Ein schwieriger Junge: Sophienlust Bestseller 45 – Familienroman
Von Ursula Hellwig
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Über dieses E-Book
Das Kinderheim Sophienlust erfreut sich einer großen Beliebtheit und weist in den verschiedenen Ausgaben der Serie auf einen langen Erfolgsweg zurück. Denise von Schoenecker verwaltet das Erbe ihres Sohnes Nick, dem später einmal, mit Erreichen seiner Volljährigkeit, das Kinderheim Sophienlust gehören wird.
Mit einem zufriedenen Lächeln legte Denise von Schoenecker den Hörer auf. Sie hatte gerade ein langes Gespräch mit ihrer Stieftochter, Andrea von Lehn, geführt. Eigentlich fühlte die jungendliche schwarzhaarige Frau sich überhaupt nicht als Stiefmutter. Dieses Wort erschien ihr hart und unfreundlich. Sie war Andrea und deren Bruder Sascha schon vor vielen Jahren zur zweiten Mutter geworden. Ihr Mann, der Gutsbesitzer Alexander von Schoenecker, hatte damals die Kinder mit in die Ehe gebracht. Sie selbst hatte ebenfalls aus erster Ehe einen Sohn der inzwischen sechzehn Jahre alt war. Seinen Vater hatte der Junge nie kennengelernt. Er kam ums Leben, bevor der kleine Nick geboren wurde. Denise wurde damals von der Familie ihres verstorbenen Mannes abgelehnt und mußte selbst für sich und ihren Sohn sorgen. Nicks Urgroßmutter, Sophie von Wellentin, besann sich kurz vor ihrem Tod jedoch anders und vererbte dem Kind ihr Gutshaus samt Grund und Boden. Sie wünschte sich, daß dieser Besitz künftig eine Heimat für in Not geratene Kinder werden sollte. Diesen Wunsch hatte Denise gern erfüllt und verwaltete nun das Kinderheim Sophienlust bis zur Volljährigkeit ihres Sohnes Nick, der eigentlich Dominik hieß. Aus der Verbindung zwischen Denise und Alexander von Schoenecker war schließlich noch der inzwischen neun Jahre alte Henrik hervorgegangen, der durch seine Lausbubenstreiche manchmal die gesamte Familie in Atem hielt. Glücklich dachte Denise an Andrea, die mit ihrem Mann, dem Tierarzt Hans-Joachim von Lehn, und dem kleinen Sohn Peter im benachbarten Bachenau lebte. Mitten in ihre Gedanken hinein läutete das Telefon. Ob Andrea etwas vergessen hat? dachte Denise und nahm den Hörer ab. Es meldete sich nicht Andrea, sondern Frau Hofer, die Leiterin eines Kinderheims in Tübingen. »Frau von Schoenecker, ich habe ein großes Anliegen an Sie.
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Buchvorschau
Ein schwieriger Junge - Ursula Hellwig
Sophienlust Bestseller
– 45 –
Ein schwieriger Junge
Goldenes Herz unter rauer Schale?
Ursula Hellwig
Mit einem zufriedenen Lächeln legte Denise von Schoenecker den Hörer auf. Sie hatte gerade ein langes Gespräch mit ihrer Stieftochter, Andrea von Lehn, geführt. Eigentlich fühlte die jungendliche schwarzhaarige Frau sich überhaupt nicht als Stiefmutter. Dieses Wort erschien ihr hart und unfreundlich. Sie war Andrea und deren Bruder Sascha schon vor vielen Jahren zur zweiten Mutter geworden. Ihr Mann, der Gutsbesitzer Alexander von Schoenecker, hatte damals die Kinder mit in die Ehe gebracht.
Sie selbst hatte ebenfalls aus erster Ehe einen Sohn der inzwischen sechzehn Jahre alt war. Seinen Vater hatte der Junge nie kennengelernt. Er kam ums Leben, bevor der kleine Nick geboren wurde.
Denise wurde damals von der Familie ihres verstorbenen Mannes abgelehnt und mußte selbst für sich und ihren Sohn sorgen. Nicks Urgroßmutter, Sophie von Wellentin, besann sich kurz vor ihrem Tod jedoch anders und vererbte dem Kind ihr Gutshaus samt Grund und Boden. Sie wünschte sich, daß dieser Besitz künftig eine Heimat für in Not geratene Kinder werden sollte.
Diesen Wunsch hatte Denise gern erfüllt und verwaltete nun das Kinderheim Sophienlust bis zur Volljährigkeit ihres Sohnes Nick, der eigentlich Dominik hieß.
Aus der Verbindung zwischen Denise und Alexander von Schoenecker war schließlich noch der inzwischen neun Jahre alte Henrik hervorgegangen, der durch seine Lausbubenstreiche manchmal die gesamte Familie in Atem hielt.
Glücklich dachte Denise an Andrea, die mit ihrem Mann, dem Tierarzt Hans-Joachim von Lehn, und dem kleinen Sohn Peter im benachbarten Bachenau lebte.
Mitten in ihre Gedanken hinein läutete das Telefon. Ob Andrea etwas vergessen hat? dachte Denise und nahm den Hörer ab.
Es meldete sich nicht Andrea, sondern Frau Hofer, die Leiterin eines Kinderheims in Tübingen.
»Frau von Schoenecker, ich habe ein großes Anliegen an Sie. Es geht um einen elf Jahre alten Jungen, der seit einigen Monaten in unserem Heim untergebracht ist. Es handelt sich um ein ausgesprochen schwieriges Kind. Er ist schon in den verschiedensten Heimen gewesen und kann sich einfach nicht einfügen. An und für sich ist Simon kein schlechter Junge. Sein schweres Schicksal hat ihn hart und böse gemacht. Ich möchte ihm so gern helfen. Aber wir haben hier über sechzig Kinder. Damit bin ich überlastet, daß ich nicht die Zeit finde, mich um jedes Kind eingehend zu kümmern. Ich dachte, daß Ihnen das eventuell möglich ist. Ich habe schon viel von Sophienlust gehört und glaube, daß Ihr Heim für ihn eine Chance bedeuten könnte. Wäre es möglich, daß Sie Simon versuchsweise bei sich aufnehmen?«
»Wir haben glücklicherweise nur in ganz seltenen Fällen ein Kind abweisen müssen«, antwortete Denise. »Aber ich wüßte doch ganz gern ein bißchen mehr über den Jungen. Können Sie mir Informationen geben?«
»Ja, natürlich«, erwiderte Frau Hofer. »Simon ist ein elternloses Kind. Er hat zwar noch eine Mutter, aber die ist seit zehn Jahren verschwunden. Sie hat den Jungen, dessen Vater unbekannt ist, seinerzeit bei ihrer Schwester in Pflege gegeben, weil sie verreisen wollte. Bis heute ist sie nicht zurückgekehrt.«
»Vielleicht ist ihr etwas zugestoßen, und sie konnte sich nicht mehr melden«, vermutete Denise.
»Nein, das ist nicht der Grund«, meinte Frau Hofer. »Sie schickt ihrer Schwester jedes Jahr einen Scheck für den Unterhalt des Kindes. Dieses Geld wird dann dem jeweiligen Heim zur Verfügung gestellt, in dem Simon sich gerade befindet. Er kann nichts dafür, daß er so oft wechseln mußte. Das erste Kinderheim, in dem er lebte, war nur für Kleinkinder bis zu drei Jahren. Das zweite wurde ein Jahr, nachdem er dort ankam, geschlossen. Das dritte schließlich mußte einer geplanten Autobahn weichen. So ging es dann immer weiter. Insgesamt ist Simon bisher durch acht verschiedene Heime gewandert. Nirgendwo war er richtig zu Hause.«
»Warum hat seine Tante ihn nicht in ihrer Familie aufgenommen!« wollte Denise wissen. »Das wäre für das Kind die beste Lösung gewesen, zumal seine Mutter doch offensichtlich bereit ist, für den Unterhalt aufzukommen.«
»Frau Brackler, die Tante, hat selbst drei Kinder. Sie sind alle wesentlich älter als Simon. Ich glaube, sie wollte sich nicht noch einmal mit einem kleinen Kind belasten. Das klingt zwar unverständlich, aber die Menschen sind nun einmal so.«
Denise kämpfte mit sich. Einerseits konnte ein schwieriges Kind den Frieden in Sophienlust nachhaltig stören. Andererseits war es die Aufgabe gerade dieses Kinderheims, überall dort zu helfen, wo Not herrschte.
»Gut, Frau Hofer«, sagte sie. »Wir wollen es versuchen. Wir haben hier nur wenige Kinder und leben fast wie in einer großen Familie. Vielleicht wird Simon es bei uns leichter fallen, sich einzufügen. Wann kann ich ihn abholen?«
»Ich bin Ihnen wirklich dankbar für Ihre Hilfe und hoffe, daß Sie mit dem Jungen besser zurechtkommen werden. Ich möchte ihn gern noch auf den bevorstehenden Wechsel vorbereiten. Wäre es Ihnen am Samstag recht?«
»Ja, das wäre mir lieb«, antwortete Denise. »Dann kann ich unsere Kinder auch noch von Simons Schicksal unterrichten. Sie werden sich bestimmt Mühe geben, ihm die Eingewöhnungszeit zu erleichtern.«
Frau Hofer seufzte. »Ich kann nur hoffen, daß alles gut ausgeht. Leicht macht der Junge es Ihnen mit Sicherheit nicht. Einige unserer Angestellten behaupten sogar, er sei von Natur aus bösartig. Das stimmt zwar nicht, aber manchmal hat es tatsächlich den Anschein.«
»Wir werden alles tun, was in unserer Macht steht«, versicherte Denise. »Wir haben schon häufig in schwierigen Fällen helfen können.«
Sie verabschiedete sich von der Anruferin und blieb dann noch eine ganze Weile nachdenklich neben dem Telefon sitzen.
Sie konnte nicht verstehen, daß es Mütter gab, die ihre Kinder ohne Gewissensbisse im Stich ließen. Simons Mutter schien der Ansicht zu sein, daß sie mit der Zahlung für den Unterhalt ihre Pflicht erfüllt hatte.
Die Heimleiterin, Frau Rennert, betrat das Büro. Sofort fiel ihr Denises sorgenvolles Gesicht auf. »Ist etwas passiert?« fragte sie erschrocken.
»Passiert? Nein, nein, ich habe nur gerade nachgedacht. Wir bekommen am Samstag ein neues Kind. Ein elf Jahre alter Junge aus Tübingen.«
Frau Rennert lachte. »Aber wir bekommen doch oft Zuwachs. Nur sehen Sie dann meistens nicht so besorgt aus. Sie freuen sich doch immer, wenn wir wieder einen neuen Schützling bekommen.«
»Das ist richtig«, gab Denise zu. »Aber dieser Fall ist ziemlich schwierig. Ich fürchte, wir müssen uns auf eine ganze Menge Ärger gefaßt machen.«
Sie klärte die Heimleiterin über die näheren Umstände auf und meinte abschließend: »Ich weiß, daß wir unseren Kindern damit viel zumuten. Aber Simon braucht dringend Hilfe. Das werden alle verstehen. Ich hätte jedenfalls keine ruhige Nacht mehr, wenn ich Frau Hofers Bitte abgelehnt hätte.«
Frau Rennert war derselben Meinung, obwohl auch sie Komplikationen befürchtete. Aber gemeinsam würden sie es schon schaffen. Da war sie ganz sicher.
*
Erst am folgenden Tag erfuhren die Kinder von dem Jungen, der am Wochenende nach Sophienlust kommen sollte. Denise von Schoenecker hatte sich vorher noch überlegen müssen, wie sie ihren Schützlingen Simons Geschichte am besten beibringen sollte, damit in den Kindern Verständnis für den schwierigen Jungen geweckt wurde.
Da alle kleinen Bewohner von Sophienlust ausnahmslos ein schweres Schicksal hinter sich hatten, waren sie eher bereit, Simon zu helfen, als Kinder, die ihr ganzes Leben lang wohlbehütet in ihrem Elternhaus aufgewachsen waren. Nur das Nesthäkchen, die fünfjährige Heidi, begriff noch nicht so recht, warum Tante Isi, wie Denise von den Kindern genannt wurde, so ausführlich über den neuen Jungen sprach.
»Ist Simon denn sehr böse?« wollte sie wissen. »Hoffentlich tut er meinen Kaninchen Schneeweißchen und Rosenrot nichts.«
Denise wußte, daß es für Heidi besonders schwer war, das Problem zu verstehen. Die anderen Kinder waren schon älter und verständiger. Sie nahm das kleine Mädchen auf den Schoß und versuchte, ihr in möglichst einfachen Worten zu erklären, worum es ging.
»Weißt du, Simon ist nicht wirklich böse. Er hat nur viele schlimme Dinge erlebt. Deshalb glaubt er, daß niemand sein Freund sein will. Darüber ist er sehr traurig, und wenn man traurig ist, wird man manchmal auch unfreundlich. Das hast du doch selbst schon einmal erfahren.«
Heidi nickte verstehend. »Wir werden ihm alle sagen, daß wir seine Freunde sein wollen. Dann wird er bestimmt bald nicht mehr traurig und böse sein.«
Als die Kinder sich später im Aufenthaltsraum versammelt hatten, diskutierten sie natürlich sofort über den Neuankömmling. Für sie war es immer aufregend, wenn ein neues Kind nach Sophienlust kommen sollte.
»Tante Isi scheint tatsächlich sehr besorgt zu sein«, meinte Pünktchen, ein dreizehnjähriges Mädchen mit blondem Haar und lustigen Sommersprossen im Gesicht. Diesen Sommersprossen verdankte sie ihren Spitznamen. Eigentlich hieß sie Angelina Dommin. Sie lebte schon viele Jahr in Sophienlust, nachdem sie ihre Eltern bei einem Zirkusbrand verloren hatte.
»Das wundert mich nicht«, entgegnete Nick. »Sie hat wahrscheinlich Angst, daß Simon hier alles durcheinander bringt. Er scheint ja nicht gerade ein unkomplizierter Typ zu sein. Das ginge mir aber auch nicht anders, wenn ich nie ein richtiges Zuhause gehabt hätte.«
Fabian, ein elfjähriger schmächtiger Junge, dessen Eltern bei einem Zugunglück ums Leben gekommen waren, meldete sich zu Wort. »Ich kann diesen Simon gut verstehen. Als ich nach Sophienlust kam, war das für mich nicht leicht. Anfangs dachte ich auch, daß mich keiner mag. Erst später habe ich gemerkt, daß das gar nicht stimmt. Simon wird es sicher genauso gehen.«
»Von allein schafft er das nicht. Wir müssen ihm dabei helfen«, sagte die zwölfjährige Angelika Langenbach. »Wir dürfen uns auf keinen Fall einschüchtern