Entdecken Sie Millionen von E-Books, Hörbüchern und vieles mehr mit einer kostenlosen Testversion

Nur $11.99/Monat nach der Testphase. Jederzeit kündbar.

Indianersommer: Wild Bill Turner im Wechselbad der Gefühle
Indianersommer: Wild Bill Turner im Wechselbad der Gefühle
Indianersommer: Wild Bill Turner im Wechselbad der Gefühle
eBook274 Seiten3 Stunden

Indianersommer: Wild Bill Turner im Wechselbad der Gefühle

Bewertung: 0 von 5 Sternen

()

Vorschau lesen

Über dieses E-Book

1779: Während Commander Turner auf die Reparatur der Ville de Rouen wartet, um den Atlantik nach Großbritannien zu überqueren, versüßt ihm die lebenslustige Lady Jane das Leben an Bord, während sein Sohn sich endlich bei ihm und unter der Obhut einer Amme befindet. Doch gilt die alte Seemannsweisheit: Wer zu früh rechnet, muss zweimal rechnen! Die Stadt Lunenburg wird überfallen und ein feindlicher Indianerstamm entführt Frauen und Kinder. Der Admiral beauftragt ihn, sie zu befreien. Ein deutscher Oberst und befreundete Indianer sollen ihm dabei helfen.
SpracheDeutsch
HerausgeberKuebler Verlag
Erscheinungsdatum28. Nov. 2016
ISBN9783863463106
Indianersommer: Wild Bill Turner im Wechselbad der Gefühle

Mehr von Paul Quincy lesen

Ähnlich wie Indianersommer

Titel in dieser Serie (7)

Mehr anzeigen

Ähnliche E-Books

Historienromane für Sie

Mehr anzeigen

Ähnliche Artikel

Verwandte Kategorien

Rezensionen für Indianersommer

Bewertung: 0 von 5 Sternen
0 Bewertungen

0 Bewertungen0 Rezensionen

Wie hat es Ihnen gefallen?

Zum Bewerten, tippen

Die Rezension muss mindestens 10 Wörter umfassen

    Buchvorschau

    Indianersommer - Paul Quincy

    978-3-86346-310-6

    Prolog

    Eigentlich sollte Commander William Turner mit seinem Schiff, der Ville de Rouen, schon längst wieder im heimatlichen Britannien weilen, aber die Beschädigungen, die diese im Gefecht mit den amerikanischen Freibeutern vor Beaufort erlitten hatte, zwangen ihn, New York anzulaufen, um sie vor der gefahrvollen Atlantiküberquerung reparieren zu lassen. Leider stellte sich nach der Ankunft heraus, dass das Trockendock der Werft auf unabsehbare Zeit belegt sein würde, daher wollte er den gut gemeinten Rat befolgen, weiter nach Halifax auf Nova Scotia zu verholen. Das umso lieber, da er in Manhattan beinahe auf Befehl des Geheimdienstes zum Meuchelmörder geworden wäre. Dazu kam noch der ungeklärte Mord an seinem Zahlmeister im Laderaum seines Schiffes. Vermutlich hatte er einen oder gar zwei Mörder in seiner Besatzung, deren Identität niemand kannte.

    Trotzdem hätte er froh und zufrieden sein können, da die schöne Lady Jane ihm das Leben an Bord versüßte und er seinen Sohn in der Obhut einer Amme endlich bei sich in Sicherheit wusste. Nun ja, wir wissen, dass bei Turner nur selten alles glatt geht. Auch für ihn gilt die alte Seemannsweisheit: Wer zu früh rechnet, muss zweimal rechnen! Wie schon der alte Cäsar so richtig zu bemerken pflegte: „Libenter homines id, quod volunt, credunt."[1] Es bleibt also abzuwarten, welche Stolpersteine ihm die unberechenbaren Götter der See noch in den Weg legen werden, ehe er wieder den Boden Britanniens betreten kann. Man wird den Verdacht nicht los, dass er Odysseus nacheifert, der bekanntlich für seine Heimfahrt von Troja nach Ithaka zehn lange Jahre benötigte. Allerdings hat der Schlingel davon allein ein Jahr bei der lieblichen Circe verbracht; was die beiden da so getrieben haben, wollen wir lieber nicht wissen. Hinterher kann man dann alles auf die Götter schieben. Immerhin haben diese der Circe die Gabe verliehen, Männer in Schweine verwandeln zu können; ein Erbe, das sie anscheinend vielen ihrer Geschlechtsgenossinnen hinterlassen hat …

    Nun warten wir ab, wie Commander Turner und seine Offiziere und Mannschaften die Herausforderungen meistern werden, die verborgen hinter dem dunklen Schleier der Zukunft auf sie warten.

    ***

    [1] Gerne glauben die Menschen das, was sie sich wünschen.

    Kapitel 1

    Nova Scotia, Juli 1779

    Der Mond näherte sich den tiefschwarzen verschwommenen Schatten der zerklüfteten Küstenlinie von Nova Scotia vor dem ein wenig geringer düsteren Westhimmel. Der mäßige Westwind drückte Feuchtigkeit in die dicht bewaldeten felsigen Hügel mit den dazwischenliegenden engen Fjorden, die weit in das Land hineinschnitten. Fahlgraue Schwaden waberten über dem Wasser. Daher war eine klare Trennungslinie zwischen der See und dem Ufer nicht zu erkennen. Das Meer war so drohend düster wie die kleinen mit sturmgebeugten, verwachsenen, knorrigen Bäumchen bestandenen Inseln und nackten felsigen Schären, an deren glattgewaschenen Abhängen sich widerwillig, müde und ermattet nach der langen Reise über den Atlantik die lange Dünung brach. Ab und zu hatte sie noch Kraft genug, unheimlich gegen die Felsen zu klatschen und eine kleine weiße Fontäne in die Höhe schießen zu lassen. Kaum sichtbar in diesem Stillleben aus Schwarz, Anthrazit, Dunkelgrau und der dahinterstehenden silbernen halben Mondscheibe geisterten die gespenstigen Umrisse von sechs völlig abgeblendeten Seglern auf nördlichen Kursen mit raumem Wind ihrem Ziel entgegen. Es war die Zeit des Beginns der Morgenwache um 04:00 Uhr, aber auf keinem der Schiffe, drei unterschiedlich großen Schonern, einem großen Kutter und einer handigen Brigg, war das Glasen der Glocke zu vernehmen. Was auch immer die Männer auf diesen Fahrzeugen vorhatten, es konnte nichts Gutes sein, wenn sie auf dieses geheiligte Ritual verzichteten. Am nordöstlichen Horizont zeigte sich ein dünner silberner Streifen. In Kürze würde die Sonne aufgehen. Was würde der Tag bringen?

    Auf dem Deck des größten Schoners wandte sich ein bulliger, untersetzter Mann in einem blauen Rock und einem Zylinder an den Rudergänger: „Mister Holmes, neuer Kurs NNW, ein Viertel W! Achtung das Deck: An die Schoten! Wir fallen ab und halsen! Lotgasten: Ständig loten, Jungs, jetzt wird es eng, also höchste Konzentration, verstanden!"

    Die Antwort war ein dumpfes Gemurmel mit einem gedämpften: „Aye, aye, Sir."

    Kapitän Whitehead drehte sich um und blickte achteraus, die kleine Flotte formierte sich hinter ihm in Kiellinie. Auch die führende Brigg halste, brasste die Rahen und trimmte ihre Segel für den halben Wind und lief mit Steuerbordhalsen unter Vollzeug in das dunkle Loch vor ihrem Bug hinein. Sie setzte sogar Leesegel. Kapitän Whitehead nickte anerkennend und murmelte: „Dieser Dearing ist zwar ein unausstehlicher Angeber, aber Courage hat er, das muss man ihm lassen. Es gehören schon Eier dazu, unter Vollzeug in dieses schwarze Loch zu preschen. Nun ja, er hat zur Sicherheit auch noch einen einheimischen Lotsen an Bord." Er lächelte grimmig, als er an die Gefangennahme des Mannes dachte. Es waren erhebliche Überredungskünste von Nöten gewesen, um den Mann zu überzeugen, dass es für seine Gesundheit besser war, den Befehlen der Freibeuter zu gehorchen.

    Der Kerl war ein sturer, dickköpfiger Mann, der vom schweren Leben als Fischer auf den Großen Bänken hart wie ein Granitbrocken geworden war. Dazu kam, dass er ein gebürtiger Deutscher war. Er stammte aus einer Gegend Norddeutschlands,[2] die sich etwas darauf einbildete, dass dort hohes, hartes Friesengewächs aufwuchs. Im Übrigen traf auf einen großen Teil der Bewohner Lunenburgs zu, dass sie aus Deutschland stammten. Allerdings kamen sie aus den verschiedensten Gauen des Fleckenteppichs, der sich das Heilige Römische Reich Deutscher Nation nannte. Erst ein abgeschnittenes Ohr hatte Nils Randerson beeindruckt. Er hatte den Knorpellappen, der ihm von einem grinsenden Seemann vor die Augen gehalten wurde, finster angestarrt und böse etwas in sich hineingeknurrt. Die Wunde befingern konnte er nicht, da seine Hände gefesselt waren. Als ihm der wohlmeinende Maat einen in Alkohol getränkten Lappen auf die Wunde presste, was höllisch brennen musste, verzog er keine Miene – wie schon gesagt, er war ein harter Mann. Schließlich kam er zu der Überzeugung, dass Kooperation unter diesen Umständen der bessere Teil der Tapferkeit war.

    Whiteheads Gedanken wanderten wieder zu Kapitän Dearing zurück. Schließlich hing von dem Mann eine Menge ab. Er musste das Landungskommando rechtzeitig an dem verabredeten Punkt absetzen. Hoffentlich waren die roten Verbündeten auch pünktlich zur Stelle. Sie waren zwar gute Krieger, aber leider so unzuverlässig wie eine sommerliche Abendbrise.

    Die Schoner liefen trotz der immer schwächer werdenden südlichen Kühlte mit dem ersten Reff in den großen Segeln in die Lunenburg Bay hinein, um der Gannet den nötigen Vorsprung zu verschaffen. Es wurde schnell heller. Vor dem Backbordbug zeichnete sich der dunkle Umriss des Rose Point immer deutlicher vom Hinterland ab, auf Steuerbord war jetzt das steinige Ufer des flachen, dicht bewaldeten Cross Island klar sichtbar. Vor ihnen näherte sich die Brigg unter dem Kommando von Kapitän Dearing bereits der Halbinsel, die dem Hafen von Lunenburg vorgelagert war und ihn gegen östliche Stürme schützte. Auf der nach Süden hinausragenden Landspitze waren die zerfallenen Wälle eines alten Forts aus dem Siebenjährigen Krieg zu sehen. Es hatte dem Kap zu seinem Namen verholfen: Battery Point. Nördlich davon auf der Ostseite war das Wasser bis dicht unter die Küste tief genug für die Gannet.

    „Achtung, das Deck! Die Reffs ausschütten, danach Schiff klar zum Gefecht. Jetzt gilt es, Jungs."

    „Schlauerweise haben wir uns den Sonntag ausgesucht, überlegte Whitehead selbstgefällig. „Da schlafen selbst die Fischer mal ein paar Stunden länger und laufen nicht in aller Herrgottsfrühe aus. Sie wollen den heiligen Gottesdienst nicht versäumen. Na, wir werden euch heute die Glocken ordentlich läuten, verlasst euch drauf, ihr verdammten Speichellecker von Schorchies Gnaden.

    Die Brigg vor ihnen drehte auf und lag hinter dem über sechzig Fuß hohen Hügel auf der Halbinsel bei. Sie war den Blicken etwaiger Frühaufsteher im Ort verborgen. Die Boote, die sie achteraus mitgeschleppt hatten, wurden längsseits geholt. Bis an die Zähne bewaffnete Seeleute sprangen hinein und setzten ans Ufer über. Wie von einem Zauberer mit einem magischen Spruch aus dem Nichts herbeibefohlen, erschienen dort plötzlich indianische Krieger in ledernen Jacken und Hosen. Auf dem Kopf trugen sie lederne Kappen oder einen Federschmuck. Sie begrüßten die Ankömmlinge und schwangen ihre Waffen über den Köpfen. Eines der Boote nahm die übrigen in Schlepp und brachte sie zur Brigg zurück, die wieder Fahrt aufnahm und eine Warteposition zwischen den zahlreichen gefährlichen Untiefen der Bucht einnahm. Sie sollte das Landungskommando und die Schoner vor unangenehmen Überraschungen von See her absichern. Die Schoner passierten langsam nacheinander die Landspitze und drehten auf die farbenfroh rot, blau und weiß gestrichenen Häuser und Schuppen des kleinen Ortes ein.

    Über dem Ort thronten drohend die beiden örtlichen Forts. Es handelte sich um Holzbauten, die aus massiven Baumstämmen errichtet worden waren. Ihr Grundriss war in etwa quadratisch. Das Erdgeschoss wies nur kleine schießschartenähnliche Fenster und eine schwere, widerstandsfähige Tür aus dicken Bohlen auf. Das erste Stockwerk hatte eine größere Grundfläche als sein Unterbau, stand also auf allen vier Seiten über. In den schrägen Balken, die in einem Winkel von vielleicht 45° nach oben und außen verliefen, befanden sich Schießscharten, in den senkrechten Wänden befanden sich kleine Fenster. Es handelte sich eher um Wehrtürme als um echte Festungswerke, vergleichbar den steinernen Kirchtürmen in Europa, die ehemals der Dorfgemeinschaft als Zufluchtsort und Verteidigungsstellung bei Überfällen gedient hatten. Whitehead musterte die beiden Bauwerke durch sein Fernrohr, konnte aber in ihrer Nähe kein Lebenszeichen entdecken. Die gottesfürchtigen Einwohner von Lunenburg schliefen den Schlaf des Gerechten.

    Da zerriss der scharfe Knall eines Schusses die sonntägliche Stille. Auf der Pier waren plötzlich an einigen Stellen hektische Bewegungen zu erkennen. Ein zweiter Schuss krachte. Whitehead musste nicht lange nachdenken, um sich ziemlich sicher zu sein, wer den Alarm ausgelöst hatte. Es waren gewiss die unvermeidlichen Angler gewesen. Alte Männer, die nicht mehr die ganze Nacht durchschlafen konnten, oder Trinker, die um diese Zeit ihren ersten Schluck aus der Flasche brauchten und meinten, das am unauffälligsten an der Pier mit einer Angelrute in der Hand bewerkstelligen zu können. Allerdings wusste jeder im Ort über ihre Schwäche Bescheid, aber hier waren sie jedenfalls außerhalb der Sicht- und Reichweite ihrer zänkischen Weiber.

    Seitdem es Gerüchte gab, dass die Stämme der Mi'kmaqs das Kriegsbeil ausgegraben hatten, ging kein Mann – und auch viele Frauen – ohne eine Schusswaffe aus dem Haus. Überall flogen jetzt Fenster und Türen auf. Zwar konnte Whitehead nicht verstehen, was sich die Leute zuriefen, aber er konnte sich doch den Sinn mühelos zusammenreimen. „Herr im Himmel! Die Yankees kommen! Zu den Waffen, Bürger!"

    Er brummte ärgerlich in sich hinein. Die Indianer schienen zwar die Wachposten wie besprochen rechtzeitig ausgeschaltet zu haben, aber mit den bettflüchtigen Alten hatte niemand, einschließlich ihm selbst, gerechnet. Nun hieß es schnell zu handeln. Laut befahl er: „Klar zum Ankern! Klar zum Bergen der Segel! Etwas plötzlich, die Herren!" Die Hafenbucht von Lunenburg mochte eine maximale Länge von knapp einer Seemeile und eine Breite von drei Kabellängen[3] haben. Hier unter Land in der Abdeckung der vorgelagerten Hügel war die Brise kaum noch spürbar. Die Schiffe der Freibeuter krochen nervenzermürbend langsam durch das Wasser – jedenfalls für das Gefühl der Yankees. Aus der Perspektive der Bewohner von Lunenburg näherten sie sich immer noch viel zu schnell.

    Aus den Hauseingängen quollen Männer in Hemdsärmeln oder in offenstehenden Röcken mit umgehängten Pulverhörnern und Kugelbeuteln. Die langen Musketen pressten sie gegen die Brust und eilten zu den Befestigungen auf den Hügeln empor. Whitehead fluchte verbissen vor sich hin. Wenn sich die Kerle darin verschanzten, dann würde man sie nur mit einem hohen Blutzoll da wieder herauswerfen können. Nicht auszudenken, wenn sie in dem Blockhaus auch noch über Artillerie verfügten, dann stellten die ankernden Schiffe leichte Ziele dar: „Wie Sitting ducks!", fluchte Whitehead verbiestert und schlug mit der Faust auf den Schandeckel der Reling. Die Schiffe konnten das Feuer nicht erwidern, da die maximale Höhenrichtung ihrer Stücke dafür nicht ausreichte.

    Die ersten Verteidiger hatten fast das westliche Bollwerk erreicht, als sie plötzlich zum Stillstand kamen. Es schien fast, als wären sie gegen eine unsichtbare Wand gelaufen. Whitehead stieß überrascht den Atem durch die Nase aus. Aber das Mirakel entpuppte sich sehr schnell als eine große Gruppe Indianer, die, wie es ihre Art war, urplötzlich aus dem Boden zu wachsen schienen und mit lautem Kriegsgeschrei über die etwa zwei Dutzend Männer herfielen. Der Kampf war hart, blutig und kurz. Am Ende waren die Weißen niedergemacht, aber auch ein knappes Dutzend Mi'kmaqs blieb von Kugeln getroffen oder mit von Kolben zerschmetterten Köpfen auf der Wallstatt zurück. Die überlebenden Krieger beugten sich über die Leichen ihrer Gegner, sobald sie sich wieder aufrichteten, schwenkten sie triumphierend etwas durch die Luft, das wie ein blutiger Lappen aussah. Whitehead hatte einen schalen Geschmack im Mund, denn er wusste, was das war. Die Indianer hatten ihre Gegner skalpiert, um später die versprochene Kopfprämie zu kassieren. Der Ausdruck „Kopfgeld" bekam durch diesen Brauch einen äußerst degoutanten Beigeschmack.

    An Land begannen die Kirchenglocken Sturm zu läuten. Vermutlich hofften die Bewohner, dass der Schall die kleinen verstreuten Ansiedlungen im unmittelbaren Hinterland und die benachbarten Orte hinter den Hügeln erreichen und deren Einwohner veranlassen würde, ihnen zu Hilfe zu eilen. Aber selbst wenn man dort die Zeichen richtig deutete, würde es eine geraume Zeit dauern, bis die Verteidiger von Lunenburg auf eine Verstärkung hoffen durften, die diesen Namen auch verdiente.

    Langsam, unendlich langsam krochen die Schiffe der Amerikaner in die Bucht hinein. „Segel bergen! Ausscheiden mit dem Loten!, kommandierte Whitehead. „Mister Holmes, sorgen Sie dafür, dass eine Spring an die Ankertrosse angesteckt wird!

    „Spring auf Ankertrosse, aye, Skipper!"

    Ratternd kamen die Segel herunter und wurden behelfsmäßig aufgetucht. Der Schoner kam zum Stillstand. „Lass fallen Anker!" Der schwere Anker klatschte laut ins Wasser, eine Wolke von Spritzwasser verschaffte den Männern auf dem Vorschiff eine nicht unwillkommene Erfrischung. Rumpelnd polterte die Ankertrosse durch die Klüse. Die Spring lag zum Laufen aufgeschossen auf dem Deck bereit. Der schwache Strom drückte den Schoner herum, langsam trieb er in die Bucht hinein.

    Der Kutter Seagull unter Kapitän Noah Adams und der kleine Schoner Divine Grace von Richard Franklin machten keine Anstalten zu ankern, sondern hielten auf den Kai zu, der von in den Grund gerammten dicken Baumstämmen gebildet wurde. Ihr geringerer Tiefgang erlaubte es ihnen, daran längsseits zu gehen. Die elegante Algonquin schob sich an der etwa gleichgroßen Faithful von Kapitän Whitehead vorbei und ließ in gut zwei Kabellängen Abstand von ihr den Anker fallen.

    Kapitän Whitehead übernahm das Ruder vom Bootsmann: „Mister Holmes, drehen sie mit der Spring das Schiff so, dass unsere Breitseite die Häuser bestreichen kann. Dann feuern Sie bitte eine blinde Salve – also ohne Kugeln – zur Warnung ab! Die Männer, die nicht zum Bedienen der Stücke benötigt werden, mit den restlichen Booten an Land übersetzen, Mister!" Whitehead fand wieder Zeit durch sein Fernrohr zu blicken. Er schaute zum östlichen Bollwerk hinüber und fluchte unchristlich, denn dort verschwanden gerade die letzten Männer in der Tür, die sofort hinter ihnen verschlossen wurde. Der Freibeuter sah vor seinem inneren Auge, wie drinnen die schweren Querbalken in die geschmiedeten Lagerungen eingelegt wurden. Kurz darauf erschienen die langen Läufe der Musketen in den Schießscharten und nahmen ohne zu zögern den Kutter und den kleinen Schoner unter Feuer, da deren Besatzungen die unmittelbare Gefahr darstellten. Da man sich hier draußen in der Wildnis aus dem Land ernährte, waren die Einwohner im Umgang mit Schusswaffen vertraut und in der Mehrzahl auch gute Schützen. Wer sein Wildbret nicht erlegen konnte, musste hoffen, dass er wenigstens ein begnadeter Fischer war oder einen grünen Daumen für den Anbau von Gemüse hatte. Diese Kerle im Bollwerk schossen jedenfalls verdammt gut, nach Whiteheads Geschmack bei weitem zu gut. Schmerzensschreie klangen vom Kai herüber. Leblose Gestalten wurden unter Deck getragen. Auch aus einigen Häusern wurde auf die Freibeuter gefeuert, die, sobald das möglich war, zornig und rachedurstig an Land sprangen, um diese Widerstandsnester auszuräuchern.

    Da kam unvermutet aus einer engen Seitengasse eine wilde, ungeordnete Menschenmenge auf die Pier gestürmt, Whitehead meinte zu sehen, dass auch Frauen darunter waren. Alle waren mit dem bewaffnet, was sie gerade zur Hand gehabt oder was sie am schnellsten hatten greifen können. Er sah Dreschflegel, Sensen, Heugabeln, Sicheln, Spaten, allerdings waren lange blitzende Messer, große Äxte und Säbel in der Überzahl. Daneben waren aber auch Pistolen und die eine oder andere Flinte zu sehen. Der unvermutete Angriff in ihrer Flanke brachte den Angriffsschwung der Amerikaner zum Stehen. Whitehead brüllte: „Was ist los, Holmes? Wo bleibt die Salve? Feuer frei, verdammt!"

    Die sechs Sechspfünder der Breitseite bellten giftig auf, lange, orangefarbene Lanzen schossen aus den Rohren, dann hüllte sich der Schoner in eine grauweiße Wolke aus Pulverqualm ein. Doch die Salve war Vergeudung von Pulver, denn die Wirkung auf die Kämpfenden am Kai war gleich Null. Ein blutiges Handgemenge hatte sich zwischen den beiden Parteien entwickelt. Langsam wurden die Freibeuter in Richtung ihrer Schiffe zurück gedrängt. So hatten sie sich den Verlauf des Überfalls nicht vorgestellt. Pardon wurde nicht gegeben, denn die Amerikaner wussten, wenn ihre Schiffe erobert wurden, waren sie so gut wie sicher verloren, auf der anderen Seite kämpften die englischen Loyalisten für ihre Familien, ihr Eigentum und nicht zuletzt um ihr Leben. Auf dem Kai bildeten sich große Blutlachen, in denen seltsam verkrümmte Leichen lagen. Verwundete mit blutenden Wunden versuchten, sich kriechend aus dem Kampfgetümmel wegzustehlen.

    Aus dem Blockhaus stiegen dunkle Qualmwolken auf, dumpfe Abschüsse rollten über die Bucht.

    „Verdammt! Ich habe es geahnt – sie haben Kanonen im Fort. Aber wo sind die Einschläge? Sollten wir mehr Glück als Verstand haben und den Engländern ist das Pulver feucht geworden? So wie der Qualm aussah, wäre das sehr gut möglich!"

    Das Ende für die tapferen Verteidiger kam, als die Boote der Faithful und der Algonquin anlegten und ihre brüllenden, waffenschwingenden Horden an Land spuckten. Kämpfend wichen die Tories zurück. Ihre Verteidigung brach vollends zusammen, als von hinten die Landungstruppe unter dem Kommando des Ersten Maaten Aaron Coleman von der Faithful zusammen mit den roten Kriegern in den Kampf eingriffen. Von einer geordneten Verteidigung konnte jetzt keine Rede mehr sein. Die dezimierte Gruppe der Verteidiger löste sich auf und wer konnte, eilte in Richtung seines Hauses davon. Den meisten war vermutlich bewusst, dass das nur geborgte Zeit war, aber sie sahen keine Alternative mehr. Wer nicht entkam, wurde niedergemacht und skalpiert.

    Nachdem die Pier fest in den Händen der Freibeuter und ihrer Verbündeten war, begannen einige der Yankees mit dem Geschäft, zu dessen Erledigung sie eigentlich hierhergekommen waren. Mit Äxten zerschlugen sie die Tore der Lagerhäuser, um festzustellen, ob der Abtransport der hier lagernden Güter lohnen würde. Aber sie konnten ihren räuberischen Aktivitäten nicht ungestört nachgehen, denn noch immer lagen die Kais unter dem wohlgezielten Feuer der Scharfschützen im Blockhaus.

    Whitehead beobachtete durch sein Teleskop wie sein Maat das Entermesser wütend durch die Luft schwang, schwach hörte er ihn in seiner besten Achterdeckkommandostimme brüllen: „Ausscheiden mit den Plünderungen, Männer! Her zu mir! Wir müssen zuerst das kleine Fort da drüben ausschalten, verstanden, ihr syphilitischen Trauergestalten mit dem Hirn einer Eidechse? – „Gut der Mann, dachte sein Skipper, „der Junge erkennt, was nötig ist, und handelt sofort entsprechend." Zwar konnte er die Antworten der Seeleute nicht verstehen, aber es kostete ihn keine Mühe, sie sich lebhaft vorzustellen. Sie würden murren und aufsässig werden. Sie waren keine Soldaten, deren Metier das Kämpfen war, sondern in erster Linie war der Raub ihr Geschäft, gleichgültig ob es sich um ein Schiff oder um eine Ortschaft handelte. Begeisterte Kämpfer waren sie nur, wenn der Ausgang des Kampfes von vorneherein feststand, weil sie sich in einer vielfachen Übermacht befanden.

    Die Kugel eines Schützen aus dem Wehrturm unterstrich ungewollt die Worte von Coleman. Einer der Kerle, der vorher die aufsässigsten Reden geschwungen hatte, warf plötzlich die Arme in die Luft und stürzte wie vom Blitz getroffen zu Boden. Das überzeugte die anderen. Oben auf dem Hügel dröhnten wieder die Geschütze. Diesmal schlugen die Kugeln schon zwischen dem Ufer unterhalb des Forts und den beiden ankernden Schiffen ins Wasser. Das Landungskommando – jedenfalls der größte Teil – folgte dem Maaten, der im Laufschritt die Stadt auf der Uferstraße durchquerte. Die Indianer blieben zurück und begannen schon mal mit der Plünderung. Ein Angriff auf ein Fort war nicht ihre Sache, sie verstanden sich darauf, einen Hinterhalt zu legen oder den Gegner im unwegsamen, unübersichtlichen Gelände überraschend zu überfallen, aber nicht auf eine Belagerung.

    Kaum dass die Freibeuter aus dem Schutz der Häuser heraus waren, wurden sie unter gut gezieltes

    Gefällt Ihnen die Vorschau?
    Seite 1 von 1