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Schweizer Märchen
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eBook242 Seiten3 Stunden

Schweizer Märchen

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Über dieses E-Book

Die Schweiz, das Land zwischen Schluchten und Tälern, dem Genfer See und Bodensee ist reich an Märchen und Legenden. Die Schweizer Märchen versammelt 70 der schönsten und bekanntesten Märchen unter anderem Die beiden Feen, Hundert auf einen Streich, Die vier lustigen Gesellen, Vogel Strauß, Der Schneider und der Riese, Der Meisterdieb und viele mehr! Nicht nur die kleinen Holzstiche und liebevollen Zeichnungen lassen diese Sammlung zu einem richtigen Schatz werden.
SpracheDeutsch
HerausgeberEdition Lempertz
Erscheinungsdatum28. Aug. 2012
ISBN9783939284857
Schweizer Märchen

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    Buchvorschau

    Schweizer Märchen - nicht bekannt

    978-3-939284-85-7

    Vorwort

    Nur wenig über hundert Jahre sind es her, dass die Brüder Grimm dem deutschen Volke ihre Kinder- und Hausmärchen gaben. Es war gerade um jene Zeit, Ende des Jahres 1812, da Napoleons unglückliche Heere in Russland zugrunde gingen und ihre Trümmer sich durch Deutschland zurückzogen. Sie legten ihr Buch all denen auf den Weihnachtstisch, die sich mit ihnen nach einer ruhigeren, bessern Zeit sehnten, wo die Völker in stiller Friedensarbeit sich entwickeln, jedes bauend auf seine Eigenart und urwüchsige Kraft. In den Kinder- und Hausmärchen zeigten sie dem deutschen Volke zum erstenmale, welch große Fülle ursprünglichster, reinster und einfachster Poesie in der Volksdichtung enthalten und wie wertvoll sie für nationale Erziehung und nationales Leben ist. „Kinder- und Hausmärchen werden erzählt, sagten sie in der zweiten Auflage ihrer Sammlung (1819), „damit in ihrem reinen und milden Lichte die ersten Gedanken und Kräfte des Herzens aufwachen und wachsen; weil aber einen jeden ihre einfache Poesie erfreuen und ihre Wahrheit belehren kann, und weil sie beim Haus bleiben und forterben, werden sie auch Hausmärchen genannt. Ihr Wunsch ist in Erfüllung gegangen. Wer verdankt ihren Märchen nicht schönste, bleibende Jugenderinnerungen, tiefste Erregung des Herzens und Weckung der edelsten Gefühle und der Phantasie!

    Diese kleine Auswahl „Schweizer Märchen" erscheint unter ähnlichen Umständen wie die Grimm'sche Sammlung: Wiederum tobt überall schrecklicher Krieg, und dieses gewaltige Ringen um Sein oder Nichtsein scheint wenig Musse zu lassen, sich an poetischen Gebilden der Phantasie zu erfreuen. Aber gerade der Krieg hat allerorten das nationale Bewusstsein wieder geweckt und die Völker dazu geführt, sich auf sich selbst zu besinnen. Auch die Schweiz hat in Stunden drohender Not und Gefahr Einkehr in sich gehalten und erkennt immer mehr, dass die Wurzeln ihrer nationalen Kraft im gesunden, natürlichen Geiste des Volkes liegen. Die wohltuende Reaktion gegen allen fremden Flitter, der unsere Kultur entstellt, gegen Unnatürlichkeit und Effekthascherei gerade in Kunst und Poesie, die schon früher eingesetzt hatte, wird dadurch machtvoll unterstützt und der alte einfache Schweizersinn neu belebt und gefördert.

    Wie reich die Schweiz gerade auch an Märchen ist, bewies schon die Grimm'sche Sammlung; stammten doch einige der schönsten aus der Schweiz. Davon soll auch diese Sammlung zeugen. Rein und unverfälscht, so wie sie sich das Volk selbst erzählt, sind sie wiedergegeben, mit allen stilistischen Feinheiten und Härten. Dankbar gedenken wir hierbei der „Schweizerischen Gesellschaft für Volkskunde", die seit Jahren auch diese reichen poetischen Schätze sammelt und sie uns zur Verfügung stellte. Das hier Gebotene ist nur ein kleiner Teil dessen, was sie in ihren Sammlungen besitzt.

    Wenn das Büchlein die Freude und Lust an heimischer Volkspoesie weckt und so die Liebe zur Heimat fördert, so hat es seinen Zweck erfüllt.

    Basel, im September 1915.

    Dr. phil. Hanns Bächtold

    Die beiden Feen

    Es lebten einmal Zwillinge, die waren schön wie der schönste Sonnentag und stolzer als der stolzeste Adler. Ich glaube, mutigere Burschen gab es keine mehr.

    Eines Tages ritten sie vom Markte heim und mussten auf ihrem Weg durch einen großen, finstern Wald. Es war schon spät am Abend und der Vollmond schien. Da plötzlich hörten sie aus einem Busch heraus ein Helles, fröhliches Lachen. Die Brüder hielten die Pferde an und der ältere sagte

    „Hörst du's auch?"

    „Ei ja, da drinnen müssen Mädchen sein und sich lustig machen!" antwortete der jüngere.

    Und sieh, schon kamen zwei Mädchen auf sie zu, prächtig in Gold und Seide gekleidet und himmlisch schön wie Engel und redeten sie an

    „Guten Abend, ihr Burschen", sagten sie.

    „Schönen Dank, liebe Mädchen", erwiderten diese.

    „Ihr seid doch Zwillingsbrüder, fuhren die Mädchen fort, „und wir sind Zwillingsfeen. Wenn ihr uns heiraten wollt, machen wir euch königlich reich und ihr werdet Kinder bekommen, so schöne und starke, wie ihr seid.

    „Dann heiraten wir uns! rief erfreut der ältere der Brüder. „Ich nehme die ältere.

    „Ja, heiraten wir uns! jauchzte der jüngere Bruder, „ich nehme die jüngere der Schwestern!

    Und wonniglich bestimmten die beiden Feen den kommenden Tag zum Hochzeitsfest und sagten zu den Brüdern

    „Geht jetzt heim und seid bei Tagesanbruch an der Türe der Kirche dort oben am Waldesrand. Aber ihr dürft nichts mehr essen und nichts trinken bis dahin, sonst gibt es ein großes Unglück."

    „Seid getrost, liebe Feen, wir tun, was ihr wollt", entgegneten beide zuversichtlich. Sie verabschiedeten sich und ritten heim zu ihren Eltern, und ohne ihnen etwas davon zu sagen und ohne zu essen und zu trinken, gingen sie sofort zu Bett.

    Bald nach Mitternacht erhoben sie sich ganz leise, damit niemand sie höre, und eilends ritten sie fort, um rechtzeitig, ehe der Tag erwachte, oben bei der Kirche am Waldesrand zu sein.

    Ihr Weg führte sie an einem reifenden Kornfeld vorbei. Ohne an etwas zu denken, bückte sich der jüngere Bruder nach einer Ähre, nahm ein Korn zwischen die Zähne und zerkaute es.

    Als sie vor die Kirche kamen, stand die Türe weit offen, und der Traualtar war bereit. Schon warteten die Feen in schönen, seidenweißen Brautkleidern, mit prächtigen Schleiern, auf denen kleine Perlen saßen, Krönchen auf dem Haupte und wunderschönen Blumen mit köstlichem Duft in den Haaren.

    „Mein Freund, sagte die jüngere schluchzend, „du hast vergessen, dass du nichts essen und nichts trinken solltest. Darum hast du ein großes Unglück verschuldet. Durch die Heirat mit dir wäre ich eine Frau geworden, wie andere Menschenfrauen. Aber jetzt muss ich für immer eine Fee bleiben.

    Mit diesen Worten wendete sie sich traurig ab und entschwand auf Nimmerwiedersehen.

    Nun traute der Pfarrer nur das ältere Brautpaar. Und nach der Feier wünschte der jüngere Bruder den beiden Glücklichen alles Gute und sagte

    „Lebt wohl! Ich gehe jetzt in die weite Welt irgendwo in ein Kloster. Sagt meinem Vater und meiner Mutter, dass sie mich nie, nie mehr sehen werden."

    Damit machte er sich auf den weiten Weg, und seine Augen füllten sich mit Tränen. Der junge Ehemann aber führte seine schöne Frau heim zu seinen Eltern.

    Am Abend, vor dem Einschlafen, als alles stille geworden, sagte die junge Frau ängstlich zu ihrem Manne

    „Höre, wenn du mich lieb hast, so versprich mir nur eines: Sage nie, dass ich eine Fee war und schimpfe mich nie: verrückt. Sonst würde ein großes Unglück geschehen."

    „Liebe Frau, beruhigte sie ihr Mann, „habe keine Angst. Nie werde ich es tun.

    Sieben Jahre lang lebten sie in Liebe und Glück beieinander auf einem schönen Schloss mitten in ihrem Land. Sie hatten sieben gesunde, starke Kinder.

    Einmal nun musste der Mann fortgehen und überließ Haus und Leute seiner Frau. Es war im Juli, beim prächtigsten Sonnenwetter, bei dem das Korn nach und nach zum Reifen kam.

    Da plötzlich schaute die Frau zum Himmel und rief erschrocken aus

    „Ihr Knechte und Mägde, eilet und schneidet so rasch ihr vermögt alles Korn, sonst zerstören es Hagel und Regen!"

    „Aber bedenkt doch, Frau, wandte einer der Knechte ein, „es ist ja das allerschönste Wetter, und das Korn ist nur halb reif!

    Aber eindringlich hieß sie die Leute, ihren Befehl auszuführen. Da gingen sie und arbeiteten noch immer auf dem Felde, als der Herr wieder nach Hause kam.

    „Was machen denn eigentlich die Leute auf dem Felde, liebe Frau?" fragte er sie erstaunt.

    „Sie tun, was ich ihnen befahl", entgegnete sie.

    „Das Korn ist ja noch gar nicht reif, Frau. Du musst verrückt sein, sonst hättest du das nicht befehlen können!" rief er zornig.

    Da verschwand seine Frau, und am gleichen Abend zerstörten Hagel und Gewitter alle Feldfrüchte im ganzen Land.

    Jeden Morgen aber erschien sie wieder im Schlosse als Fee, ging wie eine treue Mutter in das Zimmer ihrer sieben Kinder, wusch und kämmte sie weinend mit einem goldenen Kamme.

    „O ihr lieben Kinder, sagte sie dabei jedesmal, „verratet eurem Vater ja nie, dass ich jeden Morgen bei Tagesanbruch zu euch komme in euere Kammer und euch mit einem goldenen Kamme kämme, sonst entsteht wieder ein großes Unglück.

    Und immer versprachen ihr die Kinder alle miteinander

    „Nein, o liebe Mutter, wir werden es ihm nie sagen!"

    Der Vater war aber jeden Morgen erstaunt, wenn er seine sieben Kinder so schön gekämmt sah und er fragte sie immer

    „Wer kämmt euch denn die Haare so schön, liebe Kinder?"

    „Die Magd, lieber Vater", gaben sie ihm jedesmal zur Antwort.

    Doch schließlich fasste der Vater Mißtrauen, und eines Abends tat er, als ob er in sein Zimmer schlafen gehe, versteckte sich aber in der Kammer seiner Kinder. Wie gewöhnlich kam bei Tagesanbruch ihre Mutter, weinend, mit dem goldenen Kamme. Da konnte sich der Vater nicht mehr länger halten und schrie

    „O du liebe Frau, bleibe da! Ich bitte dich! Gehe nicht mehr fort!"

    Aber all sein Bitten und Flehen half nichts. Wie ein Blitz verschwand die Fee und kam nie wieder. Weder der Vater noch die Kinder haben sie je wieder gesehen.

    Hundert auf einen Streich

    Einmal saß ein Schneider mit verschränkten Beinen auf seinem Tisch und flickte alte Kleider. Er hatte Überreste vom Mittagsmahl neben sich, über die sich bald ein Schwarm Fliegen hermachte. Da nahm er einen Lappen und schlug sie alle tot und war ganz erstaunt, einen so furchtbar großen Haufen erschlagen zu haben; denn als er sie zählte, waren es über hundert. Das schien ihm eine ungeheure Zahl, und er wusste nicht, wie er das bekannt machen wollte, damit die andern vernähmen, wie stark er sei. Schließlich kam ihm ein Gedanke. Er nähte auf der Weste mit großen Buchstaben die Worte auf: „Hundert auf einen Streich!" Damit gedachte er überall Schrecken zu erregen; drum ging er auf die Wanderschaft.

    In einem Walde gab es viele Bären. Da ließ der König ausrufen, wer die Bären töte, dem gebe er seine Tochter zur Frau. Der Schneider gedachte ein Probestück abzulegen und meldete sich zum Kampf. Er ließ einen großen eisernen Käfig anfertigen und mitten in den Wald tragen. Dazu verlangte er eine Spritze, Petrol und Feuerholz. Er sperrte sich in den Käfig ein und wartete, bis die Bären kamen. Wenn einer erschien, bespritzte er ihn mit Petrol, steckte ihn in Brand, worauf die Bestie davonrannte und verbrannte. Als alle tot waren, verließ er den Käfig, ließ die toten Tiere zum König tragen und verlangte seine Tochter zur Frau.

    „Ich habe dir die Arbeit zu leicht gemacht, sagte jedoch der König, „du musst mir noch ein anderes Probestücklein machen. In dem Wald daneben sind viele Räuber, gehst du und bringst sie um, so erhältst du meine Tochter ganz gewiss!

    Der Schneider machte ein saures Gesicht, erklärte sich aber bereit dazu. Er nahm ein Stücklein Ziger mit in der Tasche und begab sich in den Wald. Da erschienen die zwölf Räuber und lachten das dünne Männchen aus. Doch der Schneider griff in die Tasche und sagte

    Seht her, könnt ihr diesen Kristall auch so zusammendrücken, dass das Wasser herausläuft? und er machte es ihnen mit dem Ziger vor.

    „Nein, das können wir nicht, sagten sie, „aber Steine zu Mehl zerreiben, das schon.

    „Das ist nichts, rief der Schneider, „das Wasser muss herauslaufen!

    Sie zogen weiter durch den Wald. Da ergriff einer der Räuber den Wipfel einer Birke, bog ihn herunter und sagte

    „Jetzt halt mir die Spitze ein wenig, wenn du stärker bist als wir!"

    „Halten will ich ihn nicht, sagte er, „aber drüber hinwegspringen.

    Er ergriff den Wipfel, ließ ihn fahren und wurde im Bogen über den Baum hinausgeschleudert. Er kam aber so glücklich auf die Füße, dass er keinen Schaden nahm.

    „So, jetzt macht es nach!" rief er aus. Der erste stieg auf einen Felsen und versuchte von dort über den Baum zu setzen. Er blieb aber tot liegen. Alle andern machten es nach und fielen zu Tode. Da eilte der Schneider zum König zurück und sagte

    „Die zwölf Räuber liegen tot bei dem großen Felsen, alle an einem Haufen. Ich habe sie mit leichter Müh ums Leben gebracht; ihr seht ja wohl, welche Kraft ich habe, aber jetzt will ich meinen Lohn. Gebt mir eure Tochter zur Frau!"

    Der König fügte sich und die Hochzeit wurde abgehalten. Nach einigen Tagen beklagte sich die Tochter beim König

    „Mein Mann ist ja nur ein leidiges Schneiderlein!"

    Der Vater erwiderte

    „Das weiß ich schon lange, aber jetzt bestelle ich hundert und einen Mann, denn einer mehr als hundert muss es schon sein, die sollen mir das Schneiderlein aus dem Reich entfernen, aber ganz sachte mit ihm umgehen, sonst tötet er sie alle!"

    Der Trupp Soldaten wurde so aufgestellt, dass das Haus des Schneiders ganz umringt war. Seine Frau trat ins Zimmer, aber er stand am Tisch und sagte

    „Kommt nur, ich wache!"

    Da getraute sich keiner der Soldaten hinein, und sie kehrten alle um. Nun sagte der König zu seiner Tochter

    „Du hast dich gewiss geirrt!"

    „Nein, nein, entgegnete sie heftig, „mein Mann ist ein leidiges Schneiderlein!

    „Ich weiß schon Rat, sagte der König, „warte nur!

    Er stellte sein ganzes Heer auf und befahl, dass es mit dem Schneider Krieg führe. Der Schneider vernahm das, er verstopfte sich die Nase mit einem Flaschenzapfen und schritt den Soldaten entgegen. Als ihn die ersten erblickten, fragten sie ihn, warum er die Nase verstopft habe. Da antwortete er

    „Den Zapfen darf ich nicht herausnehmen, sonst blase ich euch alle zusammen in die Luft!"

    Da näherten sich die andern Soldaten auch, und als sie das auch hörten, baten sie ihn, den Zapfen doch nicht herauszunehmen, sie täten ihm gewiss nichts zuleide, und damit machten sie sich davon.

    Da sagte der König zum Schneider

    „Mit dir ist nichts anzufangen", und zur Tochter sagte er

    „Du musst dich halt leiden und bedenken, dass der Schneider das Land befreit hat von den Bären und Räubern!"

    Geh, du verfluchtes Kind!

    Ein Elternpaar hatte einen einzigen, aber ganz mißratenen Sohn, der ihnen viel Kummer verursachte. Als er herangewachsen war, zählte ihm der Vater eine Summe Geldes auf die Hand und sagte

    „So, jetzt ziehst du in die Fremde, lernst etwas und suchst dein Brot selbst zu verdienen!"

    Der Sohn gehorchte, zog von dannen und ging unter die Soldaten. Aber nach einigen Jahren kam er ganz zerlumpt und mittellos wieder nach Hause. Die Mutter versteckte den Hudel die Nacht durch im Hühnerstall und bereitete den Vater langsam auf die Ankunft des Sohnes vor. Erst als er ihr versprochen hatte, den Sohn nicht zu schlagen, holte sie ihn heraus. Sie wussten lange nicht, was sie mit ihm anstellen sollten. Schließlich gelang es ihnen, dass er Geißhirt des Dorfes wurde. Doch er behandelte die Ziegen wie Soldaten, exerzierte mit ihnen, lehrte sie marschieren und zog mit ihnen schön ausgerichtet abends im Dorf ein, so dass die Ziegen keine Milch mehr gaben. Die Dörfler klagten deshalb über den Geißbuben, und da wurde der Vater zornig, zählte ihm wieder einige Taler auf den Tisch und jagte ihn aufs neue fort.

    Nach einigen Jahren erhielten die Eltern die Nachricht, der Sohn sitze im Gefängnis und sie möchten ihn loskaufen, sonst werde er erschossen. Da reiste der Vater ab und erlöste den Sohn aus schimpflicher Kerkerhaft.

    Als sie zusammen reisten, dachte er darüber nach, was er nun mit ihm anfangen solle, das beste sei wohl, er lasse ihn wieder laufen. Er bot ihm etwas Geld an und sagte

    „Geh, du verfluchtes Kind!"

    Der Bube nahm wieder Handgeld. Diesmal hatte er mehr Glück; denn als er einige Jahre zur Zufriedenheit der Obern gedient hatte, rückte er zum Unteroffizier vor, wurde in die Leibgarde eingereiht und musste im Königsschloss Wache stehen. Die Königstochter fand Gefallen an dem schön gewachsenen Burschen; er wurde daher bald Adjutant und ihr ausgesprochener Liebling, und nach einem Jahre verlobte sie sich mit ihm und dann wurde Hochzeit gehalten und beide waren überglücklich.

    Der junge Prinz bekam aber auf einmal Heimweh nach seinen Eltern, und so fuhr er mit der Frau in einer prächtigen Kutsche dem Heimatdorfe zu. Vor dem Dorfe stieg er aus, hieß die Frau zu seinen Eltern fahren, kaufte sich ein Bettlergewand und erschien dann vor seinen Eltern in dem zerlumpten Anzug.

    Die Mutter kochte dem vornehmen Besuch eben ein gutes Mahl, als der Sohn hereintrat. Der Vater schämte sich seiner und sagte: „Jetzt kommst du zum drittenmal als Bettler zurück, und er entschuldigte sich vor der vornehmen Dame. Diese aber lächelte und fragte, ob der Sohn sie nicht beim Essen bedienen dürfe. Die Mutter sagte: „Doch, doch, und da brachte der Sohn auch schon die erste Platte herein und ließ sie fallen. Der Vater entschuldigte sich abermals, dass er einen so tölpelhaften Sohn besitze, doch der vornehme Gast sagte, das sei nicht so schlimm, der Sohn solle nur die zweite Platte hereintragen. Die Eltern wehrten ab, aber da erschien er auch schon mit dem Zinnteller und ließ ihn auch richtig wieder fallen.

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