Die Piratin von Tortuga: Kompaktroman
Von Knut Petersen
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Buchvorschau
Die Piratin von Tortuga - Knut Petersen
Knut Petersen
Die Piratin von Tortuga
Kompaktroman
Carpathia Verlag
© 2014 Carpathia Verlag GmbH, Berlin
Cover: Robert S. Plaul (unter Verwendung eines Gemäldes von Willem van de Velde)
ISBN 978-3-943709-65-0 (EPUB)
ISBN 978-3-943709-66-7 (PDF)
Mehr Kompaktromane unter www.kompaktroman.de.
www.carpathia-verlag.de
Inhalt
Prolog
1. Die Not
2. Walfang
3. Die verwegene Jagd
4. Schiffbruch
5. In Ketten
6. Das Sklavenschiff
7. Kielholen
8. Gekapert
9. Tortuga
10. Regeln
11. Abgesetzt und ausgesetzt
12. Neue Namen
13. Kaperfahrt
14. Die Prinzessin
15. Die Schande
16. Kurs Tortuga
17. Die Geisel
18. Piratenehre
19. Die schnelle Klinge
20. Fieber
21. Über die Planken
22. Das Blatt wendet sich
23. Auf geheimen Pfaden
24. Die zukünftige Donna Evangelista
25. Entscheidung
26. Zurück nach Tortuga
Zum Schluss
Prolog
Der Lärm der Stadt, das Grölen der Betrunkenen, das Kreischen der Weiber – es war alles so weit weg. Er lag im weichen, warmen Sand, die Arme unter dem Kopf verschränkt, und blickte hinaus in die Unendlichkeit des karibischen Sternenhimmels. Das war Glück, echtes Glück. Seit wenigen Wochen war er nicht nur reich, sondern auch ein geachteter Steuermann und Beschützer der schönsten Frau, die jemals diese Insel betreten hatte. Und sie liebte ihn. Doch diesen Blick auf die Tausenden von namenlosen Sternen konnte niemand mit Geld kaufen – und erst recht nicht dieses Glücksgefühl, dass ihn nun umfing, in dem er sich treiben ließ, wie einer jener trägen gigantischen Grönländer in der Hamburger Bucht, auf die er einst Jagd gemacht hatte. Wie lange mochte das her sein? War es einfach das Glück, das ihn bis hierher gebracht hatte, oder war es mehr? »Wer so etwas überlebt hat, hat es nicht ohne Grund überlebt«, hatte der alte Brannigan einmal zu ihm gesagt.
Sie schmiegte ihren Kopf an seine Brust. »Du bist so schweigsam.«
Er brummte erst ein wenig und fügte dann fast entschuldigend hinzu: »Wir Friesen sind bekannt dafür, schweigsam zu sein.«
Ein kleines glucksendes Lachen war die Antwort. »Und wir Spanierinnen sind bekannt für unser Temperament. Es ist gemein, John Viking: Du weißt alles über mich, und ich weiß von Dir nur, dass Du blondes Haar hast und Wikinger bist.«
Er schnaubte. »Ich bin kein Wikinger.«
»Aber warum nennen sie dich dann alle Wikinger?«
»Der blonden Haare wegen.«
Sie seufzte. »Lass dir doch nicht alles aus der Nase ziehen. Wenn Du kein Wikinger bist, was bist du dann? Wo kommst du her? Was tust du in der Karibik? Was hast du auf Tortuga verloren?«
Er richtete sich vorsichtig auf und schaute ihr tief in die Augen. »Du willst wissen, wo ich herkomme? Wo meine Familie herkommt, und was ich gemacht habe, ehe ich nach Tortuga kam? Dann sollst du es wissen. Meine Familie stammt von einer Insel hoch im Norden.«
1. Die Not
Die ersten Oktobertage waren ruhig gewesen. Doch dann kam der Sturm mit aller Macht. Am 11. Oktober 1634 traf er die Inseln vor der Nordfriesischen Küste mit einer Gewalt, an die sich nicht einmal die Ältesten erinnern konnten. Zwei Tage wütete der Orkan, und als sich der Sturm legte, waren über 10.000 Menschen tot und die große Insel Strand in zwei Teile zerrissen.
Katastrophen von diesem Ausmaß wurden gewöhnlich nach Heiligen benannt. Für diese Flut musste der heilige Burkhard herhalten, ein englischer Missionar, der Bischof von Würzburg gewesen war und den mit der Nordsee nur verband, dass er einmal den Ärmelkanal überquert hatte. Immerhin fiel sein Namenstag etwa in die Nähe der großen Flut.
Für die, die übrig geblieben waren, begann eine harte und entbehrungsreiche Zeit. Viele Äcker waren vom salzigen Wasser der Nordsee überspült worden. Immer wieder kehrte das Meer zurück und verwüstete das Land. Manche verhungerten, andere gaben auf und verließen die zerrissene Insel.
Auch Johannes Thomsen musste erkennen, dass seine Felder nicht mehr zu retten waren. Schließlich nahm er seine Frau und seine drei Kinder und zog in den Norden auf die Insel Amrum, um sich dort als Tagelöhner in der Landwirtschaft und der Salzsiederei zu verdingen.
Zehn Jahre nach jener schlimmen Burchardiflut rüsteten 150 Kilometer südlich in Hamburg Kaufleute zum ersten Mal einen Walfänger aus. Sein Sohn Mathies war 13, als er zum ersten Mal davon hörte. Das Wort elektrisierte ihn. Er war inzwischen längst alt genug, seinen Vater und seinen großen Bruder Thom aufs Feld oder in die Saline zu begleiten. Doch das, so schwor sich Mathies, sollte nicht ewig so gehen. Er musste hier raus. Der Vater hielt solche Gedanken nur für Hirngespinste, die er versuchte, dem Sohn aus dem Leib zu prügeln, doch mit jedem Schlag wurde sein Drang nach Freiheit größer.
Eines Nachts, nach ganz besonders schlimmen Schlägen, schnürte Mathies ein paar Habseligkeiten zu einem Bündel zusammen und verschwand. Ein Fischer brachte ihn hinüber nach Föhr. Wenige Wochen später, es war Anfang April, segelte er als Schiffsjunge auf einem Walfänger in Richtung Norden. »Grönlandfahrten« nannte man jene einträglichen Expeditionen. Beim Ziel handelte es sich allerdings um Spitzbergen, das die Seeleute damals für einen Teil Grönlands hielten. Die Jagd nach den Grönlandwalen, die es hier in Hülle und Fülle gab, war vergleichsweise einfach. Die gemächlichen Riesen ließen sich in die Fjorde und Buchten treiben, wo es ein Leichtes war, sie abzuschlachten. Die Fangmethode wurde »Baienfischen« genannt. Das Walöl, der Walspeck und vor allem die Barten des Wals brachten den Fängern ein Vermögen ein.
Mit 13 hatte Mathies