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Banshee Livie (Band 6): Realitätsreisen für Einsteiger
Banshee Livie (Band 6): Realitätsreisen für Einsteiger
Banshee Livie (Band 6): Realitätsreisen für Einsteiger
eBook340 Seiten4 Stunden

Banshee Livie (Band 6): Realitätsreisen für Einsteiger

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Über dieses E-Book

Seit über eintausend Jahren werden die Harrowmores und ihr Schloss von Banshees beschützt. Doch eine von ihnen bringt den Fluch mit sich, der die gesamte Familie auslöschen könnte. Sollte dieser Tag schon nah und ausgerechnet Livie diejenige sein, die eine Schlüsselrolle in dem Drama spielen wird? Irrtum. Denn unbemerkt von fast allen Beteiligten hat das Unheil längst seinen Lauf genommen. Zukunft war gestern, heute ist alles anders …
SpracheDeutsch
Erscheinungsdatum9. Apr. 2021
ISBN9783038961901
Banshee Livie (Band 6): Realitätsreisen für Einsteiger

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    Buchvorschau

    Banshee Livie (Band 6) - Miriam Rademacher

    Inhaltsverzeichnis

    Titel

    Informationen zum Buch

    Impressum

    Widmung

    Prolog

    Kapitel 1

    Kapitel 2

    Kapitel 3

    Kapitel 4

    Kapitel 5

    Kapitel 6

    Kapitel 7

    Kapitel 8

    Kapitel 9

    Kapitel 10

    Kapitel 11

    Kapitel 12

    Kapitel 13

    Kapitel 14

    Kapitel 15

    Kapitel 16

    Kapitel 17

    Kapitel 18

    Kapitel 19

    Kapitel 20

    Kapitel 21

    Kapitel 22

    Kapitel 23

    Kapitel 24

    Kapitel 25

    Epilog

    Dank

    Miriam Rademacher

    Banshee Livie

    Band 6: Realitätsreisen für Einsteiger

    Fantasy

    Banshee Livie (Band 6): Realitätsreisen für Einsteiger

    Seit über eintausend Jahren werden die Harrowmores und ihr Schloss von Banshees beschützt. Doch eine von ihnen bringt den Fluch mit sich, der die gesamte Familie auslöschen könnte. Sollte dieser Tag schon nah und ausgerechnet Livie diejenige sein, die eine Schlüsselrolle in dem Drama spielen wird? Irrtum. Denn unbemerkt von fast allen Beteiligten hat das Unheil längst seinen Lauf genommen. Zukunft war gestern, heute ist alles anders …

    Die Autorin

    Miriam Rademacher, Jahrgang 1973, wuchs auf einem kleinen Barockschloss im Emsland auf und begann früh mit dem Schreiben. Heute lebt sie mit ihrer Familie in Osnabrück, wo sie an ihren Büchern arbeitet und Tanz unterrichtet. Sie mag Regen, wenn es nach Herbst riecht, es früh dunkel wird und die Printen beim Lesen wieder schmecken. In den letzten Jahren hat sie zahlreiche Kurzgeschichten, Fantasyromane, Krimis, Jugendbücher und ein Bilderbuch für Kinder veröffentlicht.

    www.sternensand-verlag.ch

    info@sternensand-verlag.ch

    1. Auflage, April 2021

    © Sternensand Verlag GmbH, Zürich 2021

    Umschlaggestaltung: Juliane Schneeweiss

    Lektorat / Korrektorat: Sternensand Verlag GmbH | Martina König

    Korrektorat 2: Sternensand Verlag GmbH | Jennifer Papendick

    Satz: Sternensand Verlag GmbH

    ISBN (Taschenbuch): 978-3-03896-189-5

    ISBN (epub): 978-3-03896-190-1

    Alle Rechte, einschließlich dem des vollständigen oder auszugsweisen Nachdrucks in jeglicher Form, sind vorbehalten.

    Dies ist eine fiktive Geschichte. Ähnlichkeiten mit lebenden oder verstorbenen Personen sind rein zufällig und nicht beabsichtigt.

    Dieses Buch ist allen Livie-Fans gewidmet.

    Livie und ich danken euch für eure Treue und Begeisterung,

    die uns zu immer neuen Geschichten anspornt.

    Prolog

    Ein Nachmittag in England vor mehr als eintausend Jahren

    »Hier ist er«, verkündete Helena Harrowmore ihrem Gatten und stellte das mit Leckereien gefüllte Körbchen am Fuß der prächtigen Eiche ab. »Dies ist der perfekte Platz für den heutigen Tag, den wir beide ganz allein feiern werden.«

    Badria, der weise Druide, schenkte seiner jungen Ehefrau keine Aufmerksamkeit. Sein Blick ruhte auf den armseligen Überresten einer Holzhütte, die einmal sein Zuhause gewesen war. Er hatte sie vor langer Zeit in Sichtweite der stolzen Eiche erbaut, einem erhabenen, einsam zwischen Feldern stehenden Baum. Jetzt lagen die zerschlagenen Bohlen seiner ehemaligen Zuflucht im Laub des letzten Herbstes und dienten Pilzen und Schwämmen als Heimat. Ein Unwetter musste seine ehemalige Zuflucht in ihre Bestandteile zerlegt haben. Sein Glück, dass er zu diesem Zeitpunkt schon Helenas Mann und der Herr von Schloss Harrowmore gewesen war.

    »Badria!«

    Jetzt drang ihre leicht entrüstet klingende Stimme zu ihm durch. Mit einem schuldbewussten Lächeln wandte er sich ihr zu und bemerkte ihren mitgebrachten Korb unter der Eiche.

    »Ich bin mir nicht sicher, ob dies hier ein guter Ort für ein gemeinsames Mahl im Freien ist«, widersprach er seiner schönen Frau. »Es ist ein mächtiger Ort. Er war es schon, bevor ich zum ersten Mal hierherkam. Ich kann seine Macht spüren, wann immer ich mich hier aufhalte. Diese Eiche steht im Zentrum meines Lebens. Meines Schicksals.«

    »Wunderbar!« Helena lachte glockenhell auf und entnahm dem Korb ein grobes Tuch, das sie nahe der Eiche auf den Erdboden legte. »Es ist bestimmt diese Macht, die dich den bösen Dämon Ghorm vertreiben ließ und mir das Leben rettete. Wir Harrowmores schulden dieser Eiche somit eine ganze Menge.« Sie deutete auf ein nahes Feld, auf dem der Wind durch den Hafer strich. Es würde eine gute Ernte geben. »All das darf ich noch sehen und erleben, weil es dich und deine Magie gegeben hat. Ohne dich hätte der Dämon mir das Leben genommen.«

    »Und deswegen sitzen wir nun also an unserem ersten Hochzeitstag mit unserem Essen unter freiem Himmel und schauen dem Hafer beim Wachsen zu?« Um Badrias Mundwinkel zuckte es belustigt. »Ich verstehe die Zusammenhänge nicht, fürchte ich.«

    »Warte es ab!«, rief sie und wirbelte in wildem Tanz um den Stamm der Eiche herum. »Ich habe mir nämlich etwas überlegt. Etwas Großartiges, wie ich finde. Du wirst staunen.«

    Badria war sich ziemlich sicher, dass er das würde. Helena hatte sich bisher als wahre Meisterin darin erwiesen, ihn zum Staunen zu bringen. Dabei war er der deutlich Ältere in ihrer Beziehung und dazu noch ausgestattet mit dem reichen Wissensschatz der Druiden.

    Auch ohne den Besitz der Harrowmores war er auf seine Weise schon ein reicher Mann gewesen. Helenas Liebe hatte der Weisheit nun noch Ländereien und ein Schloss hinzugefügt. Es gab eigentlich nichts mehr, das Badria sich noch für sich wünschte. Außer vielleicht, seine junge Frau so lange wie möglich glücklich und gesund zu sehen. Und das war sie wohl, wie sie noch immer um die Eiche herumtanzte, eine ihm fremde Melodie sang und das trockene Laub zu ihren Füßen rascheln ließ.

    »Auch ich habe nicht vergessen, was für ein Tag heute ist«, flüsterte er und öffnete den ledernen Beutel, den er stets an seinem Gürtel trug. »Nicht nur der Tag, an dem ich dich vor einem Jahr ehelichte, sondern auch der Jahrestag unseres Sieges über Ghorm. Deswegen habe ich ein Geschenk für dich.«

    »Ein Geschenk?« Helena hielt in der Bewegung inne. Ihre kindliche Freude erreichte eine neue Dimension. Sie rannte auf ihn zu und schlang die Arme um ihn. Ihr honigfarbenes Haar kitzelte ihn am Hals. »Du musst mir doch gar nichts mehr schenken. Du bist der Grund dafür, dass ich dem Dämon entkam und noch am Leben bin. Ich bin wieder jung, mein Haar ist nicht mehr grauer als deines, ich bin am Leben! Es gibt kein größeres Geschenk.«

    »Aber vielleicht ein schöneres«, murmelte Badria, schob sie ein Stück von sich und reichte ihr das rosige Kleinod, das an einer schlichten Kette hing. »Es ist aus Rosenquarz. Nicht besonders edel, aber schön. Gefällt es dir?«

    Mit einem Gefühl der Befriedigung beobachtete er, wie Helena über den glatt geschliffenen Stein strich, der die Form eines Herzens hatte.

    »Es ist wunderschön.« Ihre Stimme war kaum mehr als ein Hauch. »Ich werde es jeden Tag tragen und überhaupt nie mehr abnehmen.« Sie hielt die Kette in die Höhe und betrachtete andächtig, wie die Sonnenstrahlen das rosige Herz schimmern ließen. »Dagegen ist meine Überraschung eher eine Kleinigkeit und zudem ziemlich eigennützig. Irgendwie typisch für mich.« Sie runzelte die hohe Stirn, den Blick noch immer auf das steinerne Herz geheftet.

    Badria lachte und ließ sich auf dem groben Stoff nahe dem Baumstamm nieder. Aus dem Korb stieg ihm der verführerische Geruch von Gebratenem in die Nase und erinnerte ihn daran, dass er hungrig war. »Was ist es denn, womit du mich überraschen willst? Obwohl ich mit diesem Festmahl eigentlich schon recht zufrieden bin.«

    »Ach, nur so ein Ritual«, rief Helena und streifte die Kette über ihren Kopf. »Ich habe es in einer deiner Schriften gefunden.«

    Badria, der gerade in den Korb hatte greifen wollen, erstarrte in der Bewegung. »Das ist kein Scherz, Helena. Rituale können gefährlich sein. Sie können Dämonen wie diesen Ghorm herbeirufen.«

    »Und auch wieder vertreiben.« Helena grinste und lehnte sich an den Stamm der Eiche. »Es ist natürlich ein gutes Ritual. So eine Art ewiger Schutzzauber für uns und all unsere Nachkommen.«

    »Helena.« Seine Stimme bekam einen warnenden Unterton.

    »Ich habe das Pergament komplett gelesen und es ist uns erlaubt, es anzuwenden«, rief seine junge Frau eifrig. »Denn du bist ein Druide und die Familie der Harrowmores besteht schon sehr lange. Wir haben ein Anrecht auf diesen Schutzgeist.«

    »Von was für einem Schutzgeist sprichst du?«

    Badrias Beunruhigung wurde langsam zu einer Vorahnung. Doch statt einer Antwort schloss Helena die Augen und begann damit, seltsame Worte zu murmeln, die keinen Sinn zu ergeben schienen. Ihr schlanker Körper löste sich vom Stamm des Baumes und wiegte sich wie ein Schilfrohr hin und her. Wind kam auf, spielte mit ihren Haarflechten und ihrem langen hellen Gewand.

    Badria, der wusste, dass man ein einmal begonnenes Ritual besser nicht unterbrach, solange man nicht wusste, um was für eine Art Zauber es sich handelte, hielt den Atem an. Seine Gedanken kehrten zu den Pergamenten in seiner Schreibstube auf Schloss Harrowmore zurück. Was in aller Welt mochte Helena gelesen haben? Was hatte ihre Aufmerksamkeit erregt?

    Wieder begann seine Ehefrau damit, die Eiche zu umrunden. Doch dieses Mal nicht tanzend und springend, sondern gemessenen Schrittes. Der Klang ihrer Worte wurde lauter, ihre Schritte schneller und der Wind, der immer mehr auffrischte, fuhr in die Krone der Eiche und schüttelte ihre Zweige.

    Und mit einem Mal wusste Badria, was seine junge Frau da tat, und Erleichterung flutete seinen angespannten Körper.

    Als Helena einige Minuten später das Ritual beendete, die Augen öffnete und lächelnd unter der bebenden Eiche stand, die noch immer von einem seltsamen Wind geschüttelt wurde, lächelte auch er.

    »Eine Banshee? Du schenkst mir eine Banshee? Mir und allen Harrowmores, die noch kommen werden?«

    »Nicht ganz uneigennützig, ich weiß.« Sie schlug die Augen nieder. »Aber ein Schutzgeist wird unsere Nachkommen noch vor Dämonen schützen, wenn wir beide schon längst zu Staub zerfallen sind.«

    »Wir werden ihr ein Zuhause geben müssen«, stellte Badria fest und bemerkte im selben Moment eine Frauenstimme, die aus der Richtung des Haferfeldes an sein Ohr drang und jemanden zu rufen schien.

    »Auf Schloss Harrowmore ist Platz genug.« Helena schien unbeeindruckt. »Sie kann eine der vielen Dachkammern haben, wenn sie will. Dort oben stört sie uns nicht in unserem Alltag und kann doch ein wachsames Auge auf alles haben, was sich im Schloss und auf den Ländereien tut.«

    Badria nickte zustimmend. Die Frauenstimme klang jetzt näher und rief noch immer einen Namen, wie es ihm schien. Doch ganz sicher war er sich nicht, denn die Äste der Eiche tanzten fortwährend einen wilden Tanz. Der Zauber wirkte in ihr und würde es von jetzt an für alle Zeit tun. Das Schicksal des Baumes war nun auf ewig mit dem der Harrowmores verbunden. Die Eiche war zum Ort eines mächtigen Rituals geworden.

    In diesem Moment knackte es im Geäst und ein spitzer Schrei folgte. Gleich darauf fiel ein kleiner Körper aus der Krone des Baumes und schlug neben seiner Frau auf dem Erdboden auf. Helena sprang erschrocken zur Seite und schlug sich die Hände vor den Mund, um den Schrei zu unterdrücken, der ihr über die Lippen kam.

    Badria wagte kaum, zu atmen. Und lauter als zuvor hörte er jetzt das Rufen einer Frau irgendwo hinter dem Hafer.

    »Gilda! Gilda! Na warte, mein Liebes, wenn du heimkommst, setzt es was!«

    Die Äste der Eiche hörten auf, zu tanzen, und eine seltsame Ruhe breitete sich über den Sommertag aus. Badria ahnte, dass Gilda nie mehr heimkommen und diese arme Frau ein Leben lang vergeblich nach ihr rufen würde. Denn wenn er die Dinge richtig beobachtet hatte, hatte sich das Mädchen bei seinem Sturz aus luftiger Höhe soeben das Genick gebrochen.

    Helena war derweil aus ihrer Starre erwacht und ging neben dem Kind, das kaum älter als zehn Jahre sein konnte, in die Knie. »Sie muss sich im Baum versteckt haben. Vermutlich wollte sie sich vor der häuslichen Arbeit drücken. Und dann kamen wir und sie traute sich nicht mehr herab.«

    »Vor der Arbeit versteckt, das halte ich für eine glaubwürdige Theorie«, stimmte Badria im Näherkommen zu. Die Kleidung des Mädchens ließ auf ein einfaches Bauernmädchen schließen. Ihre kleinen Hände waren voller Schwielen. Er ging ebenfalls neben dem leblosen Körper in die Hocke. »Es scheint so, als ob das Schicksal uns eine noch recht junge, unfertige und vermutlich faule Banshee zugedacht hat.«

    Helena hob den Kopf und sah ihn an. In ihren Augenwinkeln glitzerten Tränen. »Du glaubst, dass ich das getan habe? Dass mein Ritual dieses Kind getötet hat?«

    »Es hat sie zu etwas anderem gemacht«, flüsterte Badria sanft. »Das Schicksal hat entschieden, nicht du. Du konntest nicht wissen, auf wen die Wahl fällt. Hast du nicht behauptet, das Ritual zuvor bis zum Ende gelesen zu haben? War dir denn nicht klar, dass ein Mensch sterben muss, um zur Banshee zu werden?«

    »Nein!«, schrie sie entsetzt und griff nach den Schultern des Kindes, um es zu schütteln. »Das habe ich nicht gewollt, ich wusste das nicht, ich …«

    »Deswegen sollte man das Zaubern besser den Zauberern und ihresgleichen überlassen«, sagte Badria ohne jeden Vorwurf in der Stimme. »Doch für einen solchen Ratschlag ist es nun zu spät und wir sind für dieses Mädchen verantwortlich und es für uns.« Er erhob sich, nahm die Decke vom Boden auf und breitete sie über den Körper der Kleinen, wobei er ihr Gesicht aussparte. »Es kann eine Weile dauern, bis sie aufwacht. Ich werde bei ihr bleiben, damit sie sich nicht fürchtet, wenn ihre neue Existenz beginnt.«

    »Ich werde auch bleiben.« Helena klang verschnupft. »Ich habe ihr das angetan und ich werde ihr nicht von der Seite weichen, bis sie mir verziehen hat. Wenn sie das denn jemals kann. Ich habe ihr das Leben genommen.« Sie zog die Kette mit dem Herz aus Rosenquarz von ihrem Hals und legte sie der Kleinen um. »Mein erstes Geschenk für dich«, flüsterte sie. »Das Herz der Banshee.«

    »Es kann Tage, ja sogar Wochen dauern, bis sie zu sich kommt. Und der beste Ort, um als Banshee zu erwachen, ist der, mit dem sie verbunden bleibt«, klärte Badria seine Frau auf, setzte sich und lehnte den Oberkörper an die Eiche. »Es ist nicht nötig, dass wir beide bei ihr wachen. Geh heim und halte dich warm. Du musst den Schrecken verarbeiten. Doch es wäre nett, wenn du mir das Nötigste zum Leben bringen würdest. Der Inhalt des Picknickkorbs wird nicht lange vorhalten.«

    »Ich gehe hier auch nicht weg. Hunger, Durst und Kälte sind mir egal, ich gehöre jetzt hierher. Soll jemand anders unser Essen heranschaffen.« Helena klang entschlossen. Dann legte sie sich auf die Erde in das trockene Laub, umfing den Körper des Kindes mit einem Arm und schloss die Augen.

    Auch Badria fielen bald die Lider zu. In der Ferne rief noch immer eine verzweifelte Mutter nach ihrem Kind, das nie mehr heimkehren würde.

    Gilda. Der Druide überlegte, wann und wo er diesen Namen schon einmal gehört hatte. Wenn die Familie hier in der Gegend lebte, musste ihm doch einfallen, von wem seine junge Banshee abstammte.

    Gilda. Badria durchstreifte seine Erinnerungen. In welches der nahen Bauernhäuser gehörte eine Gilda?

    Plötzlich fuhr er hoch und die Erkenntnis ließ sein Herz schneller schlagen. Erschrocken starrte er auf den leblosen Körper, der sich unter der Decke abzeichnete. »Sie ist kein Bauernmädchen«, flüsterte er.

    Prompt öffnete Helena die Augen. »Was meinst du?«

    »Kein Bauernmädchen«, wiederholte Badria und fröstelte. »Sie ist die einzige Tochter der irren Silvana.«

    »Der Hexe, die in diesem kleinen Dorf lebt, das jenseits des Feldes liegt? Ich glaube, die Bewohner nennen den Ort Mag Mellis.« Jetzt sah auch Helena erschrocken aus. »Badria! Wenn ihre Mutter eine verrückte Hexe ist, was bedeutet das für uns?«

    »Noch nichts«, beteuerte der Druide. »Aber es wäre wohl besser, wenn Silvana nicht so bald erfährt, was aus ihrer Tochter geworden ist. Wir sollten diesen Moment so lange es möglich ist hinauszögern. Verwünschungen und Flüche sind nicht gerade das, was ich mir für die Nachkommen unserer Familie erhofft habe. Vielleicht kann die Zeit den Zorn der Hexe etwas mildern.«

    Helena, die ihn mit großen Augen angestarrt hatte, sah hinab auf den friedlich daliegenden Kinderkörper, an dessen Hals das rosige Herz schimmerte. »Was habe ich uns bloß angetan? Was?«

    Kapitel 1

    London, Ende November 2019

    »Livie, weißt du zufällig, wo ich einen Band über Heraldik finden kann?«, hörte ich eine vertraute Stimme sagen.

    Olivia Eleanor Emerson heiße ich. Ich bin neunzehn Jahre alt und lebe in London. Bis vor Kurzem habe ich in einer Futtermittelfabrik weit entfernt vom Stadtzentrum gearbeitet, doch jetzt habe ich einen Job in einer Bibliothek. Diese Arbeit liegt mir viel mehr. Ich liebe Bücher, alte wie neue, mag den Geruch und das Licht an diesem Ort.

    An manchen Tagen fühlt sich alles so vertraut an, als hätte ich schon einmal zwischen langen Regalreihen voller Bücher gearbeitet. Meine Chefin, Mrs Harper, ist zwar manchmal ein richtiger Drache, aber eigentlich denke ich, dass alle Bibliotheksleiter ein bisschen was von einem Drachen an sich haben.

    Nicht, dass ich an Drachen glauben würde, ich bin ja nicht wie meine Tante Ethel. Die hat mich nämlich aufgezogen, nachdem meine Mutter bei einem Tauchunfall ums Leben kam. Damals war ich erst zwölf und zog mit all meinem Hab und Gut bei meiner Tante ein, die nicht nur an Drachen, sondern an nahezu alles glaubt, was noch nie ein Mensch gesehen hat. Jedenfalls niemand, den ich kenne.

    Nach dem Tod meiner Mutter war Tante Ethel das Beste, was mir passieren konnte, trotz ihrer verqueren Weltanschauung.

    In der Bibliothek war an diesem Novembernachmittag nicht viel los. Millicent Harrowmore, die blassnasige Studentin mit den feuerroten Locken, mit der ich mich vor einer Weile angefreundet hatte, stand noch immer neben mir und sah mich fragend an. Sie erwartete geduldig meine Antwort auf ihre Frage über die Nachschlagewerke. Ich beneidete sie um diese wundervollen Locken. Meine Haare hingen immer wie gebügelt um mein rundes Gesicht.

    Ich stellte das letzte Buch zurück ins Regal und wandte mich ihr zu. »Wirklich? Heraldik? Was studierst du denn diese Woche, Millie?«

    Sie schob beleidigt die Unterlippe vor, obwohl diese ihr Gesicht neben der langen Nase sowieso schon dominierte. »Es fällt mir eben schwer, mich festzulegen. Ich muss mich erst finden. Bedenke, dass ich ursprünglich überhaupt nicht mit dem Ziel eines Abschlusses studieren wollte. Ich bin nicht die hellste Kerze auf der Torte und es ist mir sehr wohl bewusst. Ich war nur auf der Suche nach einem klugen Mann, der es mit mir aushalten kann und der ein paar clevere Gene in den Genpool meiner Familie einfließen lässt. Aber jetzt, da die Ärzte meinen, dass es hoffnungslos ist …«

    Ich seufzte mitfühlend. Millicent Harrowmore war ein ganz armer Tropf. Auf ihr ruhten alle Hoffnungen ihrer blaublütigen Familie, das Geschlecht zu erhalten. Jetzt, da ihr Bruder Cameron, für alle völlig unfassbar, seinen Glauben entdeckt hatte und in ein Kloster eintreten wollte, war es quasi ihre Pflicht, sich fortzupflanzen und damit den Fortbestand der Harrowmores auf Schloss Harrowmore nahe der schottischen Grenze zu sichern.

    So war sie mit dem festen Vorsatz, sich zu verheiraten, nach London gekommen und hatte geglaubt, dass eine Universität ein guter Ort sei, um die Liebe ihres Lebens zu finden. Doch dann hatte ihr genau dieses Leben einen Strich durch die Rechnung gemacht. Der ärztliche Befund, der besagte, dass sie vermutlich niemals Kinder bekommen konnte, hatte Millies Pläne zunichtegemacht. Die Chance, Mutter zu werden, war für sie verschwindend gering. Und ohne die Aussicht auf Kinder war auch ihr Interesse an potenziellen Ehemännern gesunken.

    Ein Umstand, den ich nicht ganz nachvollziehen konnte. Meiner Meinung nach sollten Menschen in erster Linie aus Liebe heiraten und nicht, um ihre Blutlinie aufrechtzuerhalten. Aber was wusste ich schon von solchen Dingen?

    An dem Tag, als ihr Gynäkologe ihr die bevorstehende Kinderlosigkeit prophezeit hatte, war Millicent zum ersten Mal in meine Bibliothek gekommen, um sich im Schutz der hohen Regale erst einmal so richtig auszuheulen. Dort hatte ich sie gefunden. Ich half ihr mit Taschentüchern aus und ließ dieses fremde Mädchen einfach in meinen Armen weinen, bis keine Tränen mehr übrig waren. Dann war sie von mir ins nächstbeste Café geschleppt worden. Und ein paar Tassen Tee später waren wir bereits gute Freundinnen gewesen.

    Inzwischen kam sie regelmäßig und betrieb ihre Studien mit einer gewissen Ernsthaftigkeit. Wenn sie keine Familie gründen konnte, wollte sie zumindest das Beste aus ihrem Leben machen und ihren Kopf mit ein wenig Wissen füllen. Nur für eine Fachrichtung hatte sie sich bisher nicht so richtig entscheiden können.

    Jetzt beugte sie sich mit Verschwörermiene zu mir und flüsterte: »Weißt du was? Vergiss die Heraldik. Ist dir dieser wahnsinnig gut aussehende Typ schon aufgefallen, der immer bei Anbruch der Dämmerung unter dem Fenster bei den medizinischen Ratgebern steht? Ist er nicht zum Sterben schön? Der könnte mir gefallen, obwohl ich ja jetzt beschlossen habe, ernsthaft zu studieren und mich weniger um Männer zu kümmern. Ich wüsste zu gern mehr über ihn.«

    Ich starrte sie fassungslos an und schüttelte mich in einem Anflug von Abscheu. Mir war der bleiche Mann mit den schwarzen Locken, der wie aus dem Nichts auftauchte, sobald draußen vor den Fenstern die Novembersonne versank, sehr wohl aufgefallen. Und ich mochte ihn nicht. In seiner Gegenwart schien die Luft sich abzukühlen, liefen die Leser der Bibliothek plötzlich mit hochgezogenen Schultern durch die Gänge. Der Mann jagte mir Schauer über den Rücken. Nicht nur Kälteschauer, wohlgemerkt. Nie hätte ich mich für einen so finster aussehenden Typen begeistern können und es war nur schwer zu glauben, dass meine Freundin es konnte.

    »Ich habe ihn vorhin angesprochen.« Millie kicherte. »Er sagt, er heißt Cube. Komischer Name, oder?«

    »Ein komischer Name für einen komischen Kerl«, bestätigte ich. »Millie, der ist ganz sicher nicht die Art von Mann, den deine Familie gern neben dir vor dem Traualtar sehen will. Du solltest vielleicht nicht jeden erstbesten …«

    Dies war der Moment, in dem sie mich rüde unterbrach.

    »Warum nicht?«, rief sie eine Spur zu laut für eine Bibliothek. »Dass ich keine Kinder bekommen kann, heißt ja wohl nicht, dass ich keinen Sex mehr haben darf! Und jetzt ist doch genau genommen völlig egal, wen ich in mein Bett zerre, oder? Seine Intelligenz kann nicht Einzug in unsere Familie halten und seine Erbkrankheiten auch nicht. Es ist völlig bedeutungslos, mit wem ich …«

    Irgendwo hüstelte jemand verlegen, aber dennoch deutlich hörbar. Doch Millie war noch nicht fertig.

    »Ich kann jetzt einfach jeden haben, verstehst du? Ich muss nicht mehr darauf achten, den Richtigen nach Hause zu schleppen, den Mann, der genug Geld hat, um das Familienschloss zu erhalten, und der klug und gesund ist. Jetzt geht ja sowieso alles zum Teufel. Von Rechts wegen würde Schloss Harrowmore nun an einen anderen Zweig unserer Familie fallen, aber weißt du was? Da gibt es kaum noch jemanden! Und schon gar niemanden mit Kindern. Wir Harrowmores sterben aus, ob wir wollen oder nicht. Fast könnte man meinen, irgendjemand hätte uns verflucht.«

    Das Hüsteln, das ihren Monolog nicht hatte unterbrechen können, klang jetzt deutlich näher und bekam Ähnlichkeit mit dem Fauchen eines Drachen.

    »Meine Chefin, Mrs Harper, ist auf dem Kriegspfad«, zischte ich. »Wir sprechen später weiter. Ich bin offiziell zum Arbeiten hier, Millie. Wenn der alte Drachen mich beim Tratschen erwischt, kann ich meinen Job verlieren. Vielleicht aber wird sie mich vorher mit ihrem feurigen Atem rösten.«

    Manchmal wusste ich selbst nicht, warum ich so eigenartige Sachen sagte. Tante Ethel begann wohl doch, auf mich abzufärben.

    »Olivia Emerson?« Die Stimme von Mrs Harper mit ihrem durchdringenden Tonfall ertönte in meinem Rücken. »Würden Sie diesem Herrn hier bitte behilflich sein? Er sucht … Zeugs.«

    Neugierig wandte ich mich um. Noch nie zuvor hatte Mrs Harper geschriebene Wörter als ›Zeugs‹ bezeichnet, ganz egal, wie trivial sie waren. Was suchte der Herr bloß, dass die pure Verachtung aus der Bibliothekarin sprach? Wo war der Herr überhaupt?

    Mrs Harper, eine gewaltige Frau, die sich gern in wallende Seidengewänder von roter und grauer Farbe hüllte, mit einem untertänigen Lächeln bedenkend, suchte ich nach dem Kunden, konnte ihn aber nicht entdecken, sosehr ich mich auch streckte und meinen Hals in

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