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Barmherzigkeit: Was Menschen am tiefsten wünschen und am schwersten geben. Beiträge zum Grazer Symposium vom 10.-11. Oktober 2014
Barmherzigkeit: Was Menschen am tiefsten wünschen und am schwersten geben. Beiträge zum Grazer Symposium vom 10.-11. Oktober 2014
Barmherzigkeit: Was Menschen am tiefsten wünschen und am schwersten geben. Beiträge zum Grazer Symposium vom 10.-11. Oktober 2014
eBook231 Seiten2 Stunden

Barmherzigkeit: Was Menschen am tiefsten wünschen und am schwersten geben. Beiträge zum Grazer Symposium vom 10.-11. Oktober 2014

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Über dieses E-Book

Seit Jorge Maria Bergoglio SJ am 13. März 2013 zum Papst gewählt wurde und den Papstnamen Franziskus angenommen hat, geht durch seine Ansprachen hindurch immer neu das Stichwort „Barmherzigkeit“. Der Papst bewundert die Barmherzigkeit Gottes aus tiefstem Herzen und lädt die Menschen dazu ein, selber barmherzig zu sein. Aufgeweckt von diesem neuen und doch ganz alten vom Papst lancierten Programmwort der Barmherzigkeit wollte das Symposium vom 10. bis 11. Oktober 2014 im Franziskanerkloster Graz einen aktuellen und reflektierten Blick auf das Thema Barmherzigkeit werfen. Es sollte theoretisch und praktisch betrachtet werden, in seinen theologischen, franziskanischen, sozialen und künstlerischen Ausprägungen. Im praktischen Bereich wollten wir besonders die Situation in Graz und Österreich in den Blick nehmen, wo Menschen ihr Herz öffnen können, um Barmherzigkeit zu suchen, aber auch zu schenken.
Der Titel des Symposiums und des Buches „BARMHERZIGKEIT. Was Menschen am tiefsten wünschen und am schwersten geben“ weist auf den Wunsch und auf die Schwierigkeiten rund um das Stichwort Barmherzigkeit hin. Erst nach dem Symposium legte Papst Franziskus der Kirche am 11. April 2015 – es war der Sonntag der Barmherzigkeit - in einer eigenen Bulle ein „Heiliges Jahr der Barmherzigkeit“ vor, das vom 8. Dezember 2015 bis zum 20. November 2016 dauern soll.
SpracheDeutsch
HerausgeberBooks on Demand
Erscheinungsdatum12. Okt. 2015
ISBN9783739260884
Barmherzigkeit: Was Menschen am tiefsten wünschen und am schwersten geben. Beiträge zum Grazer Symposium vom 10.-11. Oktober 2014

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    Buchvorschau

    Barmherzigkeit - Books on Demand

    30.4.2015).

    Gerechtigkeit und Barmherzigkeit bei Papst Franziskus – ein spannendes Verhältnis

    Leopold Neuhold

    Hinführung

    Anlässlich eines Angelus-Gebetes rief Papst Franziskus in die Menge: „Jetzt möchte ich euch zu einer Medizin raten! Und er hielt eine Arzneimittelschachtel hoch. Auf dieser Schachtel ein deutlich zu lesendes „Misericordia – Barmherzigkeit. 25000 dieser Schachteln wurden am Petersplatz verteilt, in der Schachtel ein kleiner Rosenkranz.¹ Im Titel des Artikels, in dem diese Geste Erwähnung findet, wird darauf hingewiesen, dass der Papst die Kirche von Freudlosigkeit und Rechthaberei befreien will. Barmherzigkeit, Erbarmen gegen Recht und Gerechtigkeit also? Soll die rechtliche Behandlung gewisser Probleme durch Barmherzigkeit ersetzt werden?

    1. Zwei Beziehungsfelder von Barmherzigkeit und Gerechtigkeit für Papst Franziskus – Beichte und Ehe

    1.1 Das Bußsakrament – mehr als ein rechtliches Instrument

    „Per Twitter verbreitete sich das Bild sofort in alle Welt: Papst Franziskus kniet vor einem Beichtstuhl und legt die Beichte ab, in aller Öffentlichkeit so zu sagen und für alle Anwesenden gut sichtbar."² So konnte man in der Herder Korrespondenz lesen. In einer Bußfeier im März 2014 hatte der Papst die Anwesenden zur Gewissenserforschung und zur Feier des Bußsakramentes aufgefordert. Richtig, zur Feier! Sehr viele Menschen sind sich des Feiercharakters der Buße nämlich nicht bewusst. Keiner könne nämlich behaupten, ohne Sünde zu sein. Auch der Papst nicht. Deswegen die natürlich auch als Werbung gedachte Teilnahme des Papstes an dieser Feier, aber nicht wie vom Sekretär gedacht als Sakramentenspender, sondern als Sakramentenempfänger. „Sehr entschieden sei Franziskus jedoch an dem leeren Beichtstuhl vorbeigegangen, hin zu einem, der bereits von einem Priester besetzt war. So entstand das vielfach gedruckte Bild."³

    Dem Papst liegt offensichtlich die Beichte sehr am Herzen, auch auf dem Hintergrund seiner Antwort auf die Frage, wer er sei, in Interviews für Jesuitenzeitschriften am Anfang seines Pontifikates. Die Antwort lautete nach Zögern einfach: „Ich weiß nicht, was für eine Definition am zutreffendsten sein könnte… Ich bin ein Sünder. Das ist die richtigste Definition. Und es ist keine Redensart, kein literarisches Genus. Ich bin ein Sünder." Nach weiterem Nachdenken sagte der Papst dann etwas gerade in Hinblick auf das Bußsakrament Entscheidendes: „Ja, ich kann vielleicht sagen, ich bin ein wenig gewieft, ich verstehe mich zu bewegen, aber es stimmt, dass ich auch ein bisschen arglos bin. Ja, aber die beste Zusammenfassung, die wie aus dem Innersten kommt und die ich für die Zutreffendste halte, lautet: »Ich bin ein Sünder, den der Herr angeschaut hat.« Und er wiederholt: »Ich bin einer, der vom Herrn angeschaut wird. Meinen Wahlspruch Miserando atque eligendo habe ich immer als sehr zutreffend für mich empfunden.«"⁴ Das ist ja der tiefe Hintergrund des Bußsakramentes, dass der Sünder von Gott angeschaut wird, dass er im Angesicht Gottes des Vergebenden steht.

    Dadurch wird die Beichte befreiend und ermutigend. „In der Beichte werde die menschliche Barmherzigkeit und Zärtlichkeit Gottes erfahrbar"⁵, kommentiert die Herder Korrespondenz. Um das aber erfahren zu können, ist ein auf das Rechtliche beengter Zugang zur Beichte zu vermeiden, ein Zugang, der den Papst in seinem Apostolischen Schreiben in Richtung alter Formen von Rechtsprechung denken lässt. So schreibt er in Nr. 44 von Evangelii Gaudium:⁶ „Die Priester erinnere ich daran, dass der Beichtstuhl keine Folterkammer sein darf, sondern ein Ort der Barmherzigkeit des Herrn, die uns anregt, das mögliche Gute zu tun. Dies sagt er im Zusammenhang mit der Aufforderung, „die möglichen Wachstumsstufen der Menschen, die Tag für Tag aufgebaut werden, mit Barmherzigkeit und Geduld (zu) begleiten (Nr. 44). Es geht also nicht so sehr um einen abschließenden Rechtsspruch, sondern wesentlich auch um aufbauende, zum Guten anstoßende Barmherzigkeit in der Beichte. Nicht die Feststellung der Schuld steht damit im Mittelpunkt, sondern Hilfe bei der Begleitung des Prozesses der Erweiterung der Menschlichkeit. Das heißt nun nicht, dass nicht auch der Charakter der Gerechtigkeit beachtet wird; aber eben in Verbindung mit Barmherzigkeit.

    In dem Text „Aufdringliche Befragung" von Lothar Zenetti zeigt sich diese Verengung auf das in rechtlichen Institutionen Angezeigte und damit meist negativ Abgetrennte.

    „Also du hast

    niemandem etwas getan?

    Auch nichts Gutes?

    Nichts umsonst und

    ohne Grund, nur so

    aus Liebe?

    Also du hast

    niemanden umgebracht?

    Auch nicht

    um seinen guten Ruf

    um seinen Schlaf

    um seinen Glauben gebracht?

    Also du hast

    niemanden betrogen?

    Auch nicht

    um die Hoffnung,

    in dir vielleicht

    einem wirklichen

    Christen zu begegnen und

    Gottes Nähe zu erfahren?"

    1.2 Die Familiendoktrin der Kirche – ein Ort der Unbarmherzigkeit?

    Gerade angesichts der Zerbrechlichkeit vieler Familien durch Scheidung und der damit gegebenen Vergrößerung der Zahl der Betroffenen werden die Konsequenzen der Lehre der Kirche im Blick auf die Familie für die Menschen spürbarer. Dazu kommt vor allem heute eine skeptische Sicht gegenüber Institutionen, die als die Möglichkeiten des Einzelnen beengend betrachtet werden. Deshalb halten viele von einer formellen kirchlichen Eheschließung Abstand. Auf der anderen Seite, aber doch in einer Linie damit, stellt der rechtliche Ausschluss wiederverheirateter Geschiedener vom Empfang der Kommunion, auch wenn er in pastoraler Hinsicht unter dem Vorzeichen der Barmherzigkeit abgemildert wird, für viele ein Skandalon dar, das gerade dann oft als drückend gesehen wird, wenn es mit der Identifikation mit der Kirche nicht weit her ist. Wenn dann die Argumentation derart auf die rechtliche Spitze getrieben wird, dass man anklagend bemerkt, Mördern werde ihre Tat durch Buße vergeben, Geschiedenen aber nicht, so zeigt sich für viele hier ein starker Moment der Unbarmherzigkeit und ein Angriff gegen eine autonome Lebensführung. Die Institutionen Ehe und Familie geraten so in eine defensive Position, sie schließen nach der Meinung vieler aus, statt das in der Institution als Ziel zum Ausdruck Kommende zu ermöglichen. Die Institution steht so im Kontext des Angstaufbaus und nicht so sehr des Mutmachens zur Erreichung des Zieles, sie legt die Menschen somit auf das Versagen fest, sie dient also in gewisser Sicht nicht der Bekämpfung des Versagens und bei Scheitern der Bewältigung eben dieses, sondern dem „Schnitt".

    Die Institutionen Ehe und Familie müssen aber mehr sein als Dokumentation des Scheiterns und Vorwurf. Man ist im kirchlichen Kontext zum Teil in die moralische Falle getappt, die unter dem Vorzeichen der Betrachtung der rechtlichen und moralischen Aspekte von Ehe und Familie den Blick auf die Heilsaspekte dieser Einrichtungen wenn nicht schon verschlossen, so doch wesentlich eingeschränkt hat. Demgegenüber formuliert Kardinal Walter Kasper in einem Vortrag über Familienfragen vor der römischen Kurie folgendermaßen: „Man kann die Gebote niemandem auferlegen. Aber man kann sie mit guten Gründen allen als Weg zum Glück anbieten."⁸ Es geht also darum, Moral und Kirchenrecht in den Dienst des Evangeliums der Familie zu stellen. So sagte der Kardinal denn auch über das Thema seines Vortrages: „Das Thema lautet nicht: Die Lehre der Kirche von der Familie. Sondern: Das Evangelium von der Familie. Die Lehre der Kirche ist keine stehende Lagune, sondern ein aus der Quelle des Evangeliums entspringender Strom. Und weiter: „Was ist dieses Evangelium? Kein Gesetzescodex. Ohne den in den Herzen wirksamen Geist ist der Buchstabe tötendes Gesetz.⁹ Ohne Barmherzigkeit und Gnade miteinzubeziehen, bedeutet in Fragen von Ehe und Familie zum Notaren des Verfalls zu verkommen, nicht zum Träger einer Menschen erfüllenden Hoffnung zu werden.

    Das heißt jetzt aber nicht, Moral auszuklammern, sondern vielmehr für sie einen neuen Bezugspunkt zu schaffen. Denn: „Barmherzigkeit ist keine billige Gnade, die von der Umkehr dispensiert. Aber die Sakramente sind auch keine Belohnung für Wohlverhalten und für eine Elite, welche die ausschließt, die der Sakramente am meisten bedürfen."¹⁰ Solches betont der Papst auch in seinem apostolischen Schreiben Evangelii Gaudium in Nr. 47, wenn es dort heißt: „Die Eucharistie ist, obwohl sie die Fülle des sakramentalen Lebens darstellt, nicht eine Belohnung für die Vollkommenen, sondern ein großzügiges Heilmittel und eine Nahrung für die Schwachen. Der Papst fährt dann weiter fort: „Diese Überzeugungen haben auch pastorale Konsequenzen, und wir sind berufen, sie mit Besonnenheit und Wagemut in Betracht zu ziehen. Häufig verhalten wir uns wie Kontrolleure der Gnade und nicht wie ihre Förderer. Doch die Kirche ist keine Zollstation, sie ist das Vaterhaus, wo Platz ist für jeden mit seinem mühevollen Leben (Nr. 47). Das heißt, noch einmal gesagt, nun nicht, dass Moral oder Recht unwichtig oder zweitrangig wären, sondern das bedeutet, dass sie so gestaltet werden müssen, dass sie die Gnade sichtbar machen können.

    Wenn der Theologe Hermann Häring in einem Beitrag in „Die Zeit in Bezug auf Ehe heute meines Erachtens richtigerweise betont: „Zu Recht besteht die Kirche auf dem Trennungsverbot. Denn einer Ehe eignet höchste Verbindlichkeit, das Versprechen zur Lebensgemeinschaft gilt gegenseitig und vorbehaltlos. Doch je dynamischer und instabiler unsere gesellschaftlichen Verhältnisse werden, umso bedrohlicher tritt eine höchste Verletzlichkeit hinzu. Die Partner stehen in gegenseitiger Verpflichtung und Abhängigkeit, aber auch in gesellschaftlicher Dynamik. Beides kann sich ruinös, geradezu lebensbedrohlich auswirken. Nur in gelingenden Idealfällen (deren es viele gibt) wächst eine unverbrüchliche Einheit des Willens¹¹, so betont er die Tatsache der Abhängigkeit, vom anderen und von gesellschaftlichen Verhältnissen, die in Bezug auf das Trennungsverbot miteinzubeziehen sind. Daraus aber Konsequenzen wie Häring zu ziehen, ist meines Erachtens überzogen und gerade der Zuordnung von Recht und Gnade, die die Natur voraussetzt, nicht dienlich. Häring behauptet: „Bis heute hängt die katastrophale Weltferne der christlichen Lehrdisziplin an dem Dogma, die katholische Ehe sei ein Sakrament. Das führt zu ihrer massiven Verrechtlichung, Verkirchlichung und zu der falschen Vorstellung, die göttliche Gabe der Ehe komme (wie die Taufe) »senkrecht von oben«. Schon Luther hat scharf gesehen, dass die Gabe vorbehaltloser Treue von »unten«, von den Menschen kommt und wächst. Man nenne die Ehe Sakrament, verkenne aber nicht den erfahrbaren Unterschied zu Taufe und Eucharistie."¹² Ehe ist ein Sakrament, aber es bedarf der Zusammenschau von Recht und Gnade in diesem Sakrament. Ein Sakrament entzieht sich ja der Verrechtlichung, auch wenn es rechtliche Normen beinhaltet, die aber so gestaltet sein müssen, dass sie die Gnade des Sakramentes fördern können.

    Jedenfalls wurde zur Klärung dieser Fragen in Bezug auf Ehe und Familie zur Vorbereitung einer Synode auf einen neuen Weg dieser Vorbereitung zurückgegriffen, nämlich auf die Befragung der den Normen Unterworfenen. Verständnis und Akzeptanz der kirchlichen Normen sollten mit einem im Dokument „Die pastoralen Herausforderungen der Familie im Kontext der Evangelisierung"¹³ enthaltenen Fragebogen erhoben werden, ein Weg, der die Normunterworfenen in die Gestaltung der Normen miteinbezieht. Weil noch der traditionellen Diktion verhaftet, wurde dieser Fragebogen von verschiedenen Diözesen an die Alltagssprache adaptiert und den Menschen zur Beantwortung und damit zur Mitgestaltung des Vorbereitungsdokuments für die Synode vorgelegt. In der Diözese Graz-Seckau stand etwa der Fragebogen „Ehe-Familie-Kirche unter dem Motto „Rom möchte wissen, was die Menschen über Ehe und Familie denken. Wir möchten das auch.¹⁴ Dabei ging es vor allem um die Frage, ob die kirchliche Lehre eine Hilfe bei der Gestaltung des Ehe- und Familienlebens sein könne oder ob sie nicht eine Beengung darstelle. Damit sollte „die Diskrepanz zwischen offizieller Lehre und der Praxis und Lebenswirklichkeit der Katholiken"¹⁵, die immer größer zu werden scheint, im Anbieten der Normen als Hilfen für das konkrete Leben und damit als Betonung des Aspektes der Gnade gegenüber der teilweisen Feststellbarkeit der Zentralität des Gesetzes verringert werden.

    In der Außerordentlichen Bischofssynode, die am 19. Oktober 2014 beendet wurde, zeigte sich dieses Ringen um eine den Entwicklungen auf diesem Feld gerecht werdende Position. Die vor allem von konservativen Kreisen als „Kasperismus karikierte Verhältnisbestimmung von Dogma und Barmherzigkeit von Kardinal Walter Kasper fand dabei Widerstand von Seiten der Vertreter der „reinen Lehre¹⁶, wobei hier Lehre oft als gegen alle Entwicklungen gerichtete Vorschrift, nicht als je zu konkretisierende Orientierung aufgefasst wird. In seiner Rede zum Ende der Synode sprach der Papst von Versuchungen; der Versuchung der „feindlichen Erstarrung, dem Wunsch, „sich im Geschriebenen einzuschließen und sich nicht von Gott überraschen lassen zu wollen, der Versuchung „des zerstörerischen Gutmenschentums, das im Namen einer falschen Barmherzigkeit die Wunden verbindet, ohne sie zuvor zu behandeln; der Versuchung, „Steine in Brot zu verwandeln, um ein langes, schweres und schmerzhaftes Fasten zu beenden, und der umgekehrten Versuchung, „Brot in Steine zu verwandeln und sie auf die Sünder zu werfen, die Schwachen und die Kranken (Joh 8,7) und ihnen so unerträgliche Lasten aufzubinden (Lk 11,46), der Versuchung, „vom Kreuz herunter zu steigen, um den Menschen zu gefallen, der Versuchung, „das »depositum fidei« zu vernachlässigen und sich selber nicht als Hüter, sondern als Besitzer und Herren zu verstehen oder andererseits die Versuchung, die Realität zu vernachlässigen und eine einengende Sprache zu benützen und so zu sprechen, dass man viel redet und nichts sagt"¹⁷. Es geht dem Papst also um eine gelungene Balance zwischen Barmherzigkeit und Gerechtigkeit.

    Das Ringen zwischen den Vertretern der traditionellen Lehre des Kirchenrechtes und denen der stärkeren Berücksichtigung der Situation, in der die Menschen stehen, mit einer diese in den Blick bringenden „barmherzigen Relativierung als Bezugssetzung, zeigt sich im „Instrumentum Laboris „[d]ie pastoralen Herausforderungen im Hinblick auf die Familie im Kontext der Evangelisierung"¹⁸ und in der „Relatio Synodi"¹⁹, dem Schlussdokument, dem die Abstimmungsergebnisse der Synodenvertreter zu jeder der Nummern beigefügt sind. So zeigt sich etwa, dass die Zahl der Gegenstimmen zur Nummer 52 (104:74), die die Frage des Kommunionempfanges für wiederverheiratete Geschiedene behandelt, oder zur Nummer 55 (118:62), die sich mit Fragen der Homosexualität befasst, im Vergleich zum Abstimmungsverhalten in Bezug auf die anderen Nummern relativ hoch sind.

    Von manchen Beobachtern wurde die Tatsache, dass keine endgültigen Beschlüsse, die die wenigstens teilweise Neuorientierung zeigen, gefasst wurden, als Scheitern der Synode interpretiert. Ich glaube aber, dass diese Verhältnisbeziehung von Gesetz/Lehre und Barmherzigkeit nicht nur an der Erlaubnis zum Kommunionempfang festgemacht werden kann, sondern dass es um eine neue Verhältnisbestimmung geht, ohne die das Ergebnis wiederum nur an der Oberfläche des Rechtlichen bleibt. So ist die Zeit bis zur Synode zu nutzen, um diese Verhältnisbestimmung vorzunehmen.

    2. Gerechtigkeit und Barmherzigkeit bzw. Liebe – Abgrenzungen und Beziehungen

    Gerechtigkeit als auf rechnerischer Abwägung beruhender Ausgleich von Interessen über einen Bezugspunkt wird in dieser Rechenhaftigkeit oft der Liebe und Barmherzigkeit, die sich als ungeschuldete und nicht zu berechnende, weil in Überfülle wirksam werdende Haltungen zeigen, gegenübergestellt. Beide zielen aber auf Veränderung, wobei die Berufung auf Gerechtigkeit von einer Veränderbarkeit aufgrund einer Erzwingbarkeit durch vertraglichen Zugang, die auf Barmherzigkeit und Liebe stärker von einer inneren Dynamik der Beziehung als solcher, nicht so sehr von sie regelnden Strukturen ausgeht. Auf eine einzelne Situation bezogen bleibt Gerechtigkeit für solche, die wenig in eine Lösung einer problematischen Entwicklung einbringen können, oft stumpf, weil im Namen von Gerechtigkeit die Ressourcen der Benachteiligten meist nicht zum Tragen kommen können, da mit der Ungleichheit oft ein Machtgefälle verbunden ist, das in der Definition des „Je-Seinigen" als Ungleichheit wirksam wird. Die Mächtigen stellen sich meist als die Wissenden in

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