Juristische Übungsfälle zur Stellvertretung
Von Roy Dörnhofer
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In den folgenden Übungsfällen werden die Hauptprobleme der Stellvertretung dargestellt, wie sie oft in Klausuren im Rahmen der juristischen Ausbildung zu finden sind. Das Recht der Stellvertretung ist von großer Bedeutung für die erfolgreiche Lösung von Klausuren, Hausarbeiten und auch in der Staatsprüfung. Wissenslücken sollte man hier auf jeden Fall vermeiden.
Eine isolierte Darstellung des Stellvertretungsrechts ohne Einbeziehung von anderen Büchern als denen des Allgemeinen Teils des BGB ist nicht möglich, weshalb die Fälle zum großen Teil die Anwendung von Vorschriften aus anderen Bereichen und sogar aus anderen Gesetzen – wie etwa dem GmbHG oder dem HGB – erfordern. In den Lösungen sind deshalb viele bereichsübergreifende Probleme enthalten, die sich dem Studenten im ersten Semester vielleicht noch nicht erschließen. Dennoch erscheint es nötig, schon zu Anfang einen Überblick über die mit der Stellvertretung zusammenhängenden Probleme zu erhalten und gegebenenfalls auch sehr schwierige Detailfragen zunächst nur informationshalber zur Kenntnis zu nehmen und dann später noch einmal vertieft durchzuarbeiten.
Die Darstellung der Fälle führt von den einfacheren Gestaltungen in der ersten Hälfte des Buchs zu den schwierigeren Materien in der zweiten Hälfte, die jedoch auch dem Anfänger in den Grundzügen bekannt sein sollten. Zum besseren Verständnis der Erörterung der jeweiligen Probleme im Gutachten habe ich am Ende des Buchs in einem Anhang ein Schema zur Prüfung der Stellvertretung mit vielen Einzelproblemen erstellt, das die Einordung der Materie erleichtern soll. Es empfiehlt sich, diese grundsätzliche Darstellung noch vor dem Durcharbeiten der Fälle zuerst zu lesen.
Darüber hinaus sind nunmehr in einem Anhang mehrere wichtige Entscheidungen des Bundesgerichtshofs mit Leitsätzen und den für das Stellvertretungsrecht tragenden Teilen des Textes angeführt. Dadurch soll der Leser in einem knappen Überblick den aktuellen Stand der Rechtsprechung nachvollziehen können. Gerade Quellenangaben der höchstrichterlichen Rechtsprechung werden oft nicht nachgelesen, wenn diese nicht unmittelbar zur Hand sind. Dem soll dadurch entgegnet werden, dass besonders bedeutsame Urteile und Beschlüsse sogleich an dieser Stelle hinsichtlich der maßgeblichen Punkte nachvollzogen werden können. Als letzter Anhang findet sich zudem ein ausführlicher Aufsatz mit zahlreichen Literaturnachweisen zum äußerst wichtigen Geschäft für den, den es angeht.
Sämtliche Lösungsvorschläge sind im Stil des Gutachtens ausformuliert und enthalten Überschriften zu jedem Prüfungspunkt, sodass dem Leser das Gerüst der Anspruchsprüfung immer vor Augen bleibt. Jeder Lösung ist des Weiteren eine Gliederung vorangestellt, um den "roten Faden" des Aufbaus zu verdeutlichen. Auf diese Weise lässt sich das theoretische Wissen leicht in den Klausuraufbau einordnen. Die Vielzahl der Literaturangaben soll eine Nacharbeit und Vertiefung der entsprechenden Probleme leichter machen.
Roy Dörnhofer
Roy Dörnhofer hat in Bayern beide Staatsexamina abgelegt und war dann in den neuen Bundesländern als Richter und Staatsanwalt tätig. Er war unter anderem als Richter am Landgericht im Rahmen einer Abordnung in einem Zivilsenat bei einem Oberlandesgericht beschäftigt.
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Juristische Übungsfälle zur Stellvertretung - Roy Dörnhofer
Allgemeine Vorbemerkungen
In den folgenden Übungsfällen werden die Hauptprobleme der Stellvertretung dargestellt, wie sie oft in Klausuren im Rahmen der juristischen Ausbildung zu finden sind. Das Recht der Stellvertretung ist von großer Bedeutung für die erfolgreiche Lösung von Klausuren, Hausarbeiten und auch in der Staatsprüfung. Wissenslücken sollte man hier auf jeden Fall vermeiden.
Eine isolierte Darstellung des Stellvertretungsrechts ohne Einbeziehung von anderen Büchern als denen des Allgemeinen Teils des BGB ist nicht möglich, weshalb die Fälle zum großen Teil die Anwendung von Vorschriften aus anderen Bereichen und sogar aus anderen Gesetzen – wie etwa dem GmbHG oder dem HGB – erfordern. In den Lösungen sind deshalb viele bereichsübergreifende Probleme enthalten, die sich dem Studenten im ersten Semester vielleicht noch nicht erschließen. Dennoch erscheint es nötig, schon zu Anfang einen Überblick über die mit der Stellvertretung zusammenhängenden Probleme zu erhalten und gegebenenfalls auch sehr schwierige Detailfragen zunächst nur informationshalber zur Kenntnis zu nehmen und dann später noch einmal vertieft durchzuarbeiten.
Die Darstellung der Fälle führt von den einfacheren Gestaltungen in der ersten Hälfte des Buchs zu den schwierigeren Materien in der zweiten Hälfte, die jedoch auch dem Anfänger in den Grundzügen bekannt sein sollten. Zum besseren Verständnis der Erörterung der jeweiligen Probleme im Gutachten habe ich am Ende des Buchs in einem Anhang ein Schema zur Prüfung der Stellvertretung mit vielen Einzelproblemen erstellt, das die Einordung der Materie erleichtern soll. Es empfiehlt sich, diese grundsätzliche Darstellung noch vor dem Durcharbeiten der Fälle zuerst zu lesen.
Darüber hinaus sind nunmehr in einem Anhang mehrere wichtige Entscheidungen des Bundesgerichtshofs mit Leitsätzen und den für das Stellvertretungsrecht tragenden Teilen des Textes angeführt. Dadurch soll der Leser in einem knappen Überblick den aktuellen Stand der Rechtsprechung nachvollziehen können. Gerade Quellenangaben der höchstrichterlichen Rechtsprechung werden oft nicht nachgelesen, wenn diese nicht unmittelbar zur Hand sind. Dem soll dadurch entgegnet werden, dass besonders bedeutsame Urteile und Beschlüsse sogleich an dieser Stelle hinsichtlich der maßgeblichen Punkte nachvollzogen werden können. Als letzter Anhang findet sich zudem ein ausführlicher Aufsatz mit zahlreichen Literaturnachweisen zum äußerst wichtigen Geschäft für den, den es angeht.
Sämtliche Lösungsvorschläge sind im Stil des Gutachtens ausformuliert und enthalten Überschriften zu jedem Prüfungspunkt, sodass dem Leser das Gerüst der Anspruchsprüfung immer vor Augen bleibt. Jeder Lösung ist des Weiteren eine Gliederung vorangestellt, um den „roten Faden" des Aufbaus zu verdeutlichen. Auf diese Weise lässt sich das theoretische Wissen leicht in den Klausuraufbau einordnen. Die Vielzahl der Literaturangaben soll eine Nacharbeit und Vertiefung der entsprechenden Probleme leichter machen.
Viel Erfolg bei der Durcharbeit!
Fall 1: Empfangsvertreter, Unternehmensbezogenes Geschäft
Sachverhalt
Der Rentner R beabsichtigte, sich eine neue Couch für sein Wohnzimmer zu kaufen, nachdem seine alte nach 40 Jahren Gebrauch nicht mehr bequem war. Deshalb suchte er das Möbelhaus der M GmbH auf, wo er von dem angestellten Verkäufer V bedient wurde. In den Ausstellungsräumen des Unternehmens waren verschiedene Möbelstücke mit der Beschreibung und dem jeweiligen Preis ausgestellt. Nachdem der R dem V mitgeteilt hatte, was er sich in etwa als neues Sofa vorgestellt hatte, zeigte der V ihm mehrere unterschiedliche Modelle, von denen der R eines für 800 € auswählte und erwerben wollte. Nachdem der V den Lagerbestand geprüft und festgestellt hatte, dass die Couch geliefert werden konnte, einigten sich beide sodann auf die Anlieferung in drei Tagen und die Bezahlung innerhalb von 30 Tagen nach Erhalt der Rechnung. Als der R die Couch ausgeliefert bekam und die Rechnung mit der M GmbH als Verkäuferin erhielt, weigerte er sich, an diese zu zahlen, da er der Ansicht ist, er habe mit dem V einen Vertrag abgeschlossen, nicht aber mit einer juristischen Person.
Kann die M GmbH vom R Zahlung von 800 € verlangen?
Gliederung
Zahlung, § 433 II BGB
1. Vertragsschluss
a) Angebot der M GmbH
aa) Rechtsfähigkeit
bb) Handlungsfähigkeit
cc) Ausstellung der Möbelstücke
dd) Stellvertretung durch V
ee) Zwischenergebnis
b) Angebot des R
aa) Abgabe
bb) Zugang
(1) Abgrenzung zum Empfangsboten
(2) Offenkundigkeitsprinzip
(3) Vertretungsmacht
cc) Zwischenergebnis
c) Annahme der M GmbH
d) Zwischenergebnis
2. Ergebnis
Lösung
Zahlung, § 433 II BGB
Die M GmbH könnte vom R Zahlung von 800 € verlangen, wenn zwischen den beiden Parteien ein entsprechender Kaufvertrag geschlossen worden wäre, § 433 II BGB.
1. Vertragsschluss
Zur Annahme eines Kaufvertrags gem. § 433 BGB müssten zwei sich inhaltlich deckende Willenserklärungen in Form eines Angebots und einer Annahme vorliegen, §§ 145, 147 BGB.
a) Angebot der M GmbH
Fraglich ist zunächst, ob die M GmbH ein Angebot zum Abschluss eines Kaufvertrags abgegeben hatte.
aa) Rechtsfähigkeit
Dazu müsste die M GmbH als juristische Person überhaupt rechtsfähig sein, um Partei eines Vertrags werden zu können. Das ist dann der Fall, wenn sie in der Lage ist, Träger von Rechten und Pflichten zu sein (Grüneberg, BGB, 82. Auflage, 2023, Überbl. v. § 1 Rn. 1). Anders als eine natürliche Person, die nach § 1 BGB mit der Vollendung der Geburt rechtsfähig wird, kann aber auch die GmbH als juristische Person Rechtsfähigkeit erlangen, § 13 I GmbHG.
Mangels anderweitiger Anhaltspunkte im Sachverhalt ist davon auszugehen, dass die M GmbH als Gesellschaft mit beschränkter Haftung im Handelsregister eingetragen wurde, sodass sie wirksam entstanden war, § 11 I GmbHG. Somit konnte die M GmbH Partei eines Kaufvertrags werden und ein Angebot zum Abschluss eines Vertrags abgeben.
bb) Handlungsfähigkeit
Des Weiteren müsste die M GmbH handlungsfähig sein, also die Fähigkeit haben, rechtlich bedeutsame Handlungen vorzunehmen (Grüneberg, BGB, 82. Auflage, 2023, Einf. v. § 104 Rn. 1). Allerdings kann die Gesellschaft selbst nicht handeln, sondern wird durch ihren Geschäftsführer vertreten, § 35 I 1 GmbHG. Dem Sachverhalt ist zu entnehmen, dass der Geschäftsführer der M GmbH bei dem Verkaufsgespräch gar nicht in Erscheinung getreten ist, sodass er insoweit kein Angebot für die Gesellschaft abgegeben hatte.
cc) Ausstellung der Möbelstücke
Man könnte möglicherweise ein konkludentes Angebot darin sehen, dass die M GmbH durch ihren Geschäftsführer die Möbelstücke in den Ausstellungsräumen mit einer Beschreibung und dem jeweiligen Preis ausgestellt hatte. Darin könnte eine rechtsgeschäftliche Willenserklärung in der Form eines Antrags liegen.
Der Antrag ist eine empfangsbedürftige Willenserklärung, durch die ein Vertragsschluss einem anderen so angetragen wird, dass das Zustandekommen des Vertrags nur von dessen Einverständnis abhängt (Grüneberg, BGB, 82. Auflage, 2023, § 145 Rn. 1; Brox/Walker, BGB AT, 44. Auflage, 2020, Rn. 165a).
Dann müsste ein Rechtsbindungswille vorliegen, an dem es bei einer bloßen invitatio ad offerendum, also der Aufforderung zur Abgabe eines Angebots, fehlt. Ob ein Angebot oder lediglich eine invitatio ad offerendum vorliegt, ist durch Auslegung vom Empfängerhorizont gem. §§ 133, 157 BGB zu bestimmen (BGH NJW 2009, 1337 ff.).
Generell begründet das Anbieten von Waren und Dienstleistungen in Zeitungsanzeigen, Preislisten und Auslagen in Schaufenstern keinen Rechtsbindungswillen, sondern ist lediglich als Aufforderung zur Abgabe eines Angebots zu sehen, wobei sich der Erklärende die Entscheidung über den Vertragsschluss noch vorbehalten will (Fritzsche JA 2006, 674, 675). Nachdem die M GmbH offensichtlich nicht mit jedem Kunden einen Vertrag abschließen möchte, sondern nur an zahlungsfähige Personen nach Prüfung ihres Lagerbestandes leisten wollte, lag nach Auslegung vom objektiven Empfängerhorizont in dem bloßen Ausstellen der Möbel kein Antrag vor.
Anmerkung: Anders ist die Situation beim Einstellen eines Artikels durch den Verkäufer im Rahmen einer „Auktion" auf eBay zu sehen. Dabei handelt es sich nicht bloß um eine invitatio ad offerendum, denn es bleibt dem Verkäufer hier nicht frei, wer sein Vertragspartner werden soll, und es kann darüber hinaus durch die Erklärung der Annahme seitens mehrerer Käufer auch keine mehrfache vertragliche Bindung erfolgen, da es nur einen Höchstbietenden gibt. Unerheblich ist zudem, dass der Kaufpreis und der konkrete Käufer beim Einstellen des Artikels noch gar nicht bestimmt sind, denn diese wesentlichen Vertragsbestandteile (essentialia negotii) sind zumindest bestimmbar und stehen dann beim Vertragsschlusses fest (BGHZ 166, 369, 372).
dd) Stellvertretung durch V
Es wäre aber möglich, dass der V als Vertreter für die M GmbH auftrat, als er dem R die verschiedenen Möbelstücke zeigte, und dass er damit einen Antrag zum Abschluss eines Kaufvertrags abgegeben hatte. Die Frage der Stellvertretung nach § 164 I BGB könnte zunächst jedoch offen bleiben, wenn das Handeln des V schon gar kein Angebot zum Abschluss eines Kaufvertrags darstellt.
Durch das Vorführen von einigen Möbeln kann nach Auslegung vom objektiven Empfängerhorizont gem. §§ 133, 157 BGB wohl nicht davon ausgegangen werden, dass der V jeweils ein verbindliches Angebot zum Abschluss eines Kaufvertrags abgeben wollte, zumal er zu dieser Zeit noch gar keine Kenntnis über den konkreten Lagerbestand und die Fähigkeit zur Lieferung hatte. Vielmehr wollte er zunächst die eigene Leistungsfähigkeit prüfen, sodass hier mangels Rechtsbindungswillens von einer bloßen Aufforderung zur Abgabe eines Angebots seitens des R auszugehen ist.
ee) Zwischenergebnis
Es liegt kein rechtsgeschäftliches Angebot zum Abschluss eines Kaufvertrags seitens der M GmbH vor.
b) Angebot des R
Es könnte ein Angebot des R vorliegen, das als Willenserklärung abgegeben worden und dem Vertragspartner zugegangen sein muss.
aa) Abgabe
Nachdem der R eine Couch ausgesucht hatte und diese für 800 € erwerben wollte, ist in diesem Verhalten die Abgabe eines Angebots zum Abschluss eines Kaufvertrags zu sehen.
bb) Zugang
Fraglich ist, ob dieses Angebot der M GmbH zugegangen ist.
Nachdem hier wiederum der Geschäftsführer der M GmbH nicht in das Verkaufsgespräch eingeschaltet war, kommt der Zugang der Willenserklärung des R nur dann in Betracht, wenn der V als Empfangsvertreter nach § 164 I, III BGB diese für die Gesellschaft in Empfang genommen hat.
(1) Abgrenzung zum Empfangsboten
Zunächst wäre es erforderlich, dass der V die Erklärung des R als Stellvertreter der M GmbH in Empfang genommen hatte und nicht nur als Empfangsbote aufgetreten ist. Dabei finden die Vorschriften des § 164 I BGB entsprechende Anwendung, wenn eine gegenüber einem anderen abzugebende Willenserklärung dessen Vertreter gegenüber erfolgt, § 164 III BGB. Die Abgrenzung, ob eine fremde Willenserklärung übermittelt oder eine eigene Willenserklärung abgegeben wird, hat im Wege der Auslegung nach §§ 133, 157 BGB vom objektiven Empfängerhorizont aus zu erfolgen, also danach, wie das Auftreten der Mittelsperson im Außenverhältnis verständigerweise zu beurteilen ist (BGHZ 12, 327, 334; BAG NJW 2008, 1243 f.; Giesen/Hegermann Jura 1991, 357, 359).
Hier war der V als Verkäufer im Möbelgeschäft der M GmbH angestellt und war somit aus der Sicht eines objektiven Betrachters zur Entgegennahme von Willenserklärungen über den Abschluss eines Kaufvertrags über Möbelstücke ermächtigt. Er handelte also als Empfangsvertreter und nicht bloß als Empfangsbote.
(2) Offenkundigkeitsprinzip
Zudem müsste der V im Namen der M GmbH aufgetreten sein. Bei dem Verkaufsgespräch hatte der V dem R gegenüber nicht ausdrücklich gesagt, für die M GmbH handeln zu wollen, sodass das Offenkundigkeitsprinzip verletzt sein und eine wirksame Stellvertretung ausscheiden könnte. Allerdings könnte sich hier das Handeln des V für die Gesellschaft aus den Umständen ergeben haben, § 164 I 2 BGB, weshalb ein ausdrückliches Handeln im Namen der Gesellschaft nicht erforderlich wäre.
Bei einem unternehmensbezogenen Geschäft nach § 164 I 2 BGB geht der Wille der Beteiligten im Zweifel dahin, dass der Inhaber des Unternehmens Vertragspartei werden soll (BGH NJW 2008, 1214, Rn. 11; Grüneberg, BGB, 82. Auflage, 2023, § 164 Rn. 2). Vorliegend begab sich der R ersichtlich in das Möbelhaus der M GmbH, sodass er davon ausgehen musste, dass der V lediglich als Ladenangestellter tätig wurde und somit die Folgen des rechtsgeschäftlichen Handelns den Unternehmensinhaber treffen sollten.
Anmerkung: Diese Auslegung im Rahmen des Offenkundigkeitsprinzips gilt selbst dann, wenn der Inhaber des Unternehmens falsch bezeichnet wird oder sonst Fehlvorstellungen über ihn bestehen (BGHZ 91, 148, 151).
(3) Vertretungsmacht
Letztlich hätte der V auch mit Vertretungsmacht handeln müssen. Hier kommt eine rechtsgeschäftliche Vollmacht in Betracht, § 166 II 1 BGB. Da die M GmbH den V als Angestellten in den Verkaufsräumen beschäftigt hatte, ist davon auszugehen, dass sie ihm durch den Geschäftsführer eine Innenvollmacht erteilt hatte, § 167 I 1. Alt. BGB. Somit war bei der Entgegennahme der Erklärung des R seitens des V auch eine Vertretungsmacht gegeben.
cc) Zwischenergebnis
Es lag ein wirksames Angebot des R vor, das der M GmbH durch den V als Empfangsvertreter zugegangen ist.
c) Annahme der M GmbH
Es müsste nun auch eine Annameerklärung der M GmbH vorliegen. Bei der Annahme handelt es sich um eine Willenserklärung, d.h. um eine auf einen Rechtserfolg gerichtete Willensäußerung, die aus einer vorbehaltlosen Bejahung des Antrags besteht (Grüneberg, BGB, 82. Auflage, 2023, § 147 Rn. 1; Brox/Walker, BGB AT, 44. Auflage, 2020, Rn. 82). Diese ist empfangsbedürftig, da sie einem anderen gegenüber abgegeben werden muss, um einen Kaufvertrag entstehen zu lassen.
Nachdem der V den Lagerbestand geprüft und die Auslieferung versprochen hatte, ist vom Vorliegen einer Annahme des Angebots seitens des V als Stellvertreter der M GmbH gem. § 164 I 1, 2 BGB auszugehen, da er eine eigene Willenserklärung im Namen der Gesellschaft mit Vertretungsmacht abgegeben hatte (siehe oben). Diese Erklärung ist dem R auch zugegangen.
d) Zwischenergebnis
Zwischen der M GmbH und dem R kam ein Kaufvertrag über eine Couch zum Preis von 800 € zustande.
2. Ergebnis
Die M GmbH kann vom R Zahlung von 800 € verlangen.
Fall 2: Verdecktes Geschäft für den, den es angeht; Unzulässigkeit der rechtsgeschäftlichen Verpflichtungsermächtigung; Keine Anfechtung nach § 164 II BGB
Sachverhalt
Die beiden in derselben Wohngemeinschaft in Würzburg lebenden Rechtsreferendare A und B mussten zu einer Arbeitsgemeinschaft nach Schweinfurt fahren, weshalb sie vereinbarten, dass der A seinen Pkw benutzen würde, um gemeinsam mit dem B die Fahrt durchzuführen. Noch vor Antritt der Fahrt sollte der B zu der um die Ecke gelegenen Selbstbedienungstankstelle des V fahren, um im Wert von 10 € zu tanken, wofür der A dem B das Geld aushändigte. An der Tankstelle angekommen füllte der B den Tank im Wert von 10 € mit Benzin und begab sich sodann zur Kasse im Gebäude. Dort stellte er fest, dass er seinen Geldbeutel in der Wohnung vergessen hatte. Als der V nun vom B Bezahlung verlangt, erklärt dieser, dass er als Vertreter des A tätig geworden sei und deshalb nicht zahlen werde. Auch der A verweigert die Zahlung, nachdem er von dem Vorfall erfahren hatte.
Kann der V vom A oder B die Zahlung von 10 € verlangen?
Gliederung
I. Zahlung V gegen A, § 433 II BGB
1. Vertragsschluss
a) Angebot des V
b) Annahme durch B
c) Stellvertretung
aa) Eigene Willenserklärung
bb) Im Namen des A
2. Ergebnis
II. Zahlung V gegen B, § 433 II BGB
1. Vertragsschluss
2. Anfechtung
3. Ergebnis
Lösung
I. Zahlung V gegen A, § 433 II BGB
Der V könnte gegen den A einen Anspruch auf Zahlung von 10 € haben, wenn zwischen den beiden Parteien ein entsprechender Kaufvertrag geschlossen worden wäre, § 433 II BGB.
1. Vertragsschluss
Zur Annahme eines Kaufvertrags gem. § 433 BGB müssten zwei sich inhaltlich deckende Willenserklärungen in Form eines Angebots und einer Annahme vorliegen, §§ 145, 147 BGB.
Nachdem der A bei dem Auftanken des Kfz nicht tätig geworden ist und somit keine eigene Willenserklärung abgegeben hat, kommt ein direkter Vertragsschluss zwischen ihm und dem V nicht in Betracht. Das Handeln des B könnte ihm aber zugerechnet werden, wenn eine wirksame Stellvertretung nach § 164 I BGB vorgelegen hätte. Es ist deshalb zu prüfen, ob eine rechtsgeschäftliche Einigung zwischen dem V und dem B vorlag, die dem A zugerechnet werden kann.
a) Angebot des V
Es könnte ein Angebot des V zum Abschluss eines Kaufvertrags in dem Bereitstellen der Zapfsäulen an einer Tankstelle mit Selbstbedienung gesehen werden.
Der Antrag ist eine empfangsbedürftige Willenserklärung, durch die ein Vertragsschluss einem anderen so angetragen wird, dass das Zustandekommen des Vertrags nur von dessen Einverständnis abhängt (Grüneberg, BGB, 82. Auflage, 2023, § 145 Rn. 1; Brox/Walker, BGB AT, 44. Auflage, 2020, Rn. 165a). Dabei muss ein Rechtsbindungswille vorliegen, an dem es bei einer bloßen invitatio ad offerendum, also der Aufforderung zur Abgabe eines Angebots, fehlt. Ob ein Angebot oder lediglich eine invitatio ad offerendum vorliegt, ist durch Auslegung vom Empfängerhorizont gem. §§ 133, 157 BGB zu bestimmen (BGH NJW 2009, 1337 ff.).
Nach herrschender Ansicht in der Rechtsprechung und Literatur sei in dem Freischalten der Zapfsäulen ein Angebot an unbestimmte Personen (ad incertas personas) zu sehen, bei dem der Inhaber der Tankstelle mit jedem Kunden kontrahieren wolle, solange er noch Benzin in seinen Tankanlagen habe; denn die essentialia negotii seien gegeben, da der Preis des Benzins im Display ersichtlich sei und die zu tankende Menge gem. § 315 BGB als Übertragung des Leistungsbestimmungsrechts auf den Kunden zu sehen sei, wobei der Zugang der Erklärung der Annahme gegenüber dem Inhaber der Tankstelle gegenüber gem. § 151 S. 1 BGB entbehrlich sei (BGH NJW 2011, 2871, Rn. 14 f.; Jauernig/Mansel, BGB, 18. Auflage, 2021, § 145 Rn. 7; Faust JuS 2011, 929, 930).
Anmerkung: Nach der herrschenden Meinung in der Literatur liegt auch bei einem Aufstellen eines Automaten ein Antrag an jedermann (ad incertas personas) vor, der ein entsprechendes Geldstück in den Automaten einwirft. Das Angebot wird jedoch nur unter drei Bedingungen erklärt. So ist es auf den im Automaten enthaltenen Vorrat beschränkt, der Automat muss ordnungsgemäß funktionieren und es dürfen kein Falschgeld oder falsche Münzen eingeworfen werden (Stadler, BGB AT, 20. Auflage, 2020, § 19 Rn. 7; Jauernig/Mansel, BGB, 18. Auflage, 2021, § 145 Rn. 6). Die Annahmeerklärung sei sodann im Einwerfen der Münze durch den jeweiligen Käufer zu sehen, wobei der Verkäufer auf den Zugang der Annahmeerklärung gem. § 151 S. 1 BGB verzichtet habe (Fritzsche JA 2006, 674, 679).
Somit lag ein wirksames Angebot des V zum Abschluss eines Kaufvertrags vor.
b) Annahme durch B
Dieses Angebot hatte der B durch das Einfüllen des Benzins in das Auto des A auch angenommen, weshalb eine Einigung mit dem V zustande kam.
c) Stellvertretung
Fraglich ist allerdings, ob das Handeln des B dem A im Wege der Stellvertretung zugerechnet werden kann, sodass nicht der B, sondern der A Vertragspartner geworden wäre. Eine Willenserklärung, die jemand innerhalb der ihm zustehenden Vertretungsmacht im Namen des Vertretenen abgibt, wirkt unmittelbar für und gegen den Vertretenen, § 164 I 1 BGB. Es ist deshalb zu prüfen, ob der B wirksam als Stellvertreter aufgetreten ist.
aa) Eigene Willenserklärung
Nachdem der B hier den Tankvorgang selbst durchgeführt hatte, gab er eine konkludente Willenserklärung zur Annahme des Antrags ab und handelte nicht lediglich als Erklärungsbote des A.
bb) Im Namen des A
Um dem Offenkundigkeitsprinzip gerecht zu werden, hätte der B im Namen des A auftreten müssen.
Ein ausdrückliches Auftreten als Vertreter des A nach § 164 I 1 BGB ist nicht gegeben, da der B beim Einfüllen des Benzins nicht deutlich gemacht hatte, für den A zu handeln. Allerdings hatte der B dann an der Kasse dem V gegenüber erklärt, er trete für den A als Vertreter auf. Diese Erklärung kam jedoch erst nach dem bereits erfolgten Vertragsschluss, sodass sie unbeachtlich bleiben muss.
Ein Handeln für den A könnte sich möglicherweise aus den Umständen ergeben, § 164 I 2 BGB. Vom objektiven Empfängerhorizont aus betrachtet war aber nicht ersichtlich, dass der B für den A handeln wollte. Auch die Tatsache, dass es sich bei dem Kfz um das des A handelte, steht dem nicht entgegen, zumal dies für den V nicht erkennbar war. Sofern der Wille, in fremdem Namen zu handeln, nicht erkennbar hervortritt, kommt der Mangel des Willens, im eigenen Namen zu handeln, nicht in Betracht, § 164 II BGB. Damit wurde der B selbst verpflichtet.
Etwas anderes könnte sich dann ergeben, wenn ein verdecktes Geschäft für den, den es angeht, vorläge. Bei Bargeschäften des täglichen Lebens ist es für den Vertragspartner regelmäßig nicht von Bedeutung, mit wem der Vertrag zustande kommt, sodass der Offenkundigkeitsgrundsatz durch eine teleologische Reduktion eingeschränkt wird (BGHZ 114, 74, 79; BGH NJW-RR 2003, 921 ff.; OLG Celle ZGS 2007, 79; Stadler, BGB AT, 20. Auflage, 2020, § 30 Rn. 7; Petersen Jura 2010, 187, 188). Für eine Verpflichtung des Vertretenen reicht es somit aus, dass der Vertreter