Die Sehnsucht führt sie nach St. Johann: Der Bergpfarrer 251 – Heimatroman
Von Toni Waidacher
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Über dieses E-Book
Diese Serie enthält alles, was die Leserinnen und Leser von Heimatromanen interessiert.
»Sie sollten das net auf die leichte Schulter nehmen«, sagte Dr. Brenner und sah die junge Frau eindringlich an. »Der Thomas braucht dringend eine Luftveränderung. Fahren S' mit ihm in die Berge. Sie werden seh'n, Frau Leitner, in ein paar Wochen ist der Bub wieder gesund und munter.« Maria Leitner biss sich auf die Lippe und nickte. Dabei neigte sie den Kopf zur Seite und blickte zu ihrem Sohn, der in der Spielecke des Zimmers saß und mit einem Auto herumkurvte. Der Sechsjährige war ganz in sein Spiel vertieft und achtete nicht auf das, worüber sich die Mama und der Onkel Doktor unterhielten. »Haben S' ein Problem?«, hakte der Arzt nach. »Ich weiß, dass Sie allein erziehend sind, da muss man schon auf jeden Cent schau'n. Aber es gibt Stellen, an denen man sich Hilfe holen kann. Auch finanzieller Art.« »Nein, nein, es geht schon«, schüttelte sie den Kopf. »Ich mein', das mit dem Geld …« »Aber?« Die junge Frau zuckte die Schultern. »Die Berge«
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Buchvorschau
Die Sehnsucht führt sie nach St. Johann - Toni Waidacher
Der Bergpfarrer
– 251 –
Die Sehnsucht führt sie nach St. Johann
Aufregende Tage für Maria und ihren Sohn
Toni Waidacher
»Sie sollten das net auf die leichte Schulter nehmen«, sagte Dr. Brenner und sah die junge Frau eindringlich an. »Der Thomas braucht dringend eine Luftveränderung. Fahren S’ mit ihm in die Berge. Sie werden seh’n, Frau Leitner, in ein paar Wochen ist der Bub wieder gesund und munter.«
Maria Leitner biss sich auf die Lippe und nickte. Dabei neigte sie den Kopf zur Seite und blickte zu ihrem Sohn, der in der Spielecke des Zimmers saß und mit einem Auto herumkurvte. Der Sechsjährige war ganz in sein Spiel vertieft und achtete nicht auf das, worüber sich die Mama und der Onkel Doktor unterhielten.
»Haben S’ ein Problem?«, hakte der Arzt nach. »Ich weiß, dass Sie allein erziehend sind, da muss man schon auf jeden Cent schau’n. Aber es gibt Stellen, an denen man sich Hilfe holen kann. Auch finanzieller Art.«
»Nein, nein, es geht schon«, schüttelte sie den Kopf. »Ich mein’, das mit dem Geld …«
»Aber?«
Die junge Frau zuckte die Schultern.
»Die Berge«, antwortete sie, »sie sind meine Heimat, dort bin ich geboren und als ich sie damals verlassen hab’, da war ich sicher, nie wieder zurückzukehren …«
Dr. Kurt Brenner ahnte, was die Mutter seines kleinen Patienten durchlebte. Ganz sicher, es war seinerzeit nicht harmonisch zugegangen, als sie die Heimat verließ. Und nun hatte sie vermutlich ein Problem damit, wieder dorthin fahren zu müssen.
»Wo genau kommen Sie her?«, erkundigte sich der Arzt.
Er war Mitte vierzig, schlank und hatte ein freundliches Auftreten, das den Kindern, die er behandelte, die Angst nahm, sobald er sie ansprach.
Maria strich sich eine Strähne aus der Stirn. Ihre Haare waren weizenblond, das Gesicht hatte einen bräunlichen Teint. Zwei lebhafte, blaue Augen blitzten darin, konnten aber auch zornig blicken, wenn es einen Anlass gab. Die Sechsundzwanzigjährige hatte eine Figur, die manchen Mann veranlasste, den Kopf zu drehen, wenn Maria an ihm vorüberging, und ihr einfühlsames Wesen, ihr liebenswerter Charakter, machten sie bei Nachbarn, Bekannten und Vorgesetzten beliebt.
»Ich wurde in St. Johann geboren«, antwortete sie auf die Frage des Arztes. »Das liegt im Wachnertal.«
»Also genau dort, wohin Thomas für ein paar Wochen müsste. Noch besser wäre sogar einige Monate oder auch ein halbes Jahr. Sie werden seh’n, die Luftveränderung wird ihm gut tun.«
Maria Leitner sah wieder zu ihrem Sohn. Die letzte Nacht war besonders dramatisch gewesen. Seit er einige Zeit Ruhe gehabt hatte, bekam Thomas gestern Abend einen erneuten Erstickungsanfall. Die Hustenkrämpfe kamen völlig unerwartet und waren so beängstigend, dass Maria einen Notarzt gerufen hatte. Der hatte den Bub mit Sauerstoff versorgt und ihm ein Medikament verabreicht, das ihm besser Luft verschaffen sollte.
Seit Thomas vor einem guten Vierteljahr zum ersten Mal Anzeichen dieser Krankheit gezeigt hatte, lebte seine Mutter in ständiger Angst um ihn. Gerne hätte sie sich mehr um ihn gekümmert, doch Maria war gezwungen, arbeiten zu gehen, nachdem Franz Leitner vor drei Jahren überraschend verstorben war und Frau und Kind alleine gelassen hatte.
Es war schon schwer genug gewesen, heute frei zu bekommen, doch Maria, die als Bedienung in einem Wirtshaus arbeitete, hatte es bei ihrem Chef so dringlich gemacht, dass er schließlich ein Einsehen hatte und ihr zumindest den Vormittag frei gab.
Ansonsten kümmerte sich Gülcan, die Nachbarin, um Thomas, der in der Familie von Mehmet Cunkurt und seiner Frau immer herzlich willkommen war.
Der Kinderarzt suchte etwas auf dem Schreibtisch und zog eine Zeitungsseite unter einem Stapel anderer Papiere hervor.
»Schauen Sie mal«, sagte er und reichte Maria die Zeitung. »Das hab’ ich in der Wochenendausgabe gefunden. Ein Bauernhof im Wachnertal bietet Feriengästen Unterkünfte an. Offenbar ist es ein noch junges Unternehmen, denn die Preise sind sehr moderat, finde ich. Vermutlich müssen sie noch um Gäste werben und machen deshalb so ein gutes Angebot.«
Sie nahm das Blatt und las die umrandete Anzeige.
Ferien am Brandnerhof, stand dort in dicken Lettern zu lesen. Genießen sie Ruhe und Erholung im schönen Wachnertal. Auf unserem Bauernhof ist die Welt noch in Ordnung. Ihre Kinder werden begeistert sein, und Sie genauso! Unsere Tiere warten darauf, gefüttert und gestreichelt zu werden, während die Kinder beschäftigt sind und auf einem Esel reiten oder im Garten Gemüse ernten, können Eltern Kühe melken, beim Käsen helfen oder ganz einfach die Seele baumeln lassen. Unser gutes Essen und die gesunde Bergluft sind ein wahres Labsal für Körper und Geist.
Es folgte eine Staffelung der Übernachtungspreise, einschließlich Vollpension, sowie Hinweise auf Ausflugsziele und Möglichkeiten zur Freizeitgestaltung.
Maria schloss sich der Meinung des Arztes an; der Urlaubsbauernhof war sicher noch nicht lange in Betrieb.
»Das wäre wirklich eine Überlegung wert«, meinte sie, nachdem sie auch noch gesehen hatte, dass der Brandnerhof eher in der Nähe von Engelsbach lag, als in der von St. Johann.
»Tun Sie’s«, nickte Dr. Brenner nachdrücklich, »tun Sie’s für Ihren Sohn, und vielleicht lässt sich dabei gleich das wieder geraderücken, was damals der Grund für den Bruch mit Ihrer Heimat war.«
Maria nickte, aber es geschah eher automatisch, als dass sie den Worten des Arztes folgte. Freilich, für Thomas würde sie alles auf sich nehmen, aber dass die alte Geschichte sich würde wieder einrenken lassen, da hatte sie so ihre Zweifel …
*
»Was sagt denn der Doktor?«, erkundigte sich Gülcan, als Maria Thomas zu der türkischen Nachbarin brachte.
Ihr Chef hatte darauf bestanden, dass sie die Mittagsschicht übernahm, wenn sie schon am Vormittag fehlte. Maria war daher sehr in Eile.
»Praktisch eine Kur müsste der Bub machen«, sagte sie. »Wir sollen in die Berge fahren.«
»Das ist doch prima!«
»Du ahnst net, was du sagst«, entgegnete Maria Leitner.
»Dann erklär’s mir doch.«
»Heute Abend. Jetzt muss ich los. Gegen acht hole ich Thomas wieder ab. Danke, Gülcan. Ich wüsst’ net, was ich ohne eure Hilfe machen sollte.«
Die junge Türkin lächelte und strich über ihren leicht gewölbten Bauch; Gülcan und Mehmet Cunkurt erwarteten ihr erstes Kind.
»Kannst dich ja revanchieren, wenn unser Baby da ist«, sagte sie. »Also, bis heute Abend.«
Maria eilte zum Bus und fuhr in die Innenstadt. Das Wirtshaus ›Zum Hirschen‹ lag in der Nähe der Sendlingerstraße, in der zahlreiche Einzelhandelsgeschäfte zu einem ausgiebigen Einkaufsbummel einluden. Nicht wenige der Leute kamen anschließend zum Essen in das gutbürgerliche Lokal.
Das Restaurant hatte knapp hundertfünfzig Sitzplätze und war in mehrere Reviere eingeordnet, die die Bedienungen sich teilten. Die jungen Frauen, meist angelernte Kräfte, darunter viele Studentinnen, die sich hier etwas dazuverdienten, trugen einheitliche Dirndl mit weißen Schürzen dazu. Schweinshaxen und Braten mit Knödel waren die Renner bei den meist auswärtigen Gästen. Gegen drei Uhr kamen dann die Kaffeetrinker, und es wurde etwas ruhiger. Indes liebte Maria den Trubel, denn dann ging die Zeit schneller vorüber – und die vielen Gäste waren nach einem guten Essen auch mit dem Trinkgeld sehr spendabel …
Endlich war es sieben Uhr, und die junge Mutter hatte Feierabend!
Maria rechnete ab und überschlug kurz in Gedanken, wie viel sie zusätzlich eingenommen hatte. Die Trinkgelder kamen zu Hause in ein großes Sparschwein, das schon prall gefüllt war. Jetzt würde sie den Inhalt gut für den Urlaub gebrauchen können.
Mit dem Bus fuhr Maria nach Hause. Mehmet Cunkurt spielte mit Thomas Quartett, Gülcan wusch das Geschirr vom Abendessen ab.
»Hallo«,