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Ein magischer Zaubertopf voller Kurzgeschichten: 2. Sammelband
Ein magischer Zaubertopf voller Kurzgeschichten: 2. Sammelband
Ein magischer Zaubertopf voller Kurzgeschichten: 2. Sammelband
eBook243 Seiten3 Stunden

Ein magischer Zaubertopf voller Kurzgeschichten: 2. Sammelband

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Über dieses E-Book

Geheimrezept für einen magischen Zaubertopf voller Kurzgeschichten: Man nehme eine grosse Portion frisch gemahlene Fantasie, einen Esslöffel Humor sowie eine Prise wilde Abenteuerromantik. Das Ganze mit dem Schwingbesen zu einer schaumigen Masse verrühren und anschliessend mit einem Schuss historischer Fakten abschmecken. Danach die farbenfrohe Buchstabencrème in einzelne Kapitel aufteilen. Zum Schluss alles in magische kleine Zaubertöpfchen giessen und auskühlen lassen. Et voilà.
SpracheDeutsch
HerausgeberXinXii
Erscheinungsdatum15. Dez. 2020
ISBN9783969311837
Ein magischer Zaubertopf voller Kurzgeschichten: 2. Sammelband
Autor

Roger Kappeler

Roger Kappeler erkannte bereits in der Schulzeit, dass seine blühende Fantasie bisweilen mit ihm durchgeht. Das Schreiben ist ihm nie besonders schwergefallen. Während einer sechsmonatigen Indienreise entstanden erste Ideen, aus denen schliesslich die Starchild-Terry-Geschichten hervorgingen. Wie viele Autoren stand er vor der Wahl, sich anzupassen oder bei dem zu bleiben, was ihn als individuellen Autor auszeichnet. Er entschied sich – sie sollte es anders sein – für die Individualität und riskierte damit, dass manche Leser seine Werke zerreissen würden, hoffte jedoch, dass die auf seine Merkmale abgestimmte Lesegruppe grösser wird und ihm treu bleibt, solange er sich selbst treu bleibt. In seinen Fantasy-Romanen vereinen sich Science-Fiction-Elemente mit philosophischen Fragestellungen. Seine Zeilen sind gepaart mit humoristischem, zuweilen flapsigem, der Alltagssprache entlehntem Stil, welcher das stetige Element aller seiner Geschichten darstellt, aber natürlich auch substanzielle Themen des Lebens und Gedanken enthält.

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    Buchvorschau

    Ein magischer Zaubertopf voller Kurzgeschichten - Roger Kappeler

    Braun)

    Vorwort

    Hola, amigos!

    Wie bereits angekündigt, ist nun tatsächlich ein zweiter Band mit fantastischen Kurzgeschichten entstanden. Während ich diese Zeilen hier schreibe, geistert mir gerade folgender Gedanke durch den Kopf:

    Hmm, wieso eigentlich nicht gleich einen dritten Band mit Kurzgeschichten anhängen? Wenn schon, denn schon.

    Mal schauen, Ideen hätte ich jedenfalls mehr als genug. Denn diese ver-rückte Welt da draussen bietet ja weiss Gott mehr als genug Denkanstösse. Vor allem in diesem aussergewöhnlichen Jahr 2020, wo gerade alles Kopf steht (ihr wisst schon, Pandemie und so …). Das kunterbunte Irrenhaus lässt grüssen …

    Doch es gibt bekanntlich gewisse Dinge im Leben, die man sowieso nicht grossartig beeinflussen kann. Darum habe ich einfach versucht, diese «dank» der weltweiten Krise geschenkte freie Zeit möglichst sinnvoll zu nutzen, um mich voller Freude ein bisschen kreativ zu betätigen. Irgendwie stellt jede sogenannte Krise ja auch immer eine Chance dar, je nach Betrachtungsweise.

    Was dabei herausgekommen ist, möchte ich nun gerne mit euch teilen, denn wie heisst es doch so schön?

    Geteilte Freude ist doppelte Freude!

    Deshalb schlage ich vor, dass wir am besten gleich loslegen und gut zuhören, was uns die Bäume so alles zuzuflüstern haben …

    Viel Spass beim Wühlen im magischen Zaubertopf!

    Herzliche Grüsse

    Roger

    Das Flüstern der Bäume

    Elly, ein vierzehnjähriges Mädchen, lebte mit ihrer Familie in einer ziemlich abgelegenen Gegend, im südlichen Teil von Kanada. Genauer gesagt in der Nähe vom Ontariosee, an einem idyllischen Fluss. Sie liebte die unberührte Natur mit all den verschiedenen Tieren und Pflanzen über alles. Deshalb nutzte sie jede freie Minute, um allein durch die tiefen Wälder zu streifen. Das war wegen all den wilden Tieren natürlich nicht ganz ungefährlich, aber das naturverbundene Mädchen fürchtete sich eher vor Menschen als vor Tieren. Ausserdem trug sie stets ihre Blockflöte bei sich, mit deren Klängen sie im Notfall selbst wilde Bären besänftigen konnte.

    Das hatte ihr zumindest der alte Mann erzählt, der im Nachbarhaus wohnte. Und dieser geheimnisvolle Mann indianischer Abstammung, den alle einfach James nannten, war aussergewöhnlich weise. Bereits als Elly noch ein kleines Mädchen war, hatte James ihren Eltern prophezeit, dass sie die Seele einer Schamanin besitze, deren spezielle Begabungen sich eines Tages entfalten würden. In den darauffolgenden Jahren hatte der Indianer Elly immer wieder mit in die Natur genommen, und ihr das uralte Wissen seiner Vorfahren vermittelt. Er hatte das wissbegierige Mädchen nicht nur gelehrt, wie man bei jedem Wetter Spuren liest. Sondern auch, welche Heilkräuter man wofür benutzen kann, oder wie man mit den Bäumen und Tieren kommuniziert. Mittlerweile konnte sie sich sogar in der Dunkelheit genauso gut bewegen wie ein richtiger Indianer, auch ohne Taschenlampe oder sonstige technische Hilfsmittel.

    Nun, mit vierzehn Jahren, war die Intuition von Elly derart geschult, dass sie sämtliche Vorgänge in der Natur entsprechend deuten konnte. Das friedliche Rauschen eines plätschernden Baches und das sanfte Brausen des Windes waren für sie wie Musik. Der erdige Geruch, den die verschiedenen Jahreszeiten mit sich brachten, war ihr vertrauter als derjenige in Mutters Küche. Sogar das Singen der Vögel oder das Wispern der Bäume bedeutete Elly mehr als das zumeist nichtssagende Geplapper der Menschen. Schon beim geringsten Rascheln im Gebüsch oder dem Knacken der Äste im Wald spürte das äusserst sensitive Mädchen intuitiv, was ihr Mutter Erde mitteilen wollte. Denn James hatte sie gelehrt, dass die Bäume dadurch mit ihr kommunizieren wollen.

    Elly sass oft allein am Waldrand unter ihrem Lieblingsbaum. Dort lauschte sie in meditativer Stimmung seinen Geschichten und fühlte die heilenden Schwingungen, die von der Seele des mächtigen Baumes ausgingen. Im Gegensatz zu ihren Schulfreundinnen wusste das überaus kluge Indianermädchen, dass absolut alles in der Natur beseelt war, sogar die Steine. Ihr war auch schon immer klar gewesen, dass selbst die Menschen bloss ein winziger Teil von diesem gewaltigen Organismus sind, auch wenn sich die meisten von der ursprünglichen Natur getrennt fühlen und ihr Glück in künstlich erschaffenen Welten suchen. Leider hatte der Grossteil der Menschheit dieses uralte Wissen schon längstens vergessen. Aber zum Glück gab es immer noch solche Leute wie James.

    Eines Tages nahm er Elly mit an einen ganz speziellen Ort. Die beiden wanderten gemeinsam ein Stück in den Wald hinein, bis sie an einen nicht sehr hohen Wasserfall gelangten. Diesen hatten sie natürlich schon oft besucht, um dort zu meditieren. Doch dieses Mal zeigte ihr James einen Geheimgang, der sie hinter den tosenden Wasserfall führte. Dort, gut versteckt, gab es eine kleine Höhle. «In alten Zeiten haben die Indianer, die in dieser Umgebung gelebt haben, hier oft geheime Zeremonien abgehalten», erklärte James. «Nun bist auch du reif dafür, um in den Kreis all dieser ehrwürdigen Frauen und Männer aufgenommen zu werden. Der Kreis der Eingeweihten. Danach gibt es eigentlich nichts mehr, was ich dich noch lehren könnte.»

    «Heisst das etwa, dass ich dann die erste weisse Schamanin bin, in dieser ganzen indianischen Ahnenlinie?», fragte Elly aufgeregt.

    «Du hast es erfasst», lächelte der alte Mann mit den langen Haaren mild. «Aber zunächst müssen wir die Ahnen befragen, ob sie damit einverstanden sind. Deshalb werde ich dir jetzt zeigen, wie man Kontakt zu verstorbenen Seelen aufnimmt.»

    Dann entfachte James ein Feuer mit dem Brennholz, das die beiden vorher gesammelt hatten. Nach einigen tiefen Atemzügen, um den Geist zu beruhigen, legte er ganz bestimmte Kräuter sowie einige Zweige mit weissem Salbei in das Feuer, die einen wohlriechenden Duft erzeugten. Dazu schlug er auf einer mitgebrachten Handtrommel einen langsamen, monotonen Takt. Elly merkte, wie der betörende Rauch, die in der Höhle widerhallenden Trommelklänge sowie der brummelnde Singsang von James sie allmählich in andere Sphären davontrug.

    Auf einmal formte sich der dichte Rauch zu einer menschlichen Gestalt, die unverkennbar eine indianische Frau darstellte. Zu ihrem grossen Erstaunen konnte Elly mit dieser Frau genauso sprechen, als ob sie leibhaftig neben ihr sitzen würde.

    «Ich bin Onawa und werde dir jetzt verraten, welches dein Krafttier ist, das dich von nun an begleiten wird, weisse Squaw», sprach die anmutige Indianerin. Dann vollführte sie mit den Händen einige obskure Bewegungen in der Luft, als ob sie etwas zeichnen wollte. Im selben Augenblick kristallisierte sich aus dem Feuerrauch eine kleine Wolke heraus, welche die Form eines Bären besass.

    «Der grosse Geist hat gesprochen», nickte Onawa zufrieden, «ab sofort werden die Bären deine Freunde und Beschützer sein. Du brauchst dich nie wieder vor ihnen zu fürchten.»

    «Das ist wirklich toll, aber…», wollte Elly gerade eine Frage formulieren. Sie kam jedoch nicht mehr dazu. Denn plötzlich verschwand die geheimnisvolle Erscheinung von Onawa ebenso schnell, wie sie kurz zuvor aufgetaucht war. Sie hatte sich buchstäblich in Luft aufgelöst.

    «Jetzt bist du vollständig eingeweiht, Bärentochter», sagte James feierlich, der sich das ganze Schauspiel wortlos mitangesehen hatte. «Somit ist die langjährige, indianische Ausbildung abgeschlossen. Herzlichen Glückwunsch!»

    Cousin Kevin

    Einige Wochen später begannen endlich die grossen Sommerferien. «Hör zu, Elly», informierte ihre Mutter sie, «du weisst ja bereits, dass dein Cousin Kevin aus Ottawa bald für einige Tage unser Gast sein wird. Du könntest ihm doch all die wunderschönen Plätze in der Natur zeigen, die du ja sowieso am besten kennst. Wäre das etwas für dich? Gemäss seiner Mutter ist Kevin nämlich ein typisches Stadtkind, das viel zu viel Zeit vor dem Computer verbringt.»

    «Na schön, mache ich», zuckte Elly gleichgültig mit den Schultern. Eigentlich war sie nicht besonders begeistert von der Idee, sich mit verweichlichten Stadtkindern herumzuschlagen. Andererseits war Kevin ja kein Kind mehr, denn mit seinen fünfzehn Jahren war er immerhin ein Jahr älter als sie selbst. Am darauffolgenden Wochenende traf er tatsächlich ein. Ein blasser, magerer Teenager, der zwar ein bisschen scheu war, aber dennoch freundlich und offenbar gut erzogen.

    «Oh je, ein internetsüchtiges Gespenst», dachte Elly insgeheim, «das kann ja heiter werden. Was soll ich mit dem bloss anfangen?»

    Weil der komische Cousin ständig mit seinem heissgeliebten Smartphone vor dem Gesicht und Stöpseln in den Ohren herumlief, wusste Elly nicht so recht, ob er überhaupt Interesse daran hatte, mit ihr zusammen die Wildnis zu erkunden. Doch überraschenderweise willigte der trotz allem irgendwie smarte Cousin ein, sodass die beiden am nächsten Morgen gemeinsam aufbrachen. Während Elly lediglich ihre Flöte und ein bisschen Proviant in ihren Rucksack packte, schleppte Kevin zusätzlich noch diverse technische Geräte mit. Denn ohne all diese elektronischen Hilfsmittel, an denen er sich hilflos wie ein kleines Kind festklammerte, fühlte sich der arme Kerl in der richtigen, nicht virtuellen Welt, komplett verloren.

    Kevin war ein typischer Vertreter dieser modernen, digitalen Sklaven. Das sind schwer suchtkranke Menschen, die keinen einzigen Schritt ohne ihr geliebtes Smartphone gehen können, weil sie sonst sofort in Panik geraten. Begriffe wie Intuition oder Urvertrauen sind diesen weichgespülten Matschbirnen ebenso fremd wie die Natur an sich. Elly hingegen war aus ganz anderem Holz geschnitzt. Sie repräsentierte das pure Gegenteil ihres verhätschelten Cousins. Für den ersten gemeinsamen Ausflug in die Wildnis beabsichtigte Elly, ihn zum idyllischen Wasserfall zu führen, den sie kürzlich mit James besucht hatte.

    Als sie schliesslich unterwegs waren, zuckte Kevin bei jedem Rascheln im Unterholz erschrocken zusammen. Denn solch tiefe Wälder kannte er sonst nur aus Computerspielen, in denen er jeweils allein gegen allerlei wilde Tiere kämpfte – selbstverständlich immer als glorreicher Held. Aber jetzt, wo er sozusagen der echten Natur ausgeliefert war, verhielt er sich mucksmäuschenstill und folgte seiner jüngeren Cousine auf Schritt und Tritt.

    Als die beiden kurz vor Mittag unversehrt den malerischen Wasserfall erreichten, legten sie eine wohlverdiente Pause ein, um ihr mitgebrachtes Picknick zu geniessen. Obwohl es Kevin hier eigentlich ganz gut gefiel, wirkte er dennoch ziemlich nervös.

    «Was ist denn los?» fragte Elly besorgt. «Du wirkst irgendwie so bedrückt. Fühlst du dich nicht wohl?»

    «Doch, doch, alles okay», antwortete er zwischen zwei Bissen, «es ist nur … na ja, hier draussen gibt es halt keinen Internetempfang. Was ist, wenn uns hier etwas zustossen sollte? Dann sind wir völlig aufgeschmissen.»

    «Ach, Kevin, entspanne dich doch einfach mal», lachte Elly amüsiert. «Wenn du den ganzen Tag mit so einer Einstellung herumläufst, lebst du ja in ständiger Angst. Dann wirst du die wahre Freiheit, das wirkliche Leben, niemals kennenlernen.»

    «Hm, vielleicht hast du ja recht», erwiderte er kleinlaut, «aber man weiss ja trotzdem nie.»

    Während die beiden ungezwungen miteinander plauderten, entspannte sich Kevin allmählich. Es blieb ihm auch nichts anderes übrig, denn schliesslich wollte er sich ja keine Blösse geben vor einem Mädchen, das erst noch jünger war als er selbst. Wobei er natürlich nicht ahnen konnte, dass seine kleine Cousine in Wahrheit eine Schamanin war, die jahrelang von einem Indianer ausgebildet worden war.

    Der verlockende Duft vom auf dem Feuer gegrillten Brot hatte unterdessen einen heimlichen Besucher angelockt, der die zwei Menschen aus dem Dickicht heraus neugierig beobachtete. Und zwar handelte es sich dabei um einen ausgewachsenen Braunbären. Irgendwann konnte das riesige Tier dem Duft nicht mehr widerstehen, und es tapste neugierig schnüffelnd aus dem Gebüsch. Kevin merkte vorerst noch nichts von dem ungebetenen Gast, da sich dies alles hinter seinem Rücken abspielte. Elly jedoch, die gegenüber von Kevin am Feuer sass, hatte den Bären, der sich etwas zögerlich näherte, natürlich bereits gesehen.

    Während sie das Tier fasziniert anstarrte, kamen ihr die Worte von Onawa, der geheimnisvollen Indianerfrau, in den Sinn. Der Bär ist dein Krafttier. Ab sofort werden die Bären deine Freunde und Beschützer sein. Damit sich ihr ängstlicher Cousin nicht zu Tode erschreckte, versuchte es Elly mit einer List.

    «Kevin, wir haben Besuch. Du kannst dich ganz langsam umdrehen, aber versprich mir, dass du nicht schreist und keine hektischen Bewegungen machst. Bleibe einfach ganz ruhig. Bei diesem Gast handelt es sich um einen alten Freund von mir, der zwar gefährlich aussieht, aber eigentlich völlig harmlos ist.»

    «Ist das jetzt wieder einer deiner berüchtigten Wildnis-Scherze, um mich armen Stadtjungen hochzunehmen?», wollte Kevin wissen. «Oder was hast du denn für Freunde, mitten im Wald?»

    Elly zuckte bloss unschuldig mit den Schultern.

    «Na gut, da bin ich ja mal gespannt», meinte Kevin ahnungslos, ehe er sich wie geheissen langsam umdrehte. Doch als er den gewaltigen Braunbären erblickte, der sich inzwischen bloss noch einige Meter von ihm entfernt befand, erstarrte ihm das eben noch erwartungsvolle Lächeln förmlich auf den Lippen.

    «Oh-mein-Gott», war alles, was er herausbrachte. Einen Moment lang verfiel Kevin in Schockstarre, während er einfach nur still und bewegungslos auf dem Boden sass. Dieses ruhige Verhalten störte den Bären kein bisschen. Als das Tier jedoch immer näherkam, fing Kevin plötzlich an, panisch zu schreien. Dazu vollführte er hektische und nervöse Bewegungen, worauf sich der Bär natürlich bedroht fühlte. Laut brüllend stellte er sich auf die Hinterbeine, um seine Bärenkräfte demonstrativ zur Schau zu stellen. Jetzt war für Elly eindeutig der Zeitpunkt gekommen, um ausgleichend in das Geschehen einzugreifen.

    Ganz sachte kramte sie ihre Flöte aus der Tasche, während sie den mächtigen Braunbären keine Sekunde aus den Augen liess. Dann begann sie, eine uralte indianische Melodie zu spielen, die ihr James einst beigebracht hatte. Darauf schien sich der Bär einigermassen zu beruhigen, denn zumindest hörte er sofort auf zu brüllen. Zur grossen Überraschung von Kevin trottete der vermeintliche Angreifer plötzlich zum Flussufer nebenan, wo er sich in gebührendem Abstand hinsetzte und brav wie ein Schosshündchen wartete. Zufrieden warf ihm Elly als Belohnung ein grosses Stück gegrilltes Brot zu, welches Meister Petz genüsslich verschlang. Nach diesem Festessen gab er ein zufriedenes Brummeln von sich, das Elly als freundliches Dankeschön interpretierte.

    Mittlerweile hatte sich auch Kevin wieder einigermassen beruhigt. «Wow, das ist ja wirklich absolut unglaublich», murmelte er fassungslos. «Du hast soeben einen wilden Bären gezähmt. Was ist denn das für eine Zauberflöte?»

    «Ach, das ist doch bloss eine ganz normale Blockflöte», lachte Elly völlig entspannt. «Ich habe dir ja gesagt, dass der Kuschelbär ein alter Freund von mir ist.»

    Das stimmte natürlich nicht ganz, denn in Wirklichkeit war auch Elly diesem Bären zum ersten Mal begegnet. Aber dank der Krafttier-Prophezeiung von Onawa hatte sie keine Sekunde lang Angst oder Unbehagen verspürt. Der Bär jedenfalls schien auf unerklärliche Weise zu spüren, dass er diese beiden fremden Geschöpfe nicht angreifen, sondern beschützen sollte. Deshalb blieb er wie ein treuer Wachhund in einiger Entfernung sitzen, während Elly und Kevin in aller Ruhe ihre belegten Brote assen und ihm ab und zu einen Happen hinüberwarfen.

    «Mein lieber Cousin, ab heute nenne ich dich nur noch Bärentatze», scherzte Elly, «denn schliesslich bist du nach dieser ersten kleinen Prüfung nun kein Hasenfuss mehr, sondern fast schon ein richtiger Indianer.»

    «Erste Prüfung? Du meinst also, es folgen noch weitere?», fragte Kevin mit grossen Augen.

    «Na klar doch», kicherte Elly vergnügt, «das nächste Mal wirst du einem tollwütigen Wolf die Weisheitszähne ziehen, und zwar mit blossen Händen.»

    «Kein Problem, wenn du ihn mit deiner Zauberflöte zuvor hypnotisierst und so handzahm machst wie unseren pelzigen Freund da drüben», lachte Kevin.

    Nach dem Essen räumten sie den schönen Picknickplatz fein säuberlich auf und verabschiedeten sich vom Bären.

    «Ich komme wieder, so wahr ich Bärentatze heisse», verkündete Kevin übermütig, «stets bereit für ein weiteres Abenteuer.»

    Danach machten sich die beiden auf den Rückweg, gestärkt und voller Zuversicht. Obwohl Elly innerlich ein bisschen ein schlechtes Gewissen hatte, weil sie ihren Cousin anfänglich etwas zu voreilig verurteilt hatte. Denn im Grunde genommen war er ja wirklich ein total lieber Kerl, auch wenn er halt in einer völlig anderen Welt lebte als sie. Aber lebt nicht jeder von uns Erdenmenschen in seiner eigenen Welt? Und doch sind wir schlussendlich alle irgendwie gleich. Solche Gedanken gingen ihr durch den Kopf, während die

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