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BLUTIGE GEZEITEN: Der Krimi-Klassiker aus Schottland!
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eBook340 Seiten4 Stunden

BLUTIGE GEZEITEN: Der Krimi-Klassiker aus Schottland!

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Über dieses E-Book

Das sowjetische Fabrikschiff Zarakov ankert nahe dem nordwestschottischen Fischerdorf Port Ard und verarbeitet an Ort und Stelle die Fänge der lokalen Fischer. Aber die Zarakov hat funktechnische Ausrüstungen an Bord, die weit über die Bedürfnisse eines solchen Schiffs hinausgehen.

Kein Wunder also, dass der Fischereischutzkreuzer Marlin in der Gegen von Port Ard auftaucht...

 

Der Roman Blutige Gezeiten von Bill Knox (* 1928 in Glasgow; † März 1979) erschien erstmals im Jahr 1982; eine deutsche Erstveröffentlichung erfolgte in Jahr 1984 (unter dem Titel Makrelen und Mord).

Der Apex-Verlag veröffentlicht eine durchgesehene Neuausgabe dieses Klassikers der Kriminal-Literatur in seiner Reihe APEX CRIME.

SpracheDeutsch
HerausgeberBookRix
Erscheinungsdatum15. Aug. 2021
ISBN9783748791669
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    Buchvorschau

    BLUTIGE GEZEITEN - Bill Knox

    Das Buch

    Das sowjetische Fabrikschiff Zarakov ankert nahe dem nordwestschottischen Fischerdorf Port Ard und verarbeitet an Ort und Stelle die Fänge der lokalen Fischer. Aber die Zarakov hat funktechnische Ausrüstungen an Bord, die weit über die Bedürfnisse eines solchen Schiffs hinausgehen.

    Kein Wunder also, dass der Fischereischutzkreuzer Marlin in der Gegen von Port Ard auftaucht...

    Der Roman Blutige Gezeiten von Bill Knox (* 1928 in Glasgow; † März 1979) erschien erstmals im Jahr 1982; eine deutsche Erstveröffentlichung erfolgte in Jahr 1984 (unter dem Titel Makrelen und Mord).

    Der Apex-Verlag veröffentlicht eine durchgesehene Neuausgabe dieses Klassikers der Kriminal-Literatur in seiner Reihe APEX CRIME.

    BLUTIGE GEZEITEN

    Vorspiel

    Auf dem Foto eines Wettersatelliten wurde das neue Tief, das sich in der Nähe von Island zusammenbraute, zum ersten Mal sichtbar. Drei Tage später, an einem Sonntag im Hochsommer, entwickelte sich das Tief zum Sturm, der über den Atlantik tobte und die Nordwestküste von Schottland heimsuchte. Höllische Windstärke 8, Regen und haushohe Wellen prallten zuerst gegen die lange Kette der Hebriden. Dann drehte der Sturm und raste voller Wut die See zwischen den Hebriden und dem Festland hinunter, die von den Seeleuten The Minch genannt wird.

    Die Schiffe in diesem Gebiet flohen vor den Naturgewalten und suchten in den nächstgelegenen Häfen Schutz. Riesige, haushohe Wellen rollten gnadenlos gegen die aus Felsbrocken aufgetürmten Wellenbrecher der vielen winzigen Häfen. Staubfeiner weißer Gischt wurde bis tief ins Binnenland hineingetragen.

    Der Orkan tobte sechsunddreißig Stunden lang ohne Unterbrechung, und The Minch verstärkte ihn noch wie ein riesiger Trichter. Leuchtturmwärter berichteten von zwanzig Meter hohen Wellen am Butt of Lewis, der nördlichsten Spitze der Insel Lewis. Sechs Seeleute kamen in den aufgewühlten Fluten um, als ein niederländisches Küstenschiff vor Barra Head kenterte und sank. Zwei Matrosen eines Versorgungsschiffes der Marine wurden über Bord gespült und in die Tiefe gerissen. Als das Schiff in Oban einlief, bestanden die Decksaufbauten nur noch aus einem Gewirr von verbogenem Metall. Dem Bereitschaftsboot von Campbeltown gelang es irgendwie, zwei Männer und ein Mädchen von einer Yacht zu retten, die in Hafennähe kenterte und sank. Ein anderes Mädchen, das mit an Bord gewesen war, ertrank. Seine Leiche fand man später angeschwemmt in einem Feld, das weit oberhalb der üblichen Hochwassermarke lag.

    Aber all das waren vergleichsweise nur geringfügige Spuren, die auf einer Fährte blindwütiger Raserei zurückblieben.

    Am Abend des zweiten Tages flaute der Sturm endlich ab. Zunächst ließ der unaufhörlich heulende Wind nach, verstummte dann ganz. Es hörte auf zu regnen. Und zuletzt wurde auch die wütende See ruhiger.

    Big Gibby MacNeil wusste von alldem nichts.

    Er lag im Sterben; er war in das Stadium eingetaucht, in dem nur noch ab und zu ein Gedanke wie ein hauchfeiner Faden wirr und verschwommen durch den Kopf zieht.

    Er wusste nicht, ob er sich wohl fühlte oder nicht. Er war nur müde und wollte schlafen. Wo er war, und wie er dahin gekommen war - auch das vage, ungewiss, verschwommen. Als er einmal für einen kurzen Augenblick aus seinem trancehaften Zustand erwachte, hatte er das unbestimmte Gefühl, ein Schaukeln und eine gleichmäßige Vibration zu spüren, die von einer Maschine herrühren konnte.

    Vielleicht befand er sich auf einem Boot; nicht, dass es noch irgendwie wichtig gewesen wäre. Nichts mehr war wichtig.

    Big Gibby MacNeil glitt in den Tod hinein.

    Er wusste nicht einmal, dass er ermordet worden war.

    Bei Tagesanbruch hatte sich der Sturm ausgetobt. Der Wind war zu einer leichten Brise abgeflaut, die See hatte sich beruhigt, und die Wetteraussichten waren gut. Zwar war die Küste noch mit abgerissenem Seetang und zertrümmertem Treibgut übersät, und empfindliche Menschen litten noch unter der hohen Feuchtigkeit der wie mit Elektrizität geladenen Luft. Aber für die praktischen Gegebenheiten des Alltags war das unerheblich.

    Die Kähne der Fischereiflotte fuhren wieder hinaus. Sie hatten schon zwei Tage verloren, und sie durften keine Zeit verlieren - nicht, wenn die Makrelen The Minch durchzogen. Riesige silbergraue Fischschwärme wurden gesichtet, ein so reicher Fang, wie man sich seit Menschengedenken nicht mehr erinnerte.

    Und wenn die Makrelen in solchen Mengen kamen, mussten jeder Mann und jedes Boot das Doppelte ihrer Leistungskraft einbringen. Die Makrelen blieben nur eine gewisse Zeit und zogen dann weiter. Tage oder Wochen, niemand konnte sicher sein, wie lange die Ernte dauern würde.

    So war es immer gewesen.

    Hugh Campbell war Kapitän der Cailinn, einem siebzehn Meter langen Boot mit einer fünfköpfigen Besatzung. Sie war eines der ersten Fischerboote, die aus dem kleinen Hafen in Port Ard ausliefen, und sobald sie den Gürtel der Wellenbrecher hinter sich gelassen hatte, schwenkte sie auf einen Südwestkurs ein, während achtern die Sonne aufging.

    Es war ein Morgen von der Art, an denen Hugh Campbell sich nach seinem Instinkt richtete. Er hielt die Cailinn über eine Stunde lang auf diesem Kurs, bis ihn eben dieser sein Instinkt für ein paar Minuten auf Nordkurs gehen ließ. Plötzlich wimmelte die See um das Boot von silbrig glänzenden Makrelen. Unzählige Möwen und andere Seevögel stürzten sich, im Steilflug angreifend, auf die Fische, und ab und zu griff auch ein unsichtbarer Räuber aus der Tiefe an. Die Makrelen versuchten ihm zu entfliehen, indem sie hochschossen und für kurze Zeit die Wasseroberfläche durchbrachen.

    Gegen zehn Uhr waren die Netze der Cailinn zum dritten Mal ausgelegt. Hoch stand die Sonne am wolkenlosen Himmel, die See glitzerte gleißend, die Metallbeschläge der Aufbauten waren so heiß, dass man sie nicht berühren konnte, und die Crew arbeitete schweißtriefend mit nacktem Oberkörper. Wie schon bei den beiden ersten Malen, waren die Netze, als sie eingeholt wurden, prall mit zuckenden und sich windenden Fischleibern gefüllt, und ebenso schnell wie das Wasser auf das Deck schwappte, trocknete es wieder.

    Wieder begannen sich Hunderte und Aberhunderte Makrelen in den Fischladeraum zu ergießen. Dort unten fand das jüngste Mitglied der Crew der Cailinn kaum Zeit, sich ein paar Minuten auszuruhen. Unermüdlich schaufelnd, deckte der Junge jeden frisch gefüllten Fischkorb, bevor er verstaut wurde, mit zerkleinertem Eis ab, das er aus dem Eisbunker holte.

    Erschöpft machte er eine kurze Verschnaufpause, wischte sich den Schweiß von der Stirn und hob die Schaufel wieder. Dann hielt er plötzlich inne - sein Atem stockte, ungläubig starrte er in das Dämmerlicht des Bunkers.

    An der Stelle, dort, wo er die letzte Schaufelladung Eisstücke herausgenommen hatte, ragte die Hand eines Mannes aus dem Eis.

    Auch die anderen stellten die Arbeit ein. Mit Schaufeln und den bloßen Händen halfen sie dem Jungen, den Toten auszugraben. Big Gibby MacNeil lag da, als schlafe er. Sein zerfurchtes Ledergesicht war mit Eisstaub wie gepudert. Eisstückchen hingen an seiner blauen Wolljacke, der dunklen Sergehose und auf den kurzen gelben Seemannsstiefeln.

    Sie kannten ihn alle. Jeder kannte Big Gibby.

    Neugierig versuchte einer der Männer den ausgestreckten Arm zu bewegen. Das steif gefrorene Ellbogengelenk knackte laut protestierend. Die Bewegung ließ die Jacke des Toten aufklaffen, und aus einer Tasche rollte eine fast leere Flasche billigen Whiskys.

    Einer der Männer kletterte aus dem Laderaum und ging zum Ruderhaus. Als Kapitän hatte Hugh Campbell das Ruder übernommen und hielt den stumpfen Bug der Cailinn hart in die Dünung.

    »Was gibt’s?«, fragte er kurz angebunden.

    Der Fischer meldete den Vorfall.

    »Hölle und Teufel!«, fluchte Campbell und meinte damit Gott und die Welt im allgemeinen.

    Das schien mal wieder typisch für Gibby MacNeil zu sein, dass er ausgerechnet an dem Tag erfroren war, der der wärmste des Jahres zu werden versprach. Man brauchte kein Hellseher zu sein, um zu wissen, wie das passieren konnte. Während der Sturm sich austobte, hatte die Cailinn fest vertäut am Kai von Port Ard gelegen. Wenn Big Gibby MacNeil getrunken hatte, war er schon immer unberechenbar gewesen. Mehr als einmal hatte er, in einem Winkel irgendeines Bootes zusammengerollt, seinen Rausch ausgeschlafen.

    Es war sein Pech, dass er sich diesmal in den leeren Eisbunker der Cailinn verirrt hatte. Als der Sturm abflaute, lag noch tiefe Dunkelheit über dem Hafen, aber wie alle anderen Kutter im Hafen von Port Ard, hatte die Cailinn schon in den ersten Morgenstunden Eis geladen, um so schnell wie möglich wieder auslaufen zu können.

    »Was sollen wir mit ihm anfangen, Skipper?«, fragte der Fischer. Er warf unsicher einen Blick auf das Funktelefon auf dem Schott. »Ich meine - nun ja, wollen Sie denen an Land Bescheid sagen?«

    »Damit hat’s keine Eile.« Hugh Campbell blickte mit gerunzelter Stirn zu den noch prall gefüllten Netzen hinüber. Er war ein anständiger, gottesfürchtiger Mann, der jeden Sonntag mit seiner Frau in die Kirche ging. Aber er war nicht nur der Skipper, er selbst war auch der Eigner der Cailinn. Daher zählten nur rein praktische und wirtschaftliche Erwägungen, alles andere musste dahinter zurückstehen. »Deckt ihn mit irgendwas zu, und dann sollen sich die Jungs wieder an ihre Arbeit machen.«

    »Und das Eis?«

    Campbell blinzelte. »Das wird benutzt. Was sonst?«

    »Aye.« Der Fischer nickte und verzog dann kummervoll sein Gesicht. »Es ist ein Jammer. Wenn Big Gibby nüchtern war, spielte er die Fiedel so gut wie kein anderer.«

    »Dann müsste er eigentlich mit einer Harfe auch ganz gut zurechtkommen.« Hugh Campbell wies mit dem Daumen auf das Netz. »Los, macht weiter da vorn!«

    Gegen Mittag waren die Netze zum letzten Mal eingeholt worden. Die Cailinn lag inzwischen auf neuem Kurs, ihre dröhnenden Maschinen stampften sie durch die niedrige Dünung, Loch Armach entgegen.

    Dort lag das russische Fabrikschiff vor Anker, dessen Verarbeitungsstätten gierig auf Fische warteten. An Back- und Steuerbord lag je ein Küstenschiff mit im Wind wehender Sowjetflagge längsseits, und beide waren erst zur Hälfte beladen. Die Russen kauften so viele Schiffsladungen Fische auf, wie sie bekommen konnten.

    Ein Brecher tauchte aus der Dünung auf, traf die Cailinn an Backbord und lief weiß schäumend über das Deck. Während das Boot krängte und wieder zur Ruhe kam, stemmte Hugh Campbell sich im Ruderhaus fest gegen den Boden. Dann ließ er die Cailinn Fahrt aufnehmen.

    Die Tür des Ruderhauses ging auf.

    »Kaffee, Skipper?«, fragte der Junge.

    Einen Dank brummend, nahm Campbell den dampfenden Becher mit einer Hand entgegen, kniff die Augen zusammen und blickte zu dem Einschnitt in der noch weit vor ihnen liegenden Küste hinüber, der die Mündung von Loch Armach markierte. In einiger Entfernung voraus konnte er zwei dunkle Punkte ausmachen, andere Boote, die demselben Ziel entgegenstampften.

    Er brauchte sie nicht zu fürchten. Die Russen zahlten einen festgesetzten Preis, nicht mehr, nicht weniger.

    Dann fiel ihm etwas ein. Es war wohl besser, wenn er den Jungs befahl, wegen Gibby MacNeil Stillschweigen zu bewahren, bis sie ihren Fang auf dem Fabrikschiff gelöscht hatten. Er glaubte zwar nicht, dass die Russen wegen eines Toten zwischen dem Eis im Kühlraum überempfindlich reagieren würden, der den Fischladeraum mit den Fischen geteilt hatte. Aber warum ein Risiko eingehen?

    Wieder rollte ein Brecher gegen die Cailinn, und Hugh Campbell musste gegensteuern, um das Boot im Ruder zu halten. Je näher sie der Küste kamen, umso mehr beschäftigte ihn ein Problem, das ihn an Land erwartete. Seine Frau lag ihm seit Tagen mit noch größerem Nachdruck als sonst in den Ohren, dass sie eine neue Waschmaschine brauche. Sein Anteil an dem Fang des heutigen Tages hätte damit wohl seinen Verwendungszweck gefunden.

    Die Maschine, die ihr vorschwebte, war ein amerikanisches Fabrikat. Er lachte leise. Sie sollte sie auch bekommen - und die Russen bezahlten sie.

    Mann, wie war das Leben doch manchmal kurios!

      Erstes Kapitel

    Es war drei Tage nach dem Sturm. An Bord des Fischereischutzkreuzers Ihrer Majestät Marlin saß Captain James Shannon zusammengekauert auf seinem Posten auf der Kommandobrücke und spähte gleichgültig durch das Fernglas.

    »Sie ist ein großes, hässliches Ungetüm«, stellte er laut fest. »Wahrscheinlich ist sie sogar bei totaler Flaute so schwerfällig wie eine Kuh.«

    Ausnahmsweise war der Erste Offizier Webb Carrick mit seinem Kommandanten einer Meinung. Es versprach wieder ein warmer Tag zu werden, was man besonders auf der geschlossenen Brücke zu spüren bekam. Er schob die Mütze ein wenig aus der Stirn in den Nacken und war froh, dass er ein offenes Hemd trug, anstatt wie üblich einen Rollkragenpullover.

    »Vielleicht haben sie einfach schwarz ist schön in groß ist schön abgewandelt«, meinte er mit einem vergnügten Blinzeln in den dunkelbraunen Augen. »Mütterchen Russland scheint Größe zu lieben.«

    »Das tun auch die Elefanten, Erster.« Shannon, ein kleiner, untersetzter Mann mit ergrauendem Bart, der sein mondförmiges Gesicht einrahmte, sah verschwitzt aus, lehnte es jedoch ab, die Uniformjacke abzulegen oder auch nur die Krawatte zu lockern. Er schnaubte verächtlich. »Sehen Sie sich den Kahn doch mal an!«

    Das 14.000 Tonnen schwere sowjetische Fabrikschiff Zarakov lag eine halbe Meile voraus, das Hammer-und-Sichel-Emblem leuchtete auffallend auf den Zwillingsschornsteinen. Die Zarakov hatte plumpe topplastige Decksaufbauten, die mit Antennen und Radarmasten bestückt waren und voraus und achtern von einem kleinen Wald von Derrikkran-Auslegern flankiert wurden. Der angerostete lange schwarze Rumpf vermittelte genau das, was sie war - nämlich mehr schwimmendes Fließband als Schiff. Sie hatte bereits Gesellschaft erhalten. Zwei Fischkutter von der Westküste, große, mit Schlagnetzen ausgerüstete Boote, luden an der Backbordseite der Zarakov ihren Fang aus.

    Shannon regte sich wieder. »Gehen Sie auf zweihundert Umdrehungen herunter, Erster. Sie sollen Gelegenheit haben, sich uns erst einmal gründlich anzusehen.«

    »Zweihundert - beide langsam voraus, Sir.« Carrick stellte am Geber des Maschinentelegraphen den Drehwinkel ein, und die Zwillingsdieselmaschine der Marlin wechselte die Tonart, klang jetzt leiser und träger. »Sollten nicht zwei Kühlschiffe bei ihr liegen?«, fragte Carrick verblüfft.

    »Haben wahrscheinlich deren Fracht an Bord genommen, und die sind inzwischen unterwegs nach Hause.« Shannon zuckte mit den Schultern. »Morgen kommt bestimmt ein anderes. Das ist ihre Arbeitsmethode.« Er sah den Rudergänger an, einen großen Mann aus Stornoway, der sich am Morgen nicht die Mühe gemacht hatte, sein Gebiss einzusetzen. Der Anblick ließ Shannon leicht angeekelt das Gesicht verziehen, dann bellte er: »Ruder fünf Strich Backbord, Andy!«

    »Fünf Strich Backbord.« Der Rudergänger drehte das Rad und saugte dann an seiner gummiähnlichen Unterlippe. »Wie nahe gehen wir ran, Captain?«

    »So nah, dass wir rüberspucken können.« Shannon schien mit seinen Augen den schrumpfenden Abstand zu messen. »Dann dicht um ihr Fleck rum. Aber denken Sie an die Fischerboote.« Mit einem Nicken zur Zarakov hinüber, wandte er sich wieder an Carrick. »Schon mal mit ihr zusammengetroffen, Erster?«

    »Bisher noch nicht.«

    Nicht mit ihr, aber mit anderen. In der Makrelensaison fielen die osteuropäischen Schiffe alljährlich wie Schwärme in die schottischen Gewässer ein - während der wenigen Wochen, in denen riesige Schwärme silberblauer Fische rund um The Minch wimmelten. Während dieser kurzen hektischen Wochen konnten die fangberechtigten Fischkutter,- die sich jedoch streng an die vorgeschriebenen Fangkontingente halten mussten, über 100.000 Tonnen Fisch absetzen.

    Die britischen Gesetze verboten den Osteuropäern, sich selbst direkt am Fang zu beteiligen. Aber die Fabrikschiffe durften den Fang aufkaufen, verarbeiten und in ihre Heimatländer verschiffen.

    Weiter südlich, in der Nähe von Loch Broom, lag ein ostdeutsches Schiff. Die Polen fand man vor Ullapool, und bei Stornoway gehörte ein weiterer »Russenkahn« fast schon zum Bild der Landschaft. Alle kauften sie den schottischen Booten ihren Fang ab, sie alle mussten spätestens an dem Tag wieder auslaufen, an dem die Makrelensaison offiziell endete.

    Das russische Schiff, das in Loch Armach, der tiefen Festlandsbucht nördlich der Sommerinseln, vor Anker lag, war von allen das größte.

    Carrick lächelte vor sich hin. Er war nicht der einzige an Bord der Marlin, der den schwarzen Rumpf mit seinen Aufbauten ungewöhnlich und interessant fand. Ein paar Männer der Crew hatten sich unter einem Vorwand an Deck eingefunden. Einige taten so, als kontrollierten sie den Kranausleger, der dazu benutzt wurde, die schnelle Motorbarkasse der Marlin auszusetzen. Andere wiederum, darunter der Koch und zwei ölverschmierte Maschinisten aus dem Maschinenraum, lehnten einfach an der Reling des Hinterdecks und blickten offensichtlich gelangweilt zu dem russischen Schiff hinüber.

    »Ich hasse es, Sie zu stören, Erster«, sagte Shannon mit leichtem Sarkasmus, »aber würde es Ihnen etwas ausmachen, aufzuwachen?«

    »Sir?« Carrick ignorierte das Grinsen des Rudergängers - erschreckend zur Schau gestelltes zahnloses rosafarbenes Zahnfleisch.

    »Überzeugen Sie sich, ob die beiden dort oben bereit sind.« Shannon warf auch dem Rudergänger einen finsteren Blick zu. »Und Sie - achten Sie auf Ihren verdammten Kurs!«

    Der Rudergänger setzte ein empörtes Gesicht auf. Die Kompassnadel hatte kaum gezittert. Aber er widersprach nicht.

    Carrick wandte sich ab, ging durch die Tür an Steuerbord und weiter auf das offene Brückennock. Auf einer Plattform über der Brücke war der große Suchscheinwerfer der Marlin montiert und wie immer tagsüber mit einer Persenning abgedeckt. Auf der Plattform standen zwei Männer: ein junger, bekümmert aussehender mit einer Kamera und ein dicker rothaariger im Overall, der Carrick zuwinkte.  

    »Alles in Ordnung?«, rief Carrick.

    »Fragen Sie nicht mich!« Obermaat William »Clapper« Bell kratzte sich durch den Overall in der Achselhöhle. Er war der Bootsmann der Marlin, ein derber Ire aus Glasgow und hatte ein Gesicht, das aussah wie mit einer stumpfen Axt zugehauen. Er wies mit dem Daumen auf seinen Kameraden und zwinkerte. »Fragen Sie den Fachmann.«

    »Nun?«, meinte Carrick resigniert.

    »Es gibt ein Problem«, gestand der andere wie stets bekümmert. Der junge, sommersprossige, übergewichtige Jumbo Wills, Zweiter Maat an Bord, lebte einerseits in Ehrfurcht vor Shannon und andererseits in der ewigen Sorge, was für ein Missgeschick ihn, den geborenen Pechvogel, als nächstes erwartete. Er leckte sich über die Lippen. »Es ist dieses verdammte Teleobjektiv, Webb. Ich weiß nicht, wie man damit umgeht.«

    »Oder wo man’s hintut«, warf Clapper Bell hilfreich ein.

    »Halten Sie den Mund«, knurrte Carrick barsch, froh, dass Wells nicht allein hier oben war. »Jumbo, richten Sie das Ding einfach auf das, was Sie fotografieren wollen und knipsen Sie drauflos, knipsen Sie, knipsen Sie.«

    Er wandte sich ab, blieb aber in der Nähe der Brückennock. Der Flottenstützpunkt zeigte großes Interesse an Fotografien von der Zarakov, Aufnahmen, die dann wahrscheinlich auf einem Schreibtisch im Verteidigungsministerium enden würden. Falls Wills daran gedacht hatte, einen Film in die Kamera einzulegen.

    Carrick seufzte und beobachtete eine große schwarzköpfige Möwe, die über den Bug der Marlin hinwegsegelte, dann einen weiten Bogen beschrieb und mit ihnen weiterflog. Es war früher Nachmittag, die Sonne stand hoch in einem fast wolkenlosen blauen Himmel, und die leichte Dünung in dem geschützten Meeresarm täuschte eine fast glatte See. vor. Die Maschinen der Marlin arbeiteten ruhig und gleichmäßig, ihr Kielwasser glich einem milchigen Band auf dem funkelnden Wasser. Die Brise war eben kräftig genug, um die blaue Flagge mit dem goldenen Kennzeichen des schottischen Fischereischutzdienstes am Fleck hin und her flattern zu lassen.

    Voraus, wo die Zarakov vor Anker lag, war Loch Armach noch immer über zwei Meilen breit. Auf beiden Küstenstreifen standen vereinzelt hübsche Häuser, umgeben von taschentuchgroßen Feldern, auf denen Rinder weideten. Hinter den Feldern trotteten Schafe gemächlich über die mit Heidekraut überwucherten Hügel, die sich ins Landesinnere duckten und dort in eine ferne Bergkette übergingen.

    Es war ein schönes, alltäglich friedliches Bild. Störend wirkte nur der massige schwarze Rumpf mit den aufragenden Zwillingsschornsteinen, die sich selbst auf höchst unwillkommene Weise in den Mittelpunkt rückten. Und im Vergleich zu der Zarakov schrumpfte die Marlin mit ihrer Länge von fünfundfünfzig Metern zu einer schaukelnden Nussschale zusammen.

    Aber die Marlin mit ihrem gedrungenen Schornstein und den schnittigen Linien eines abgewrackten Zerstörers wurde mit Besuchern und Problemen jeder Art und Größe fertig. Vierhundert Tonnen gehärteten Stahls, und dennoch konnten ihre 2000-PS-Dieselmaschinen, wenn nötig, dreißig Knoten Fahrt machen. Ihre Besatzung bestand aus dreißig Mann, drei Wachoffizieren und dem Maschinenpersonal. Jeder einzelne vom ersten bis zum letzten, sogar Jumbo Wills, war ein sorgfältig ausgesuchter Fachmann auf seinem Gebiet.

    Die Besatzung der Zarakov mochte es eigenartig finden, dass Schiffe des Küstengeschwaders nicht einmal mit einer Deckskanone ausgerüstet waren.

    Aber die Küstenschutzkreuzer vertraten entlang der schottischen Küste und in der 200-Meilen-Zone das Gesetz. Jeder Fischer, der das Pech hatte, sich mit der Marlin anzulegen, wusste, dass sie über etwas ebenso Wirksames wie Bordkanonen verfügte.

    Shannon. Er führte sein Schiff mit einer Mischung aus Erfahrung, Schlauheit und unglaublicher Tüchtigkeit, die ihm den Beinamen »Henker in Seemannsstiefeln« eingetragen hatten. Als Shannon ihn zum ersten Mal gehört hatte, war er entzückt gewesen.

    Carrick verzog das Gesicht. Shannon näherte sich einem Alter, in dem er aus dem aktiven Dienst ausscheiden musste, obwohl Gott jenen beistehen mochte, die auch nur anzudeuten wagten, dass er für den Job zu alt wurde.

    Es war nur einfach so, dass ein Problem Carrick quälte. Und sein Captain war, ohne dass er es wusste, ein Teil dieses Problems.

    Die Marlin steuerte so dicht am Bug der Zarakov vorbei, dass es aussah, als laufe sie auf Kollisionskurs. Dann glitt sie langsam an der Steuerbordseite des Russen entlang, während die See nervös zwischen den beiden Schiffsrümpfen plätscherte und aus dem Schornstein des Fischereikreuzers eine kaum sichtbare Abgaswolke entwich. Der obere Rand dieses Schornsteins lag wesentlich tiefer als das Hauptdeck des Russen, auf dem sich plötzlich dichte Reihen von Zuschauern eingefunden hatten.

    »Wie ich sagte, ein großes, hässliches Ungetüm«, brummte Shannon. Er war aufgestanden, und sein Hauptaugenmerk schien der scheinbar beiläufigen Begutachtung des Wasserstreifens zwischen den beiden Schiffen zu gelten. »Bugstrahlruder, Erster?«

    »Ist klar, Sir«, bestätigte Carrick. Er hielt das Brückentelefon in der Hand, um den Befehl durchzugeben, die Bugstrahlruder-Hilfsmaschine anzulassen, die viel dazu beitrug, dass die Marlin auf der legendären und inzwischen nicht mehr im Umlauf befindlichen Sixpence-Münze wenden konnte. Er warf einen Blick zum Deck des anderen Schiffes hinüber. »Wir ziehen ja ganze Volksmengen an.«

    »Ein paar davon sind sogar Frauen«, stellte der Rudergänger hilfsbereit fest.

    »Dann hätten Sie Ihr Gebiss einsetzen sollen«, maulte Shannon. »Steuern Sie mit wenig Ruder.«

    Aber der Mann hatte recht. Carrick warf noch einen verstohlenen Blick hinauf. Ein paar von den Gestalten, die an der Reling der Zarakov lehnten, waren unverkennbar weiblich, trotz der Gummischürzen und der plumpen Overalls. Ein paar winkten den Seeleuten auf dem Deck der Marlin zu, und eine - eine Frau mit ungeheuren »Vorbauten« - machte eine eindeutige Handbewegung, die keiner Erklärung bedurfte und nichts mit der Solidarität der Arbeiter zu tun hatte.

    »Was halten Sie von ihr?«, fragte Shannon unerwartet.

    »Nicht viel«, antwortete Carrick. Das Schiff - und er setzte voraus, dass Shannon das Schiff meinte -, an dem der Rost am Rumpf nagte und der Anstrich abblätterte, wirkte schäbig und vernachlässigt. Die Zarakov konnte höchstens ein paar Jahre alt sein, doch obwohl die meisten russischen Schiffe gut erhalten und gepflegt waren, war sie schon in stark abgenutztem Zustand. Angefangen bei einem Rettungsboot, das wie betrunken in seiner Verankerung schaukelte, bis zu den überquellenden Abfalleimern, die offen an Deck herumstanden und ständig von Möwen angeflogen wurden, fehlte es der Zarakov an grundlegender Sauberkeit und Instandhaltung. Sogar das Hoheitszeichen, Hammer und Sichel auf dem Schornstein, hätte dringend frischer Farbe bedurft. »Sie können sie behalten.«

    Shannon brummte etwas vor sich hin. Die Hände auf die Brückenreling gestützt, die stämmigen Beine auf den dicken Gummimatten, welche die Vibration dämpfen sollten, weit gespreizt, schien er in diesem Augenblick mehr als alles andere ein Teil seines Schiffs zu sein.

    »Das ist ein verdammter schwimmender Fischmarkt«, sagte er kurz. »Sie kann in wenigen Minuten eine Tonne Fisch ausnehmen und einfrieren und das vierundzwanzig Stunden täglich, wenn nötig.«

    »Fleißig.« Carrick hoffte, dass Wills und Clapper Bell auf der Plattform

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