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Fiebriger Sommer: Roman
Fiebriger Sommer: Roman
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eBook186 Seiten2 Stunden

Fiebriger Sommer: Roman

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Über dieses E-Book

Es ist ein schwüler Juni. Die 21-jährige Alicia kehrt zu der Beerdigung ihrer Großmutter in ihr Heimatdorf zurück, das sie vor drei Jahren fluchtartig verlassen hat. Ihrer von Wahnvorstellungen geplagten Mutter verspricht sie, einige Tage zu bleiben. Während der Sommer immer heißer wird und Träume in die Realität rinnen, trifft sie auf Menschen, die sie kannte, einen Fremden und ein undurchdringliches Kindheitstrauma.
Melancholie und Wahnsinn verschlingen sich, wilde Leidenschaft wird umhüllt von kühler Depression, Schönheit wandert an morbiden Albträumen entlang.

›Ein Roman, der schleichend einen intensiven Sog entwickelt, gefüllt mit in der Hitze flimmernden, vagen Mysterien. Schön, düster und außergewöhnlich.‹
SpracheDeutsch
Herausgebertredition
Erscheinungsdatum9. Mai 2023
ISBN9783347865150
Fiebriger Sommer: Roman
Autor

Simon Patschureck

Simon Patschureck wurde in Mannheim geboren, ist in Heddesheim aufgewachsen und hat sich früh selbstständig gemacht. Er hat eine Leidenschaft für alles Künstlerische, Musik, Filme und Literatur. »Fiebriger Sommer« ist sein Debütroman und zugleich sein erstes literarisches Werk überhaupt. Impulsiv geschrieben, ohne Anpassung an Konventionen oder Leitfäden.

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    Buchvorschau

    Fiebriger Sommer - Simon Patschureck

    1

    Dunkles Orange, helles Gelb

    Die Hitze schwängerte die Luft, ließ sie dick und träge durch Orte wabern, die in dem ausgestoßenen, monotonen Geruch von kokelndem Leder zähflüssig ineinander zerflossen, sodass man überall und nirgendwo sein konnte, nie wissend, wo man wirklich war. Aber hier wusste sie es.

    Ein einsamer, grauer, sich in die Länge ziehender Feldweg vor einem gravitätischen Meer aus Roggen. Darin zu ertrinken, wäre ein erfüllender Tod.

    Die hochstehende Sonne verwandelt das Roggenfeld in eine gezeichnete Erinnerung. Dunkles Orange, helles Gelb. Dahinterliegend: Nichts. Keine Zeit. Keine Erwartungen. Weder welche, die von anderen an einen gestellt werden, noch welche, die man an sich selbst oder wiederum an andere stellt.

    Stetig wiederkehrend drückt sich der sommerliche Wind gegen den Roggen, schiebt ihn mit sich und lässt ihn zurückfallen. Pause, Wiederholung. Ein animiertes Bild, ein echtes Bild.

    Alicia versinkt in diesem Schauspiel, inhaliert den Wind, lässt die Nostalgie durch ihren Körper wehen. Es sind einige Jahre vergangen, seit sie das letzte Mal hier stand. Damals war es ihr Ort. Ihre Mutter war ihm so unbekannt wie gleichgültig. Er blieb unberührt von ihrer eigenen Traurigkeit, als würde sie nicht existieren. Und außerhalb von ihr tat sie das auch nicht. Sie musste nur von innen nach außen entkommen. Es gibt viele Leben jenseits desjenigen, das man lebt. Und irgendwann würde sie in eines davon eintauchen. Eine leichte Nachmittags-Hoffnung, die an jedem darauffolgenden Morgen schwer geworden in einem Treibsand aus Müdigkeit einsank.

    Manchmal schloss Alicia vor dem sich bis zum Horizont erstreckenden Roggenfeld die Augen, ließ sie stundenlang geschlossen und überlegte auf ewig hierzubleiben, nicht nach Hause zurückzukehren, dort, wo ihre Traurigkeit Bedeutung hatte, dort, wo ihre Mutter einen Namen hatte, dort, wo sie selbst einen Namen hatte. Niemand hätte sie vermisst und sie hätte genauso wenig irgendjemanden vermisst.

    Immer wieder wird die Hitze vom aufkommenden Wind gebrochen, dessen wellenartiges Rauschen sich in das Zirpen scheinbar unzähliger Grillen einflechtet. Das Geräusch eines Sommers. Der zweiundzwanzigste Sommer ihres Lebens.

    Sie schließt die Augen, so wie sie es früher tat. Diesmal keine Stunden andauernd. Das Leben ist schneller geworden, die Zeit weniger. So zu fühlen wie damals wird nie mehr möglich sein, nur es zu simulieren. Hinter den geschlossenen Lidern findet Alicia vergessene Impressionen, in denen sich nasse Erde in den Zwischenräumen kindlicher Schuhsohlen verfangen hat. Im strömenden Regen mit winzigen Fingern aus den Rillen ausgeschabt, ergibt die Erde eigensinnig geformte, weiche Klumpen. Doch im Jetzt spürt Alicia ausschließlich die Trockenheit eines harten Bodens unter ihren Füßen.

    Als sie ihre Augen wieder öffnet, steht zwanzig Meter von ihr ein Mann im Wind. Frisch aus der heißen Junisonne geboren. Sein Gesicht hat er auf die Ferne gerichtet, sein in stetiger Bewegung flatternder, dünner Mantel ist eine einsame Gestalt, die der Wind angenommen hat.

    Der Mann schaut heraus auf das Meer aus Roggen, so wie sie es immer tat. Als wäre dasselbe Leid der Auslöser dafür, die Weite so sehnsüchtig in sich aufnehmen zu wollen.

    Dann wendet er seinen Blick Alicia zu. Zerwühltes, dunkles Haar. Sein entferntes Gesicht ist ein melancholischer Ort. Kantig, traurig, anziehend. Heimat. Alicia faltet ihre Hände. Heimat ist eine Illusion, etwas, wovon sich die Menschen erzählen wie von nicht existierenden Göttern.

    Sein Gesicht dreht der Mann wieder hin zur Ferne und läuft ihr entgegen, sein Gang geprägt von einer sonderbar hypnotischen Ruhe. Mit jedem weiteren Schritt verschwindet er tiefer im Roggenfeld. Dabei sieht es aus, als löse der Wind Fragmente seiner äußeren Hautschicht und verteile sie als transparente, gleißende Flächen im Cyan des Himmels. Bald darauf ist der Mann nicht mehr zu sehen, eingesickert in das Roggenmeer.

    Noch nie zuvor hatte sie hier jemanden stehen sehen. Es kam ihr als Kind so vor, als würde eine dünne, nicht sichtbare Glasschicht das weite Feld umschließen, bei der nur sie wusste, wo sich die schmale Öffnung zum Durchschreiten befand. Sie

    war dann das Mädchen hinter Glas.

    2

    Beerdigungen

    Ein Tag an irgendeinem November, da bekam Alicia von ihrer Großmutter eine graue Wollmütze geschenkt. »Immer bist du draußen unterwegs und jedes Mal sind deine Haare dann ganz nass. Das macht dich noch ganz krank«, hatte sie gesagt.

    Vermutlich ist sie deswegen zu ihrer Beerdigung gekommen. Vielleicht hatte sie auch nur darauf gehofft, hier Stille zu finden. Falsche Hoffnungen, damit kennt sie sich aus. Niemand sagt etwas, aber Stille gibt es hier keine. Beerdigungen sollten anders sein. In dem Versuch, sich an das Begräbnis ihres Vaters zu erinnern, sieht sie lediglich eine cremefarbene Wandecke vor sich, von welcher der Putz abbröckelt, während auf ihrem Trommelfell ein dumpfer Druck liegt, als würde sie jemand kopfüber in eine gefüllte Badewanne tunken.

    Die Hand ihres Freundes streift ihre. Sie bemerkt, wie er ihr Seitenprofil ansieht. Alicia hatte ihn gebeten, sie am Weg zum Roggenfeld herauszulassen, zum Friedhof vorzufahren und dort auf sie zu warten. Er gab keine Widerworte. Früher hätte er vergeblich darum gebeten, sie begleiten zu dürfen, aber mittlerweile hat er sich mit ihrem wiederkehrenden Drang nach Einsamkeit abgefunden.

    Die Sonne steht noch immer hoch, so wie sie es eine Stunde zuvor tat, herabscheinend auf den Mann im Wind. Und nun: Gesichter, als hätte jemand sie vor dem Grab auf hohen Holzpfählen in einer Reihe aufgesteckt und ihnen die trauernden Augen nur aufgemalt. Alicia blickt in jedes einzelne. Keine Heimat, auch nicht in den Gesichtszügen ihres Freundes, als er gezwungen lächelnd zurückschaut.

    Alicia treibt davon. Wohin? Irgendwohin. Hat überhaupt jemand etwas gesagt? Verlorengegangene Worte für ein verlorengegangenes Leben?

    »Mein Beileid.« Eine korrekte Hand, die ihre sich mechanisiert entgegen bewegende umgreift, holt sie zurück. Zurück wohin? Irgendwohin.

    »Mein Beileid.« Die Worte verändern sich nicht, aber sie kommen näher. Bis irgendwann ihr Freund aus Teenagerzeiten vor ihr steht. Anton. Vierundzwanzig ist jung, sagt man. Doch auch in seinem Gesicht hat sich der Ernst ausgebreitet, die Unbekümmertheit zurückgedrängt. Und er wird sein Werk vollenden.

    Antons Augen sind kühles Blau, seine Haare kühles Blond. Erst jetzt bemerkt sie die Kälte. Er streift mit seinem Handrücken seitlich über die Wange, als hätte Alicia seine Bartstoppeln nicht registriert und er müsste sie erst darauf aufmerksam machen. Seine Augen verfangen sich in ihrem Gesicht. Die Art, wie sie andere ansehen, gefällt ihr besser als die Art, wie sie sich selbst ansieht. Auch wenn sie ihr Spiegelbild jetzt im Juni besser erträgt. Sie ist das Kind eines späten Herbstes, aber sie hat das Gesicht eines flirrenden Sommers. Die langen, blonden Haare sind die sich über Häuserdächer, Baumkronen, Felder legenden, goldenen Sonnenschleier, und die Sommersprossen sind die darin tanzenden Mücken.

    »Mein Beileid.«

    »Danke.«

    Die Dämmerung kündigt sich mit leicht ins Rötliche übergehenden Verfärbungen des Himmels zaghaft an. Widersprüchlich geben sich die nüchtern engräumig angeordneten Gräber keine Nähe, sondern Distanz. Die dunkle Erde liegt zu Füßen, als wäre sie selbst eine Leiche. Auf dem hellgrauen Grabstein ihrer Großmutter ist in akkuratem Schriftverlauf mit breiten Buchstaben ›Marta Gerlspeck‹ eingraviert, darunter ihr Todesdatum. Zu Lebzeiten roch sie nach aufgefächerten Büchern und ausgelaufener Tinte. Sie war in dem kleinen Lebensmittelladen des Dorfes, als sie plötzlich umkippte und auf den Fliesen aufschlug. Herzstillstand; die Versuche, sie zu reanimieren, scheiterten. Das war es, was Alicia am Telefon über Martas Tod erfuhr.

    Die meisten sind bereits gegangen, aber Alicias Mutter ist noch hier. Sie steht wie immer etwas abseits. Der Wunsch, nicht gesehen zu werden. Keine Chance, denn gefunden wird man hier so oder so. Eine alte Frau steht bei ihr, der Rücken gedrückt von der Last vieler Lebensjahre.

    Alicia fühlt den unbearbeiteten, radikalen Zug vom Brustkorb ausgehend in ihren Hals hinein. Das Herz hält an oder es zerberstet. Sie bemerkt, wie ihr Freund sich zu ihr wendet. Sie möchte nicht in sein mildes Gesicht schauen, den unausgesprochenen Worten ›Soll ich dich begleiten?‹ keinen Anstoß geben, ausgesprochen zu werden.

    »Ist schon gut, Lamin.« Ihre nach unten durchgeführte Bewegung der Handfläche bedeutet ihm hierzubleiben.

    Alicia läuft auf ihre Mutter zu. Sie erlaubt sich kein Zögern. Die alte Frau nimmt wahr, wie Alicia sich nähert und weiß, dass es Zeit ist, zu gehen. Zum Abschied umschlingt sie die Hand von Alicias Mutter. Eine archaische Hand mit einer erschöpften vereint.

    Die Frau versucht ihren Rücken gegen die darauf angesammelte Last zu stemmen, dem Schwund ihrer Stimme entgegenzuwirken: »Mach’s gut, Elisabeth.«

    Dann geht sie tief gebeugt davon. Der Rücken hat den Kampf gegen die Last verloren.

    Alicias Blick ist auf das Profil ihrer Mutter gerichtet. Die langen Haare sind weiß und dünn geworden, um die abgesunkene Nasenspitze herum haben sich Einkerbungen gebildet. Und zugleich wird ihr Gesicht nach wie vor von dieser bedrohlichen Ästhetik überzogen, die schon immer ein Rätsel für Alicia war.

    Elisabeth dreht ihren Kopf leicht, nicht weit genug, um Alicia anzusehen. Unter ihrer dürren Haut am Hals wohnt etwas Bleiches, das im schwindenden Sonnenlicht durchscheint.

    »Wirst du hier bleiben? Wie versprochen?«

    Der Klang ist gleichgültig, die Frage ist es nicht.

    »Vorübergehend.«

    »Okay. Ich fahre vor und ihr folgt mir dann.«

    Obwohl ihre Mutter nicht hinschaut, führt Alicia erneut ihre Handfläche nach unten, versucht das mitschwingende Zittern aus ihren Antworten herauszuhalten.

    »Ich kenne den Weg noch.«

    3

    Altes Zimmer

    Das Rot am Himmel breitet sich aus, verschwimmt an den Enden. Lamin fährt, Alicia schaut aus dem Seitenfenster. Das Dorf, in dem sie aufwuchs durch einen glasigen Schutzfilm, der das Licht aufspaltet und auf ihrem Gesicht verteilt. Provinzielle Häuser, weiße Wände, rot-braune Dächer, grünes Gras, darüber der aufgespannte, schläfrig gewordene Himmel. Hier hätte ein anderes Leben stattfinden sollen. Die, das Dorf umschlingenden Bäume sind Gitterstäbe.

    »Ist alles okay?« Lamins Blick ist für einen Moment bei Alicia, dann wieder auf die Straße gerichtet.

    »Es sieht alles so aus wie vor drei Jahren.« Ist es Bitterkeit oder Angst, die sie schmeckt, als sie ihre Zunge bewegt?

    Lamin legt seine Handfläche auf ihren Handrücken. Seine Hand ist warm. Eine physische Gegebenheit, nicht mehr. Sie zieht ihre Hand unter seiner weg; er atmet hörbar aus.

    Aus Obuasi in Ghana waren seine Eltern vor vielen Jahren nach Hamburg gekommen. Sein älterer Bruder Enam war bereits geboren, Lamin kam erst drei Jahre später zur Welt. Er wuchs auf zwischen Eisenbetten und einer Toilette, seine Eltern husteten und ihre Glieder schmerzten.

    In einem Nachtclub sah sie ihn. Lagerhalle, stahlblaue Beleuchtung und ein kaltblütiges Gewitter an Lichtern, inmitten derer Lamin tanzte, er war nicht zu brechen, nicht zu bändigen. Die Menschen um ihn herum verschwammen ineinander, bildeten eine klumpige Masse und Alicia ging auf ihn zu. Er tanzte weiter, jedoch fand seine Sicht in Alicia einen Fokus. Sie suchten sich ein Motel und schliefen in derselben Nacht miteinander. Als sie aufwachte, stand er nackt am Fenster und als er sich umdrehte, lächelte er sie an. Es war bereits Mittag, Sonnenstrahlen bekleckerten die Scheibe.

    Zwei Jahre ist das mittlerweile her. Sie war neunzehn, er vierundzwanzig.

    »Hier rechts.« Alicias Arm ist gegen das Seitenfenster gelehnt, ihr Kopf wird von ihrer Hand gestützt.

    »Hier?«

    »Ja. Und dann geradeaus, bis ich Stopp sage.«

    Alicia schließt die Augen, als Lamin mit dem roten Hyundai Pony in die Straße ihres Elternhauses einbiegt. Sie atmet ein, die Lider öffnen sich wieder. Sie atmet aus. Der Lindenbaum am Anfang der Straße hat seine Baumkrone aufgespannt. Natursteinmauern, durch deren Fugen das Grün drängt. Angrenzend daran die Vorgärten der Häuser, Hortensien schließen hier an Stockrosen an, Stauden vor den Hauswänden,

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