Franziskus und Luther: Freunde über die Zeiten
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Die Konsequenzen, die beide daraus zogen, waren freilich sehr verschieden: Die franziskanische Armut konnte und wollte Luther bei aller Wertschätzung für Franziskus nicht leben; die Kirche zu erneuern und sich ihr doch zugehörig wissen, entwickelte sich bei Luther ganz anders.
Indem Nicole Grochowina beider Leben als ein unaufhörliches existentielles Ringen nachzeichnet, stellt sie das heraus, was die beiden miteinander als auch mit uns heute verbindet.
Nicole Grochowina
1992-1997 Studium der Geschichtswissenschaft und Japanologie, Universität Hamburg 1998-2001 Abfassung der Dissertation, gefördert von der Studienstiftung des deutschen Volkes 2002-2004 Post-Doc in der Nachwuchsgruppe »Eigentum- und Besitzrechte von Frauen in der Rechtspraxis des Alten Reiches, 1648-1806«, FSU Jena 2004-2006 Habilitationsstipendiatin der FSU Jena 2005-2008 Leiterin des Teilprojekts A4 »Geschlechterbeziehung und Aufklärung« im SFB 482 »Ereignis Weimar-Jena. Kultur um 1800«, FSU Jena 2006-2008 Oberassistentin am Lehrstuhl Frühe Neuzeit, Historisches Institut, FSU Jena
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Buchvorschau
Franziskus und Luther - Nicole Grochowina
1 Warum lohnt sich der Blick auf Franziskus und Luther?
Wer sich mit Franziskus und Luther auf den Weg begibt, beginnt ein Abenteuer. Dieses Abenteuer führt zuerst in das 13. und 16. Jahrhundert und damit in Zeiten, die uns Menschen heute eher fremd sind, weil sie sich so sehr in Sprache, Weltbild oder Gottesvorstellungen von unserer Gegenwart unterscheiden. Und doch lohnt sich eine solche Entdeckungsreise, denn im Fremden verbirgt sich nicht selten eine überraschende und neue Perspektive auch auf das eigene Leben.
Doch das Abenteuer birgt noch mehr, denn auch Franziskus und Luther teilten nicht denselben Lebenshorizont, sahen sich nicht denselben Herausforderungen gegenüber und hatten auf die Fragen ihrer Zeit durchaus unterschiedliche Antworten. Dass sie aber dennoch zusammen angeschaut werden können (und vielleicht sogar auch müssen), hängt mit dem zusammen, was beide auch mit uns Menschen im 21. Jahrhundert verbindet: ihr unbedingtes Ringen mit Gott und ihre Versuche, ihre drängenden Fragen nach Gott aus ihrer Zeit heraus zu beantworten. „Wer bin ich in Gottes Augen? – so fragte sich Luther und empfand die Entdeckung des gnädigen und erbarmenden Gottes als eine derartige Befreiung, dass er aller Welt die „Freiheit eines Christenmenschen
nahebringen wollte. Dabei nahm er sich selbst als gebeugt und schwach gegenüber Gott wahr, nicht fähig, das Gute zu tun, zu dem er berufen war, aber allemal in der Lage, immer wieder an seinen Mitmenschen und auch an sich schuldig zu werden.
Auch Franziskus hat in dieser Weise seine Armut und Nacktheit vor Gott erkannt. Und auch er staunte über einen Gott, der aus Liebe das Leid nicht scheut und dem kein Weg zu weit ist, um seinen Menschen in allen Zeiten die Chance zur Umkehr und letztlich zur Versöhnung mit sich selbst zu schenken, um so die Freiheit der Kinder Gottes zu erlangen. In den Spuren eines solchen liebenden Gottes zu gehen versprach höchstes Lebensglück.
„Wer also bin ich in Gottes Augen?" Und was ist das für ein Gott, der da auf mich schaut? Diese existentiellen Fragen verbinden Franziskus und Luther über die Zeiten – und ihre Antworten tun dies ebenso. Beide entdeckten einen Gott, der aus Liebe für sie alles tut und selbst den Weg in den Tod nicht scheute. Beide entdeckten also einen Gott, der in seinem Sohn Jesus Christus dauerhaft das Tor zum ewigen Leben aufstößt und so die Verheißung einlöst, dass niemand verloren geht, keiner, nicht ein Einziger. Und: Beide entdeckten einen Gott, der auch heute liebevoll auf uns Menschen schaut und um unsere Herzen wirbt, indem er uns einlädt, ihm in seinem Handeln an uns zu vertrauen und auf sein Erbarmen zu hoffen.
In diesem Glaubenswissen treffen sich Franziskus und Luther über die Zeiten, auch wenn sie sich in vielen Punkten theologisch nicht einig waren oder Luther zwar viel mit Franziskus, aber nur wenig mit den Franziskanern anfangen konnte. Insofern ist der Weg mit Franziskus und Luther ein Abenteuer, denn er führt nicht nur in die Geschichte und in Hoffnungen und Glaubenskämpfe von Franziskus und Luther, sondern er führt auch zu uns selbst, zu unseren Fragen, zu unseren Gottesbildern, zu unserem Lebensgespräch mit Gott.
Franziskus und Luther – Freunde über die Zeiten?
Im Jahr 1532 erschien es so, als wenn Martin Luther Franziskus von Assisi niemals als einen verdienstvollen Ordensgründer und Heiligen verstehen könnte, denn: In diesem Jahr kommentierte Luther bei einer – nachträglich verschriftlichten – Tischrede in ablehnender Weise ein Buch, in dem die Gleichförmigkeit von Franziskus und Christus betont wird („Liber conformitatum S. Francisci cum Jesu Christo). Dieses Werk, das ursprünglich zwischen 1385 und 1390 von Bartholomäus von Pisa verfasst worden ist, wurde 1510 neu herausgegeben – und stand vermutlich auch in Luthers Bibliothek. Der Text war geleitet von dem ganz klaren, bereits im Titel akzentuierten Gedanken, dass es sich bei Franziskus um den „zweiten Christus
handelte: Ähnliches Leiden, ein ähnlicher Vorbildcharakter und eine ähnliche Radikalität in der Nachfolge wurden hier benannt; aber all dies wollte Luther nicht überzeugen, im Gegenteil: Es erboste ihn zutiefst. Einen Vergleich zwischen Christus und Franziskus herzustellen, ja Christus gar durch Franziskus und dann in einem zweiten Atemzug auch noch das Evangelium durch die Regel der Franziskaner zu ersetzen grenzte für ihn an Vermessenheit, an Gotteslästerung und an Frechheit (WA TR 2, Nr. 1692, 184).
Doch damit nicht genug, denn das Thema verebbte anschließend keineswegs: 1542 verfasste Martin Luther die Vorrede zur Schrift „Der Barfüßermönche Eulenspiegel und Alkoran (und damit eine gekürzte und polemisch aufgeladene Fassung des „Liber
), die vom Pfarrer und Superintendenten Erasmus Albertus erstellt worden ist (WA 53, 409–411). In seiner Vorrede lässt Luther kein gutes Haar am Papsttum, dem die Buße und damit die Umkehr zu Gott vollkommen fremd seien und das sich zugleich in der gegenwärtigen Zeit (also um 1542) „schmücken und „putzen
und überdies seine Lehre inzwischen auch auf Reichstagen darstellen und verteidigen würde. Und mehr noch: Den Franziskanern sei zudem vorzuwerfen, dass sie die Regel des „Barfussers für das Evangelium hielten und auf diese Weise Christus explizit durch Franziskus ersetzten. Dies käme einer „großen Lügenden
gleich. Dabei sei Franziskus ebenso wie Benedikt ein schwacher Mensch gewesen. Dies macht Luther an zwei Punkten fest: Erstens musste Franziskus seine sexuellen Begierden „in den Schnee treten und Frau und Kind durch sieben „Schneeballen
ersetzen, um seine „jugendliche Brunst" einzudämmen. Dieses Verhalten legt Luther als Schwäche von Franziskus aus, die er –