Mit dem Pilgerstab durchs Leben
Von Thomas Dienberg
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Über dieses E-Book
Dem Autor geht es einerseits um die Geschichte und Spiritualität des Pilgerns. Aber viel mehr will er das menschliche Leben als einen Pilgerweg beschreiben. Dabei spielt vor allem das Verständnis der franziskanischen Spiritualität und der Aspekt des 'Pilger und Fremdling Seins' eine große Rolle. Damit verbunden ist eine Haltung, die sich nicht an Orten, nicht an Dingen und an Bildern festmacht, sondern als Offenheit gegenüber dem Leben und dem Fremden - eine Haltung, die aus einem großen Vertrauen Gott gegenüber lebt und den Menschen immer wieder aufbrechen lässt.
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Buchvorschau
Mit dem Pilgerstab durchs Leben - Thomas Dienberg
1Einleitung
Das Pilgern scheint trotz der Pandemie seinen Reiz und seinen Hype nicht verloren zu haben. Es prägt den Zeitgeist. Immer mehr Pilgerwege werden entdeckt, der Buch- und Zeitschriftenhandel ist voll von Vorschlägen zum Pilgern. Und wenn es nicht mehr in die Ferne gehen kann, dann eben vor die eigene Haustür. Sogenannte und definierte spirituelle Orte ziehen an. Manchmal aber ist es auch einfach die erhoffte Wegerfahrung, geteilt mit anderen, die Menschen auf die Idee des Pilgerns bringt.
Pilgern ist ein uraltes Motiv der Menschheitsgeschichte, und wahrscheinlich pilgern Menschen, seitdem es Religion gibt, also seit Beginn der Menschheitsgeschichte. Diese ist im wahrsten Sinne des Wortes eine Pilgergeschichte. Doch ist das Pilgern weitaus mehr als ein religiöses Phänomen, was ja allein daran festzumachen ist, dass viele sich auf einen der berühmtesten Pilgerwege der Welt begeben, den Camino. Nicht wenige von ihnen würden sich zwar als suchend, aber nicht als religiös bezeichnen, aber irgendwie doch spirituell, oder auch nicht? Menschen gehen auf sehr vielfältige Weise einen Pilgerweg mit einer Sehnsucht nach Heil, die tief in ihnen schlummert. In der Vergangenheit trieb im Christentum in Europa viele Menschen die Sehnsucht nach dem Heil in Jesus Christus an, die Sehnsucht nach der Berührung Gottes auf einem Pilgerweg zu einem konkreten Ziel wie zum Beispiel einem Wallfahrtsort. Gott begegnen, heil werden und das Heil finden, das Leben wieder neu bewältigen können oder schlicht und einfach das Gehen zu einem Ort mit einem konkreten Anliegen.
Pilgerwege sind zeitlich begrenzt. Sie haben ein konkretes Ziel vor Augen und wollen erlaufen werden. Der Mensch bricht auf, geht und nimmt die Strapazen eines Weges mit Höhen und Tiefen, Tälern und Bergen, kurzen und langen Etappen auf sich. Damit verlässt der Mensch sein gewohntes Lebensumfeld und bricht in die Fremde auf. Er lässt sich auf unbekanntes Terrain ein und ergeht sich etwas Neues. Pilgerwege drücken somit auch eine Dimension menschlichen Lebens aus, die sich unabhängig von konkreten Orten und Wegen festmacht: Der Pilgerweg ist wie das Leben. Auch dieses besteht aus Höhen und Tiefen, Irr- und Umwegen, aus Heimat und Fremde, aus Aufbruch und Ankunft. Das Bild des Pilgerweges ist ein Bild für die Lebensreise des Menschen.
„Die Schwestern sollen sich nichts aneignen, weder Haus noch Ort noch irgendeine Sache. Und gleichsam als Pilgerinnen und Fremdlinge in dieser Welt, die dem Herrn in Armut und Demut dienen, mögen sie voll Vertrauen um Almosen schicken" (KlReg 8, KQ 66).
Die heilige Klara gibt mit diesen wenigen Worten das Thema dieses Buches mit seinen verschiedenen Facetten vor.
Es geht um das Pilgern, doch nicht nur um das religiöse Pilgern auf einem Weg zu einem Wallfahrtsort; nicht nur um das Pilgern à la Hape Kerkeling nach dem Motto „Ich bin dann mal weg"; nicht nur um das Pilgern als Wegerfahrung, wobei das Ziel gar nicht so wichtig ist. Nein, es geht um eine Grundhaltung im Leben des Menschen und der Christ:innen; eine Grundhaltung, die mit der Tatsache ernst macht, dass der Mensch zeit seines Lebens ein Mensch auf dem Wege ist: zu sich selbst und dem Menschen, der in ihm und ihr angelegt ist; auf dem Weg und damit auf der Suche nach dem Sinn des Lebens. Nie fertig, immer sehnsüchtig, oft unruhig, voller Fragen. Klara unterstreicht mit den Worten in ihrer Regel, dass die Schwestern gleichsam wie Pilgerinnen und Fremdlinge in der Welt leben sollen, eben so, als ob sie nichts haben und dem einen Ziel des Lebens entgegenstreben: dem ewigen Leben. Daraufhin ist ihr ganzes Bestreben ausgerichtet. Sie macht damit auf radikale Weise mit der Aufforderung Jesu ernst, alles zu verlassen und ihm nachzufolgen, sein Herz nicht an Dinge und Besitz zu hängen, sondern sich frei, eben arm, mit und zu ihm auf den Weg zu machen.
Hier wird ebenfalls deutlich, dass das Pilgern aus der franziskanischen Perspektive elementar mit der Haltung der Armut zu tun hat und dass diese weitaus mehr als nur ein Gelübde oder nur einen Verzicht darstellt. Armut ist eine Beziehungskategorie, die mit dem Pilgercharakter des menschlichen Lebens einhergeht und diesen unterstreicht.
Im Folgenden soll auf diese verschiedenen Perspektiven des Pilgerns eingegangen werden. Das Hauptaugenmerk allerdings liegt auf dem Pilgern als Grundhaltung des menschlichen Lebens. Ist das Pilgern eine Signatur menschlichen Lebens, so wie der Titel des Buches es aussagt, auch des modernen oder postmodernen Menschen? Und hat die Covid-19-Pandemie diese Signatur verändert? Setzt die franziskanische Spiritualität einige ganz eigene und wichtige Aspekte für das Pilgern in Zeiten einer weltweiten Krise – und darüber hinaus?
2Pilgerschaft des Lebens im Kontext der Postmoderne
Der Weg und das Gehen
Das Wegmotiv spielt eine wesentliche Rolle im Deutungskontext des Lebens. Das wird schon in der Benutzung dieses Motivs in der alltäglichen Sprache deutlich, denn es gibt viele Redewendungen und Ausdrücke rund um den Weg: „Lebensweg, „seinen Weg gehen
, „vom Weg abkommen, „den Weg ebnen
, „neue Wege einschlagen, „Wege und Mittel finden
, „den Weg alles Irdischen gehen, „Weg des geringsten Widerstandes
, „aus dem Wege gehen, „aus dem Weg räumen
, „Steine in den Weg legen, „nicht über den Weg trauen
, „es ist ein langer Weg bis, „alle Wege stehen mir offen
, „hier trennen sich unsere Wege, „auf dem besten Wege sein
, „auf halbem Wege treffen". Der Weg und das Gehen eines Weges sind Bilder für das Leben in all seinen Facetten – und noch viel mehr.
Leben bedeutet, einen Weg zu gehen, unterwegs zu sein zu dem, was und wer der Mensch ist und sein soll, die Hoffnung nicht aufgeben und damit nicht an ein Ende kommen, sondern weitergehen, nach Pausen und Erholungen sich erneut auf den Weg machen, nicht stehen bleiben oder den Kopf in den Sand stecken. Erst mit dem Tod sind das Leben und der Lebensweg an ihr Ende gekommen. Der Mensch ist ein Mensch des Weges, ein Mensch in Bewegung, körperlich und geistig, religiös und spirituell, allein und mit anderen. Menschsein heißt, mobil zu sein, jedoch