Lebendige Seelsorge 3/2015: Vergebung
Von Echter Verlag
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Über dieses E-Book
Was Frau Kor als Geste der Selbstheilung und Selbstbefreiung beschrieb, hat in der Öffentlichkeit hohe Wellen geschlagen: für die einen war es eine beeindruckende Geste, für andere eine Unmöglichkeit. Nicht wenige der Opfer, die als Nebenkläger im Verfahren auftreten, betonten, dass es bis heute allein die Opfer gewesen seien, die den Hass überwunden und zur Aufklärung über die Verbrechen beigetragen hätten. Die Täter aber hätten geschwiegen - und weder zur Wahrheitsfindung beigetragen noch Zeichen der Reue gezeigt. Außerdem komme es den Überlebenden gar nicht zu, im Namen der unzähligen Toten die an ihnen begangenen Verbrechen zu verzeihen.
Die Erfahrung, vergeben zu bekommen und die Erfahrung, vergeben zu können, gehören zum Faszinierendsten, was Menschen erleben können. Beide sind nicht nur Kernbestand religiöser Traditionen, vor allem des Christentums, sondern - ganz praktisch - wesentliche Elemente eines glücklichen Lebens. Jenseits der frommen Floskeln wird es aber schnell heikel. Und sehr konkrete Fragen tauchen auf: Müssen Christen jedem und alles vergeben? Was hilft es zu glauben, dass Gott vergibt - wenn Menschen das nicht tun? Wie lässt sich heute von Vergebung reden, ohne den Respekt vor den Opfern zu verlieren?
Von diesen Fragen ist das Heft inspiriert.
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Rezensionen für Lebendige Seelsorge 3/2015
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Buchvorschau
Lebendige Seelsorge 3/2015 - Echter Verlag
THEMA
Vergib uns unsere Schuld wie auch wir vergeben unseren Schuldigern.
Theologiegeschichtliche Reflexionen zum Bußsakrament
Von Gunda Werner
Nicht ohne die Opfer!
Vergebung in eschatologischer Perspektive
Von Dirk Ansorge
„Darf man Gröning vergeben?"
Die Replik von Gunda Werner auf Dirk Ansorge
Vertrauen auf die Treue Gottes
Die Replik von Dirk Ansorge auf Gunda Werner
Beichte statt Beratung?
Eine christentumsgeschichtliche Revision Von Hubertus Lutterbach
PROJEKT
Konflikte zwischen Schülern – Ist „Streitschlichtung" die Lösung?
Von Werner Viehhauser
INTERVIEW
Absichtslose Gastfreundschaft und Staunen über die Kraft des Lebens
Ein Gespräch mit Bärbel Ackerschott
PRAXIS
Höllenlehre: Höllenleere?
Von Wolfgang Beinert
Im Gefängnis von Vergebung sprechen?
Von Jussuf Windischer
„Beichten" kann ganz anders sein
Von Andrea Schwarz
Bin ich Charlie?
Von Christiane Florin
15 Jahre nach dem Erlassjahr. Ein Blick zurück nach vorn
Von Jürgen Kaiser
FORUM
Weder Wirtschaftsexperten noch Winzer.
Zur Auslegung von Mt 20,1-16 Von Sandra Hübenthal
POPKULTURBEUTEL
Mal ehrlich
Von Bernhard Spielberg
NACHLESE
Glosse von Wolfgang Frühwald
Impressum
Buchbesprechungen
Bernhard Spielberg
Mitglied der
Schriftleitung
Liebe Leserin, lieber Leser,
„Ich hoffe, dass Sie und ich uns als ehemalige Gegner als Menschen begegnen können". Mit diesen Worten ging vor wenigen Wochen Eva Kor, eine 70jährige Holocaust-Überlebende, am Rande des Lüneburger Auschwitz-Prozesses auf den ehemaligen SS-Unterscharführer Oskar Gröning zu. Sie reichte dem Mann, der der Beihilfe zum Mord in mindestens 300.000 Fällen angeklagt ist, die Hand zur Vergebung.
Was Frau Kor als Geste der Selbstheilung und Selbstbefreiung beschrieb, hat in der Öffentlichkeit hohe Wellen geschlagen: für die einen war es eine beeindruckende Geste, für andere eine Unmöglichkeit. Nicht wenige der Opfer, die als Nebenkläger im Verfahren auftreten, betonten, dass es bis heute allein die Opfer gewesen seien, die den Hass überwunden und zur Aufklärung über die Verbrechen beigetragen hätten. Die Täter aber hätten geschwiegen – und weder zur Wahrheitsfindung beigetragen noch Zeichen der Reue gezeigt. Außerdem komme es den Überlebenden gar nicht zu, im Namen der unzähligen Toten die an ihnen begangenen Verbrechen zu verzeihen.
Die Erfahrung, vergeben zu bekommen und die Erfahrung, vergeben zu können, gehören zum Faszinierendsten, was Menschen erleben können. Beide sind nicht nur Kernbestand religiöser Traditionen, vor allem des Christentums, sondern – ganz praktisch – wesentliche Elemente eines glücklichen Lebens. Jenseits der frommen Floskeln wird es aber schnell heikel. Und sehr konkrete Fragen tauchen auf: Müssen Christen jedem und alles vergeben? Was hilft es zu glauben, dass Gott vergibt – wenn Menschen das nicht tun? Wie lässt sich heute von Vergebung reden, ohne den Respekt vor den Opfern zu verlieren?
Von diesen Fragen ist das Heft inspiriert, das Sie in Händen halten. Es öffnet den Raum für systematisch-theologisches Nachdenken über Vergebung, deckt historische Spuren des kirchlichen Umgangs mit Sünde auf und eröffnet ein Panorama praktischer Perspektiven: von Streitschlichtern auf dem Schulhof über neue Formate des Sakramentes der Versöhnung bis hin zum Erlass staatlicher Schulden. Schließlich stellt sich die Journalistin Christiane Florin die heikle Frage: Bin ich Charlie?
Ich wünsche Ihnen eine eindrucksvolle Lektüre,
Ihr
JProf. Dr. Bernhard Spielberg, Mitglied der Schriftleitung
Vergib uns unsere Schuld wie auch wir vergeben unseren Schuldigern
Theologiegeschichtliche Reflexionen zum Bußsakrament
Dass das Bußsakrament in der Krise steckt, wird derjenige nicht bestreiten, der in Urlauben Kirchen in Frankreich besucht: dort ist der Beichtstuhl längst zu Informationsstellen umgewandelt, in denen DVDs über die Geschichte der Kirche erzählen. Gerne wird der Beichtstuhl auch genutzt als Abstellkammer für das Allerlei des Kirchenalltags. Dabei sollte eigentlich doch die Beichte zum Allerlei des Kirchenalltags gehören und keineswegs in die Abstellkammer! Auch die eingerichteten „Räume der Versöhnung" lassen nicht darüber hinwegtäuschen, dass sich die Nachfrage auf das Angebot in Grenzen hält. Gleichzeitig ist das Thema der Vergebung und mit ihm der Schuldfrage alltäglich und gegenwärtig. Wie passt das zusammen? Was ist eigentlich das Besondere an der Vergebung Gottes, die in der Beichte sakramental zugesprochen wird? Gunda Werner
In seiner Erzählung „Die Sonnenblume" durchleuchtet Simon Wiesenthal (Wiesenthal 1984) die Frage, wer eigentlich vergeben darf. Zugrunde liegt seine bedrängende und dramatische Erfahrung, die er in seiner Internierung im Arbeitslager in Lemberg gemacht hat. Dort wird er zu einem sterbenden SS-Mann gerufen, der ihm seine Gräueltaten „beichtet und Vergebung von ihm wünscht. Am Ende des Bekenntnisses steht das Bedürfnis nach Vergebung. Wiesenthal selbst fragt sich nun, ob er dieses Bekenntnis Beichte nennen soll: „Aber was ist das für eine Beichte? Ein Brief ohne Antwort […]. Da liegt ein Mann im Bett und will in Frieden sterben – aber er kann es nicht, weil ihm ein entsetzliches Verbrechen keine Ruhe lässt. Und neben ihm sitzt ein Mann, der sterben muss – aber nicht sterben will, weil er das Ende solch entsetzlicher Verbrechen erleben will
(Wiesenthal 1984, 62). Wiesenthal steht auf und geht. Schweigend.
Der SS-Mann wünscht also von dem Juden Simon Wiesenthal eine Vergebung für seine grausamen Taten an Juden. Wiesenthal selbst verlässt diesen Mann, ohne ihm diese Vergebung zu gewähren. Er ist sich in dem Moment sicher, dass er es nicht gedurft hätte – nicht stellvertretend für die Opfer. Allerdings kommen ihm Zweifel, und er bespricht diese Situation – sowohl unmittelbar als auch nach 1945. Der direkt befragte Freund befürchtete sogar, „du [Wiesenthal] hättest ihm wirklich verziehen. Du hättest das ja doch nur im Namen von Menschen tun können, die dich gar nicht dazu ermächtigt haben. Was man dir selbst angetan hat, kannst du, wenn du willst, vergeben und vergessen. Darüber bist du nur dir selbst Rechenschaft schuldig. Aber glaub mir, es wäre eine große Sünde gewesen, fremdes Leid auf dein Gewissen zu nehmen" ( Wiesenthal 1984, 73). Die Perspektive der Vergebung angesichts der Reue macht wiederum ein weiterer Protagonist stark, der formuliert, was Wiesenthal ebenfalls empfand: „Ich war damals tatsächlich die letzte Chance für ihn, sein Gewissen zu erleichtern" (Wiesenthal 1984, 90f.) Die weiteren Antworten auf die schlichte Frage Wiesenthals „Hätte ich vergeben dürfen?" drehen sich alle um eben diese Kernfrage der Vergebung, wer nämlich überhaupt vergeben darf. Theologisch gefragt: Hat die Vergebung Gottes mit der eigenen Vergebung zu tun? Wie geschieht Vergebung?
WER DARF VERGEBEN?
Wer überhaupt vergeben darf, ist im Nachdenken über Vergebung die naheliegende und doch schwierigste Frage. Gerade weil sich gleich mehrere Situationen darstellen, in denen Vergebung geschieht, ist Vergebung jeweils genau zu beschreiben. Sowohl die zwischenmenschliche als auch die göttliche Vergebung steht im Mittelpunkt von Vergebungsritualen, wobei ihr doch in der Regel ein innerer Vorgang des Bewusstwerdens der Schuld, des Eingestehens und der Entscheidung, um Vergebung zu bitten, vorausgeht. Weiterhin stellt sich die Frage, welche Rolle Gott im christlichen Geschehen der Vergebung hat, das unterschiedliche Bedeutungen und Rituale kennt: so wird Gott um Vergebung gebeten, Jesus vergibt an Gottes Stelle, der Tod Jesu kann als stellvertretende Vergebung verstanden werden, im Sakrament wird die Vergebung Gottes zugesagt. Wer darf also wann vergeben? In der konkreten sakramentalen Praxis scheinen sich diese Fragen weniger zu stellen, sondern es wird nach der Ursache für die wenige Nachfrage nach dem Sakrament der Beichte selbst ebenso wie nach neuen Formen gesucht. Dabei geht die Rede von der „Krise des Bußsakraments" einher mit der Feststellung, dass die Vergebungsthematik selbst aktueller ist denn je. Was also geschieht in der sakramentalen Vergebung, dass an ihrem Fehlen so viel festgemacht wird?
Meines Erachtens verlangt das Nachdenken über die Frage, wie Vergebung geschieht und vor allem, wer wem vergeben darf, eine Unterscheidung genauer ins Auge zu fassen: die Schuld als eine ethische Kategorie von der Sünde als theologischer Kategorie deutlich zu differenzieren. So wird erst deutlich, wieso die Vergebung der Sünden die eigentliche theologische Fragestellung darstellt. Es wird sich zeigen, dass an dieser Unterscheidung die Einsicht hängt, die sogenannte Krise des Bußsakraments theologiehistorisch auf eine bestimmte Form des Sakramentenverständnisses zurückführen zu können, das überhaupt erst die Deutungsmöglichkeit der Krise eröffnet.
SCHULD UND SÜNDE – EINE NOTWENDIGE UNTERSCHEIDUNG
Die Unterscheidung von Schuld und Sünde eröffnet überhaupt erst die theologische Reflexion auf Vergebung. Solange nämlich nur die Frage nach der Schuld gestellt wird, erscheint Vergebung zunächst als die humane Eigenschaft, sich auch noch zur begangenen und ergangenen Schuld zu verhalten. Vergebung selbst ist die je größere Möglichkeit des Menschen, mit begangener Schuld umzugehen. Zugleich ist der Vergebungsvorgang als interpersonales Beziehungsgeschehen immer fragil, weil in ihm die Asymmetrie der Täter-Opfer-Problematik – auch bei weniger gravierenden Vergehen – aufbricht. Beide Seiten sind aufeinander angewiesen und befinden sich doch in sehr unterschiedlichen Rollen. Die genuin theologische Frage nach der Vergebung stellt sich allerdings tatsächlich erst dann, wenn die Unterscheidung von Schuld und Sünde markiert wird und damit die Frage nach dem „Wer vergibt?" als religiöse transponiert ist. Hier hatte Søren Kierkegaard bereits deutlicher noch als Immanuel Kant den qualitativen Unterschied „zwischen der Disposition zur Sünde und dem Faktum der Sünde benennen können
(Essen 2011, 1116). Wenn die Disposition zur Sünde von dem Faktum der Sünde unterschieden wird, dann ist zugleich dieses Faktum in Schuld und Sünde so differenzierbar, dass Sünde in ihrer Faktizität eine Aussage der Beziehung des Subjekts zu Gott ausdrückt: Sünde ist mit Kierkegaard schon als Bestimmung vor Gott gedacht. Nur dann ist „ethische Schuld zur eigentlichen Sünde qualifiziert, ist nämlich in der „Weigerung des Menschen, auf diese Zusage zu setzen und aus ihr und den durch sie eröffneten Möglichkeiten sich selbst und sein Handeln zu bestimmen
(Pröpper 2011, 717), zu sehen. Somit ist ethische Schuld nur dann Sünde, wenn sie „von den Möglichkeiten Gottes her gedacht wird, „sofern wir im Glauben Anteil an ihnen gewinnen können
(Pröpper 2011, 720) Diese Unterscheidung setzt aber bereits voraus, wovon Kant ausging: dass die persönliche Schuld nicht übertragbar ist und daher auch von keinem abgenommen werden kann. Jeder Mensch steht ein für die Schuld, für die er selbst verantwortlich ist. Verantwortlich ist er für Schuld, weil er diese Möglichkeit des Handelns frei wählt.