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Banshee Livie (Band 8): Spionage für Spezialisten
Banshee Livie (Band 8): Spionage für Spezialisten
Banshee Livie (Band 8): Spionage für Spezialisten
eBook337 Seiten

Banshee Livie (Band 8): Spionage für Spezialisten

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Über dieses E-Book

Zunächst ist Livie vor Freude ganz aus dem Häuschen, als ihr Weg sie überraschend in das Paris der Fünfzigerjahre führt. Doch während sie Personen nachspürt, die entweder nie existiert haben oder in der Zeit verloren gegangen sind, begegnen ihr eine Reihe geheimnisvoller Gestalten. Und diese sind alles andere als ungefährlich. Laufen auch Livie und ihre Freunde Gefahr, für immer verloren zu gehen?
SpracheDeutsch
Erscheinungsdatum16. Dez. 2022
ISBN9783038962571
Banshee Livie (Band 8): Spionage für Spezialisten

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    Buchvorschau

    Banshee Livie (Band 8) - Miriam Rademacher

    Inhaltsverzeichnis

    Titel

    Informationen zum Buch

    Impressum

    Widmung

    Prolog

    Kapitel 1

    Kapitel 2

    Kapitel 3

    Kapitel 4

    Kapitel 5

    Kapitel 6

    Kapitel 7

    Kapitel 8

    Kapitel 9

    Kapitel 10

    Kapitel 11

    Kapitel 12

    Kapitel 13

    Kapitel 14

    Kapitel 15

    Kapitel 16

    Kapitel 17

    Kapitel 18

    Kapitel 19

    Kapitel 20

    Kapitel 21

    Kapitel 22

    Kapitel 23

    Kapitel 24

    Kapitel 25

    Epilog

    Dank

    Miriam Rademacher

    Banshee Livie

    Band 8: Spionage für Spezialisten

    Fantasy

    Banshee Livie (Band 8): Spionage für Spezialisten

    Zunächst ist Livie vor Freude ganz aus dem Häuschen, als ihr Weg sie überraschend in das Paris der Fünfzigerjahre führt. Doch während sie Personen nachspürt, die entweder nie existiert haben oder in der Zeit verloren gegangen sind, begegnen ihr eine Reihe geheimnisvoller Gestalten. Und diese sind alles andere als ungefährlich. Laufen auch Livie und ihre Freunde Gefahr, für immer verloren zu gehen?

    Die Autorin

    Miriam Rademacher, Jahrgang 1973, wuchs auf einem kleinen Barockschloss im Emsland auf und begann früh mit dem Schreiben. Heute lebt sie mit ihrer Familie in Osnabrück, wo sie an ihren Büchern arbeitet und Tanz unterrichtet. Sie mag Regen, wenn es nach Herbst riecht, es früh dunkel wird und die Printen beim Lesen wieder schmecken. In den letzten Jahren hat sie zahlreiche Kurzgeschichten, Fantasyromane, Krimis, Jugendbücher und ein Bilderbuch für Kinder veröffentlicht.

    www.sternensand-verlag.ch

    info@sternensand-verlag.ch

    1. Auflage, Dezember 2022

    © Sternensand Verlag GmbH, Zürich 2022

    Umschlaggestaltung: Juliane Schneeweiss

    Lektorat: Sternensand Verlag GmbH | Natalie Röllig

    Korrektorat: Sternensand Verlag GmbH

    Satz: Sternensand Verlag GmbH

    ISBN (Taschenbuch): 978-3-03896-256-4

    ISBN (epub): 978-3-03896-257-1

    Alle Rechte, einschließlich dem des vollständigen oder auszugsweisen Nachdrucks in jeglicher Form, sind vorbehalten.

    Dies ist eine fiktive Geschichte. Ähnlichkeiten mit lebenden oder verstorbenen Personen sind rein zufällig und nicht beabsichtigt.

    Gewidmet meinen eigenen kleinen Dämonen,

    die mich täglich vorwärtstreiben.

    Ihr macht einen guten Job.

    Prolog

    London 1941

    Morrigan Bailey blickte sich gelangweilt an ihrem Arbeitsplatz, dem kleinen Café in Soho, um, während sie die frisch gespülten Gläser polierte. Es bot sich ihr der vertraute Anblick ernst dreinblickender Menschen, deren Kleidung verriet, wie wenig Geld die Träger eigentlich für Tee und Kekse erübrigen konnten, von einem Stück Kuchen ganz zu schweigen. Doch auf das regelmäßige Erscheinen ihrer Stammkunden war Verlass, denn im ›King’s Corner‹ gab es neben heißem Wasser, durch welches nur flüchtig ein paar Teeblätter gezogen worden waren, auch immer die aktuellen Nachrichten vom Kriegsgeschehen.

    Tag für Tag gruppierten sich um die runden Tische Flüchtlinge vom Kontinent, ließen die zerfledderte Tageszeitung kreisen und unterhielten sich im Flüsterton über die Neuigkeiten. Nicht alle von ihnen sprachen Englisch. Die meisten Besucher des ›King’s Corner‹ stammten aus Polen, Österreich oder Deutschland und hatten ihre Heimat Hals über Kopf verlassen, als die Nazis ihnen und ihrer Lebensweise zu nahe gekommen waren. Hier vereinten heiße Getränke sowie die Sehnsucht nach Gesellschaft und Information viele Einzelschicksale. Manchmal wurde an den Tischen aufgeregt erzählt, geweint oder auch nur gemeinsam geschwiegen. Je nachdem, welche Nachrichten aus der Heimat die Vertriebenen gerade erreicht hatten.

    Morrigan selbst war gerade fünfzehn Jahre alt geworden und wusste nicht viel über Nazis, außer dass sie bösartig oder sehr dumm sein mussten und die ganze Welt, zumindest die ihr bekannte, diese Leute hasste. Sie war ein hoch aufgeschossenes, eher dürres Mädchen mit dunklem Haar und hätte zu dieser Tageszeit eigentlich in der Schule sein sollen. Doch anlässlich des Krieges, der Lungenkrankheit ihrer Mutter und des weniger werdenden Geldes der Baileys hatte Morrigan das Lernen aufgegeben und arbeitete nun als schlecht bezahlte Hilfskraft im ›King’s Corner‹.

    Auf diese Weise trug sie ihren Teil zum Lebensunterhalt der Familie bei, was sie durchaus mit Stolz erfüllte. Lernen konnte sie später immer noch, denn der Krieg würde ja nicht ewig dauern.

    In ihren ersten Tagen hinter dem Tresen des ›King’s Corner‹ war ihr der Job aufregend und abwechslungsreich erschienen, einfach weil die Umgebung und die anfallenden Aufgaben neu für sie gewesen waren. Sie hatte viele Menschen kennengelernt, von denen die meisten sehr nett und höflich ihr gegenüber waren und ihr das Gefühl gaben, erwachsen zu sein.

    Doch mittlerweile vermisste sie ihre Klassenkameraden. Sowohl jene, die nach wie vor die Schulbank drückten und sich auf diesem Weg bessere Zukunftschancen sichern konnten als sie selbst, als auch die Kinder, welche London aus Sicherheitsgründen verlassen hatten und auf dem Land das Ende des Krieges erwarteten.

    Das Leben in der großen Stadt war dank der sich häufenden deutschen Luftangriffe für jeden ein unkalkulierbares Risiko geworden, warf Lebenspläne über den Haufen und veränderte die Menschen. Es ließ sie ängstlich, ratlos und oft auch wütend zurück, angesichts der Zerstörung, die sich überall zeigte.

    Morrigans Mutter trauerte allerdings vornehmlich um ihre Johannisbeersträucher im Garten, die einem hässlichen Bunker aus Blech hatten weichen müssen.

    Gerade als Morrigan dem aus Wien stammenden ehemaligen Pianisten jüdischer Abstammung den zweiten Kaffee des Vormittags einschenkte, öffnete sich die Tür, und ein schmächtiger Junge trat ein. Der Bursche war ein wenig kleiner als sie selbst und besaß dasselbe dunkle Haar, das er mit viel Wasser gescheitelt hatte. Doch mindestens zwei Wirbel auf seinem Hinterkopf hatten seine Bemühungen bereits wieder zunichtegemacht.

    Ein zufälliger Betrachter konnte auf den Gedanken kommen, ein Geschwisterpaar vor sich zu haben, doch was sie tatsächlich miteinander verband, war eine tiefe und lange Freundschaft. Und das wog, wie Morrigan fand, in diesem Fall mehr als Familienbande.

    Ihre Laune stieg spürbar, während er ohne Umschweife auf sie zugelaufen kam und vor dem Tresen innehielt.

    Im täglichen Einerlei ihrer Arbeit waren Tibby Turners Besuche für sie eine willkommene Abwechslung. Er war immer gut gelaunt und wusste die unglaublichsten Geschichten zu erzählen, auch wenn nicht alles, was er von sich gab, der Wahrheit entsprach. Morrigan war nicht entgangen, dass Tibby sich gelegentlich Menschen und sogar seltsame Tiere ausdachte, die in Wahrheit nicht da waren, doch sie hörte ihm bei seinen Spinnereien gerne zu.

    Allerdings gab es da noch eine Kleinigkeit, die ihre Freundschaft gelegentlich auf die Probe stellte. Man musste ihn scharf im Auge behalten, denn Tibbys Finger schienen für einen ehrlichen Jungen ein wenig zu lang geraten zu sein. In jüngster Vergangenheit war bereits die eine oder andere Kleinigkeit von den Tischen des ›King’s Corner‹ verschwunden.

    Dabei handelte es sich für gewöhnlich um Gegenstände, die dem Café, manchmal aber auch den Gästen gehörten. Wenn Zuckerwürfel oder Servietten verschwanden, drückte Morrigan noch ein Auge zu. Doch bei Spitzentaschentüchern oder Füllfederhaltern hörte ihre Toleranz schlagartig auf. Dinge von wirklich großem Wert waren während Tibbys Anwesenheit glücklicherweise noch nie auf rätselhafte Weise verloren gegangen. Trotzdem blieb Morrigan wachsam, wann immer der Junge sich an einen der Tische zu den Gästen setzte und sich ins Gespräch einmischte.

    Heute aber galt sein Interesse ausschließlich ihr. Zudem musste es allem Anschein nach ein ganz besonderer Tag für ihren Freund sein, denn Tibby schwang sich freudestrahlend auf einen der Hocker ihr gegenüber und ließ ein paar Münzen auf den Tresen fallen. »Eine Tasse Tee mit viel Milch und eine Zigarette bitte«, bestellte er und grinste dabei über das ganze, nicht übermäßig saubere Gesicht.

    Sofort keimte in Morrigan Misstrauen auf. Sie betrachtete zunächst das Geld vor ihrer Nase und anschließend Tibby, den es vor Freude über seinen plötzlichen Reichtum kaum auf dem Sitz zu halten schien. Er wippte auf und ab wie ein Teufelchen, das man aus seiner Schachtel befreit hatte.

    »Woher hast du das?« Sie rührte die Münzen nicht an und brachte ihm auch nicht das Gewünschte. Stattdessen wartete sie auf eine wenigstens halbwegs glaubhafte Erklärung.

    »Du brauchst gar nicht so zu gucken, ich habe es ehrlich verdient.« Tibby strich sich die vorwitzigen Ponyfransen aus der Stirn und schaute selbstbewusst zurück. »Schon seit den frühen Morgenstunden bin ich auf den Beinen und erledige Botengänge für den Gemischtwarenladen von Arnie Potts. Ich bringe die Post weg und liefere Waren aus. Vor allem an gute Adressen, wo man noch Geld hat. Die Leute hinter diesen gelackten Türen merken, glaube ich, gar nicht, dass Krieg ist, so reich sind die. Morry, ich schätze, ich werde Kurier, und zwar jetzt gleich. Damit lässt sich einiges verdienen. Wenn ich nur ein Fahrrad hätte, wäre ich noch schneller in den Straßen unterwegs und könnte noch heute mein eigenes Unternehmen gründen.«

    »Nenn mich nicht Morry.« Ihre Augen waren schmal geworden. Sie hasste diese Verunstaltung ihres Namens, den sie wundervoll fand, weil er auf eine irische Sagengestalt zurückging. »Und du weißt ganz genau, dass ein eigener Kurierdienst meine Geschäftsidee ist. Wehe, du klaust sie mir und obendrein noch meine Kunden. Überleg dir gefälligst etwas anderes. Du wolltest doch gestern noch Abenteurer werden, was immer das überhaupt sein soll. Was ist daraus geworden?«

    »Boten erleben Abenteuer, glaub mir. Und in London ist genug Platz für zwei Kurierdienste. Wenn du willst, können wir aber auch Partner werden«, schlug Tibby vor. »Doch zuerst hätte ich gern meinen Tee. Und eine Zigarette.«

    »Der Herr wünscht eine Tasse Tee und einen Haferkeks? Kommt sofort«, erwiderte Morrigan schnippisch und warf das Spültuch auf die Arbeitsfläche.

    »Wer hat denn von Keksen gesprochen? Ich sagte, bring mir die Zigarette. Heute will ich feiern.« Als er ihren Blick bemerkte, ergänzte er: »Komm schon, Morry, ich bin alt genug dafür.«

    Sie tippte sich vielsagend an die Stirn und suchte für ihn einen der größten Haferkekse aus der Dose. Auch wenn Tibby ihr sein genaues Alter nicht verriet, so war sie davon überzeugt, die erwachsenere von ihnen beiden zu sein. Dem Bengel spross noch kein bisschen Bart auf der Oberlippe, und an anderen Stellen hatte er vermutlich auch noch keine Haare.

    In dem Moment, da sie den Tee für ihn einschenkte und ein wenig mehr Milch als üblich hineintropfen ließ, betrat ein auffallend gut gekleideter Fremder das ›King’s Corner‹. Morrigan erkannte in ihm augenblicklich einen vornehmen Gentleman, wie man sie nicht oft in dieser Gegend zu sehen bekam. Nicht nur, weil er einen Hut und einen Spazierstock bei sich trug, sondern vor allem, weil seine Schuhe glänzten wie die von ihr so mühsam polierten Gläser und darüber hinaus sehr teuer gewesen sein mussten.

    Während der Fremde mit ernster Miene schnurstracks auf sie zuhielt, fiel ihr auf, wie jung er noch war. Vermutlich gerade erst Anfang zwanzig. Ein Sohn aus gutem Hause, der das Geld für seine Kleidung nicht selbst verdient hatte. Der schmale Schnurrbart in seinem Gesicht wirkte deplatziert und sollte ihn vermutlich älter erscheinen lassen, als er in Wirklichkeit war.

    »Guten Morgen«, rief Morrigan ihm entgegen und strich sich hastig über das zu Zöpfen geflochtene Haar, um einen möglichst guten Eindruck auf ihn zu machen. »Möchten Sie etwas trinken?«

    »Nein, vielen Dank.« Sein Blick war freundlich, die Stimme auffallend leise. Dem Akzent nach stammte er nicht aus der Gegend, aber gewiss aus den von ihr schon vermuteten vornehmen Kreisen. »Ich habe unglücklicherweise den Weg verloren und frage mich, wie ich von hier aus zur nächsten U-Bahn-Station komme. Können Sie mir weiterhelfen?«

    Während Morrigan ihm bereitwillig Auskunft gab und eine exakte Wegbeschreibung zur nächsten Untergrundbahn lieferte, beobachtete sie aus den Augenwinkeln, wie Tibby sich auffällig unauffällig näher an den Fremden heranschob. Fast wäre er dabei von seinem Hocker gefallen.

    Schon aus Gewohnheit warf sie ihm einen strafenden Blick zu, doch Tibby ignorierte sie. Nur eine Minute später bedankte sich der Gentleman für ihre Hilfe, lupfte den Hut und bahnte sich seinen Weg durch die gut besetzten Tische des Cafés. Dann war er zur Tür hinaus und hinterließ bei Morrigan nichts als einen Tagtraum von Glück und Reichtum, der sie vermutlich bis weit nach Feierabend wehmütig stimmen würde.

    Warum war sie nicht in ein Umfeld hineingeboren worden, in dem schöne Schuhe, genug zu essen und die duftende Seife neben der Waschschüssel zum Alltag gehörten? Das Leben war einfach ungerecht.

    Ihr Blick war noch träumerisch in weite Ferne gerichtet, als Tibby plötzlich ausrief: »Echtes Schweinsleder und prall gefüllt. Das nenne ich Glück. Morry, willst du heute Abend mit mir ins Kino gehen?«

    Irritiert wandte sie sich dem Jungen zu und erstarrte, als sie die teuer wirkende Geldbörse in seinen Händen bemerkte. »Woher hast du die?«

    »Die?« Tibby tat unschuldig. »Stell dir vor, die habe ich gerade gefunden. Sie lag hier, gleich neben meinem Hocker auf dem Boden, und wartete darauf, von mir aufgehoben zu werden. Und was man findet, darf man auch behalten.«

    »Nein, das darf man nicht.« Sie schüttelte energisch den Kopf. »Schon gar nicht, wenn man es in der Manteltasche eines anderen gefunden hat. Erzähl mir nichts vom Fußboden, Tibby. Du hast gestohlen und du gibst dem Mann sein Eigentum sofort zurück. Lauf ihm nach. Er kann noch nicht weit sein.«

    »Morry, du hast doch gesehen, wie der aussah. Ein echter Herr, der sich nicht darum zu scheren braucht, wo seine nächste Mahlzeit herkommt. So einem nutzt das Geld viel weniger als uns zweien.« Treuherzig blickte er sie an und ergänzte: »Bitte, Morry. Lass uns die Geldbörse behalten.«

    Zorn stieg in ihr auf. Mit schnellen Schritten trat sie hinter dem Tresen hervor und versuchte, ihm das Corpus Delicti zu entreißen, hatte jedoch keinen Erfolg. »Du spinnst wohl. Augenblicklich gibst du den Geldbeutel zurück, Tibby Turner. Oder du fliegst aus dem Lokal und bekommst lebenslanges Hausverbot. Weißt du überhaupt, was dir blüht, wenn du erwischt wirst?«

    »Gar nichts. Ich bin viel zu jung für das Gefängnis.« Er feixte.

    »Aber alt genug für Zigaretten, was?« Morrigan griff erneut nach dem teuer wirkenden Portemonnaie und wollte es ihm entreißen.

    Doch Tibby umklammerte das Leder mit aller Kraft. Er war offensichtlich fest entschlossen, seine Beute zu verteidigen.

    Eine Weile rangen sie miteinander, dann hob Tibby den Blick und ließ seine Beute so unvermittelt los, dass Morrigan rückwärts taumelnd gegen jemanden stieß, der sich dicht hinter ihr befand.

    Sie fuhr herum und erstarrte, als sie sich erneut dem eleganten Fremden gegenübersah, der mit ernster Miene auf sie und die Geldbörse in ihren Händen herunterschaute. Auch die anderen Gäste im Lokal starrten sie an. Totenstille lag über dem ›King’s Corner‹.

    Was würden der Gentleman und ihre Stammkunden nun von ihr denken? Es lag Morrigan fern, Tibby zu verraten, aber die Suppe auslöffeln, die er ihnen eingebrockt hatte, würde sie ebenfalls nicht.

    Mit angehaltenem Atem hielt sie dem gut gekleideten Mann sein Eigentum entgegen. »Sie müssen das hier verloren haben, Sir.«

    »Verloren?«, wiederholte er, nahm ihr die Börse ab und schien auf eine weitere Erklärung zu warten.

    »Gleich hier neben dem Hocker hat der Geldbeutel gelegen, Sir«, rief Tibby aus und stellte sich nun so dicht neben sie, dass sie die Wärme seines nackten Armes an dem ihrigen spürte. »Ich habe ihn gefunden und aufgehoben. Leute wie Sie verlieren ja ständig irgendetwas. Ist es nicht so?«

    »Nein.« Er nahm die Geldbörse, öffnete sie und überprüfte den Inhalt. Dann schob er sein Eigentum zurück in die Manteltasche. »Wer ist der Besitzer dieses Etablissements? Ich möchte ihn gern sprechen.«

    Morrigan brach augenblicklich der Schweiß aus. Mehr als alles andere brauchte sie diesen Job. Und wer wegen Diebstahls gefeuert wurde, für den standen die Chancen schlecht, eine neue Anstellung zu finden. In Gedanken bei ihrer hustenden Mutter und den hungrigen Augen ihrer Geschwister verlegte sie sich aufs Betteln. »Bitte, Sir, sprechen Sie nicht mit dem Eigentümer. Es wird gewiss nicht wieder vorkommen. Können wir dieses Missgeschick nicht einfach vergessen?«

    »Vergessen?« Er schien eine Vorliebe für Wiederholungen zu haben. »Ein Lord Harrowmore vergisst niemals. Es sei denn, man nennt ihm einen verdammt guten Grund, warum er das tun sollte.«

    Morrigan nagte eine Weile an ihrer Unterlippe, bevor sie mit zittriger Stimme hervorstieß: »Meine Mutter ist krank, und mein Vater ist im Krieg. Wenn ich kein Geld heimbringe, werden meine kleinen Brüder hungern. Bitte, Sir. Ihr berechtigter Zorn trifft die Falschen. Wir sind aufrechte Bürger, die ihrem Land dienen, aber wir müssen auch essen.«

    Einen Moment herrschte Stille, und alle Aufmerksamkeit war auf das Geschehen vor dem Tresen gerichtet. Morrigan wurde sich ihrer schäbigen Kleidung, der Zöpfe, die sie wie ein Kind wirken lassen mussten, und ihrer hageren Gestalt bewusst. Sie fühlte sich erbärmlich, und all das verdankte sie Tibby.

    »Diese Rechtfertigung war schon sehr beeindruckend«, meinte der Gentleman. »Nur wollte ich die Erklärung gar nicht von dir hören, kleines Mädchen. Du hast schließlich hinter dem Tresen gestanden, als ich meine Geldbörse angeblich verlor. Der junge Mann an deiner Seite scheint mir die größere Verantwortung am Geschehen zu tragen. Also, Bursche: Hast du auch eine kranke Mutter und einen Vater im Krieg?«

    »Mit so viel Luxus kann ich nicht aufwarten«, erwiderte Tibby schnippisch und blickte auf seine Schuhspitzen hinab.

    Morrigan beeilte sich, zu ergänzen: »Tibby hat niemanden mehr, Sir. Als die ersten Bomben fielen, haben die Deutschen Tibbys Zuhause ausradiert. Seine Eltern waren noch drinnen. Tibby ist auf die Großzügigkeit anderer angewiesen. Und auf seiner Hände Arbeit.«

    Erneut trat eine Stille ein. Dann fragte der Lord: »Wie alt bist du, Tibby?«

    »Elf?« Tibby rieb sich den Nacken.

    »Ist das eine Antwort oder eine Frage?« Missbilligung schwang in der Stimme des Mannes mit. »Ich warne dich, Tibby. Als Dieb hast du dich heute schon hervorgetan, lass mich nicht glauben, du seist auch ein Lügner, denn dann wärst du es nicht wert, dass ich mich näher mit dir befasse.«

    »Wie wäre es mit dreizehn?«, schlug Tibby vor und kratzte sich verlegen am Kopf. Morrigan hätte ihm eine reinhauen mögen.

    Der Lord stieß einen Seufzer aus. »Ich mache dir einen Vorschlag, kleiner Mann: Auf meinem Schloss fehlt es derzeit an Arbeitskräften, weil so viele meiner Angestellten an der Front sind, um für unser Land zu kämpfen. Ich bin heute unter anderem nach London gekommen, um ein paar geschäftliche Angelegenheiten zu regeln. Doch wenn ich hier, in einem Café, rein zufällig auf meinen neuen Stallburschen stoßen würde, wäre mir das sehr recht.«

    Morrigan hielt den Atem an und beobachtete, wie Tibbys offensichtliche Ablehnung gegenüber dem Fremden großem Erstaunen wich, und fragte: »Wo ist denn Ihr Schloss, Sir?«

    »Ziemlich weit im Norden, hübsche Dame. Dort, wo hoffentlich keine Bomben fallen werden.« Sein Blick wanderte von ihr zurück zu Tibby. »Also, was sagst du? Hast du Interesse an einem sauberen Schlafplatz, regelmäßigen Mahlzeiten und bezahlter Arbeit? Denk darüber nach. Ich werde jetzt meinen Geschäften nachgehen und am späten Nachmittag noch einmal hierher zurückkehren. Bis dahin musst du dich entschieden haben. Ach, und wenn du dann wieder weißt, wie alt du bist, würde mich das sehr freuen.«

    Er schlenderte zur Tür hinaus, woraufhin das große Schweigen im ›King’s Corner‹ einem lauten Palaver wich. Mehrere Stammgäste erhoben sich von ihren Plätzen, um Tibby zu seiner Chance zu beglückwünschen, der, ähnlich wie Morrigan, wie betäubt dastand und sein Glück nicht fassen konnte.

    Nach und nach aber kehrte wieder Ruhe ein, und die Gespräche der Gäste drehten sich wie üblich um den Krieg und ihre eigenen Familien auf dem Festland. Morrigan widmete sich erneut dem Abspülen von Gläsern und Geschirr, während Tibby auf dem Hocker saß und seinen Tee kalt werden ließ.

    Ein wenig neidisch musterte sie ihren Freund. »Du hast unverschämtes Glück gehabt, das ist dir hoffentlich klar, oder? Anstatt einem Job an einem Ort, wo der Krieg vielleicht nie hinkommt, hättest du dir auch ein Verhör auf der Polizeiwache einhandeln können.«

    »Warum, meinst du, hat er das getan?« Tibby sah sie nachdenklich an. »Das ist doch nicht normal, einem kleinen Taschendieb einen Job anzubieten. Wer ist dieser Lord Harrowmore überhaupt? Kann ich ihm trauen? Was ist, wenn er kleine Kinder frisst?«

    »Ob du ihm trauen willst, musst du schon allein entscheiden.« Sie zuckte mit den Schultern. »Seltsam ist sein Verhalten allemal. Aber ich an deiner Stelle würde es riskieren. Falls es nicht klappt, kannst du ja immer noch davonlaufen. Nur bin ich nicht an deiner Stelle, ich muss hierbleiben und für meine Mutter und meine Geschwister sorgen.«

    »Ich frage mich, ob der einsame Mönch dort drüben mehr über diesen Lord weiß«, überlegte Tibby laut und schaute zur Tür. »Schließlich sind sie gemeinsam hereingekommen.«

    Irritiert sah Morrigan in die gleiche Richtung, verstand aber nicht, wovon Tibby überhaupt sprach. »Von was für einem Mönch redest du denn?«

    »Na, der Typ, der gleichzeitig mit diesem Lord Harrowmore hier aufgetaucht ist und jetzt immer noch dort herumsteht. Der, der die Kapuze seiner Kutte so tief über den Kopf gezogen trägt, dass man sein Gesicht nicht erkennen kann«, erwiderte Tibby ungeduldig und wies auf einen kahlen Fleck an der Wand neben dem Eingang. »Findest du nicht auch, dass ein blaues Licht von ihm auszugehen scheint?«

    Einen Moment lang starrte Morrigan in die von Tibby angegebene Richtung an die weiß getünchte Wand und sah absolut nichts von dem, was er ihr soeben geschildert hatte. Dort stand niemand, schon gar kein Mönch.

    Schließlich gab sie es auf. »Tibby, ich habe dir schon tausend Mal gesagt, es ist nicht gut, Dinge zu sehen, die für andere gar nicht da sind. Besser, du erzählst dem Lord nichts von diesem seltsamen Mönch, sonst hält er dich noch für verrückt und lässt dich doch in London zurück.«

    »Ja«, stimmte Tibby zu, blickte aber noch immer zum Eingang hinüber. »Bestimmt hast du recht. Der Kerl da bleibt besser mein Geheimnis. Ist ja nicht das erste dieser Art.«

    Kapitel 1

    Schloss Harrowmore, Januar 2020

    Im Südflügel von Schloss Harrowmore saß ich neben den Rädern eines Rollstuhls auf einem fleckigen Teppich und hing wie gebannt an Onkel Tibbys Lippen.

    Erst vor einigen Wochen war uns der Geist des lang verstorbenen Tiberius Harrowmore vom Höllenfürsten persönlich anvertraut worden, damit wir ihn hier beherbergten. Der regen Seele des alten Abenteurers war es gelungen, die Hölle selbst zur Verzweiflung zu treiben. Ich aber war froh, ihn bei uns, im Heim für herrenlose Geistwesen, zu wissen. Niemand kannte so viele wunderbare Geschichten wie Onkel Tibby, der im Jahre 2010 in hohem Alter verstorben war. Sein Körper mochte zu diesem Zeitpunkt an seine letzten Grenzen gestoßen sein, seine Seele und sein Verstand hingegen noch lange nicht.

    »Ich erinnere mich noch gut an diesen Besuch im ›King’s Corner‹«, ließ sich nun Walt, mein Vorgesetzter, Geliebter und Todesbote der Familie Harrowmore vernehmen. »Mitten im Krieg in London zu sein, war ein seltsames Gefühl für mich. Es waren unruhige und auch gefährliche Zeiten. Ich wünschte damals, der Lord wäre brav hier auf Harrowmore geblieben, er wollte allerdings unbedingt nach London, um geschäftliche Dinge zu regeln.«

    Walt saß, wie stets in eine rotbraune Kutte gehüllt, deren Kapuze seine Gesichtszüge verbarg, auf einem von Motten angefressenen Sofa. Er genoss, genau wie ich, unser gemütliches Plauderstündchen mit dem alten Mann. »Normalerweise begleite ich die Familienmitglieder ja nicht bei ihren Ausflügen. Doch an jenem Tag spürte ich deutlich, dass dem damaligen Lord Harrowmore ein einschneidendes, wenn auch nicht unbedingt tödliches, Erlebnis bevorstand, und so reiste ich aus Neugier mit ihm in die Hauptstadt. Der kleine Junge, dem es gelang, die Geldbörse des Lords zu entwenden, war mir vom ersten Moment an suspekt. Der Grund lag auf der Hand: Er war offensichtlich die einzige Person in diesem Café, die mich wahrnahm. Warum er über diese seltene Gabe verfügte, war und blieb mir all die Jahre über schleierhaft. Eine Laune der Natur, vermute ich mal.«

    Tibby lachte leise und streichelte sich die von Altersflecken übersäte Glatze.

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