Banshee Livie (Band 9): Lügen für Laien
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Rezensionen für Banshee Livie (Band 9)
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Buchvorschau
Banshee Livie (Band 9) - Miriam Rademacher
Inhaltsverzeichnis
Titel
Informationen zum Buch
Impressum
Widmung
Prolog
Kapitel 1
Kapitel 2
Kapitel 3
Kapitel 4
Kapitel 5
Kapitel 6
Kapitel 7
Kapitel 8
Kapitel 9
Kapitel 10
Kapitel 11
Kapitel 12
Kapitel 13
Kapitel 14
Kapitel 15
Kapitel 16
Kapitel 17
Kapitel 18
Kapitel 19
Kapitel 20
Kapitel 21
Kapitel 22
Kapitel 23
Kapitel 24
Kapitel 25
Kapitel 26
Epilog
Danksagung
Miriam Rademacher
Banshee Livie
Band 9: Lügen für Laien
Fantasy
Banshee Livie (Band 9): Lügen für Laien
Livie ist fest entschlossen, das Rätsel um den Tod ihrer Mutter zu lösen. Doch das erweist sich als schwieriger als gedacht, denn kaum jemand ist gewillt, ihr die Wahrheit über das zu verraten, was sich vor zehn Jahren während eines paranormalen Forschungsexperiments ereignete. Erst als Feinde zu Freunden werden und sich Freunde als Feinde entpuppen, kommt Livie dem Gespinst aus Lügen langsam auf die Schliche …
Die Autorin
Miriam Rademacher, Jahrgang 1973, wuchs auf einem kleinen Barockschloss im Emsland auf und begann früh mit dem Schreiben. Heute lebt sie mit ihrer Familie in Osnabrück, wo sie an ihren Büchern arbeitet und Tanz unterrichtet. Sie mag Regen, wenn es nach Herbst riecht, es früh dunkel wird und die Printen beim Lesen wieder schmecken. In den letzten Jahren hat sie zahlreiche Kurzgeschichten, Fantasyromane, Krimis, Jugendbücher und ein Bilderbuch für Kinder veröffentlicht.
www.sternensand-verlag.ch
info@sternensand-verlag.ch
1. Auflage, Januar 2024
© Sternensand Verlag GmbH, Zürich 2024
Umschlaggestaltung: Juliane Schneeweiss
Lektorat: Lektorat Laaksonen | Stefan Wilhelms
Korrektorat: Sternensand Verlag GmbH
Satz: Sternensand Verlag GmbH
ISBN (Taschenbuch): 978-3-03896-299-1
ISBN (epub): 978-3-03896-300-4
Alle Rechte, einschließlich dem des vollständigen oder auszugsweisen Nachdrucks in jeglicher Form, sind vorbehalten.
Dies ist eine fiktive Geschichte. Ähnlichkeiten mit lebenden oder verstorbenen Personen sind rein zufällig und nicht beabsichtigt.
Für Livie
Irgendwie habe ich das Gefühl,
diese Geschichte hast du ganz allein geschrieben.
Prolog
London, in einer Sommernacht 2010
Als Livie aus dem Schlaf hochfuhr, wusste sie im ersten Moment nicht, was sie geweckt hatte und noch weniger erschloss sich ihr, wo sie sich überhaupt befand.
Die brennende Lampe auf dem Tischchen war nicht ihre eigene. In ihrem Kinderzimmer leuchtete jede Nacht ihre gute alte Schlumpflaterne, denn Livie hatte wie viele Mädchen ihres Alters Angst im Dunkeln. Ihre Mutter behauptete, das würde sich irgendwann legen. Livie war sich da nicht so sicher.
Dieser fremde Lampenschirm mit kunterbunten Bommeln am unteren Rand faszinierte und irritierte sie gleichermaßen, bis ihr wieder einfiel, dass sie in dieser Nacht bei Tante Ethel zu Gast war. Ihre Mutter war wieder einmal zu einem Tauchurlaub an der schottischen Küste aufgebrochen und kehrte erst in einigen Tagen nach London zurück.
Nur unter Wasser, so pflegte sie zu sagen, hielten endlich einmal alle die Klappe, und Mums Bedürfnis nach Ruhe war in der letzten Zeit immer größer geworden.
Livie hoffte sehr, dass der Kurzurlaub ein wenig Entspannung brachte, die sich auch im Alltag niederschlug. Die ständige Gereiztheit ihrer Hauptbezugsperson fing an, eine Belastung für sie zu werden.
»Aber wie soll es denn jetzt weitergehen?«
Das war die Stimme von Tante Ethel, die durch die geschlossene Tür hindurch bis an ihr Ohr drang, und sie hatte sehr schrill geklungen.
Plötzlich hellwach warf Livie einen Blick auf den Wecker mit den grünleuchtenden Ziffern. Es war bereits weit nach Mitternacht.
Hatte Tante Ethel um diese Zeit Besuch bekommen oder telefonierte sie mit jemandem? In jedem Fall kam ihr die Aufregung im Ton ihrer Patin merkwürdig vor. Denn diese brachte nämlich so schnell nichts aus der Ruhe.
»Meine Organisation ist sich ihrer Verantwortung voll bewusst und wird Sie keinesfalls im Regen stehenlassen«, sagte nun eine Männerstimme, die Livie noch nie zuvor gehört hatte. Ihr Klang war sanft und mitfühlend, besaß aber einen gebieterischen Unterton, wie Livie ihn bisher nur von ihrem Mathelehrer kannte.
»Sie hat eine Tochter!« Ethel klang sehr aufgebracht. »Das Kind ist erst zwölf Jahre alt! Was soll denn aus ihr werden?«
Livie setzte sich steil im Bett auf.
Wer hatte eine Tochter gehabt, die genau wie sie zwölf Jahre alt war? Wovon redete ihre Patentante da bloß?
»Wir hatten gehofft, dass Sie als Vertraute und gewissermaßen einzige Angehörige …« Das war wieder die Stimme des Mannes gewesen, doch Tante Ethel ließ ihn nicht ausreden.
»Natürlich! Ja. Wer soll es denn sonst tun? Aber das bedeutet einen Heidenpapierkram, und ich bin wirklich nicht gut in so etwas. Bisher war ich nicht einmal für ein Haustier verantwortlich und jetzt gleich ein Kind kurz vor der Pubertät? Hoffentlich schaffe ich das.«
»Um den Papierkram brauchen Sie sich nicht zu kümmern«, erklärte der Mann und klang jetzt wirklich exakt wie Livies Mathelehrer, wenn er wollte, dass Ruhe in der Klasse herrschte. »Auch was das Finanzielle angeht, werden Sie und die Kleine immer gut versorgt sein. Wir haben Möglichkeiten, es Ihnen angenehm zu machen. Diese Wohnung hier wurde Ihnen ebenso wie das Zuhause des Kindes vom Arbeitgeber Ihrer Freundin zur Verfügung gestellt, als das alles begann, richtig?«
»Ein unfassbar großzügiges Angebot, das ich mir selbst nicht recht erklären kann. Schließlich bin ja nicht ich es, die für diese Gesellschaft tätig ist. Aber solch ein Angebot kann man ja nicht einfach ausschlagen.« Tante Ethel klang jetzt weinerlich. »Natürlich werde ich sie räumen, sobald ich etwas Billigeres für mich und die Kleine gefunden habe.«
»Das wird nicht nötig sein«, widersprach der Fremde. »Ich denke, Sie werden bald zur Eigentümerin dieser hübschen Räumlichkeiten, sobald die Zuständigen alles geregelt haben. Und auch ihr eigenes Zuhause wird dem Mädchen nicht verlorengehen. Immer vorausgesetzt, es gibt kein Gerede über diesen schrecklichen Vorfall. Man erwartet von Ihnen im Tausch gegen diese Immobilien ein Höchstmaß an Diskretion.«
Livie spürte mit einem Mal, wie es ihr eiskalt den Rücken hinunterlief. Als ob die Temperatur im ganzen Raum gefallen war und mitten im Sommer der Winter hereinbrechen wollte.
Mit einem Ruck schlug sie die Bettdecke beiseite und schwang die Beine über den Bettrand. Schon tasteten ihre Füße nach den niedlichen rosa Pantoffeln, ein Geschenk von Tante Ethel zum letzten Weihnachtsfest.
»Ein Eigenheim in Kensington ist eine nette Sicherheit, ersetzt einem Kind aber nicht die Mutter.« Das war wieder ihre Patin gewesen.
Livie öffnete die Tür des Gästezimmers und witschte lautlos hinaus auf den dunklen Flur.
Die Wohnzimmertür, direkt gegenüber, war nur angelehnt und ein heller Lichtschein fiel auf Tante Ethels gewaltige hüfthohe Winkekatze, die gleich neben der Eingangstür stand. Wie von Geisterhand bewegt, wippte der Arm der goldenen Statue auf und ab, doch zum ersten Mal kam es Livie nicht wie ein freundlicher Gruß, sondern eher wie eine unheimliche Warnung vor.
»Uns ist völlig klar, wie wenig materielle Dinge den Verlust eines geliebten Menschen ersetzen können«, erwiderte der Mann gerade. »Auf emotionaler Ebene sind unsere Möglichkeiten, fürchte ich, etwas begrenzt. Aber in nahezu allen anderen Bereichen kann Olivia auf uns zählen, solange sie lebt. Und wenn sie es wünscht, auch darüber hinaus.«
»So eine Bemerkung finde ich ganz und gar nicht lustig«, murrte Tante Ethel.
»Es war auch nicht als Witz gemeint.«
Mit zitternden Händen, jedoch fest entschlossen, schob Livie die Tür zum Wohnzimmer auf und trat ein.
Sofort richteten sich die Augen ihrer Patentante auf sie. »Livie-Schatz, haben wir dich geweckt?«
Mit zwei schnellen Schritten war Ethel bei ihr, ging in die Hocke, schlang die Arme um sie und begann hemmungslos zu weinen.
Livie musterte über den Scheitel ihrer rothaarigen Patentante hinweg den Mann, der an dem antiken Buffettisch lehnte, einen dunklen Anzug trug und eine Aktentasche neben sich abgestellt hatte. Seine Haare waren so schwarz, als wären sie mit Schuhcreme behandelt worden, sein Gesicht war schmal und die hellgrauen Augen standen dicht beieinander. Livie bemerkte eine lange Narbe auf seiner Stirn, die seine rechte Augenbraue teilte und ganz frisch zu sein schien.
Die schwarzen Fäden waren blutverkrustet und eine violette Verfärbung auf der Stirn entwickelte sich gerade erst. Er brachte, im Gegensatz zu Tante Ethel, bei ihrem Erscheinen ein Lächeln zustande.
»So. Du bist also die kleine Olivia Eleanor Emerson.«
»Livie«, verbesserte sie ihn automatisch, obwohl sich ihre Kehle wie zugeschnürt anfühlte. »Was ist mit meiner Mum?«
Tante Ethel schluchzte laut auf und hielt sie noch fester, während der fremde Mann den Blick senkte, um dem ihren auszuweichen.
»Sie wird nicht zurückkommen, Livie. Es hat … einen tragischen Unfall gegeben.«
»Beim Tauchen?« Ihre Stimme quietschte in einer unfassbar hohen Tonlage, und das Herz in ihrer Brust raste wie verrückt.
Einen Augenblick lang sah der Fremde verwirrt drein. Dann aber sagte er: »Oh, ja! Beim Tauchen. Ja. Sie ist leider ertrunken.«
Tante Ethel schniefte, lockerte ihren Griff und sah ihr direkt ins Gesicht. »Wir beide sind von jetzt an ein Team, Livie-Maus. Für immer.«
Es war dieses für immer, das Livie die Kraft für den nächsten Atemzug gab. Ihre Welt mochte soeben fast zusammengebrochen sein, aber eben nur fast. Da war weiterhin Tante Ethel, die sie festhalten würde. Für immer.
»Es tut mir sehr leid.« Der Fremde trat näher und strich ihr etwas unbeholfen über das schwarze Haar. Es war so dunkel, wie es das ihrer Mutter gewesen war. Eines der Dinge, die sie von ihr geerbt hatte. »Wir haben versucht, hatten gehofft …« Er brach ab und beendete seinen Erklärungsversuch, wie er begonnen hatte: »Es tut mir sehr leid.«
In diesem Moment wischte sich Tante Ethel mit einer nahezu rabiaten Bewegung die Tränen aus dem Gesicht. »Livie braucht Ihr Mitleid nicht. Aber alles andere werden wir gewiss nicht ausschlagen, denn es ist ihr Recht, für diesen Verlust entschädigt zu werden. Ganz egal, wer dafür geradestehen will, Hauptsache jemand übernimmt die Verantwortung.«
»Natürlich.« Der Mann zog eine Visitenkarte aus der Innentasche seines Jacketts und schob sie unter eine Blumenvase, die ihren Platz auf dem Buffettisch hatte. »Wenn Sie jemals etwas brauchen sollten, wissen Sie, wo Sie mich erreichen können.«
Er packte den Griff seiner Tasche, die sehr schwer zu sein schien, und verließ das Wohnzimmer.
Tante Ethel blieb zurück, inmitten ihrer bunten Seidenkissen und Steppdecken. Sie weinte schon wieder.
Livie rannte dem Fremden nach, der sich gerade selbst die Wohnungstür geöffnet hatte und Anstalten machte, aus ihrem Leben zu verschwinden, kaum dass er darin erschienen war.
»Wer sind Sie?«, rief sie ihm nach.
Er wandte sich zu ihr um. »Ein Freund, wenn du das möchtest. Kein besonders guter, ich bin allerdings bereit, mir Mühe zu geben. Auf Wiedersehen.«
Die Tür fiel hinter ihm ins Schloss, und Livie blieb allein im Flur zurück. Allein mit einer gewaltigen Winkekatze, die unaufhörlich ihren Arm schwenkte und sie mit kalten Augen anzustarren schien.
Livie wusste es noch nicht, aber von diesem Tag an würde sie Winkekatzen für den Rest ihres Daseins abgrundtief hassen.
Kapitel 1
Februar 2020, London
Von meinem Platz auf der Fensterbank aus hatte ich einen wunderbaren Blick auf die Geschäftsstraße vor dem Haus. So konnte ich beobachten, wie genau zur verabredeten Zeit ein Taxi vorfuhr und unter meinem Aussichtspunkt hielt. Von der Rückbank kletterte Zach, der kleinste große Zauberer der Welt, der schon ziemlich lange zu meinen besten Freunden zählte. Doch so, wie er sich heute herausgeputzt hatte, war er mir zuvor noch nie unter die Augen gekommen.
Zach trug einen maßgeschneiderten hellgrauen Anzug, darunter eine grellbunte Weste, an der eine goldene Kette glitzerte, deren Taschenuhr er jetzt hervorzog und einen prüfenden Blick darauf warf. Anschließend schaute er hoch zu mir, verkniff sich ein Lächeln und nickte mir fast unmerklich zu.
Ich biss mir vor Aufregung auf die Lippen. Die Operation ›Martha‹, deren Vorbereitung uns mehrere Wochen gekostet hatte, konnte endlich beginnen.
Zehn Jahre lag der Tod meiner Mutter nun zurück, und die meiste Zeit über hatte ich die Umstände nicht hinterfragt.
Mein letztes Abenteuer im Paris der Fünfzigerjahre war für mich allerdings zu einem Wendepunkt geworden. Zum ersten Mal, seit ich durch meinen plötzlichen Tod zur Banshee der Familie Harrowmore geworden war, kümmerte ich mich um meinen eigenen Kram. Denn da gab es ganz offensichtlich einige Ungereimtheiten, die ich bisher verdrängt hatte.
»Mister Bucket?«
Ich wandte ruckartig den Kopf und wäre dabei fast von der schmalen Fensterbank gefallen. Doch das war im Grunde ohne Belang, denn Mister Bucket, dessen Gegensprechanlage soeben seinen Namen ausgespuckt hatte, war nicht in der Lage, mich zu sehen.
In den letzten Wochen hatte ich so viel Zeit in seinem Büro verbracht, wie sonst üblicherweise in meiner Dachkammer auf Schloss Harrowmore. Ich kannte all seine Gewohnheiten, wusste, dass er heimlich in der Nase bohrte, wenn er sich unbeobachtet glaubte, und sich gewohnheitsmäßig im Schritt kratzte, sobald er sich von seinem Bürostuhl erhob.
Bucket war ein älterer Herr von fast siebzig Jahren, und er glaubte fest an die Existenz von Geistern. Nur sehen konnte er sie leider nicht. Nicht einmal hören konnte er mich, wovon ich mich gleich bei meinem ersten Tag in seinem Büro überzeugt hatte. Er war ganz und gar unbegabt und doch hatte er sein ganzes Leben lang der Erforschung von paranormalen Phänomenen gewidmet.
Nun ja, warum nicht? Ich hatte zu Schulzeiten auch viele Lehrer ertragen, die mit Kindern nichts am Hut hatten und sich trotzdem durch eine pädagogische Laufbahn quälten. Jeder, wie er mochte. Von Talent wurde bei der Berufsberatung ja zumeist auch gar nicht gesprochen.
»Mister Bucket, der kleine Herr, der von sich glaubt, ein Zauberer zu sein, ist jetzt da«, quäkte es erneut aus der Gegensprechanlage.
Ulfric Bucket drückte einen Knopf und brüllte so laut, dass er vermutlich auch ohne technische Unterstützung im Nebenzimmer zu hören war: »Danke, Miss Harrowmore! Schicken Sie ihn gleich zu mir herein.«
»Sofort, Sir.«
Einen Wimpernschlag später hielt meine beste Freundin Millicent, ungewöhnlich adrett gekleidet in einem violetten Kostüm mit Rüschenbluse, Zach die Tür auf.
»Mister Biggs, Sir«, meldete sie und zwinkerte mir noch einmal kurz zu, bevor sie die Tür wieder von außen schloss.
Was würde ich froh sein, wenn dieses elende Nicken und Zwinkern ein Ende fand und meine Freunde wieder normal mit mir reden konnten, ohne von einem Mister Bucket oder seinen Kollegen für verrückt gehalten zu werden.
»Mister Biggs. Willkommen in den Räumen der SPR.« Bucket stand auf, kratzte sich ausnahmsweise nicht im Schritt, und begrüßte meinen Freund mit Handschlag, der höflich lächelte und sich schwungvoll vom Boden abstieß, um den Besuchersessel zu erklimmen. »Die Gesellschaft für die Erforschung paranormaler Phänomene freut sich, einen so wichtigen und geheimnisumwitterten Mann begrüßen zu können.«
Zach, der mich, seit er den Raum betreten hatte, geflissentlich ignorierte, erwiderte: »Und ich freue mich. In einer brisanten Angelegenheit auf die Unterstützung Ihrer Society zählen zu können.«
Bucket nahm wieder hinter seinem Schreibtisch Platz, faltete seine Wurstfinger und erzählte: »Ja, wir sind eine Gruppe ausgezeichneter Forschender, die weltweit agiert. Wann immer es irgendwo spukt, sind wir nicht weit.«
»Das stimmt«, rief ich Zach von meinem Platz aus zu. »Er bekommt Mails von überall her und die Absender bezeichnen sich zumindest selbst als Wissenschaftler, Professoren und Koryphäen.«
Zach verzog keine Miene, während Bucket weiterplapperte. »Wir sind eine in der Wissenschaft angesehene Institution mit hohem Einfluss.«
»Das ist gelogen«, widersprach ich und verdrehte die Augen. »Bucket hätte gern etwas mehr Anerkennung, bekommt sie aber nicht. Regierung und renommierte Wissenschaftler halten die Mitglieder der SPR für ausgemachte Spinner. Und das schon seit ihrer Gründung im Jahr …«
»1882 war das Jahr, in dem wir diese Räume bezogen, können Sie sich das vorstellen?« Buckets Blick wanderte zufrieden durch sein schlichtes Büro und wie gewöhnlich über mich hinweg.
In Zachs Gesicht hatte es zu zucken begonnen. Meine Kommentare zu Buckets Gewäsch stellten seine Selbstbeherrschung auf eine harte Probe. »Ich denke, Sie können mit Ihrer Selbstbeweihräucherung aufhören, Mister Bucket, denn was Ihre Reputation angeht, bin ich auf dem aktuellen Stand. Ich habe mich dahingehend informiert.«
»Ich bin eben die beste Spionin aller Zeiten«, verkündete ich ein wenig selbstgefällig. »Vielleicht sollte ich daraus ein Geschäftsmodell machen. Unser Mister Bucket hier ist für mich wie ein offenes Buch seit ich ihm beim Kaffeeschlürfen und Furzen zuhöre.«
Zach verlor nun doch kurzfristig die Kontrolle und täuschte einen Hustenanfall vor, um sein Lachen zu verbergen, woraufhin Bucket seinen Barschrank öffnete und dem Gast ein Glas Bourbon kredenzte.
Mit mir lebte er nun seit Wochen zusammen, und ich hatte noch nicht einmal einen Keks angeboten bekommen. Ein klarer Nachteil, wenn man nicht gesehen wurde.
»Ich bin hergekommen, um Einsicht in Ihre geheimen Unterlagen zu nehmen, insofern Sie mich lassen. Dabei spreche ich nicht von den offiziellen Akten, die Sie Ihren gewöhnlichen Besuchern unter die Nase halten, sondern von den etwas spezielleren.«
Buckets buschige Augenbrauen schnellten in die Höhe. »Woher wissen Sie davon?«
»Von Ihrer doppelten Buchführung, wie ich es mal nennen will?« Zach grinste. »Wie ich bereits sagte, habe ich mich im Vorfeld gut informiert. Und ich hoffe auf unsere uneingeschränkte Zusammenarbeit. Schließlich soll dies doch der Beginn einer wunderbaren Freundschaft werden, nicht wahr?« Zach baumelte mit den Beinen und nippte am Bourbon.
»Gewiss«, beteuerte Bucket und blies seine Hängebacken auf, bevor er weitersprach. »Ein Zauberer, ein echter Zauberer, nach allem, was man hört, denn niemandem ist es bisher gelungen, etwas anderes in Ihnen zu sehen, ist in jedem Fall eine Bereicherung für die SPR, deren Präsident zu sein, ich die Ehre habe.«
»Whitby Abbey«, sagte Zach und stellte das Glas beiseite.
»Wie bitte?« Bucket schien irritiert.
»Sprechen wir über Whitby Abbey und dem dort beobachteten Spuk. Es geht mir um den Fall von Constance de Beverly. Wer außer Ihnen sollte mir da weiterhelfen können?« Zach hatte aufgehört, mit den Beinen zu baumeln und fixierte sein Gegenüber. »Die uralte Sage, der zufolge diese Nonne wegen eines moralischen Fehlverhaltens eingemauert wurde, ist natürlich ein alter Hut und jedem bekannt. Vielmehr will ich wissen, was vor zwanzig Jahren in den Ruinen der alten Abtei geschah, als zwei ahnungslose Touristen von jetzt auf gleich ihren Verstand verloren.«
»Aber mein lieber Freund …« Bucket fächelte sich einen Moment lang vergeblich Luft zu, bevor er aufsprang, ans Fenster eilte und mich beim Öffnen fast hinausgedrängt hätte.
Gerade rechtzeitig konnte ich mich vor seinem Kugelbauch in Sicherheit bringen, doch seine rechte Hand durchbohrte meine Schulter, um den Drehgriff zu betätigen. Ich hasste solche Situationen, die für mich immer mit einem Gefühl der Angst und Unterlegenheit einhergingen.
»Der Fall dieser armen Menschen ist topsecret.« Bucket kehrte an seinen Schreibtisch zurück, während Zach mich fixierte, um zu sehen, wie es mir ging. Ich winkte ab und konzentrierte mich auf Bucket. »Selbstverständlich sind wir der Angelegenheit damals nachgegangen. Whitby Abbey ist quasi seit Gründungszeiten unser Revier. Wir haben dort sogar eine Art Unterschlupf, in dem wir gelegentliche Testreihen und Experimente durchführen.«
»Ich weiß.« Zachs Gesicht blieb völlig ausdruckslos.
»Was? Ich wusste das nicht«, entfuhr es mir. »Ich dachte, die SPR hat ihren Sitz hier in London. Von Außenstellen höre ich gerade zum ersten Mal. Und wo in aller Welt liegt überhaupt Whitby Abbey? Ist dieser Fall wirklich nur ein Ablenkungsmanöver, wie wir es vorher besprochen haben, oder für mich von Bedeutung?«
»Das meiste, was in der alten Abtei vor sich geht, ist kalter Kaffee«, fuhr Zach ungerührt fort, ohne auf meine Fragen einzugehen. Konnte er ja auch nicht. Mist, verfluchter. »Wer interessiert sich heute noch für kopflose Kutscher und Schlangenopfer? Aber der wiederkehrende Spuk der eingemauerten Nonne und Ihre Forschungen dazu sind für mich aktuell von großer Bedeutung. Ich möchte Ihre Messergebnisse der letzten Jahrzehnte mit den meinigen abgleichen. Und da auch Sie davon profitieren würden, was sollte Sie daran hindern, mich einen kurzen Blick in Ihre streng geheimen Aufzeichnungen werfen zu lassen?«
Bucket schien kurz überlegen zu müssen. Schließlich gab er sich einen Ruck. »Ja, das Alter des Falles ist ein Punkt, der mir einen gewissen Spielraum lässt. Tatsächlich sind die beiden armen betroffenen Touristen, sowie der von uns mit den Nachforschungen beauftragte Experte, bereits verstorben. Man kann also keine lebenden Personen mehr in Misskredit bringen.« Er sah noch einen Moment lang versonnen zu mir in Richtung Fenster, dann klatschte er in die Hände. »Gut, ich werde die vollständige Akte holen.«
»Holen lassen«, korrigierte Zach. »In der Zwischenzeit wäre ich bereit, Ihnen ein paar echte Zauberkunststücke zu zeigen.«
»Aber das geht nicht!«, rief der Präsident und schlackerte mit seinen Hängebacken. »Niemand außer mir darf den Schrank öffnen, in dem diese Akten lagern. Sehen Sie?« Er zog einen Schlüssel aus der hinteren Gesäßtasche, der an einer langen Metallkette hing. »Den trage ich immer bei mir. Tag und Nacht.«
»Er sitzt drauf«, ergänzte ich. »Da hilft es nicht mal, dass ich als Banshee alles öffnen kann. Ich komme an das Ding nicht heran. Und meine Fähigkeiten als Taschendiebin sind ohnehin nicht der Rede wert, weil ich den blöden Schlüssel nicht greifen kann.«
»Wie ärgerlich«, meinte Zach und reagierte damit sowohl auf meine als auch auf Buckets Worte.
Inzwischen war ich an dessen Schreibtisch herangetreten und konzentrierte mich auf seinen Briefbeschwerer. Meine telekinetischen Kräfte waren leidlich gut entwickelt und so vertauschte ich den Marmorklotz mit seinem Anspitzer.
»Erstaunlich«, rief Bucket und sah den beiden Gegenständen, die sich aus seiner Sicht von ganz allein bewegten, beim Tanzen zu. »Sie können tatsächlich zaubern, Mister Biggs.«
Selbstgefällig stieß ich mittels meiner Gedanken gegen den Papierkorb, dessen Inhalt sich sogleich über den Teppich ergoss.
»Wunderbar!« Bucket klatschte in die Hände und wirkte so glücklich, wie ich ihn noch nie erlebt hatte. »Könnten Sie eventuell auch an mir ein wenig herumzaubern?«
Ich runzelte die Stirn und zog widerwillig an seinem Schnurrbart, bevor ich mir seine Lesebrille direkt von der Nase schnappte und in Zachs Bourbon fallen ließ.
»Klappt doch super«, meinte Zach. Eine Bemerkung, die Bucket kurz irritierte.
»Ja, weil er diese Dinge weder festgekettet hat noch unter seinem Hintern versteckt«, maulte ich und dachte an den Schlüssel.
»Unglaublich! Das ist echte Zauberei!« Bucket war so weit. Während Zach sich zufrieden grinsend zurücklehnte, drückte er den Knopf der Gegensprechanlage und rief mit donnernder Stimme: »Miss Harrowmore? Würden Sie bitte einmal kurz hereinkommen?« Er ließ den Knopf los und ergänzte in Zachs Richtung gewandt: »Eine wunderbare neue Schreibkraft, diese Miss Harrowmore. Sie arbeitet seit fast drei Wochen für uns und hat sich jetzt schon als wahre Perle erwiesen. Ordentlich, zuverlässig und absolut vertrauenswürdig. Ihr kann ich den Schlüssel zum Aktenschrank guten Gewissens für eine Weile überlassen.«
»Es ist wichtig, von Leuten umgeben zu sein, denen man vertrauen kann«, gluckste Zach und schien sich gut zu amüsieren.
Die Tür flog auf und Millie erschien wieder auf der Bildfläche. Sie war die Freundlichkeit in Person und rief fast ein wenig zu eifrig: »Was kann ich für Sie tun, Mister Bucket?«
»Ja, also …« Er erhob sich und löste die Schlüsselkette von seinem Hosenbund. »Gehen Sie mal runter in den Keller und öffnen Sie