DAS ZIMMER IM ERSTEN STOCK: Der Krimi-Klassiker!
Von George H. Coxe
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Wo nahe des Städtchens Surrey der Connecticut River in den Atlantik mündet, leitet Donald MacLaren eine kleine Bootswerft. Das einst friedliche Leben ist turbulenter geworden, seit der reiche Lebemann Oliver Kingsley zwar auf einer Insel im Fluss, aber dennoch in der Nachbarschaft ein Haus gemietet hat und an den Wochenenden dort Hof hält. Seine Angestellten und Freunde sind auch seine Untertanen; Widerspruch erträgt Kingsley nicht, und er liebt es, seine Mitmenschen zu tyrannisieren.
Außer Kingsley und Ackerman sind derzeit Harry Danaher – der Kingsleys Jacht führt –, die Sekretärin Carla Lewis, der Maler Earl Harwell und das Mannequin Lucille Baron zu Gast in Kingsleys Haus. Im ersten Stock des Hauses hält Kingsley außerdem Ruth, seine dritte Gattin, gefangen, nachdem auch sie die Nase voll von ihm hat. In einer Nacht kann Ruth flüchten. Sie bittet MacLaren um Hilfe, der ihr ritterlich beispringt und sich deshalb mit Kingsley schlagen muss, der seiner Frau wütend gefolgt ist. MacLaren wirft seinen Gegner in den Fluss. Am nächsten Morgen ist Ruth verschwunden, und Kingsleys Leiche wird geborgen...
Der Roman Das Zimmer im ersten Stock von George H. Coxe (* 23. April 1901 in Olean/New York; † 31. Januar 1984 in Old Lyme/Connecticut) erschien erstmals im Jahr 1959; eine deutsche Erstveröffentlichung erfolgte 1962.
Der Apex-Verlag veröffentlicht eine durchgesehene Neuausgabe dieses Klassikers der Kriminal-Literatur in seiner Reihe APEX CRIME.
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DAS ZIMMER IM ERSTEN STOCK - George H. Coxe
Das Buch
Wo nahe des Städtchens Surrey der Connecticut River in den Atlantik mündet, leitet Donald MacLaren eine kleine Bootswerft. Das einst friedliche Leben ist turbulenter geworden, seit der reiche Lebemann Oliver Kingsley zwar auf einer Insel im Fluss, aber dennoch in der Nachbarschaft ein Haus gemietet hat und an den Wochenenden dort Hof hält. Seine Angestellten und Freunde sind auch seine Untertanen; Widerspruch erträgt Kingsley nicht, und er liebt es, seine Mitmenschen zu tyrannisieren.
Außer Kingsley und Ackerman sind derzeit Harry Danaher – der Kingsleys Jacht führt –, die Sekretärin Carla Lewis, der Maler Earl Harwell und das Mannequin Lucille Baron zu Gast in Kingsleys Haus. Im ersten Stock des Hauses hält Kingsley außerdem Ruth, seine dritte Gattin, gefangen, nachdem auch sie die Nase voll von ihm hat. In einer Nacht kann Ruth flüchten. Sie bittet MacLaren um Hilfe, der ihr ritterlich beispringt und sich deshalb mit Kingsley schlagen muss, der seiner Frau wütend gefolgt ist. MacLaren wirft seinen Gegner in den Fluss. Am nächsten Morgen ist Ruth verschwunden, und Kingsleys Leiche wird geborgen...
Der Roman Das Zimmer im ersten Stock von George H. Coxe (* 23. April 1901 in Olean/New York; † 31. Januar 1984 in Old Lyme/Connecticut) erschien erstmals im Jahr 1959; eine deutsche Erstveröffentlichung erfolgte 1962.
Der Apex-Verlag veröffentlicht eine durchgesehene Neuausgabe dieses Klassikers der Kriminal-Literatur in seiner Reihe APEX CRIME.
DAS ZIMMER IM ERSTEN STOCK
Erstes Kapitel
Die Bootswerft MacLaren erhob sich an einem Ufer der schmalen, unter der Einwirkung der Gezeiten stehenden Bucht, die nahe der Mündung des Connecticut River ins Land einschnitt. Gegenüber lag eine kleine Insel, doch hier, entlang des befestigten Ufers, ständen die beiden geräumigen Bootsschuppen mit ihren Rollen und Slips, der mächtige Kran, das Ausrüstungsdock und die Werkstätten. Auf der rechten Seite, zum Fluss hin, befanden sich die Bootsstege und Anlegeplätze, die im Augenblick, bis auf vier, alle belegt waren.
Der Frühling hatte viel Arbeit gebracht, doch jetzt, da es auf den Juni zuging, stand einer der Bootsschuppen ganz leer, und im anderen lagen nur noch drei Kajütboote, von denen zwei in der folgenden Woche vom Stapel gelassen werden sollten.
Es war schon spät am Nachmittag, und Donald MacLaren legte eine kleine Arbeitspause ein, um sich eine Flasche Limonade aus dem Automaten zu holen, der auf dem Werftgebäude vor dem altertümlichen Fachwerkbau stand; letzterer diente ihm zugleich als Büro, Ausstellungsraum und Sommerquartier.
Stromaufwärts lagen ein Kutter und eine Jolle in der Ausrüstungswerft vor Anker, und MacLaren beobachtete zerstreut, wie der Kran ausschwenkte und der Großmast der Jolle einen Augenblick lang leise hin und her schaukelte, bevor er sich sanft in die Spur senkte. Als die Arbeiter anfingen, die Stütztaue festzuzurren, wurde seine Aufmerksamkeit durch ein sich näherndes Motorengeräusch abgelenkt, und er drehte sich um. Eine Motorjacht war vom Fluss in die Bucht eingelaufen und setzte gerade zum Wenden an. Die Fahrrinne zwischen dem Hauptdock und der Insel war jedoch nur etwa fünfzig Meter breit, und der Mann am Ruder war offensichtlich kein Experte. Er setzte mit der Wendung viel zu dicht am Ufer an, sah dann, dass er nicht herumkommen würde, und drehte gerade noch rechtzeitig bei, um ein Auflaufen zu vermeiden. Gereizte Flüche schallten über das Wasser, dann tauchte ein zweiter Mann aus der Kajüte auf und kam hastig nach vorn gelaufen, um ein Tau aufzurollen, das schon längst hätte aufgerollt werden müssen.
Larry Keats, der Oberschüler, der in seiner Freizeit auf der Werft mitarbeitete, erschien hinter MacLaren in der Tür.
»Junge, Junge«, meinte er. »Das ist aber eine alte Kiste.«
»Kann man wohl sagen«, entgegnete MacLaren. »Du gehst denen wohl am besten ein bisschen zur Hand.«
Die Jacht war etwa zehn Meter lang und machte mit ihrem schmalen, schwarzgeteerten Rumpf und der Kajüte, die ihrem Aussehen nach starke Ähnlichkeit mit einer Zigarrenkiste hatte, einen tollpatschigen Eindruck. Sie hatten keinen Jachtclubwimpel gesetzt, und um den heruntergekommenen Eindruck zu vervollständigen, war überall der Lack abgesplittert, die Metallteile waren verrostet, und der Rumpfanstrich wies frische Kratzer auf.
»He, Sie!«
Der Mann an Deck warf das Tau herüber, Larry legte es um einen Poller, und der Mann fing an, beizudrehen. Die Heckschraube wirbelte das Wasser auf, dann erschien der Rudergänger mit einem Bootshaken und brüllte seinem Maat ein paar Anweisungen zu. MacLaren stellte seine leere Flasche auf den Boden und trat näher, wobei er bemerkte, dass der Mann im Bug auch der Kleidung nach eine echte Landratte war.
Er war groß und breit, hatte schwarzes, gekräuseltes Haar und grobe Gesichtszüge. Er trug eine blaue Kammgarnhose und schwarze Schuhe mit Ledersohlen, die auf das Pflaster einer Großstadt, nicht aber auf ein Schiffsdeck gehörten. Sein Begleiter, der inzwischen den Bootshaken weggelegt hatte und jetzt mit Larry zusammen die Jacht achtern vertäute, war ein kleiner, drahtiger Mann unbestimmbaren Alters. Seine Kleidung, Khakihose, Sweater und Segeltuchschuhe, entsprach schon eher den Gegebenheiten an Bord eines Schiffes; er war nahezu kahlköpfig, hatte flinke, wachsame Augen, doch sein hervorstechendstes Merkmal war eine raue, krächzende Stimme, die auf eine chronische Stimmbanderkrankung hinzudeuten schien.
»Wir werden ungefähr siebzig Liter brauchen«, sagte er zu Larry, während er den Metalldeckel des Treibstofftanks aufschraubte. »Haben Sie Eis?«, setzte er mit einem Blick auf das kleine Kühlhaus hinzu, das in einer Ecke der Werft stand und gerade im Ausbau begriffen war. »Für Sie genügend«, entgegnete MacLaren.
»Nick! Hol uns einen Block, ja? Du weißt ja, wieviel wir ungefähr brauchen... Haben Sie einen Liegeplatz für uns?«, fügte er, zu MacLaren gewandt, hinzu.
»Leider nicht.«
Der kleine Mann antwortete nicht sofort, sondern gab Larry den Füllstutzen zurück und schraubte den Deckel wieder zu. Dann stieg er auf die Kaimauer, zog seine Hose hoch und warf einen flüchtigen Blick auf die Reihe von Anlegeplätzen, die sich bis zum Fluss hinunter erstreckte. Seine kleinen Augen glitten zu MacLaren zurück, und er legte den Kopf schräg.
»Da sind aber doch freie Plätze.«
»Drei davon brauche ich für Boote, die in den nächsten Tagen fertig werden. Der vierte ist für einen Kunden reserviert, der am Montag hereinkommt.«
»Heute ist Mittwoch. Wir wollen spätestens am Samstag wieder auslaufen.« Als ob damit die Angelegenheit erledigt sei, fragte er dann: »Was macht es pro Tag?«
MacLaren unterdrückte ein Lächeln. Die ganze Geschichte machte ihm Spaß, und vor allem amüsiert« ihn der selbstbewusste kleine Mann, der hier so offenkundig nicht in seinem Element war, es aber nicht zugeben wollte. Dann, da wirklich kein Grund vorlag, warum er den Anlegeplatz nicht vermieten sollte, nickte er zustimmend.
»Eins fünfzig. Einschließlich Trinkwasser und Strom, falls Sie sich an die Leitung anschließen wollen.«
Der Kleine zog ein paar zerknitterte Banknoten aus der Tasche und reichte MacLaren einen Fünfdollarschein. »Für drei Tage«, erklärte er. »Die Rechnung für Treibstoff und Eis erledigt Nick.«
Nick war bereits dabei, als der Kleine an Bord sprang. »Okay«, sagte er. »Leinen los.«
»Wo fahren wir hin?«, fragte Nick.
»Ich will auf einem dieser Anlegeplätze festmachen.«
Nick warf seinem Begleiter einen forschenden Blick zu. »So, so - du und wer noch?«
Für den Bruchteil einer Sekunde blitzte es in den Augen des Kleinen belustigt auf. Er grinste MacLaren an, richtete seine nächsten Worte jedoch an seinen Begleiter.
»Die beiden werden uns helfen. Na los, mach schon!«
MacLaren blinzelte Larry zu, und sie schritten nebeneinander an dem Ausstellungsraum vorbei, umgingen das Schwimmdock, das sich mit dem Steigen und Fallen der Flut hob und senkte, und schlenderten dann die Kaimauer entlang bis zu dem ersten freien Anlegeplatz. Bis sie auf den Steg hinausgetreten waren, liefen die Maschinen der Jacht bereits mit voller Kraft zurück, und die Beschriftung auf dem Hintersteven wurde sichtbar. Annabelle III las MacLaren, bevor er merkte, dass das vergessene Beiboot in Gefahr war, gegen die Uferpfähle gequetscht zu werden.
Er hielt die Hände trichterförmig an den Mund und schrie den beiden an Bord eine Warnung zu. Der kleine Schiffer fing nun seinerseits an zu brüllen, und Nick hastete nach achtern, wobei er sich krampfhaft an der Reling festhielt. Er beugte sich hinunter, um das Beiboot loszumachen, bekam endlich das Bootstau zu fassen und rannte damit nach vorn. Irgendwie gelang es ihm, das Tau am Bug an einer Klampe festzumachen, dann eilte er wieder nach achtern, um die Leine ans Ufer zu werfen. Ungeschickt, aber ohne größere Sachbeschädigung wurde die Jacht an ihren Liegeplatz manövriert. MacLaren überließ es Larry, sie fachgerecht zu vertäuen, und ging zum Hauptdock zurück. In diesem Augenblick bog ein schwarzer Mercedes um die Ecke und hielt vor dem Haus an.
Der Wagen gehörte Oliver Kingsley, dem Besitzer des Hauses auf der gegenüberliegenden Insel. Neben ihm saß eine blonde Frau, die MacLaren noch nie gesehen hatte. Auf der anderen Seite stieg eben Neil Ackerman, Kingsleys Anwalt, aus dem Wagen und drückte mit dem Daumen auf einen Klingelknopf an MacLarens Büro.
Als Kingsley vor einem Jahr das Haus auf der Insel gekauft und umgebaut hatte, ließ er. drüben eine kleine künstliche Bucht anlegen und einen Steg bauen, um einen Anlegeplatz für seine 15 m lange Jacht zu gewinnen. Gleichzeitig hatte er MacLaren um Erlaubnis gebeten, ein Unterwasserkabel legen zu dürfen, das auf der Insel an zwei Klingeln angeschlossen war, eine davon am Steg, für den Fall, dass Harry Danaher, sein Bootsführer, gerade auf der Jacht beschäftigt war, die andere im Salon. Als nun Kingsley und seine blonde Begleiterin ausstiegen, sah MacLaren, wie Danaher drüben aus der Haustür trat und über die flache Insel zum Ufer hinunterging.
Kingsley und Ackerman begrüßten ihn. Als MacLaren ihren Gruß erwiderte, blickte die blonde Frau zu ihm hin, und er konnte, sie genau betrachten. Sie war hochgewachsen, geschmeidig und wirkte in ihrem enganliegenden Reisekostüm und der Nerzstola auffallend elegant. Sie musterte ihn mit unverhülltem Interesse, ohne dabei aufdringlich oder frech zu erscheinen, und obwohl sie für MacLarens Geschmack zu schlank war, sah er doch, dass die Art, wie sie Lippenstift und Lidschatten aufgetragen hatte, und der Schnitt ihres kurzen Haares in gewissem Sinn ein Höchstmaß an Vollendung darstellten. Mit einem Wort, sie machte den Eindruck einer verwöhnten, anspruchsvollen Frau, doch das war nicht weiter verwunderlich, wenn man Charakter und Vermögenslage ihres Gastgebers in Betracht zog.
Ackerman, ein schlanker, eleganter Mann Ende der Dreißig, hatte offenbar ihren Blickwechsel bemerkt und stellte MacLaren das Mädchen als Lucille Baron vor, ehe er einen Hutkoffer und ein kleines Reiseköfferchen der gleichen Farbe und von gleichem Leder aus dem Wagen hob. Kingsley trat neben Lucille, während Danaher mit einem Boot vom gegenüberliegenden Ufer ablegte und den kleinen Außenbordmotor anließ. Kurz darauf legte er mit einer eleganten Wendung längsseits des Schwimmdocks an und verstaute die Koffer, die Ackerman ihm hinunterreichte, sorgfältig im Boot. Nachdem das blonde Mädchen eingestiegen war, wandte sich MacLaren an Kingsley.
»Und was ist mit dem Wagen?«
Kingsley drehte sich langsam um; auf seinen Lippen lag ein leichtes Lächeln, doch seine Augen blickten kalt. Er war ein bis zwei Jahre jünger als Ackerman, etwa 1.90 m groß, und sein Körper war massig, aber noch nicht' schwammig oder fett. Sein Gesicht, durch übermäßigen Alkoholgenuss leicht aufgedunsen, war doch regelmäßig in seinen Zügen, und er sah noch immer sehr gut aus. Außerdem zeichnete er sich durch eine geradezu ungeheuerliche Anmaßung aus, die nicht ausschließlich auf seinen Reichtum zurückzuführen sein konnte, sondern das Produkt jahrelanger Übung sein musste.
»Was soll damit sein?«
MacLaren ließ sich, um nicht die Beherrschung zu verlieren, mit seiner Antwort eine Weile Zeit. Er sah sich nach dem Mercedes um, der mit offenen Türen auf der Werft stand. Er hatte Kingsley gleich zu Anfang auf dem asphaltierten Parkplatz hinter dem Büro zwei Abstellplätze vermietet, einen für den Mercedes, den zweiten für den Kombiwagen, und es bestand ein stillschweigendes Übereinkommen zwischen ihnen, demzufolge Kingsley zwar bis zur Pier fahren konnte, um sein Gepäck auszuladen, den Wagen jedoch dort nicht stehenlassen durfte. Als MacLaren ihn nun mit ruhiger Stimme daran erinnerte, entgegnete er von oben herab: »Die Schlüssel stecken, Mac. Parken Sie ihn doch selbst.«
Wieder ließ MacLaren einige Zeit verstreichen, bis er Antwort gab. Er war ein junger Mann von neunundzwanzig Jahren, mit kantigem Gesicht, durchtrainiertem Körper und geschmeidigen Bewegungen. Er war nur wenige Zentimeter kleiner als Kingsley, aber dreißig Pfund leichter. Er trug sein dichtes dunkles Haar mäßig lang, um seinen Mund lag ein gutmütiger Zug, und er neigte nach Temperament und Charakter nicht dazu, leicht in Wut zu geraten. Seine Kleidung bestand aus verschossenen Khakihosen, einem offenen Hemd und der Sonnenbräune, die niemals völlig von seinem Gesicht und seinen Armen wich. Nun heftete er die dunkelblauen Augen mit ruhigem Blick auf Kingsley,
»Schön«, meinte er. »Aber ich habe Ihnen schon beim letzten Mal gesagt, dass ich ihn dann abschließen und den Schlüssel innen steckenlassen würde.«
Harry Danaher hustete. »Ich fahre ihn weg.«
Kingsley drehte sich um, zögerte einen Augenblick und meinte schließlich achselzuckend: »Meinetwegen, Harry, wenn Sie noch mal zurückkommen wollen. Sie müssen nicht, das wissen Sie; aber zuerst bringen Sie uns hinüber.«
Während MacLaren dem schwerbeladenen kleinen Boot nachsah, das sich langsam auf das gegenüberliegende Ufer zu bewegte, hallte von der anderen Seite der Insel ein abgehacktes, Stakkato-artiges Geräusch herüber, das er als das Knallen einer Kleinkaliberpistole erkannte. Er hatte es schon öfter gehört; offenbar schoss Carla Lewis wieder einmal mit der 6.25er Woodsman, die er sie hin und wieder hatte benutzen sehen, auf Blechbüchsen. Während er zerstreut der Knallerei zuhörte, wanderten seine Blicke unwillkürlich zu dem Eckzimmer auf der Rückseite des Hauses und blieben an den geschlossenen Fensterläden haften.
Er hatte sich schon früher öfters über dieses Zimmer den Kopf zerbrochen, und auch jetzt begann seine Einbildungskraft, ohne dass er es wollte, zu arbeiten. Er blieb gedankenversunken stehen, bis Danaher zurückkam und in den Mercedes stieg, und als der Wagen um die Hausecke zum Parkplatz hin verschwand, rief er sich die Frage wieder ins Gedächtnis zurück, die er dem Mann vor einigen Tagen, als ihn die Neugier wieder einmal plagte, gestellt hatte.
Er war immer gut mit Danaher ausgekommen, denn sie besaßen beide ein gemeinsames Interesse, die Schifffahrt, doch bei der Gelegenheit war die Antwort des anderen so ausweichend gewesen, dass MacLaren die Fruchtlosigkeit aller weiteren Vorstöße in dieser Richtung klargeworden war.
»Wieso sind dort eigentlich die Läden vorgelegt, Harry?«, hatte er gefragt.
Und Danaher, ein wetterharter Mann mit fuchsroten Haaren und breitem Gesicht, hatte die massigen Kinnladen vorgestreckt, einen flüchtigen Blick zu dem Eckzimmer hinübergeworfen und die Hand mit einer unbestimmten Gebärde durch die Luft geschwenkt.
»Keine Ahnung, Mac«, hatte er gesagt, ohne ihn anzusehen.
»Vielleicht versteckt er-dort die Leichen von denen, die er in all diesen Nachtclubs zusammenschlägt.«
MacLaren hatte die Anspielung verstanden, denn Kingsley war bekannt für seine Raufhändel, über die gelegentlich sogar die Presse berichtete. Als Danaher nun um die Hausecke bog und auf das Boot zuging, dankte ihm MacLaren dafür, dass er den Wagen weggefahren hatte.
»Gern geschehen«, entgegnete Danaher. »Kanns Ihnen nicht übelnehmen, dass Sie böse geworden sind. Er ist, weiß Gott, kein sehr umgänglicher Mann, aber er zahlt gut, und solange er mich in Frieden lässt, kann ich's schon bei ihm aushalten.«
MacLaren sah ihm nach, wie er ablegte und den kleinen Außenbordmotor anließ. Das Boot nahm Kurs auf die Insel, und wieder glitten MacLarens Blicke unwillkürlich zu den geschlossenen Fensterläden. Während er noch dastand, kam ihm plötzlich eine Idee: Er wandte sich um und blickte stromaufwärts, an den Docks und dem Kran vorbei, zum Haus MacLarens, das auf einer leichten Anhöhe stand, von hier aus hatte man einen Blick über die Werft, die Bucht und den Fluss. Fünfzig Meter dahinter, auf dem höchsten Punkt der Anhöhe, stand ein kleines Sommerhaus, und in einem der beiden Schlafzimmer im ersten Stock verbrachte ein zeitweilig arbeitsunfähiger Mann den größten Teil seiner Rekonvaleszenz-Zeit damit, das Leben und Treiben auf der Werft und auf dem Fluss zu beobachten. MacLaren war schon vorher einige Male auf den Gedanken gekommen, dass ihm vielleicht Sam Willis über jenes geheimnisvolle Zimmer Auskunft geben könnte, doch er hatte jedes Mal zu viel zu tun gehabt, um der Sache nachzugehen.
Ihm wurde plötzlich bewusst, dass ringsherum auf der Werft tiefe Stille herrschte und seine Leute offenbar für heute Feierabend gemacht hatten. Er wusste nicht, wo Larry Keats war, und war gerade im Begriff, zum Büro hinüberzugehen, um ihn zu bitten, ein Auge auf die Werft zu haben, als er bemerkte, dass der Amateurschiffer namens Nick über die Pier auf ihn zukam. Er lutschte an seinem Finger und spuckte alle paar Schritte aus.
»He, Captain!«, rief er ihm entgegen. »Haben Sie ein Pflaster für mich?«
»Ich denke schon, Nick«, entgegnete MacLaren. »Kommen Sie rein.«
Er schritt voraus in das rotgetünchte Fachwerkgebäude, das ursprünglich ein Wohnhaus gewesen war. Durch das Herausnehmen der Zwischenwände im Erdgeschoss war ein Ausstellungsraum entstanden, der gegenwärtig einige Außenbordmotoren verschiedener Größen, zwei kleine Beiboote, einen Ankerstock, der MacLaren in Kommission gegeben war, und eine Reihe von Holzgestellen und Schränken enthielt, in denen alle möglichen Ersatzteile und Ausrüstungsgegenstände für den Schiffsbedarf aufbewahrt würden. Im Hintergrund des Raumes führte eine Treppe zu der Dreizimmerwohnung im ersten Stock, in der MacLaren während des Sommers lebte, um jederzeit erreichbar zu sein, falls man ihn brauchte. Auf der linken Seite befand sich das kleine Büro mit dem altmodischen Rollpult, das seinem Vater gehört hatte, zwei zerkratzten Aktenschränken, zwei Stühlen und einer abgenutzten Couch.
»Haben Sie sich geschnitten?«, fragte er, als Nick hinter ihm ins Büro trat.
Der Mann nickte und streckte die rechte Hand aus, wobei ein zentimeterlanger Schnitt auf der Innenseite des Mittelfingers sichtbar wurde.
»Mit einem Büchsenöffner.«
MacLaren forderte ihn auf, sich zu setzen, zog die untere Schublade des einen Aktenschrankes auf und entnahm ihr eine Metallkassette, die einen kleinen Verbandskasten enthielt. Er holte ein Päckchen Verbandsmull, ein zwei Zentimeter breites Pflaster und ein Fläschchen Jodtinktur heraus. Da der Schnitt stark blutete, wies er Nick an, zunächst den Verbandsmull auf die Wunde zu pressen; dann ging er rasch in die Toilette nebenan, um sich die Hände zu waschen.
Während ihm Nick die Hand mit der Innenfläche nach oben entgegenstreckte, entfernte MacLaren den Verbandsmull und betupfte die Wunde rasch mit Jod. Dann presste er mit Daumen und Zeigefinger