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Blumberg 2: Die Wachswalze
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Blumberg 2: Die Wachswalze
eBook278 Seiten3 Stunden

Blumberg 2: Die Wachswalze

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Über dieses E-Book

Nahtlos schließt "Blumberg 2" (Die Wachswalze) an "Blumberg" an.
Ein Autounfall in den Bergen, eine Unterschlagung und eine prekäre Situation zuhause bringen Isa Blumberg dazu - im Auftrag von Demian Hesse - die Ursachen jenes Unfalls zu recherchieren. Dabei ist auch Düzen mit ihrem kleinen Sohn, die aber gefährlich mehr vor hat, als nur die Taxilenkerin für Isa zu spielen.
Die Recherche über den Hergang des Unfalls, bei dem ein amerikanischer Onkel von Demian Hesse schwer verletzt wurde und der einheimische Fahrer ums Leben kam, führt Isa Blumberg zurück in eine hundert Jahre zurückliegende Geschichte von Obsession, Verrat und Mord.
SpracheDeutsch
HerausgeberEdition Baes
Erscheinungsdatum15. Sept. 2020
ISBN9783951987217
Blumberg 2: Die Wachswalze
Autor

Andreas Niedermann

Andreas Niedermann, geboren 1956 in Basel, debütierte 1987 mit dem Roman "Sauser", der ein Underground-Bestseller wurde. Seither hat er mehrere Romane und Storys veröffentlicht. Zuletzt "Das Glück der falschen Fährte" Novelle (Edition BAES). Er lebt in Wien.

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    Buchvorschau

    Blumberg 2 - Andreas Niedermann

    Der Autor und der Verlag danken für die freundliche Unterstützung.

    „Der Mensch ist ein bösartiges Tier."

    Joseph Conrad

    Als der Jeep über einen Bahnübergang rumpelte und ein Geklirr von leeren, herumrollenden Flaschen auslöste, prallte Robert Selbys Kopf hart gegen das Seitenfenster, was ihn halbwegs aufweckte. Er empfand den Schlag nicht als unangenehm, eher wie einen freundschaftlichen Klaps mit einem 20-Unzen-Boxhandschuh, und so hielt er weiterhin die Augen geschlossen und spürte, wie erschöpft er war.

    Neben ihm atmete der Fahrer laut vernehmlich durch eine Nase, deren Scheidewand, so vermutete Selby, durch intensiven und fortgesetzten Kokaingenuß ziemlich ruiniert war. Ein weiteres Geräusch kam von der steifen Lederjacke des Fahrers. Wenn er sich bewegte, knarrte sie wie ein altes Gartentor. Dann noch die herumrollenden Flaschen. Hin und her. Her und hin.

    Die Geräusche prasselten schmerzlich auf Selby ein. Irgendwie tat jetzt alles weh. Selbst das Öffnen der Augen war eine Qual. Aber er tat es trotzdem und bereute es sogleich wieder. Durch den Regenschleier auf der Windschutzscheibe sah er, was er nicht sehen wollte, sah, wie die Dämmerung sich auf die Hochebene senkte, sah die Nebelschwaden, die der Bergflanke entlangstrichen, wie dicke Krummsäbel aus Gespinst, schwer und grau und ewig. Insgesamt sah die Gegend so aus, als würde die Sonne hier nur am Nationalfeiertag auftauchen. Ein leichter, aber ausdauernder Nieselregen verlieh der Fahrbahn einen dunklen Glanz, und die eben angesprungene Straßenbeleuchtung schimmerte in kleinen flachen Pfützen. Durch dunkelgrünes, nasses Gras führten schmale gewundene Straßen zu verstreuten Gehöften, die aussahen wie große sanfte Tiere, die man im Regen vergessen hatte.

    Dann schlingerte der Jeep in eine lang gezogene Linkskurve, und da lag es plötzlich ausgebreitet vor ihnen. Das Städtchen, dessen Name Selby bereits wieder entfallen war. Niedrige Häuser, verstreut, wie von lockerer Hand angesät und an die wolkenverhangene Flanke des Bergs geschmiegt. God damn, dachte Selby, das hat mir noch gefehlt. Das Kaff sieht aus wie ein Kind, das sich aus Trotz in den Regen gestellt hat und sich weigert, weiterzugehen.

    Er überlegte, ob er den Fahrer ansprechen sollte, aber er wusste nicht, wie er hieß, woher er kam, und zum Teufel, er wusste nicht einmal genau, wer ihn geschickt hatte, um ihn vom Flughafen abzuholen. Daher begnügte er sich, ihn aus den Augenwinkeln zu beobachten. Selby hielt den Fahrer für einen Überlebenden. So bezeichnete er die Typen, die früher mal Idealisten gewesen waren, Hippies, Linksradikale, Bewegte, und die jetzt alt waren und, aus freien Stücken oder Unfähigkeit, nicht in ein bürgerliches Leben gefunden hatten. Das sagten ihm zumindest die langen, dünnen, aschefarbenen Haare, die sich steif wie ein vom Gebrauch zernagter Besen über den Kragen der knarrenden Lederjacke auffächerten. An den Füßen trug er festes Schuhwerk, eine Art Wanderschuhe, an denen seitlich über der Sohle verkrustete Mist- oder Erdklümpchen hafteten. Selby vermutete, dass der Mann eines der verlassenen Bauerngehöfte bewohnte, die man hin und wieder am Ende eines nicht asphaltierten Weges finden konnte. Von den früheren Besitzern halb verlottert zum Kauf angeboten, mit niedrigen Zimmerdecken, einem undichten Kachelofen und einem reparaturbedürftigen Dach. Aber es konnte auch ganz anders sein. Was wusste er schon, was hier vor sich ging? Andererseits ging doch überall in der westlichen Welt so ziemlich das Gleiche vor sich. Kleinbauern starben oder hörten auf mit ihrer unrentablen Arbeit und hinterließen ihren Nachkommen, die bereits in die Agglomeration einer größeren Stadt gezogen waren, beinahe winzige, leere Anwesen, mit denen sie nichts anzufangen wussten und die sie über Maklerbüros zu verkaufen suchten. Und immer wieder fanden sich Romantiker und Aussteiger, die davon träumten, ihre Kinder „im Grünen großzuziehen. Zumindest teilweise. „Damit sie wissen, woher die Milch kommt, die sie über ihre Cornflakes gießen.

    Aber da die Bauern abgezogen waren und mit ihnen die Kühe, die sie zum Schlachter gebracht hatten, blieben die Kinder, was die Milchproduktion anlangte, so schlau wie zuvor. Das war doch der Gang der Dinge. Oder etwa nicht? Vermutlich nicht. Er irrte doch beinahe immer. Und wenn schon. Wen kümmert’s?

    Selby entspannte sich und betrachtete die Welt durch die halbgeschlossenen Augen. Der Regen wurde stärker. Die Scheibenwischerblätter, die schon längst ausgetauscht gehörten, wischten geräuschvoll über den Wasserfilm, ohne ihm etwas anhaben zu können.

    Wo sind wir hier, dachte Selby, in der Hölle? In einer tropfenden, sattgrünen, wolkenverhangenen Hölle?

    Er dachte nun intensiv an die Straße in Santa Fe, wo er noch vor zwei Wochen gewesen war, an die alte Navajo-Indianerin, die ihn aus der Touristenmenge gefischt hatte. Er dachte an die von der Sonne ausgeglühte Landschaft, die wunderbare Trockenheit der nahen Wüste und das Gewicht des neuen Stetson auf seinem Kopf. Und dann an die samtene Kühle im Haus der alten Indianerin, an das Zimmer voll mit Navajo-Touristenkitsch. Aber dennoch, er war geblieben, ohne zu wissen warum. Es war klar, dass die Frau Geld von ihm haben wollte, sobald sie irgendeinen Hokuspokus abgezogen haben würde. Trotzdem, er war geblieben. Tat alles, was die Alte ihn hieß, ließ sich ein Glas Wasser einschenken, vergaß, dass seine Familie, Cybill und Joseph, irgendwo draußen auf der Straße auf ihn warteten. Er spürte, dass er sich fallen ließ, aus einem unerfindlichen Grund, und zum ersten Mal seit Monaten hatte er sich tatsächlich entspannt. Es war wie ein Wunder. Ein seltsames, sanftes und kühles Wunder. Das faltige Gesicht der Alten, die träge Eidechsenzunge zwischen ihren Lippen, das gutturale Englisch, und dann, als sie nach seiner Hand griff, ihre dicken, trockenen und weichen Finger, da hätte er am liebsten geheult. Und dann hatte er es getan. Konnte nichts dagegen tun. Er war am Ende. Er war fertig. Und zum ersten Mal konnte er es sich eingestehen. Mein Gott, da saß er auf diesem lächerlichen Hocker, den blitzneuen Stetson im Nacken, er, Robert A. Selby, 200 Pfund Lebendgewicht, und die Tränen strömten aus ihm heraus und tropften auf den Adobe-Lehm-Boden einer alten Frau!

    Und eigentlich saß er nur wegen ihr, dieser alten Navajo-Frau, neben diesem Gebirgshippie und blickte in eine Welt von grünem Gras und niedrigen, verregneten Häuschen und nebelverhangenen Bergflanken.

    Jesus, have mercy on me!

    Und gerade als er beschlossen hatte, alles was ihn hierhergeführt hatte, und alles was er sah, als etwas dem neuen Weg zugehörig hinzunehmen, wandte sich der Fahrer zu ihm hin und sah ihn an, das Gesicht in das grüne Licht einer Ampelanlage getaucht.

    Selby mochte den Ausdruck nicht, den er im Gesicht des Fahrers entdeckte. Etwas in ihm stieß einen lautlosen Warnschrei aus, ließ die Nerven leicht vibrieren, aber dann war es auch schon wieder vorbei, denn der Fahrer drückte das Gaspedal des Toyota-Jeeps bis zum Boden durch und beschleunigte durch eine fast rechtwinklig abgehende Linkskurve. Hinter dem Wasserfilm der Frontscheibe tauchte der verschwommene und schattenhafte Umriss eines einzelnen Hauses auf.

    Selby löste sich einen Moment lang von dem furchteinflößenden Anblick und sah zum Fahrer hinüber, der seinen Körper mit gestreckten Armen in den Sitz zurückdrückte. Warum, dachte Selby, warum? Und dann wuchs das graue Haus mit den grünen Fensterläden ins Unermessliche, als wäre es eine Blüte aus Backsteinen, die sich auf der Windschutzscheibe plötzlich öffnete. Das einschießende Adrenalin bewirkte, dass nun alles wie in Zeitlupe geschah, und Selby empfand nur noch dieses einzigartige Gefühl einer atemraubenden Ohnmacht, wenn etwas geschah, das alles, was war und ist, verändern würde.

    Der Streifenwagen, den Isa Blumberg jetzt erst entdeckte, stand arschlings auf der Kreuzung, mit angeberischer Schlampigkeit abgestellt. Es war kurz nach sieben Uhr morgens, und Isa stand am Fenster, geweckt durch das Gebrüll des Schizophrenen, der mit eruptiver Verzweiflung gegen die Stimmen in seinem Kopf anschrie. Nicht nur sie war deswegen wach geworden, sondern noch jemand anderes, der offensichtlich die Cops gerufen hatte. Das Gebrüll fand vor offenem Fenster statt und war Straßenzüge weiter noch zu vernehmen. Begonnen hatte es schon am Abend zuvor, hatte sich über Stunden hingezogen. Es war unmöglich, einzelne Worte oder Sätze zu verstehen, aber wer es hörte, erwartete, dass das Gebrüll jeden Moment in etwas anderes übergehen, dass es seinen Höhepunkt, seine Erlösung in Pistolenschüssen oder alles zertrümmernden Axthieben finden würde. Aber es ging einfach nur weiter und weiter, von kurzen Pausen unterbrochen, in denen der Unsichtbare Luft holte oder einen Schluck Wasser trank, um seine Kehle geschmeidig zu halten.

    Dieses Gebrüll wirkte auf Isa, als wäre sie es, die angeschrien wurde, was ihre Wut anstachelte, und sie am liebsten zurückgebrüllt hätte. Es machte sie aggressiv, obschon sie ahnte, wie sehr der Mann unter den niemals schweigenden Stimmen in seinem Kopf leiden musste. Trotzdem, Mann, nimm deine verdammten Medikamente! Oder schließ wenigstens das Fenster!

    Schon gestern Abend waren die Cops da gewesen. Sie hatte den Streifenwagen gesehen, und nach einer Weile war das Gebrüll abrupt abgebrochen. Entweder hatten sie den Mann mitgenommen, oder das Auftauchen der Staatsgewalt hatte die Stimme in seinem Kopf kraft ihrer Autorität kurzzeitig zum Schweigen gebracht.

    In dem Moment als sie das Fenster schließen wollte, stoppte das Gebrüll. Aber noch in der Stille schwang die alles verätzende Verzweiflung mit, und es war klar, dass es jeden Moment wieder weitergehen konnte. Sie wartete noch eine Weile, blieb am Fenster stehen, atmete die kalte Morgenluft ein, und ging dann ins Bad, zog die alte Jogginghose an, nahm eines der frischen T-Shirts, die gestapelt auf der Waschmaschine lagen, zog es an, durchquerte die Küche und öffnete die Tür zu Penelopes Zimmer. Es war genau 7.10 Uhr.

    „Guten Morgen, Penelope, sagte Isa leise, „es ist Zeit. Sie konnte das Mädchen nicht sehen, da sein Bett vom Türblatt verborgen war, aber sie hörte, wie sich Penelope herumwälzte und mit einem verblüffend frischen „Guten Morgen, Isa!" antwortete. Als wäre sie längst wach gewesen und hätte sich irgendwas bei Netflix angesehen und darauf gewartet, dass Isa endlich käme, damit sie sich für die Schule bereit machen konnte.

    Isa schloss die Tür, ging zurück in die Küche, setzte Kaffee auf und machte das Frühstück für Penelope. Es fiel ihr schwer, wieder die Mama zu geben. Und wie jedes Mal, wenn sie die halbe Banane von der braun gewordenen Schale befreite und in die Schale schnippelte, Traubenbeeren halbierte, eine Birne zerteilte, dachte sie daran, dass Penelope alt genug war, um sich das Frühstück selber zu machen. Aber dann langte sie schon nach der Cornflakes-Packung auf dem obersten Regal, schaufelte mit der Hand eine Portion heraus und streute sie über den Obstsalat und dachte nicht weiter daran. Und als sie dann den Schokodrink mit Milch zubereitet hatte, sprudelte auch schon der Kaffee glucksend und duftend herauf.

    Sie trug den Kaffee und das Frühstück ins Wohnzimmer und wartete auf Penelope, die, wie sie hörte, gerade im Badezimmer verschwand. Das würde dauern.

    Isa setzte sich auf die Couch, entspannte sich, schnüffelte an der Kaffeetasse und dachte daran, welch seltsames Leben sie gerade führte. Wie alles gekommen war. Wie alles seinen Lauf genommen hatte. Eins hatte sich ins andere gefügt, ohne ihr Zutun. Ihr schien, als hätte sie die Geschehnisse nur abgenickt, in einer fast frivolen Mischung aus Neugier und Gleichgültigkeit und einem saloppen „Warum denn nicht?"

    So war es gekommen, dass sie Anfang Winter zu dritt in dieser Wohnung gelebt hatten. Ihr Sohn Kilian, der seine Priestersoutane abgelegt und sich als selbstauferlegte Buße dazu verdonnert hatte, den Winter über auf dem Bau zu arbeiten. „Ich will den härtesten Job, den es gibt, hatte er verkündet, und Isa hatte kein Wort darauf verschwendet, ihn davon abzubringen, sie hatte nur gesagt: „Der Wille des Mannes ist sein Himmelreich.

    Und tatsächlich hatte Kilian in der ihm eigenen Hartnäckigkeit eine Arbeit an Land gezogen, einen Knochenjob, der ihn abends über seinem Abendessen einschlafen ließ, die geöffneten, blasigen Handflächen herzeigend, als wäre er noch der Priester von früher, der während eines Segens über dem Altar zusammengesackt war.

    Aber das war längst wieder Vergangenheit, denn Kilian hatte sich mit dem ersparten Geld auf den Weg gemacht, war in einen Zug gestiegen, der nach Süden fuhr. Seinen wenigen Mails zufolge trieb er sich zurzeit in Griechenland herum. Wenn er zurückkam – wann immer das auch sein mochte –, würde er wieder mit ihr und Penelope zusammenwohnen. Oder auch nicht.

    Wie es auch kam, Isa würde es hinnehmen müssen, denn alles war wie gewöhnlich in einem Schwebezustand, improvisiert, aus der Situation geboren. Damit konnte sie umgehen, das war nichts Neues, das war ihr Reich.

    Sie trank den ersten Schluck Kaffee, der genauso schmeckte, wie Kaffee schmecken sollte, dunkel, warm und tief, mit einem Hauch Bitterkeit. Es war immer nur der erste Schluck, der so schmeckte. Sie stellte die Tasse wieder hin und lauschte nach den Geräuschen von Penelope, die im Badezimmer bei halb geschlossener Tür an ihrem Aussehen modelierte, eine träge, langwierige Beschäftigung, die gute zwanzig Minuten in Anspruch nehmen würde.

    Dass sie und Penelope nun zusammen wohnten, war absurd. Und dass sie die Mama für die Somalierin machte, die kurz vor ihrer Matura stand, war absurd hoch zwei.

    Sie hatten vor einigen Monaten eher zufällig zusammengefunden, beruflich gewissermaßen, und sie hatten sich nicht ausstehen können, waren aber aufeinander angewiesen gewesen.

    Nachdem Isas „Fall Jerk abgeschlossen war, hatte sie nicht damit gerechnet, Penelope jemals wieder zu begegnen, aber noch auf der Fahrt zum Krankenhaus mit der in den Wehen liegenden Düzen auf dem Rücksitz, war diese SMS eingetroffen: „Mami hat Asta doch zum Tierarzt gebracht. Sie hat gelogen. Sie wird ihn töten lassen. Also werde ich Mami töten!

    Mit „Mami" war ihre Adoptivmutter Wilma Koch gemeint, und Asta war Penelopes bissiger Schäferhund. Gewesen. Isa hatte der SMS damals keine Bedeutung beigemessen, sie hatte andere Probleme gehabt, nämlich die Geburt von Düzens Sohn. Auf dem Parkplatz eines Drive-in-McDonalds, auf dem Rücksitz von Düzens altem Mercedes-Taxi.

    Aber so leicht sollte sie nicht davonkommen. Denn Penelope hatte es zuwege gebracht, eine Horde militanter Tierschützer zu organisieren, die vor der Villa der Kochs gegen die Tötung des Schäferhundes demonstrierten, laut und vernehmlich, sodass die Nachbarschaft die Cops rief. Die Situation eskalierte, als Wilma Koch sich anschickte, ihre Adoptivtochter zur Rede zu stellen, und Penelope im Beisein der Cops, Leine schwingend auf Wilma losging und für alle hörbar das Versprechen ablieferte, nicht zu ruhen, bis auch ihre Adoptivmutter im Grab liegen würde. Die Cops gingen dazwischen. Eine Mediatorin, die schnell hinzugezogen wurde, empfahl als Erstes eine häusliche Trennung. Und an dieser Stelle kam nun Isa Blumberg ins Spiel. Penelope schlug vor, bei Isa zu wohnen, zumindest bis zum Schulabschluss. Das war, wenn man die Vorgeschichte bedachte, mehr als verrückt. Es war rätselhaft. Zwischen den beiden hatte es nicht den Anflug von Sympathie gegeben, vielmehr hatte sich in den vier Tagen, an denen sie miteinander zu tun gehabt hatten, eine krisenfeste Abneigung entsponnen. Aber Penelope ließ sich ihre Beweggründe nicht entlocken. Sie antwortete auf Isas Fragen nicht ausweichend, sondern überhaupt nicht. Da war sie wieder: die kleine, schlaue, schöne Bitch, die Isa auf die Nerven gegangen war.

    Und trotzdem hatte sie zugestimmt.

    Es mochte, uneingestanden, doch daran liegen, dass sie nun wieder mit ihrem Sohn Kilian zusammengezogen war und sie davor zurückschreckte, mit ihrem 27-jährigen Sohn allein zu sein, einem jungen Mann, der möglicherweise in eine Lebenskrise hineinschlitterte. Zum andern hatte sie gerade nichts zu tun. Aber es konnte auch sein, dass sie es war, die in eine Krise schlitterte. Und so bestand die Möglichkeit, dass ein gewisses Maß an Family Life sie davor bewahren konnte. Sie war dreiundfünfzig. Aber für eine Krise war es nie zu spät.

    So konnte sie ein bisschen auf Mama machen, eine Rolle, die sie so gut wie gar nicht kannte. Obschon es ihr ein wenig lächerlich erschien, die Mama für einen 27-jährigen Mann und eine fast 18-jährige junge Frau zu geben. Aber sie hatte zugesagt.

    Wie gesagt: Sie hatte ja sonst nichts zu tun. Außer – und daran versuchte sie nicht zu denken – auf diesen ominösen Anruf zu warten. Jerk hatte ihn vor Monaten, in höchster Bedrängnis, angekündigt. Ein Anruf, der von den rechtmäßigen Besitzern all des Notengeldes kommen sollte, das noch in der Weste steckte, die in ihrem Schrank auf einem Bügel hing. Eines Tages hatte sie das Geld herausgenommen und es gezählt. Es waren über dreißigtausend Euro in Zehnern, Zwanzigern und Fünfzigern. Reinstes Drogengeld. Direkt von der Straße.

    Aber niemand hatte sich gemeldet. Niemand wollte das Geld haben. Bisher. Das war eigenartig. Mehr als das. Es war irgendwie falsch. Und mit den Scheinen in der Weste hatte Isa nun eine Art Unruheherd im Haus, eine Provokation. Und schlimmer: die Weste war vor allem ein Indiz, dass diese Geschichte, dieser Fall „Jerk", noch nicht zu Ende war.

    Aber der Fall war abgeschlossen.

    Ronny, Jerks Bruder, war tot, gekillt von einem abartigen Ex-Wrestler, der im Gefängnis saß, während die Untersuchungen gegen Carla und ihre Freunde noch weiter betrieben wurden. Aber für sie, Isa Blumberg, war die Sache vorbei. Bis auf die Weste mit dem Geld und die Möglichkeit, dass sich jederzeit jemand melden konnte, um die Herausgabe zu verlangen.

    Und dies könnte zu einem Problem werden.

    Denn um die Kaution für die Wohnung aufzubringen, hatte sich Isa Geld aus der Weste geliehen. Nachdem sie es lange Zeit nicht angetastet und schon beinahe vergessen hatte. Bereits in dem Moment, als sie die ersten Scheine aus einer der vielen Taschen der Weste zupfte, wurde ihr bewusst, was dies bedeutete: Der Griff nach dem Geld, das „Ausleihen", verhieß nichts anderes, als dass sie bei der nächsten Gelegenheit die Weste wieder in Anspruch nehmen würde, wenn sie gerade nicht flüssig war.

    So war das Gesetz.

    Wie der Spieler, der seine Verluste durch höhere Einsätze wettzumachen suchte und langsam in einem Strudel aus Selbstbetrug, Lügen und moralischer Verlotterung versank.

    Sie empfand einen gewissen Reiz an der Unterschlagung. Es war, das wusste sie, das Geld von gefährlichen Leuten. Jerk hatte es mehr als einmal angedeutet.

    Aber was waren ein paar Tausender? Die waren doch allemal aufzutreiben, falls sie je fällig werden sollten.

    Waren sie das? Tatsächlich? Waren sie das?

    Isa hatte einige Male versucht, Jerk anzurufen, aber nur erfahren, dass der Anrufer nicht ans Telefon gehen konnte. Jerk blieb verschwunden. An den Sitzungen des AAT tauchte er nicht mehr auf, und die Lottmann wusste auch nichts oder gab vor, nichts zu wissen. Steckte er im Knast? War er untergetaucht? Tot?

    Was gegen all diese Vermutungen sprach, war, dass er oder irgendjemand anders die Telefonrechnungen bezahlte.

    Aber was bewies das schon, außer dass jemand die Telefonrechnung bezahlte. Aus welchen Gründen auch immer.

    Als Isa dann eines Tages auf ihrer Mailbox eine Nachricht in einer unbekannten Sprache abhörte, eine männliche Stimme, leise und klar, tat sie das als Falschanruf ab. Aber es beunruhigte sie, dass der Anrufer nicht versucht hatte, sie an den Apparat zu bekommen, sondern den direkten Weg zur Mailbox gewählt hatte. Isa dachte sofort an die Weste. Und an das fehlende Papier in ihr. Sie würde irgendwas unternehmen müssen. Aber was? Am Besten schien es ihr, das Problem, das noch nicht virulent war, einfach zu verdrängen. Das gelang manchmal gut, manchmal nicht so. Heute war ein Morgen, an dem es nicht so gut gelang.

    Sie tat einen großen Schluck aus der Kaffeetasse und betrachtete dann nachdenklich die Neige, dieses Melangebraun, das so viel heller war als die Haut von Penelope, die jetzt ins Wohnzimmer glitt, groß und jung und schön, mit diesem Schimmer auf der Haut ihrer nackten Arme. Hinreißend. Sie setzte sich Isa gegenüber und machte sich wortlos und unverzüglich über den mit Cornflakes bedeckten Obstsalat her.

    Sie sah Isa nicht an.

    „Alles so weit in Ordnung?", fragte Isa und trank einen Schluck Kaffee.

    „Wär schön, wenn du dich zum Frühstück ein wenig herrichten könntest. Das ist ja deprimierend", sagte Penelope kühl.

    „Oh, Verzeihung, die Dame, kommt nicht wieder vor, ich werde mich in Hinkunft dem Anlass gemäß aufziegeln …"

    „Aufziegeln? Was soll das denn? Wie redest du?"

    „Sagt man so. Ich meine, sagte man mal so."

    „Musst

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