Geist & Leben 1/2018: Zeitschrift für christliche Spiritualität
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Geist & Leben 1/2018 - Echter Verlag
Den Seelen helfen
„Unmöglich, das geht nicht: Das war mehr oder weniger die Meinung vieler außerhalb und innerhalb seines Ordens, als er von seinem Vorhaben erzählte, ein „kontemplatives Exerzitienhaus
zu eröffnen. „Er träumt! Die Nachfrage nach seinen Kursen ist nicht so groß, und ein eigenes Haus kann sich nicht tragen."
1978, nach seiner Ankunft in Deutschland, begann P. Franz Jalics, kontemplative Exerzitien zu begleiten. Es gab viel positive Resonanz auf seine Art von Exerzitien und so dachte er daran, nicht mehr herumzureisen und Kurse in verschiedenen Häusern anzubieten, sondern ein eigenes Zentrum zu schaffen. Schließlich hat er es mit Erlaubnis seiner Oberen getan. Und, es ist gegangen – sehr gut sogar! Das Haus Gries und die Kontemplativen Exerzitien wurden ein Erfolgsprojekt.
P. Franz Jalics ist am 16. November 2017 90 Jahre alt geworden und er kann auf ein großes Lebenswerk zurückschauen. Was war, was ist das Geheimnis seines „Erfolges"? Drei Begriffe fallen mir ein: Mensch, Weg, Ort.
Ich weiß noch, als ich ihm das erste Mal begegnete. Es war kurz nachdem er von Argentinien nach Deutschland gekommen war. Ich war beeindruckt von seiner Ausstrahlung, von seiner Lebensgeschichte, von seinem Anliegen, Menschen zu Gott zu führen. Ich hatte das Gefühl, einen Menschen zu treffen, der in sich einen Auftrag spürt, der weiß, was er will und der einen geistlichen Weg zeigen kann, der für heutige Menschen gehbar und hilfreich ist. Seit damals haben sich viele Menschen seiner Führung anvertraut. Sie haben ihn erlebt als jemanden, der Gott erfahren hat, und der andere näher zu ihm hinführen will und kann: einen Lebemeister. Geistliche Menschen – sie werden gesucht, innerhalb und außerhalb der Kirche, gerade heute.
Franz Jalics hat vielen Menschen einen Weg zu Gott, zu sich selbst und zu den Menschen gezeigt. Diesen Weg wurde er selbst geführt und ist ihn konsequent gegangen. Auf seiner eigenen Erfahrung aufbauend hat er ihn weitervermittelt. Dieser Weg ist eine Gebetsweise, das kontemplative Jesus-Gebet. Er ist aber mehr als das, er ist eine Lebensweise; eine Weise des Umgangs mit der Welt, den Menschen und sich selbst. Dieser Weg führt vom Denken zum Spüren und Wahrnehmen, von der Vergangenheit und Zukunft ins Hier und Jetzt, in die Gegenwart. So kann allmählich etwas von der Gegenwart Gottes aufleuchten, so kann der Ich-Bin-Der-Ich-Bin erfahrbar werden.
Franz Jalics ist ein Praktiker. Seine Stärke ist weniger über das Wesen von Kontemplation nachzudenken, zu schreiben und zu sprechen, als Menschen ganz konkret, Schritt für Schritt einen kontemplativen Weg zu zeigen und sie auf ihm zu begleiten. Die Beschreibung, was im Gehen dieses Weges geschieht, was einem begegnet, wie man mit bestimmten Phänomenen, die sich einstellen, umgehen und wie man sich in bestimmten Situationen verhalten soll, damit der Weg weiterführt, ist sein Anliegen. Hilfreiche Anleitung und Begleitung eines kontemplativen Weges, darum geht es ihm.
Diese einfache Weise des Betens und Lebens, die er zeigt, gründet zutiefst in der christlichen Tradition. Sie trifft ein Bedürfnis unserer heutigen Zeit. Die Sehnsucht nach Ruhe und Stille, nach einfachem Dasein und nach Erfahrung ist groß. Durch den Weg, den er zeigt, ist es ihm gelungen, eine in vielen Menschen lebende Sehnsucht zu stillen. Auf diesem Weg geschieht Verwandlung und Heilung. Viele Menschen haben das erfahren. In Religion, in der christlichen Religion steckt eine große transformative Kraft.
Mit dem von ihm gegründeten Haus Gries hat Franz Jalics zudem einen heute weit über Deutschland, ja sogar über Europa hinaus bekannten Ort geschaffen, der unzähligen Menschen Bezugspunkt und Heimat geworden ist. Menschen, die dort Kurse besucht haben, fühlen sich mit ihm verbunden. In Zeiten, in denen Menschen sich mit einer Bindung an die Kirche als Ganze oder eine bestimmte Pfarrei schwer tun, sind solche geistliche Orte von Bedeutung.
Bis heute werden in diesem Haus das ganze Jahr über kontemplative Exerzitienkurse angeboten, die nach wie vor gut besucht sind. Luxus gibt es nicht. Ausstattung und Lebensstil sind einfach. Eine Gruppe von Voluntär(inn)en macht die Hausarbeit, die Kursteilnehmer(innen) helfen mit. Es wird auch nicht auf die Armen vergessen. Projekte in Entwicklungsländern werden unterstützt. Die Atmosphäre der Stille, der Einfachheit, der Solidarität ist spürbar. Sie zieht Menschen unterschiedlicher Herkunft, unterschiedlichen Alters, unterschiedlicher Religion und Konfession an. Dort finden sie einen Raum, in dem sie zur Mitte finden können, wo das göttliche Wort hörbar werden kann.
Mensch, Weg, Ort – diese drei Begriffe, die für mich das Lebenswerk von Pater Franz Jalics charakterisieren, scheinen mir zukunftsweisend zu sein. Wenn es der Kirche, wenn es uns gelingt, mehr davon zu haben, dann ist es möglich, die meines Erachtens große spirituelle Sehnsucht der Menschen heute aufzugreifen und „den Seelen zu helfen" – wie es Ignatius von Loyola ausgedrückt hat, zu dessen Orden Franz Jalics gehört.
Abgrenzung oder Anpassung?
Impulse aus der Frühen Kirche
Den Mentalitätswandel nachzuzeichnen, der die frühen Christen aus einer ursprünglich dominierenden Fremdheit in der Welt zu einer stärkeren Integration führte, war ein Anliegen, dem ich in einer 2015 erschienenen Monographie nachgegangen bin.¹ Dieser Wandel war weder eingleisig noch geradlinig, auch wenn sich, auf lange Sicht hin, doch eine klare Tendenz in Richtung einer weltlicher werdenden Kirche abzeichnete. Dennoch blieben die beiden Pole Weltdistanz und Weltverantwortung in den christlichen Milieus unterschiedlich wirksam, und das Fazit der Studie verwies seinerseits auf die notwendige Spannung, die christliche Spiritualität bleibend prägen sollte: Sie bliebe – auf persönlicher wie auch auf gesellschaftlicher Ebene – „unvollständig, wenn das Moment des Engagements oder das Moment der Weltdistanz völlig fehlen würde,² auch wenn deren Gewichtung sich immer wieder ändern kann oder neu justiert werden muss. Hier die rechte Balance zu finden, ist keineswegs leicht, es bedarf der „Unterscheidung der Geister
(vgl. 1 Kor 12,10), wie ich an folgendem Beispiel zeigen will.
Der Streit um die „Servicekirche"
Das Thema, das die innerkirchlichen Diskussionen schon mehrfach beschäftigt hatte,³ wurde im Februar 2016 virulent,⁴ nachdem sich der damalige Pfarrer der Münsteraner Heilig-Kreuz-Kirche, Thomas Frings, aus seinem Amt zurückgezogen hatte, weil er u.a. in der Sakramentenpastoral nicht länger die Erwartungen und Ansprüche derer erfüllen wollte, die die Kirche als Dienstleister sehen und einen entsprechenden Service nach ihren eigenen Wünschen verlangen, ohne sich selbst nachhaltig in die Gemeinde einzubringen.
Dieser publik gemachte Protest⁵ stieß nicht nur auf viel Verständnis, sondern auch auf harsche Kritik:⁶ Welchen anderen Auftrag hätte die Kirche denn als zu dienen?! Das kirchliche Amt sei doch nicht dazu da, Herrschaft auszuüben und den Gläubigen die „Erwartungen der kirchlichen Funktionsträger"⁷ aufzudrängen, mit denen sie nichts anfangen könnten; vielmehr sollten sie in ihren Bedürfnissen und ihrer Lebenswirklichkeit ernst genommen und begleitet werden. Gerade so erfülle die Kirche den Auftrag Christi.
Das Problem lässt sich auf die Frage zuspitzen: Sollen die Bischöfe und ihre pastoralen Mitarbeiter(innen) kirchlicherseits Ansprüche formulieren, mit denen sie die Gläubigen bzw. potenzielle Interessent(inn)en konfrontieren, oder ist es ihre Aufgabe, für eine sich verändernde Nachfrage das jeweils erforderliche Angebot bereitzustellen und es nach Möglichkeit mit spirituellem Leben zu erfüllen? Je nachdem, wie die Antwort auf diese Frage ausfällt (Abgrenzung oder Anpassung?), würde es mehr oder eben weniger Taufen und kirchliche Eheschließungen sowie Zulassungen zur Erstkommunion und Firmung geben und dementsprechend eher Zufriedenheit oder Unmut bei den potenziellen Interessent(inn)en, deren Erwartungen erfüllt oder eben enttäuscht würden. Die Lösung dieser Frage liegt keineswegs auf der Hand, denn natürlich stellen Ereignisse wie eine Hochzeit oder die Geburt eines Kindes Wegmarken einer Biographie dar, die die Betroffenen aus der Alltagsroutine herausreißen und den Boden bereiten können für neue Erfahrungen und Sinndeutungen des Lebens. Die Erstkommunion und die Firmung wiederum bieten auch heute noch oft den Anlass, dass Familienangehörige, Freunde und Paten zu einem Fest zusammenkommen, um mit den Kindern und Jugendlichen zu feiern. Andererseits wird wohl niemand bestreiten können, dass die Pastoral, die gerade mit Hilfe der Sakramente diese Erfahrungen und Anlässe „in einen Deutungszusammenhang mit der Heilszuwendung Gottes bringen" soll,⁸ in vielen Fällen keine dauerhafte Wirkung erzielt – und es wäre m.E. ungerecht, das pauschal der Inkompetenz der Seelsorger(innen) anzulasten, auch wenn es abschreckende Beispiele geben mag.
Gibt es einen Königsweg in dem Dilemma zwischen „Sakramentenservice und „Sakramentenrigorismus
, die ein jeweils anderes Weltverständnis und -verhältnis repräsentieren?
Frühchristliches Paradigma Katechumenat
Nimmt man das frühe Christentum zum Maßstab, wäre die Antwort (zumindest in der Zeit vor Konstantin) der Tendenz nach klar: Die Anforderungen an die Taufbewerber(innen) waren hoch, es fand eine regelrechte Auslese statt. Das Motto lautete nicht: Möglichst schnell möglichst viele Leute taufen! Es ging vielmehr darum, das religiöse Niveau der Gemeinde zu halten. Die Taufinteressent(inn)en brauchten Bürgen (Paten), die sie auf dem mehrjährigen Weg zur Taufe begleiteten, für die Ernsthaftigkeit ihres Taufwunsches einstanden und ihre Bewährung bezeugen sollten. Noch vor Beginn der Taufvorbereitung wurden die Motivation der Interessent(inn)en geprüft und ihre persönlichen Lebensumstände eruiert – einige Berufe waren vom Katechumenat grundsätzlich ausgeschlossen. Die Taufvorbereitung dauerte ungefähr drei Jahre und verlangte von den Katechumenen nicht nur die Teilnahme an Unterweisungen, Gebeten, Wortgottesdiensten, sondern auch soziales Engagement in der Gemeinde, weil „Trittbrettfahrer eben nicht erwünscht waren. Vor der Zulassung zur eigentlichen Taufe fand nochmal eine Prüfung statt, die das gesamte Verhalten der Katechumenen während der Vorbereitungszeit in den Blick nahm, um entscheiden zu können, ob die Bewerber(innen) schon „reif
für die Taufe wären oder zurückgestellt werden müssten. Diese Hürden galten im Übrigen zugleich auch für die Firmung und Kommunion, die ursprünglich im Rahmen einer einzigen Initiationsfeier gespendet wurden – die Teilhabe an der Eucharistie, in der sich die volle Zugehörigkeit zur Gemeinde konkretisierte, war ja das letzte Ziel der jahrelangen Vorbereitung.
Ohne dieses Vorgehen mit den heutigen Kategorien Machtausübung oder Dienstleistung messen zu wollen, ist festzuhalten, dass die Katechumenen einer Vielzahl von Anforderungen und einer strengen Kontrolle unterworfen waren – dem konnte man sich natürlich entziehen, musste dann aber das Risiko des Taufaufschubs in Kauf nehmen. Die Gemeinden sahen sich zu dieser Praxis legitimiert, weil man fest davon überzeugt war, den Taufinteressent(inn)en den (einzigen) Weg zum Heil zu zeigen, der ihnen freilich auch etwas abverlangte. Man wollte das Initiationssakrament (Taufe – Firmung – Eucharistie) nicht vorschnell spenden, um keine „halben" Christen in die Gemeinde aufzunehmen.
Diese Gefahr wurde erst nach der sog. Konstantinischen Wende zum ernsten Problem, als sich die Kirche infolge des Massenzustroms an die geänderten Verhältnisse anpasste und eine intensive Prüfung und Beurteilung der einzelnen Bewerber(innen) im Katechumenat nicht mehr möglich war. Die Taufvorbereitung wurde formalisiert und stärker ritualisiert, und nach und nach entstand die Volkskirche, in der es freilich viele „halben" Christen gab.⁹ Die Kirche gewann an gesellschaftlicher Bedeutung, verlor aber an Profil. Die allmähliche Durchsetzung der Kindertaufe tat ein Übriges, denn sie machte den Katechumenat in der bisherigen Form und das persönliche Erlebnis der Taufe als Lebenswende unmöglich und zog die Verselbständigung der Firmung und Erstkommunion nach sich – das Initiationssakrament wurde entzerrt und die Eingliederung in die (Volks-)Kirche zeitlich gestreckt. Immerhin war aber gewährleistet, dass die Kinder und Jugendlichen in einer christlich geprägten Gesellschaft aufwuchsen.
Heute hat sich die Dynamik umgekehrt: Die Pluralität unserer Gesellschaft nimmt von Generation zu Generation zu, die Volkskirche löst sich allmählich auf, und so liegt das Motto nahe, zu retten, was zu retten ist, und über jede Anmeldung zur Taufe froh zu sein, auch wenn eine christliche Sozialisation der Kinder nach der Taufe nicht mehr zu erwarten ist. Es stellt sich dann aber doch die Frage, ob die Kirche damit nicht nur „halbe Christen in Kauf nimmt, sondern sich mit einem rudimentären Christentum in „homöopathischer Verdünnung
zufrieden gibt? Können Taufe, Eucharistie und Firmung in einem solchen Umfeld wirklich noch die „bedingungslose Zuwendung Gottes zu den Menschen" erfahrbar machen, oder bedeuten sie nur noch formalisierte Riten, die zu einem Familienfest traditionell eben mit dazugehören, aber mangels Vorbereitung und wegen fehlender Konsequenzen im Leben nicht verankert sind und so gerade nicht zum Ausdruck bringen können, was sie zum Ausdruck bringen wollen? Dazu gehört (bei jedem Sakrament!) ja auch der Lebensbezug zur kirchlichen Gemeinschaft.
Profilierung – aber wie?
In einer Gesellschaft, die sich dem Christentum nach und nach entfremdet, scheint mir eine Rückbesinnung auf das besondere Profil des Glaubens notwendig, das nicht nur in einer unbestimmten Dienst-Willigkeit besteht. Das Matthäusevangelium etwa endet mit dem Auftrag des Auferstandenen, zu allen Völkern zu gehen, sie zu taufen und zu lehren, alles zu befolgen, was er seinen Jüngern geboten hatte (Mt 20,28); dabei ist, wie der Neutestamentler U. Luz anmerkt, auch an die Bergpredigt gedacht, in der Matthäus die Lehre Jesu zusammengefasst hatte.¹⁰ Profillos kann man diese Lehre nun wirklich nicht