Prophetisch glauben: Aufbrüche in franziskanischer Spiritualität
Von Hermann Schalück
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Über dieses E-Book
Nach einführenden Überlegungen zum Prophetischen in der Bibel und bei Franz von Assisi stellt Hermann Schalück Aufbruchbewegungen in diesem Geist vor: Zum Beispiel eine islamisch-christliche Freundschaftsinitiative; zwei Brüder, die in einer Obdachlosensiedlung leben und am Fließband arbeiten oder das "Nevada Desert Experience" gegen Nukleartests und Waffenproduktion.
Allesamt Aufbrüche, die neue Wirklichkeiten schaffen, Räume lebendigen Glaubens eröffnen, herrschaftsfreie Erfahrungsorte für Trauer, Suche, Zweifel, Dank und Jubel auftun. Und so die Vision eines menschenfreundlichen und gottverbundenen Lebens offenhalten.
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Rezensionen für Prophetisch glauben
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Buchvorschau
Prophetisch glauben - Hermann Schalück
1. Grundierungen des Prophetischen
„Alles ist möglich – nichts ist sicher"
Nicht nur unser Kontinent Europa, sondern die gesamte Welt befindet sich in einem Wandlungsprozess, der Hoffnungen und Ängste zugleich nährt. Politische Umwälzungen wie zuletzt in der arabischen Welt und in Osteuropa, dazu Wirtschafts- und Finanzkrisen lassen Gefühle von Unübersichtlichkeit, Ohnmacht und Hilflosigkeit aufkommen. Was wird? Was kommt? Lohnt sich ein Einsatz über meinen eigenen individuellen Bereich hinaus? Ein offenbarer Verlust an realen und sinnerfüllenden Mitgestaltungsmöglichkeiten in gesellschaftlichen und politischen Prozessen wird durch den schwindelerregenden Fortschritt vor allem in der Medizin und in den Naturwissenschaften sowie durch die phantastischen neuen Möglichkeiten der Kommunikation in digitalen Netzwerken nur zum Teil aufgehoben. Es wächst die Gefahr, sich in der Fülle virtueller Sonder- und Scheinwelten mit ihren Angeboten an Konsum und „Spaßhaben" einzurichten und sich der Verantwortung zur Mitgestaltung zu entziehen. Auch die kulturell-religiöse Landschaft ist diffus und komplex. Sie ist oft gekennzeichnet vom beziehungslosen Pluralismus, von Misstrauen und Furcht, von Abgrenzung, Klischeedenken und nicht selten von Aggressivität. Man kann das ambivalente Grundgefühl der so genannten Postmoderne auf eine knappe Formel bringen: Alles ist möglich – nichts ist sicher.
Das Gespür dafür, dass auch unsere Zeit eine Zeit aus Gottes Hand ist, mit großen Gefährdungen und vielleicht nicht minder großen neuen Chancen, ist Gott sei Dank bei vielen lebendig. Christinnen und Christen können ja im Glauben an die Auferstehung Jesu niemals Unheilspropheten sein. Sie werden sich gerade auch in der Postmoderne diesen Fragen stellen: Wie kann ich heute angesichts der konkurrierenden Sinndeutungen und Wahrheitsansprüche mein Leben autonom, aber auch solidarisch mit den anderen gestalten? Gibt es Gewissheiten, die tragen? Gibt es Perspektiven, die Hoffnung machen?
Wer kann und will sich mit Alternativen vernehmen lassen? Haben leisere Stimmen im heutigen Machtgefüge und in der heutigen Medienlandschaft überhaupt eine Chance, gehört zu werden? Wird unsere Kirche an Haupt und Gliedern erkennen, welche Quelle der Hoffnung sie für die Welt sein könnte, wenn sie sich mit Papst Franziskus von der prophetischen Kraft des Evangeliums Jesu und der Freude daran anstecken und aufrichten ließe?
„Alles Leben ist Begegnung" (Martin Buber)
Die Gotteserfahrung des Franziskus ist trinitarisch geprägt: Biblisches Denken gestaltet sein Leben und seine Form der Nachfolge. Er liest mehr mit dem Herzen als mit dem Verstand die von Zeugen aufgeschriebenen Taten Gottes.
Für Franziskus ist die trinitarische Erfahrung die tiefste Inspiration für seine Ablehnung klerikaler Vorrangstellungen, für sein Modell von Bruder- und Schwesterschaft, d. h. für einen gemeinsamen Lebensentwurf, in dem alle „durch die Liebe des Geistes einander freiwillig dienen und gehorchen (NbR 5, FQ 74), einander nach dem Beispiel Jesu „die Füße waschen
(NbR 6, FQ 75) und in dem es möglich ist, dass einer dem anderen „vertrauensvoll seine Not offenbart" (NbR 9, FQ 78). Eine franziskanische Spiritualität der communio wird immer von aufmerksamer Wahrnehmung vor allem für Unscheinbares, Randständiges und Fremdes, von Wertschätzung, wechselseitigem Interesse, achtsamem Umgang mit der Schöpfung, offenen Türen und Aufgeschlossenheit für neue Erfahrungen gekennzeichnet sein. Denn es gilt: Alles Leben ist Begegnung (Martin Buber).
Prophetie – den Glauben als Hoffnung leben
Das Prophetische besteht darin, in großer Sensibilität und mit einem vom Glauben getragenen Unterscheidungsvermögen eine unübersichtliche und mehrdimensionale Gegenwart „lesen", deuten und Wegweisung zu einem Handeln geben zu können, das Zukunftsperspektiven erschließt. In diesem Sinne ist das Prophetische wie eine Stimme, die ruft: Die geschichtliche Konstellation, die Welt oder die Gemeinschaft der Glaubenden – sie sind nicht so, wie sie es nach dem Willen Gottes und ihrer ursprünglichen Bestimmung sein sollten. Der Prophet will die Augen öffnen und zum Umdenken führen, damit Gefahr vermieden und Zukunft gelingen kann. Joseph Ratzinger hat einmal in einem Interview zum Thema Prophetie u.a. ausgeführt, ein Prophet sei jemand, „der aus der Berührung mit Gott die Wahrheit sagt, und zwar die Wahrheit für heute, so dass sie freilich auch die Zukunft erhellt. Er sei in der biblischen Tradition der Hoffnungsdimension zuzuordnen, der Prophet „hilft, jetzt den Glauben als Hoffnung zu verstehen und zu leben
. Die Kirche müsse deshalb notwendigerweise Hoffnungsträgerin sein.¹
Wir dürfen aber den Propheten Franziskus nicht isoliert betrachten, sondern müssen ihn auf dem Hintergrund des biblischen Prophetentums verstehen. Die Propheten des Alten Bundes bis zu Jesus waren immer auch Poeten, ausgestattet mit bildhafter Vorstellungskraft (Imagination) und viel Talent für Darstellungskunst. Sie bringen auf den Punkt, was in kritischen und chaotischen Zeiten auf dem Spiel steht. Sie formulieren und inszenieren in frischer Sprache und oft auch nonverbal, welche Transformationen sich ankündigen und ihrer Durchführung harren.
Man könnte für Prophetinnen und Propheten bis in unsere Zeit eine Art Anforderungsprofil erstellen. Sie sind berufen, zu den vorherrschenden politisch-sozialen und religiösen Koordinaten und ihren Sprachspielen Alternativen aufzuzeigen. Ein Prophet ist Katalysator und zugleich Sprachrohr für neue Wirklichkeiten. Er ermutigt dazu, ihre ersten, vielleicht noch unbestimmten Anzeichen in den Blick zu nehmen. Er mahnt zur Furchtlosigkeit, wenn die „alten Realitäten" das Neue noch überlagern. Propheten und Prophetinnen theoretisieren nicht: Sie sprechen und handeln nicht unter dem Aspekt der Ewigkeit. Sie sind konkret, artikulieren sich in einem beschreibbaren Kontext und erhellen einen bestimmten Abschnitt der Geschichte. Sie bleiben misstrauisch