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Eichengrund: Kriminalroman
Eichengrund: Kriminalroman
Eichengrund: Kriminalroman
eBook381 Seiten4 Stunden

Eichengrund: Kriminalroman

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Über dieses E-Book

Nach ihrer Pensionierung möchte Charlotte Stern eigentlich nur noch ihren Ruhestand genießen. Als sie jedoch durch die Presse von zwei Todesfällen in der Seniorenresidenz Eichengrund erfährt, erwacht ihr Interesse. Von ehemaligen Kollegen hört sie, dass es sich um Unfälle handelte - doch ihre Intuition sagt etwas anderes. Kurzerhand meldet sie sich in der Residenz zum Probewohnen an und beginnt zu ermitteln. Plötzlich ist eine weitere Bewohnerin tot …
SpracheDeutsch
HerausgeberGMEINER
Erscheinungsdatum11. Apr. 2018
ISBN9783839256008
Eichengrund: Kriminalroman
Autor

Claudia Rimkus

Claudia Rimkus lebt und arbeitet in ihrer Geburtsstadt Hannover. Seit ihrer Jugend schreibt sie Gedichte, Kurzgeschichten und Romane. Ihre ersten Erzählungen wurden erfolgreich als Fortsetzungsromane in der Hannoverschen Allgemeinen Zeitung und den angeschlossenen Lokalzeitungen veröffentlicht. Ihre Werke sind trotz aller Spannung immer mit Humor gewürzt. Die Autorin ist oft mit der Kamera unterwegs. Das genaue Beobachten ihrer Umwelt inspiriert sie sowohl beim Fotografieren als auch beim Schreiben. Ihre Fotos haben schon mehrere Preise gewonnen.

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    Buchvorschau

    Eichengrund - Claudia Rimkus

    Zum Buch

    Letzte Konsequenz In der hannoverschen Seniorenresidenz Eichengrund ereignen sich innerhalb kürzester Zeit zwei Todesfälle. Als Charlotte Stern, ehemalige Leiterin des Kriminalarchivs, davon erfährt, spricht sie beim Stammtisch ihre ehemaligen Kollegen darauf an. Diese behaupten jedoch, dass es sich um Unfälle handelte. Ihre Spürnase sagt ihr allerdings etwas anderes. Deshalb meldet sich Charlotte kurz entschlossen zum Probewohnen in der Residenz an. Um unauffällig Informationen zu sammeln, freundet sie sich mit einer munteren Gruppe Oldies an, die sich nachmittags im Wintergarten der Residenz trifft. Sie erfährt einiges über die Verstorbenen und beginnt Zusammenhänge zu erahnen. Nur wenige Tage später wird die Leiche einer weiteren Bewohnerin gefunden. Wieder gibt es keine Hinweise auf einen unnatürlichen Tod. Allerdings hat die Verstorbene Charlotte eine Warnung hinterlassen. Nun weiß sie, dass sie auf der richtigen Spur ist. Sie recherchiert weiter und gerät dadurch in Todesgefahr …

    Claudia Rimkus wurde 1956 in Hannover geboren, wo sie noch heute lebt und (arbeitend) ihren Ruhestand genießt. Die Autorin ist mit ihrer Heimatstadt eng verbunden, deshalb ist die Leinemetropole oft Schauplatz ihrer Geschichten. Diese sind trotz aller Dramatik immer mit Humor gewürzt. Ihre ersten Erzählungen wurden erfolgreich als Fortsetzungsromane in der Hannoverschen Allgemeinen Zeitung und den angeschlossenen Lokalzeitungen veröffentlicht. Danach folgten mehrere Kurzgeschichten und Romane. Wenn sie nicht schreibt, ist sie gern mit der Kamera unterwegs. Ihre Fotos haben mehrere Preise gewonnen. Auch das genaue Beobachten ihrer Umwelt inspiriert sie zu ihren Geschichten.

    Impressum

    Die automatisierte Analyse des Werkes, um daraus Informationen

    insbesondere über Muster, Trends und Korrelationen gemäß § 44b UrhG („Text und Data Mining") zu gewinnen, ist untersagt.

    Personen und Handlung sind frei erfunden.

    Ähnlichkeiten mit lebenden oder toten Personen

    sind rein zufällig und nicht beabsichtigt.

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    Telefon 0 75 75 / 20 95 - 0

    info@gmeiner-verlag.de

    Alle Rechte vorbehalten

    Lektorat: Claudia Senghaas, Kirchardt

    Herstellung: Mirjam Hecht

    Umschlaggestaltung: U.O.R.G. Lutz Eberle, Stuttgart

    unter Verwendung eines Fotos von: © Christian Müller/fotolia.com

    ISBN 978-3-8392-5600-8

    Widmung

    Für meine wunderbaren Enkel

    Noah und Josuah

    Kapitel 1 –­ Dienstag, 28. April

    Am Fuße der breiten Treppe lag ein Mann – die Glieder seltsam verrenkt. Rote Sprenkel auf dem grau-blau gestreiften Schlafanzug stammten von einer klaffenden Kopfwunde. Auch auf dem Treppenabsatz waren Blutspuren. Ein Filzpantoffel lag ein paar Stufen tiefer, der zweite neben der rechten Hand des Toten.

    Der Fundort der Leiche in der Lobby der Seniorenresidenz Eichengrund war weiträumig abgesperrt. Hinter dem rot-weißen Trassierband versammelten sich immer mehr Bewohner. Der 60-Plus-Generation stand die Betroffenheit ins Gesicht geschrieben. Einige waren wie versteinert, andere kämpften mit den Tränen; alle starrten entsetzt auf ihren toten Hausgenossen. Immerhin handelte es sich bei ihm um den zweiten Unfalltoten innerhalb von 14 Tagen.

    Hauptkommissar Hannes Bremer trat ungeduldig von einem Fuß auf den anderen. Er war ein drahtiger, knapp zwei Meter großer Mann, der den korpulenten, glatzköpfigen Rechtsmediziner, der die erste Leichenschau durchführte, nicht aus den Augen ließ.

    »Und?«, fragte der Kommissar, als der Arzt sich schwerfällig erhob. »Irgendwelche Hinweise auf Fremdverschulden?«

    »Sieht ganz nach einem Unfall aus.« Schnaufend wischte sich Dr. Fleischmann mit einem Taschentuch die Schweißperlen von der Stirn. »Alles Weitere nach der Obduktion.«

    »Wann kann ich mit deinem Bericht rechnen?«

    »Ich melde mich.« Ohne eine Antwort abzuwarten, griff er nach seinem Aluminiumkoffer und marschierte auf seinen kurzen Beinen zum Ausgang. Umständlich zog er dort den grauen Overall aus, den er über seiner Kleidung trug, drückte ihn einem uniformierten Beamten in die Hand und verschwand aus dem Blickfeld des Kommissars.

    »Wir haben nichts Verdächtiges gefunden, Hannes«, informierte ihn ein Kollege von der Spurensicherung. »Die vielen Fingerabdrücke am Treppengeländer stammen wahrscheinlich alle von Bewohnern. Das überprüfen wir noch. Es sieht aber so aus, als wäre der alte Mann einfach gestolpert und die Treppe runtergefallen.«

    »Mitten in der Nacht?«

    »Vielleicht war er verwirrt oder ist schlafgewandelt?«

    »Warten wir das Obduktionsergebnis ab«, sagte Hannes und wandte sich an seine beiden Teamkollegen, die gerade eintrafen. Kurz informierte er sie über den Sachverhalt. »Pia, du fängst mit der Befragung der Bewohner an. – Und du, Martin, sprichst zuerst mit der Heimleitung.«

    »Dabei kommt auch nicht mehr raus als beim letzten Mal«, mutmaßte der junge Kollege. »Wir haben mit dem Eilenriede-Killer schon genug am Hals.«

    »Ich weiß«, sagte Hannes mit einem Seufzer. »Hoffentlich war das hier nur ein Unfall. Dann ist die Sache schnell erledigt.«

    Kapitel 2 – Donnerstag, 30. April

    Der Kollegenstammtisch traf sich im vierwöchigen Rhythmus donnerstags in der hannoverschen Altstadtkneipe »Alibi«. Als Charlotte Stern eintraf, saßen die anderen schon beim ersten Bier.

    »Entschuldigt meine Verspätung«, bat sie, stellte ihre Sporttasche ab und nahm neben Hannes Bremer Platz. »Als ich aus dem Fitnesscenter kam, hatte irgend so ein Idiot das Vorderrad von meinem Drahtesel geklaut. Deshalb musste ich die Strapazenbahn nehmen.«

    »Kein Problem«, sagte Dr. Fleischmann, bevor er dem Kellner ein Zeichen gab, ihr ein Bier zu bringen. »Trainierst du immer noch regelmäßig?«

    »Zweimal in der Woche. – Das könnte dir auch nicht schaden«, fügte sie mit einem Blick auf seinen Leibesumfang hinzu. »Du kannst mich ja mal begleiten.«

    »Dir würde ich überallhin folgen, aber nicht ins Fitnessstudio. Wir könnten stattdessen …«

    »Spar dir die Mühe«, fiel sie ihm lachend ins Wort und schaute in die Runde. »Erzählt mir lieber von euren Ermittlungen. Gibt es was Neues über den Eilenriede-Killer?«

    »Wir suchen immer noch nach den fehlenden Leichenteilen«, berichtete Hannes. »Die bisherigen Fundstücke stammen von einer Frau und einem Mann, aber erst wenn wir die Köpfe gefunden haben, können die Opfer vielleicht identifiziert werden.«

    Zustimmend nickte sie nur, da sie das schon aus der Presse erfahren hatte. Ihr war klar, dass die Kollegen sich bedeckt halten mussten. Trotzdem hätte sie gern mehr gewusst. Ihr Arbeitsplatz war bis zu ihrer Pensionierung mehr als 30 Jahre lang das Kriminalarchiv gewesen. Sie hatte nie direkt mit Ermittlungen zu tun gehabt, sich im Laufe der Jahre aber viel Wissen über Verbrechen und Täterprofile angeeignet.

    »Kann man die Identität der Opfer nicht anhand der Vermisstenanzeigen eingrenzen?«

    »Das hat leider nichts gebracht. Zurzeit gehen wir sämtlichen Hinweisen aus der Bevölkerung nach. Es haben sich eine Menge Leute nach unserem Aufruf gemeldet.«

    »Jetzt müssen wir erst mal die Wichtigtuer aussortieren«, sagte Kommissar Martin Drews mit wenig begeisterter Miene. Als Jüngster im Team war er mit seinen 31 Jahren noch voller Tatendrang. Er ermittelte am liebsten vor Ort und hasste den lästigen Papierkram. »Das ist Polizeiarbeit, wie ich sie mir immer gewünscht habe.«

    »Würdest du lieber auf der Suche nach Leichenteilen jedes Blatt in der Eilenriede umdrehen?«, spottete seine etwas ältere Kollegin Pia Wagner. Mit dem langen blonden Haar und dem kindlichen Gesicht wirkte sie harmlos, konnte aber knallhart sein. »Die 640 Hektar Stadtwald schaffst du bei deinem Arbeitseifer sicher im Handumdrehen.«

    Lässig winkte er ab.

    »Die fehlenden Teile könnten auch ganz woanders entsorgt worden sein – vielleicht sogar im Maschsee.«

    »Das wäre auch nicht das erste Mal«, bemerkte Charlotte und nickte dem Kellner dankend zu, der das gewünschte Bier vor ihr auf dem Tisch abstellte. »Es war schon gruselig, als die zerstückelte Leiche vor anderthalb Jahren im Maschsee gefunden wurde. Damals war ich noch im Dienst. Ich erinnere mich, dass Spaziergänger den blauen Müllsack entdeckt hatten – und das relativ bald nach der Tat. Der Eilenriede-Killer hat die Leichenteile besser versteckt, damit sie nicht so schnell zu finden sind.« Fragend blickte sie den Rechtsmediziner an. »Hatte die Verwesung nicht schon eingesetzt?«

    »Du bist gut informiert.«

    »Ich lese Zeitung.«

    »Nach dem Grad der Verwesung zu urteilen, haben die Leichenteile mindestens vier Wochen im Wald gelegen«, fügte er lächelnd hinzu. »Soll ich ins Detail gehen?«

    »Lieber nicht, sonst schmeckt mir das Bier nicht mehr.« Damit griff sie nach ihrem Glas und trank den anderen zu.

    »Die Soko Rotlicht kommt auch nicht richtig voran«, sagte Hannes nach einer Weile. »Ich habe heute mit Pit Gerlach gesprochen. Inzwischen haben sie jede Menge Leute aus dem Milieu befragt, aber keiner macht den Mund auf.«

    »Wenn jemand in einem Bordell am Steintor rumballert, kann es sich eigentlich nur um rivalisierende Banden oder Rache handeln«, meinte Charlotte. »Waren die fünf Toten nicht alle Ukrainer?«

    »Das macht die Ermittlungen ja so schwer. Da redet keiner. Und den Täter hat angeblich auch niemand gesehen. Ich wette, die regeln das schon bald unter sich.«

    »Und ich kriege dann wieder die ganze Schweinerei auf den Tisch«, sagte Horst Fleischmann mit grimmiger Miene. »Da ist mir einer, der im Seniorenheim die Treppe runtergepurzelt ist, tausendmal lieber.«

    »Ist der wirklich gepurzelt oder gepurzelt worden?«

    »Witterst du schon wieder ein Verbrechen, Charly?«, fragte Hannes, wobei er ein Schmunzeln unterdrückte. »Du kannst es wohl auch nicht lassen.«

    »Die Umstände sind ja auch etwas seltsam«, erwiderte sie betont sachlich. »In der Zeitung stand, dass das der zweite tödliche Unfall innerhalb von 14 Tagen war. Seit der Eröffnung vor knapp zwei Jahren erfreuen sich die Bewohner bester Gesundheit. Es ist noch nicht mal einer an Altersschwäche oder an einer Krankheit gestorben – und plötzlich zwei Todesfälle innerhalb so kurzer Zeit. Das stinkt doch zum Himmel.«

    »Die Obduktion hat bei beiden keinen Hinweis auf Fremdverschulden ergeben«, wagte Dr. Fleischmann anzumerken. »Der erste Mann ist im Bad ausgerutscht und mit dem Kopf gegen den Waschbeckenrand geknallt. Genickbruch – und Exitus. Der zweite hat sich bei einem Treppensturz schwere Kopfverletzungen zugezogen. Wäre er noch in der Nacht ins Krankenhaus eingeliefert worden, hätte man ihn vielleicht retten können. Da er aber erst am nächsten Morgen gefunden wurde, kam jede Hilfe zu spät.«

    »Und ihr habt den Fall zu den Akten gelegt!«, vollendete Charlotte und leerte ihr Glas. »Dabei könnt ihr nicht hundertprozentig ausschließen, dass der Mann nicht doch gestoßen wurde.«

    »Warum sollte das jemand tun? Der hatte nicht mal mehr nahe Verwandte, die ihn beerben könnten. Nur eine Großnichte, aber zu der hatte er schon lange keinen Kontakt mehr.«

    »Ein Mord muss ja nicht immer finanzielle Gründe haben, Pia. Da genügen manchmal irgendwelche Streitigkeiten. Die kommen bestimmt auch unter wohlhabenden Senioren einer feinen Residenz vor.«

    Hannes hob die Brauen, wobei er hintergründig lächelte.

    »Sagt dir das deine Spürnase oder ist das Intuition?«

    Vage zuckte sie die Schultern.

    »Vielleicht beides – oder glaubst du, das alles habe ich an meinem letzten Arbeitstag mit dem Dienstausweis abgegeben?«

    »Wie könnte ich das? Du hast uns in den vergangenen Jahren schon so manchen wertvollen Tipp gegeben. Und nachdem du nach deiner Pensionierung sogar eigenmächtig ermittelt hast und vor Weihnachten den Kindermörder überführen konntest, wundert mich nichts mehr. In diesem Fall bist du aber auf dem Holzweg.« Vielsagend zwinkerte er ihr zu. »Außerdem wolltest du nach Küppers Festnahme anfangen, Socken zu stricken.«

    »Inzwischen habe ich meiner ganzen Sippe Strümpfe in allen Farben beschert. Meine Verwandtschaft wäre bestimmt froh, wenn ich mir eine andere Beschäftigung suchen würde.«

    »Dann entscheide dich aber bitte für eine, die nicht mit Mord und Totschlag zu tun hat.«

    »Ich werde darüber nachdenken, was ich am besten kann«, sagte sie mit schelmischem Lächeln. »Erst mal möchte ich aber noch ein Bier.«

    Kapitel 3 – Montag, 4. Mai

    Bevor Charlotte aus dem Wagen stieg, klappte sie die Sonnenblende herunter und warf einen prüfenden Blick in den daran befestigten Spiegel. Entgegen ihrer sonstigen Gewohnheit hatte sie sich am Morgen sorgfältig geschminkt: Ein leichtes Makeup und etwas Rouge ließen ihr Gesicht frischer aussehen. Schwarze Mascara bewirkte, dass ihre Wimpern länger und dichter erschienen; ein mattroter Lippenstift betonte den Mund. Dem Friseurbesuch vom vergangenen Samstag verdankte ihr von grauen Strähnen dominiertes Haar den ursprünglichen Blondton und einen neuen Schnitt.

    Zufrieden schob sie eine große Sonnenbrille auf die Nase und stieg aus dem Wagen. Im Vorbeigehen warf sie einen Blick auf ihr Spiegelbild in einer Schaufensterscheibe, bevor sie die Straße überquerte. Nun waren es nur noch wenige Schritte bis zum Präsidium. Kaum hatte sie den Eingangsbereich betreten, schaute ihr ein älterer uniformierter Beamter, der hinter dem Tresen stand, neugierig entgegen.

    »Guten Tag«, sprach er sie freundlich an. »Kann ich etwas für Sie tun?«

    »Ich möchte zu Hauptkommissar Bremer.«

    »Werden Sie erwartet?«

    »Nein, ich möchte ihn überraschen«, erwiderte sie und schob die Sonnenbrille nach oben in ihr Haar.

    »Frau Stern!«, rief er erstaunt aus. »Ich habe Sie gar nicht erkannt. Sie sehen toll aus. Der Ruhestand scheint Ihnen gut zu bekommen.«

    »Darauf können Sie wetten, Herr Welsch. Rufen Sie bitte oben an und sagen Herrn Bremer, dass hier jemand auf ihn wartet?  – Aber nicht verraten, dass ich es bin.«

    »Mit Vergnügen.«

    Schon griff er zum Hörer. Während er telefonierte, schlenderte Charlotte die wenigen Schritte zum Wartebereich, trat ans Fenster und schob die Sonnenbrille wieder auf die Nase.

    Die Besucherin musste nicht lange warten, bis sie Schritte in ihrem Rücken vernahm. Langsam drehte sie sich herum.

    »Hauptkommissar Bremer«, stellte sich der ehemalige Kollege im Näherkommen vor.

    Sie bemerkte, dass er sie in Sekundenschnelle taxierte. Sein Blick glitt von ihrem Gesicht über das elegante, beigefarbene Kostüm und blieb etwas länger auf ihren Beinen haften, ehe er auf Augenhöhe zur Ruhe kam. Charlotte wusste jedoch, dass er die dunklen Gläser nicht durchdringen konnte.

    »Sie wollten mich sprechen?«

    Auf ihren hohen Pumps schritt sie ihm entgegen.

    »Warum denn so förmlich, Hannes?«

    Seine Brauen hoben sich überrascht.

    »Charly? Bist du das wirklich?«

    »Live und in Farbe«, erklärte sie lachend, wobei sie die Sonnenbrille von der Nase zog. »Überrascht?«

    »Aber hallo! Du siehst umwerfend aus. Hast du einen neuen Verehrer? – Ich meine, außer unserem Schnippler?«

    »Das erzähle ich dir später. Können wir in dein Büro gehen? Ich muss was mit dir besprechen.«

    Der Lift brachte sie in die vierte Etage.

    »Kannst du das Riesenteil noch mal aufsetzen?«, bat Hannes im Flur. »Ich möchte mal testen, wie die Kollegen reagieren, wenn ich mit so einer heißen Braut angerauscht komme.«

    »Kindskopf«, tadelte sie ihn, kam seiner Bitte aber nach.

    Hannes legte seinen Arm um ihre Schultern und führte sie in sein Arbeitszimmer. Er warf nur einen kurzen Blick durch die große Glasscheibe, die sein Büro von dem der beiden Teamkollegen trennte.

    »Pia und Martin beobachten uns.«

    »Dann sollten wir ihnen etwas bieten«, sagte Charlotte, setzte sich auf die Schreibtischkante und schlug die Beine dekorativ übereinander.

    »Ich glaube, das genügt schon, Charly, sonst fallen ihnen noch die Augen aus dem Kopf. Ich hole uns mal einen Kaffee.«

    Durch die Verbindungstür betrat er das Büro der Kollegen.

    »Wer ist die Klassefrau?«, fragte Martin sofort. »Eine Zeugin?«

    Mit stoischer Gelassenheit griff Hannes nach der Warmhaltekanne und schenkte zwei bunte Keramikbecher voll.

    »Negativ«, sagte er dabei. »Die Dame ist aus privaten Gründen hier.«

    »Kennst du sie schon länger? Ist sie deine neueste Flamme?«

    »Wir sind alte Freunde.«

    »Und warum trägt sie eine Sonnenbrille?«, wollte Pia wissen. »Möchte sie nicht erkannt werden?«

    »Sie ist ein Promi!«, warf Martin ein, bevor Hannes antworten konnte. »Habe ich recht?«

    »Im gewissen Sinne … ja.« Mit ernster Miene griff er nach den Kaffeebechern. »Kommt mit, ich stelle euch vor.«

    Zusammen betraten sie sein Büro. Dort setzte er die Tassen auf dem Schreibtisch ab.

    »Das sind meine Kollegen Pia Wagner und Martin Drews.«

    Freundlich nickte Charlotte beiden zu, sagte aber kein Wort.

    »Sie wollen wissen, mit wem sie es hier zu tun haben.«

    »Als gute Kriminalisten sollten sie das eigentlich selbst rausfinden können.«

    »Nee, oder?« Verblüfft blickte Martin sie an. »Charly! Deine dunkle Stimme würde ich unter Tausenden erkennen.«

    »Wenigstens mal ein Ermittlungserfolg«, meinte Hannes trocken, während Charlotte die Brille abnahm. »Ich war genauso überrascht wie ihr. Allerdings kenne ich den Grund für ihre Veränderung auch noch nicht.«

    Langsam rutschte Charlotte vom Schreibtisch und entfernte sich einige Schritte.

    »Was seht ihr?«, fragte sie und drehte sich einmal um die eigene Achse. »Wie würdet ihr mich beschreiben, wenn ich eine Fremde wäre?«

    »Elegant«, sagte Pia. »Eine elegante Dame.«

    »Schlank«, fügte Martin hinzu, wobei er sie musterte »Und gepflegt.« Sein Blick wanderte tiefer. »Seit wann hast du diese tollen Beine?«

    »Lenk nicht ab«, tadelte sie ihn. »Was fällt euch sonst noch auf? Hannes?«

    »Ich würde sagen: eine Frau aus besseren Kreisen, wohlhabend, geschmackvoll, aber nicht übertrieben auffällig gekleidet, legt Wert auf ein gepflegtes Äußeres, treibt Sport, um in Form zu bleiben.« Seine Augen glitten noch einmal über ihre Gestalt. »Warum trägst du eigentlich sonst immer Hosen?«

    »Wahrscheinlich aus dem gleichen Grund wie ich«, antwortete Pia an ihrer Stelle. »Um euch Machos nicht auf dumme Gedanken zu bringen.«

    »Okay, okay«, winkte Hannes schmunzelnd ab, bevor er wieder Charlotte ansah. »Verrätst du uns jetzt dein Geheimnis?«

    »Ich habe mich zum Probewohnen angemeldet – in der Seniorenresidenz Eichengrund. Da kann ich doch nicht in Jeans und T-Shirt auftauchen.«

    Allmählich begriff er, was sie vorhatte.

    »Das kommt überhaupt nicht infrage!«

    »Wie willst du mich daran hindern?«

    »Hast du vergessen, wie brandgefährlich deine eigenmächtigen Ermittlungen das letzte Mal waren? Du hast dein Leben riskiert, um das kleine Mädchen zu retten.«

    »Mir kann doch gar nichts passieren. Ihr habt schließlich rausgefunden, dass die beiden alten Herren durch Unfälle zu Tode kamen.«

    »Was willst du dann dort?«

    »In meinem Alter sollte man darauf vorbereitet sein, dass man irgendwann ohne Hilfe nicht mehr zurechtkommt«, erwiderte sie prompt. »Da ist es gut, sich beizeiten zu informieren, welche Möglichkeiten es gibt.«

    »Du bist besser in Form als die meisten von uns.« Dicht trat er vor sie hin. »Ich kenne dich, Charly. Du witterst ein Verbrechen und willst deine Nase unbedingt in Dinge stecken, die dich absolut nichts angehen. Aber so läuft das nicht.«

    Natürlich hatte sie geahnt, wie er auf ihre Pläne reagieren würde. Sie hätte es ihm auch verheimlichen können und sich diese Diskussion dadurch erspart. – Aber sie waren seit fast 20 Jahren befreundet. Sie hätte es nicht fertiggebracht, hinter seinem Rücken zu ermitteln.

    »Ich habe sogar das Okay der Staatsanwaltschaft«, spielte sie ihren letzten Trumpf aus. »Frau Dr. Pauli hat – wenn auch inoffiziell – nichts dagegen, dass ich mich ein bisschen umhöre. Immerhin sind eure Ermittlungen abgeschlossen. Sie haben keinen Hinweis auf Fremdverschulden ergeben.«

    »Was mache ich nur mit dir?« Mit einem Seufzer ließ sich der Hauptkommissar in seinen Schreibtischsessel fallen. Er zog aus der Ablage eine Fallakte hervor und legte sie vor sich hin. »Wenn ich dich schon nicht umstimmen kann, solltest du wenigstens umfassend informiert sein. Zu dumm, dass ich dir keine Akteneinsicht gewähren darf.« Damit erhob er sich und blickte seine Teamkollegen an. »Wir verpassen unseren Termin.«

    »Welchen …«, begann Martin, aber Hannes unterbrach ihn streng.

    »Nun kommt schon! Wir haben schließlich noch einen Fall zu lösen.« Er scheuchte die beiden hinaus. »In einer halben Stunde sind wir zurück«, sagte er noch über seine Schulter, bevor er die Tür hinter sich schloss.

    Sofort setzte sich Charlotte an den Schreibtisch und schlug die Akte auf. Zuerst betrachtete sie die Fotos des ersten Unfalltoten, die auch die Lage der Leiche dokumentierten. Danach las sie den Autopsiebericht, konnte aber zunächst nichts Ungewöhnliches entdecken. Nun nahm sie die Fotos des zweiten Unfallopfers zur Hand, betrachtete sie und las anschließend den Bericht des Rechtsmediziners. Auf einer Seite des Obduktionsprotokolls befanden sich auf der rechten Seite zwei gezeichnete menschliche Körper, die Vorder- und Rückansicht. Auf den Zeichnungen waren die Verletzungen des Toten durch Kreuze markiert. Ein faustgroßes Hämatom auf dem rechten Schulterblatt erregte Charlottes Interesse. Sie nahm noch einmal die Fotos zur Hand und sah sich den Bluterguss genauer an. Er könnte tatsächlich – wie die anderen zahlreichen Hämatome – durch den Treppensturz entstanden sein. Sie hielt es aber auch für möglich, dass ein harter Stoß den Mann getroffen und zu Fall gebracht hatte. Das ließ sich allerdings schwer beweisen. Trotzdem fühlte sie sich in ihren Plänen bestärkt.

    Nachdenklich klappte sie die Akte zu und griff nach einem der Kaffeebecher. Als sie Stimmen auf dem Flur vernahm, erhob sie sich. Durch die Glasscheibe sah sie die ehemaligen Kollegen nebenan das Büro betreten. Gleich darauf kam Hannes durch die Verbindungstür.

    »Und?«, fragte er. »Alles klar?«

    Sie nickte und griff nach ihrer Umhängetasche.

    »Ich möchte euch nicht länger von der Arbeit abhalten.« Lächelnd blieb sie vor ihm stehen. »Danke, Hannes.«

    »Versprich mir, dass du auf dich aufpasst.«

    »Mach dir keine Sorgen um mich.« Gerührt umarmte sie ihn. »Ich werde vorsichtig sein.«

    »Wenn dir irgendwas Ungewöhnliches auffällt, dann melde dich – aber nicht erst wieder in letzter Minute.«

    »Versprochen.« Durch die Scheibe winkte sie den anderen beiden Kollegen zu, bevor sie sich zur Tür wandte. »Bis bald, Hannes.«

    Kaum hatte sie den Flur betreten, sah sie Dr. Fleischmann um die Ecke biegen. Mit einem schnellen Griff schob sie die Sonnenbrille auf die Nase.

    Mitten im Flur blieb der Rechtsmediziner stehen. In der einen Hand hielt er einen großformatigen Umschlag, in der anderen ein weißes Taschentuch, mit dem er sich über die glänzende Glatze fuhr.

    Charlotte nickte ihm im Vorbeigehen zu, worauf er den Gruß auf die gleiche Weise erwiderte.

    Interessiert drehte er sich zu ihr herum und schaute ihr versonnen nach, bis sie aus seinem Blickfeld verschwand.

    Schnaufend betrat er das Büro des Hauptkommissars, der am Fenster stand.

    »Moin, Hannes. Du hast ja neuerdings sehr attraktiven Besuch.«

    »Man tut, was man kann«, erwiderte er vollkommen ernst. »Hast du ihre Beine gesehen?«

    »Ich bin zwar ein alter Sack, aber nicht blind.«

    »Das war Charly.«

    Mit einer wenig respektvollen Geste tippte sich der Arzt an die Stirn, bevor er sich ächzend auf einen Besucherstuhl fallen ließ.

    »Du glaubst mir nicht?« Mit dem Daumen deutete er zum Fenster. »Überzeug dich selbst.«

    Mit einem Stöhnen wuchtete Dr. Fleischmann sein Gewicht wieder hoch und trat zu ihm. Vom Fenster aus sah er die Frau unten die Straße überqueren und auf einen am Bordstein geparkten schwarzen Golf zugehen.

    »Das ist Charlottes Wagen«, murmelte er verblüfft. Sie schaute noch einmal hoch und stieg ins Auto. Fragend blickte der Rechtsmediziner den Kommissar an. »Warum hat sie sich so rausgeputzt? Steckt da etwa ein Mann dahinter?«

    »Würde dich das stören?«

    »Und ob.«

    »Dann hättest du ihr vielleicht mal sagen sollen, dass sie dir nicht gleichgültig ist.«

    »Das weiß sie doch längst.« Mit einem Seufzer nahm er wieder Platz. »Ich bin nicht ihr Typ. Mehr als Freundschaft ist nicht drin.«

    Nachdenklich setzte sich Hannes an seinen Schreibtisch. Dann erzählte er, aus welchem Grund Charlotte ihr Äußeres verändert hatte.

    »Nach ihren Spekulationen am Stammtisch habe ich noch mal die Obduktionsprotokolle durchgesehen«, sagte der Rechtsmediziner. »Beim zweiten Toten ist mir ein Hämatom aufgefallen, das eventuell nicht vom Sturz herrühren könnte.«

    »Aber das ist …«

    »Könnte, Hannes, könnte! Es gibt keinen Beweis.« Er zog ein Foto aus dem Umschlag und legte es auf den Schreibtisch. »Das ist eine Vergrößerung. Aber auch sie gibt keinen Aufschluss darüber, ob der Bluterguss vom Sturz oder von einem Schlag stammt.«

    »Das reicht wahrscheinlich nicht für eine Wiederaufnahme der Ermittlungen. Wir haben nichts in der Hand. Aber wie ich Charly kenne, ist sie auch über das Hämatom gestolpert. Das gefällt mir gar nicht.«

    Kapitel 4 – Dienstag, 5. Mai

    In der Seniorenresidenz Eichengrund saß Charlotte im Büro der Leiterin Marion Fischer, einer schlanken Frau mit dunklen Locken. Nachdem die Formalitäten erledigt waren, überreichte sie dem neuen Gast den Hausprospekt.

    »Hier drin finden Sie alles Wissenswerte, Frau Stern. Sie genießen bei uns Komfort und Service wie in einem Hotel, gestalten Ihren Tagesrhythmus aber selbst. Die Benutzung aller Einrichtungen des Hauses ist im Preis inbegriffen: Fitnessraum, Sauna, Schwimmbad …«

    Diese Informationen hatte Charlotte schon auf der Homepage der Residenz gelesen. Dennoch hörte sie geduldig zu, während sie sich unauffällig umschaute: cremefarbene Sitzecke, Sideboards und Schreibtisch aus hellem Eichenholz. Zwei weiße Orchideen in Glasgefäßen standen auf der Fensterbank, eine Bonsaischale mit einem Miniatur-Eichenbaum auf einem der niedrigen Schränke. An der Wand hinter dem Schreibtisch der Leiterin hing das einzige Gemälde. Halb verdeckt von hohen Bäumen erkannte Charlotte darauf ein Gebäude, das Ähnlichkeit mit der heutigen Residenz hatte.

    »Wir haben eine Bibliothek, ein Kaminzimmer und einen Wintergarten. Das alles ist barrierefrei zu erreichen. In jedem Gebäudeteil gibt es zwei Fahrstühle.«

    »Noch bin ich gut zu Fuß – aber ein Internetanschluss wäre schön.«

    »Sie können im ganzen Haus WLAN nutzen. Der Zugangscode steht in Ihrem Vertrag.«

    Charlotte nickte.

    »Sie sagten vorhin, dass es in der Residenz über 100 Apartments gibt. Sind die alle bewohnt? Dann haben Sie wahrscheinlich eine lange Warteliste.«

    »Außer den Gästeapartments haben wir zurzeit nur eine freie Wohnung. Zwei kommen demnächst hinzu.«

    »Bei denen sind die Bewohner aber nicht ganz freiwillig ausgezogen.«

    »Ja, das war tragisch«, sagte die Residenzleiterin mit bekümmerter Miene. »Und dann waren die Zeitungen auch noch voll davon – obwohl es sich um Unfälle handelte. Das ist gar nicht gut für unser Image.« Die Andeutung eines Lächelns huschte über ihr Gesicht. »Das ist auch der Grund, warum wir das Probewohnen vorübergehend fast zum Selbstkostenpreis ermöglichen. Davon profitieren nun auch Sie.« Damit erhob sie sich. »Ich zeige Ihnen jetzt Ihr Apartment.«

    Die 30 Quadratmeter große Gästewohnung befand sich in der ersten Etage. Frau Fischer öffnete die Tür zu Charlottes neuem Reich und übergab ihr den Schlüssel. Durch eine schmale Diele ging es nach rechts in den hellen Wohnraum, der zweckmäßig, aber gemütlich möbliert war: graue Sitzpolster mit einem Couchtisch davor, eine Anrichte, ein zierlicher Schreibtisch, eine kleine Essecke. Gegenüber im winzigen Schlafzimmer standen nur ein Bett, ein Kleiderschrank und eine Nachtkonsole. Die Fußböden waren mit Parkett ausgelegt. Kitchenette und Bad waren klein, aber funktionell ausgestattet.

    Die Leiterin sagte noch, dass sie bei Fragen jederzeit zur Verfügung stünde – dann ließ sie Charlotte allein.

    Da fleißige Helfer ihr Gepäck

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