Seewölfe - Piraten der Weltmeere 460: Die wilde Horde
Von Roy Palmer
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Rezensionen für Seewölfe - Piraten der Weltmeere 460
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Seewölfe - Piraten der Weltmeere 460 - Roy Palmer
8
1.
Wilde, bärtige, langmähnige Männer hausten auf der Insel Great Abaco, die zu der Gruppe der Bahamas gehört. Doch sie waren keine Eingeborenen, keine Indios oder Inselcaraiben, sondern Menschen einer ganz anderen Abstammung.
Sie waren aus der Alten Welt, ihre Heimat war der Norden Afrikas, Algerien und Marokko. Mit einer Schebecke waren sie im Juni vergangenen Jahres, 1594, über den Atlantik gesegelt und hatten sich in der Neuen Welt reiche Beute erhofft. Doch seit zehn Monaten saßen sie hier, auf diesem Eiland, von dem sie noch nicht einmal den Namen kannten, wie Schiffbrüchige fest.
Piraten – Mubaraks Horde von Galgenstricken und Schlagetots. Daheim, in Algier, hatte Mubarak den Kerlen vorgeschwärmt, wie leicht sie es in diesen Gewässern haben würden, Gold und Silber zu erbeuten.
Wie der Wolf in die Schafherde einfiel, so würden sie spanische Galeonen aufbringen und von den Masttoppen bis zum Kielschwein ausplündern. Begeistert waren die Kerle gewesen, und so hatten sie in dem unbändigen Begehren, neue wüste Abenteuer zu erleben und allesamt reich zu werden, den Atlantik überquert.
Schon bei der Überfahrt brach jedoch fast eine Meuterei aus. Die Zeit verstrich den Kerlen zu langsam, und kein Land kam in Sicht. Sie waren Küstenstrolche, keine Weltumsegler, und fast schien es ihnen, als habe Mubarak sie angelogen und es existiere gar keine Neue Welt.
Aber Mubarak wußte sich durchzusetzen. Er war ein scharfgesichtiger, adlernasiger Mann, schlank, breitschultrig, mit stechenden dunklen Augen und schmalen Lippen. Wie alt er genau war, wußte keiner, aber seine Bandenmitglieder schätzten ihn auf etwa Mitte der Dreißig.
Meuterer wurden von Mubarak kurzerhand erstochen oder erschossen. So hatte er sein Ziel erreicht und nicht auf halbem Weg umkehren müssen. Schließlich wollte er nicht in Algier hocken und am Hungertuch nagen. Dort nämlich war in der letzten Zeit die Beute äußerst mager geworden.
Der Platz war nicht schlecht gewählt: Westlich an den Bahamas vorbei segelten die spanischen Konvois mit den schwer beladenen Gold- und Silberschiffen. Dort würde man sie mit der schnellen, wendigen dreimastigen Schebecke aufbringen, die Mannschaften töten und die Schiffe samt ihrer Ladungen vereinnahmen.
Der Plan war vielversprechend gewesen. Mubarak war kein Dummkopf, und seine Kerle waren tollkühn und zu allem entschlossen. Und doch waren sie jetzt dazu verdammt, auf der sonst menschenleeren Insel zu hocken, die allerdings ein Paradies mit schneeweißen Stränden und romantischen Palmen war. Und dennoch war sie die Hölle.
Ihr Schiff waren sie los, und sie hatten nicht die geringste Aussicht, ohne fremde Hilfe Great Abaco wieder zu verlassen. Ihre einzigen Fortbewegungsmittel waren Flöße, die sie sich selbst gebaut hatten. Aber die taugten nur zum Fischfang. Man hätte mit ihnen nicht einmal zur nächsten Insel übersetzen können, ganz abgesehen davon, daß keiner eine Ahnung hatte, wo diese nächste Insel genau lag.
Die größte Schmach und Schande aber war, daß ausgerechnet Giaurs, Christenhunde, ihnen die Schebecke abgenommen hatten. Nie würde Mubarak diese Niederlage verwinden. Aber er hatte keine andere Wahl gehabt. Kapitulieren oder sterben, hatte es für ihn geheißen.
Zwei Dutzend Kerle hatte die Bande noch gezählt, als sie von den Giaurs auf der Insel an Land gesetzt worden war. Jetzt waren es nur noch zwanzig. Vier hatten ihr Leben gelassen. Streit und Neid, Haß und Gier bestimmten das Dasein der Piraten, und bei der Suche nach Nahrung schlugen sie sich gegenseitig die Köpfe ein. Es passierte immer wieder, daß sie sich gegenseitig zu bestehlen versuchten.
Im übrigen hatte sich die Horde in zwei Lager geteilt. Mubarak, sein Unterführer Selim und acht andere Kerle hausten in den sechs Hütten, die seinerzeit von den Spaniern am Strand der großen Bucht von Great Abaco errichtet worden waren. Anführer der Gegenpartei war der Riese Mustafa, der sich mit zehn Kerlen als Anhang in den Norden der Insel verzogen hatte.
Die Tage waren warm und langweilig, aber die Nächte auf Great Abaco waren alles andere als ruhig. Beide Meuten überfielen sich gegenseitig, es kam zu Prügeleien und Messerstechereien. Auch Ben Maruf, der Verrückte, hatte schon schwer Hiebe bezogen. Selim hätte ihn gern ins Jenseits befördert, doch der Kerl schien einen Schutzengel zu haben. Keinem gelang es, Ben Maruf endgültig über die Klinge springen zu lassen.
Dabei gab es auch in Mustafas Gruppe Kerle, die das Kichern und Kollern des Irren nicht mehr ertragen konnten. Da war zum Beispiel Achmed, ein finsterer Kerl mit zottigem Bartgestrüpp, der zu den geschicktesten Fischern gehörte. Jedesmal, wenn Ben Maruf in seine Nähe geriet, schnitt er ein Gesicht, als wolle er ihn zerfleischen.
Ben Maruf hatte während der Überfahrt an Bord der Schebecke den Verstand verloren, als er im Verlauf eines Versuches der Meuterei dem Kerl Lekbir hatte helfen wollen. Mubarak hatte ihn weggestoßen. Ben Maruf war mit dem Hinterkopf gegen das Beiboot geknallt und bewußtlos geworden. Als er wieder bei Bewußtsein war, hatte die Bande registriert, daß er nicht mehr „alle beisammen hatte".
An sein blödes Grinsen hatten sie sich inzwischen gewöhnt. Doch es waren seine hirnrissigen Streiche, die die Kerle immer wieder in Wut und Rage versetzten. Und wie alle Seefahrer hegten auch sie eine instinktive Abneigung gegen Geistesgestörte.
Aber es war immer noch der Riese Mustafa, der sich vor Ben Maruf stellte. Ben Maruf war sein Schützling. Wer Ben Maruf auch nur ein Härchen krümmte, legte sich gleichzeitig mit Mustafa an. Wäre Ben Maruf indes bei der Mubarakmeute geblieben, dann hätten ihm Mubarak oder Selim längst die Gurgel durchgeschnitten.
Mustafa konnte sich noch am besten der Zeiten entsinnen, in denen Ben Maruf klar bei Verstand gewesen war. Er hatte weder Tod noch Teufel gefürchtet und die verwegensten Aktionen durchgeführt, wenn sie ein fremdes Schiff gekapert hatten. Ja, und einmal hatte er ihm, Mustafa, sogar durch blitzschnelles Handeln das Leben gerettet. Darum beschützte Mustafa Ben Maruf, denn auch ein Galgenstrick hatte seine Ehre, und einem Kumpan schlug man nicht einfach den Schädel ein, wenn es keinen sehr triftigen Anlaß dafür gab.
An einem dieser Tage, Mitte April 1595, kehrte Achmed am Vormittag mit einem der Flöße zu dem Landeplatz im Norden der Insel zurück. Dieser Platz war eine winzige Bucht, die fast völlig von Mangroven, Zypressen und Lianen zugewuchert war und nur eine ganz schmale Einfahrt hatte. Spanisches Moos hing von den Baumästen hinunter und berührte am Ufer die Wasseroberfläche. Nur am Südufer war durch eine unerklärliche Laune der Natur ein Streifen Sand ausgespart geblieben. Dort lagen die Flöße, die die Kerle in langwieriger Arbeit zusammengezimmert hatten.
Oft liefen sie mit den Flößen aus, nur, um nach Schiffen Ausschau zu halten. Doch es zeigten sich keine Mastspitzen an der Kimm. In zehn Monaten war keine Galeone, keine Karavelle, nicht einmal eine lausige Schaluppe aufgetaucht. Es war ein desolater Zustand des Dahindämmerns. Man überlebte, aber man wußte nicht, warum man sich noch am Leben erhielt.
Achmed hatte mit simpelsten Mitteln einige recht große Fische gefangen: Zackenbarsche und Rotbarben, Umber und Zahnfische. Stolz paddelte er in die Bucht und zog das Floß neben die anderen auf den