Gattin des hiesigen Arztes und sah es als eheliche Pflicht an, für Sauberkeit und Ordnung in dessen Praxis zu sorgen. Läge sie nicht so günstig in der Ortsmitte, von wo aus man alles Wichtige im Blick hatte – wer weiß, ob sie sich auch nur halb so tüchtig um die Fensterscheiben gekümmert hätte.

    »Gestern wirkte die Familie noch sehr zufrieden mit der Herberge«, wunderte sich die Witwe Appelhoff. »Was da wohl vorgefallen sein mag?«

    »Sehr peinlich jedenfalls für Anke«, meinte Frau Kröger. »Das Ganze spielte sich vor den Augen ihres hohen Besuchs vom Bildungsverein ab.«

    »Und ärgerlich für mich«, fügte Beck hinzu. »Gestern kam die Tochter hier rein und wollte Schminkzeug kaufen, weil ihres zur Neige ging. Jetzt hab ich es bestellt und sie ist schon weg und ich bleibe drauf sitzen.«

    »Ach, Lorenz«, tröstete ihn Peer Hövelmeyer. »Es werden schon andere junge Dinger kommen und dir das Make-up abkaufen.«

    »Und die können sich dann hoffentlich besser schminken«, lästerte Frau Kröger. »Meine Schwägerin hat sie ja vor der abrupten Abreise noch getroffen und mir anvertraut, dass das Kind seine Pubertätspickel regelrecht mit Stolz vor sich her trüge. Tse! Zu meiner Zeit hat man noch gewusst, was ein Abdeckstift ist.«

    »Weiß denn jemand, wohin die Schmidts abgereist sind?«, fragte die Witwe Appelhoff.

    »Nicht offiziell«, sagte Frau Kröger und zögerte. »Mir war, als ob der Vater was vom Seebad-Hotel in sein Navi gesprochen hat. Ich stand putzend am Fenster und es stand offen, sodass mir nix anderes übrig blieb, als zuzuhören.«

    »Da müssten die Ansprüche aber rasant nach oben gesprungen sein, wenn man von rustikaler Jugendherberge gleich zum mondänen Seebad-Hotel wechselt«, bemerkte Beck. »Du wirst dich wahrscheinlich verhört haben.«

    Die Witwe Appelhoff merkte sich

    Gefällt Ihnen die Vorschau?
    Seite 1 von 1