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DIE STIMME AM TELEFON: Der Krimi-Klassiker!
DIE STIMME AM TELEFON: Der Krimi-Klassiker!
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eBook311 Seiten4 Stunden

DIE STIMME AM TELEFON: Der Krimi-Klassiker!

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Über dieses E-Book

Ihm war klargeworden, dass er einen Fehler begangen hatte, und er versuchte nun, die nötige Objektivität aufzubringen, um die Konsequenzen richtig einzuschätzen. Er versuchte sich einzureden, dass er schon alles wieder in Ordnung bringen würde, wenn er sich auch durchaus der Tatsache bewusst war, dass hier die Sache anders lag als in Boston, wo eine Zeitung ihm den Rücken deckte und wo er Freunde im Morddezernat besaß, die seine Schuld zumindest bezweifeln würden.

Hier war er ein Fremder, und die Umstände sprachen gegen ihn. Nachdem er niemanden in der Stadt kannte, der Einfluss genug hatte, ein gewichtiges Wort für ihn einzulegen, würde er verhaftet und möglicherweise den ganzen Tag lang verhört werden, sobald er sich der Polizei stellte...

Der Roman Die Stimme am Telefon von George H. Coxe (* 23. April 1901 in Olean/New York; † 31. Januar 1984 in Old Lyme/Connecticut) erschien erstmals im Jahr 1950; eine deutsche Erstveröffentlichung erfolgte 1961.

Der Apex-Verlag veröffentlicht eine durchgesehene Neuausgabe dieses Klassikers der Kriminal-Literatur in seiner Reihe APEX CRIME.

SpracheDeutsch
HerausgeberBookRix
Erscheinungsdatum25. Apr. 2020
ISBN9783748738039
DIE STIMME AM TELEFON: Der Krimi-Klassiker!

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    Buchvorschau

    DIE STIMME AM TELEFON - George H. Coxe

    Das Buch

    Ihm war klargeworden, dass er einen Fehler begangen hatte, und er versuchte nun, die nötige Objektivität aufzubringen, um die Konsequenzen richtig einzuschätzen. Er versuchte sich einzureden, dass er schon alles wieder in Ordnung bringen würde, wenn er sich auch durchaus der Tatsache bewusst war, dass hier die Sache anders lag als in Boston, wo eine Zeitung ihm den Rücken deckte und wo er Freunde im Morddezernat besaß, die seine Schuld zumindest bezweifeln würden.

    Hier war er ein Fremder, und die Umstände sprachen gegen ihn. Nachdem er niemanden in der Stadt kannte, der Einfluss genug hatte, ein gewichtiges Wort für ihn einzulegen, würde er verhaftet und möglicherweise den ganzen Tag lang verhört werden, sobald er sich der Polizei stellte...

    Der Roman Die Stimme am Telefon von George H. Coxe (* 23. April 1901 in Olean/New York; † 31. Januar 1984 in Old Lyme/Connecticut) erschien erstmals im Jahr 1950; eine deutsche Erstveröffentlichung erfolgte 1961.

    Der Apex-Verlag veröffentlicht eine durchgesehene Neuausgabe dieses Klassikers der Kriminal-Literatur in seiner Reihe APEX CRIME.

    DIE STIMME AM TELEFON

    Erstes Kapitel

    Die Aufgabe, die Kent Murdock nach Uniontown führte, war teils geschäftlicher, teils privater Natur. Der geschäftliche Teil hing mit einem fotografischen Routineauftrag zusammen, der ihm am späten Vormittag trotz einiger Einwände seinerseits erteilt worden war; den privaten Teil hatte er auf Grund seiner freundschaftlichen Gefühle für ein Mädchen, das jetzt verheiratet war und das er früher sehr gern gehabt hatte, freiwillig übernommen.

    Er verließ das Gebäude des Courier am Montagnachmittag um ein Uhr und schlug wegen der besseren Straßenverhältnisse eine Inlandroute ein.

    Als er die Stadt hinter sich gelassen hatte, setzte er sich bequem zurück, um den hellen, sonnigen Nachmittag richtig genießen zu können, der das hügelige Land mit Frühlingszauber übergoss. Er kam gut voran, nicht etwa, weil er sich sonderlich beeilt hätte, sondern weil er von dem geringen Verkehr nicht behindert wurde. Es war zehn Minuten vor vier, als er seinen Wagen auf den Parkplatz abstellte und zu Fuß zum Hotel Greene zurückging.

    In der gediegenen hohen Hotelhalle saß, wie üblich, eine ganze Anzahl von Leuten müßig herum. Einige von ihnen warteten offensichtlich darauf, zu ihrem Zimmer geführt zu werden, denn neben dem Platz des Empfangssekretärs war eine Reihe von Koffern abgestellt. Murdocks Koffer und die kleine Tasche, die sein Fotomaterial enthielt und ebenso zu seiner Reiseausrüstung gehörte wie seine Brieftasche, gesellten sich hinzu. Der Portier prüfte seine Zimmerbestellung und schob ihm mit einigen Worten der Entschuldigung die Anmeldungskarte hinüber.

    »Wir haben Ihre Bestellung hier, Mr. Murdock«, sagte er, »aber es dauert unter Umständen noch eine Weile, bis wir Ihnen ein Zimmer geben können.«

    Murdock unterschrieb die Anmeldung.

    »Hm«, äußerte er unschlüssig und runzelte die Stirn. Zu seiner Rechten klirrte irgendetwas, und als er sich umwandte, sah er, dass das Mädchen, das die Hotelkasse verwaltete, einen Schlüssel aus ihrem Glaskäfig in eine kleine Schachtel hinter dem Pult geworfen hatte. Er blickte den Angestellten vielsagend an, und dieser verstand ihn anscheinend zur Genüge, denn er ging hinüber und betrachtete den Schlüssel. Dann kam er zurück und biss sich zweifelnd auf die Unterlippe.

    »Wenn es Sie nicht stört, in ein unaufgeräumtes Zimmer zu ziehen«, sagte er zögernd, als widerspräche dies den Gepflogenheiten des Hauses, »könnten wir Sie sofort unterbringen.«

    Murdock erklärte sich einverstanden. Als jedoch fünf Minuten, nachdem ihm der Hausdiener das Gepäck heraufgebracht hatte, das Telefon schrillte, fragte er sich, ob er nicht besser getan hätte, noch etwas zu warten. »Harry«, sagte eine angenehme weibliche Stimme, »werde ich dich heute Abend sehen?«

    Murdock sah sich in dem unaufgeräumten Zimmer um. Das Bett war zerwühlt. Ein Tablett mit einer Flasche Soda, zwei benutzten Gläsern und einer Schale mit schmelzenden Eiswürfeln stand auf der Kommode; das Telefonbuch lag neben dem Bett auf dem Fußboden. Auf der Türschwelle zum Badezimmer sah er ein achtlos hingeworfenes Handtuch liegen, das möglicherweise zum Schuhe putzen verwandt worden war.

    Es schien ihm, dass Harry wohl ein sehr unordentlicher Mensch sein musste, doch gleich darauf fühlte er Sympathie für seinen Vormieter in sich aufsteigen, den Frauen mit so netten Stimmen anriefen und um Verabredungen baten. Ohne zu wissen, wie er das Gespräch fortführen sollte, aber von einer plötzlichen Neugier gepackt, den Namen der Unbekannten mit der schönen Stimme zu erfahren, gehorchte er einem Impuls und fragte: »Hallo, bist du es, Anne?«

    »Anne? Hier spricht Leona!« Dann, etwas misstrauisch: »Wer ist Anne?«

    Murdock lachte vergnügt. »Tut mir leid«, sagte er, »ich habe nur Spaß gemacht. Ich fürchte, Harry ist gar nicht mehr hier.«

    »Ist das nicht Zimmer 617?«

    »Doch.«

    »Aber ich dachte... ich meine, er sagte doch...« Sie brach ab. »Verzeihen Sie bitte«, sagte sie mit hörbarer Enttäuschung in der Stimme.

    Murdock grinste und entschuldigte sich ebenfalls. Als sie daraufhin nicht einhängte, war er versucht, die Unterhaltung fortzusetzen, da ihm der Gedanke kam, Leonas Zögern könnte vielleicht bedeuten, dass ihr dies nicht unangenehm wäre. Vielleicht entwickelte sich daraus...

    Etwas widerstrebend verwarf er den Gedanken, als ihm einfiel, was er alles zu tun hatte. »Ich bin gerade erst eingezogen«, erklärte er. »Das Zimmer ist noch gar nicht aufgeräumt; deshalb nehme ich an, dass Harry erst vor kurzem gegangen ist.«

    Diesmal erfolgte keine Antwort, und einen Augenblick später hörte er, wie die Verbindung unterbrochen wurde. Belustigt legte er den Hörer auf. Er schlüpfte aus seiner Jacke, hängte sie über eine Stuhllehne und schüttelte dabei immer noch den Kopf über Leona und Harry. Dann wuchtete er seinen Koffer auf den Kofferbock, öffnete ihn, holte sein Waschzeug heraus und begab sich ins Badezimmer. Er trocknete sich eben die Hände ab, als jemand an die Tür klopfte.

    Als er aufmachte, spazierte ein junges Mädchen herein.

    »Tag«, sagte sie mit einem Blick ins Zimmer und drehte sich dann überrascht um. »Oh, ist Harry denn nicht hier?«

    Murdock musterte sie eingehend. Vor ihm stand ein junges, grünäugiges Mädchen mit einem glatten, runden Gesicht und aschblondem, nachlässig frisiertem Haar. Sie hatte einen Kamelhaarmantel um die Schultern gehängt. Ihre Kleidung bestand aus Pullover, langer Hose und Tennisschuhen, und abgesehen von dem starken und etwas zu gekonnten Make-up hätte man sie auf den ersten Blick für eine Oberschülerin der höheren Klassen halten können.

    »Nein«, erklärte er. Während er die Tür schloss, musste er lachen. »Harry ist anscheinend gerade ausgezogen.«

    »Na, so ein Schuft!«, schimpfte sie lachend. »Er hat mir kein Wort davon gesagt.«

    Sie bemerkte nun Murdocks unverblümte Musterung, schien sich aber dabei nicht zu genieren. Sie setzte sich auf die Lehne des einzigen Armsessels, wippte mit dem Fuß und schaute ihm direkt ins Gesicht. Sie sah sehr hübsch, aber nicht sonderlich apart aus; in ihrem Auftreten lag eine gewisse Treuherzigkeit. Als jetzt ihr Mantel auseinanderschlug, revidierte Murdock seine vorherige Meinung. Er sah, dass sie das Schulmädchenalter vielleicht um zwei oder drei Jahre überschritten hatte. Der erfreulich enganliegende Pullover enthüllte ganz unerwartete Rundungen.

    »Sie sind nicht die einzige«, sagte er.

    »Ach?«

    »Er wurde schon einmal verlangt.«

    Sie überlegte kurz und fragte: »Von einer Frau?«

    »Woher wissen Sie das?«

    »Ich kenne Harry«, lächelte sie.

    »Sie hieß Leona.«

    »Ach«, wiederholte sie in einem Ton, der vermuten ließ, dass ihr der Name nicht unbekannt war. Sie zuckte leicht die Achseln und stand auf.

    »Ist sie nett?«                     

    Murdock lehnte an der Kommode. Sie machte Anstalten, an ihm vorbeizugehen, sah den Spiegel hinter ihm und blieb stehen, um sich eingehend zu betrachten.

    »Harry findet sie nett.« Sie hielt den Kopf schräg, während sie ihr Spiegelbild einer genauen Musterung unterzog, und holte einen Kamm aus der Tasche. Ohne sich um Murdocks Anwesenheit zu kümmern, bearbeitete sie ihr schulterlanges Haar mit schnellen, kräftigen Strichen. »Doch, sie ist schon ganz nett... wenn man Rothaarige mag.«

    »Wie alt?«

    »Ach, so um die Dreißig. Vielleicht etwas jünger.«

    Murdock musste abermals lächeln, als er ihr zusah. »So, das wäre also Leona«, meinte er. »Und wer ist Harry?«

    Ihre Blicke trafen sich im Spiegel. »Er ist mein Agent.«

    »Sie sind also im Theaterfach tätig?«

    »Ich spiele Klavier.« Sie steckte den Kamm ein und drehte sich mit einem Augenaufschlag zu Murdock um. »Drüben im Ebony-Club, bis zehn Uhr, wenn das Programm anfängt.«

    »Schön, schön«, meinte Murdock. »Chopin?«

    Sie schnitt ihm eine Grimasse und lächelte dann. »Nur Modernes«, gab sie zurück und zog den Mantel zusammen. »Tut mir leid, dass ich hier so hereingeplatzt bin.«

    »Sie haben mich absolut nicht gestört«, meinte Murdock. »Spielen Sie gut Klavier?«

    »Warum kommen Sie nicht einmal hinüber und hören es sich selbst an?« Sie öffnete die Tür und schenkte ihm dabei einen vielversprechenden Blick. »Sie sind jederzeit willkommen.«

    Das würde er vielleicht tun, meinte er und fügte hinzu, dass er hoffe, sie wiederzusehen. Ihre offene, ungezwungene Selbstsicherheit zog Ihn an.

    Als sie gegangen war, versuchte Murdock an etwas anderes zu denken. Er stand vor der Kommode und schnitt seinem Spiegelbild ein finsteres Gesicht, als er plötzlich bemerkte, dass sein Haar ganz zerzaust war. Er ging ins Badezimmer und fuhr sich mit der nassen Hand darüber. Darauf holte er seinen Kamm und trat wieder vor den Spiegel, bemerkte jedoch, dass dieser für eine größere Person eingestellt war, und streckte die Hand aus, um ihm einen anderen Neigungswinkel zu geben. In diesem Augenblick hörte er etwas fallen.

    Der Spiegel hing zwischen zwei senkrecht stehenden Pfosten und drehte sich um eine Achse. Bevor ihn Murdock berührte, hatte er mit dem unteren Rand die Wand berührt. Der eben zu Boden gefallene Gegenstand musste also zwischen dem Spiegel und der Wand verborgen gewesen sein. Er kniete nieder und konnte mit seinem ausgestreckten Arm den Briefumschlag erreichen, der nun zwischen Kommode und Fußbodenleiste lag.

    Er richtete sich auf, klopfte den Staub von den Knien und begann den Umschlag zwischen den Fingern herumzudrehen. Das Kuvert enthielt einen harten Gegenstand, und Murdock sah, dass es nicht zugeklebt, sondern nur mit einer Büroklammer verschlossen war.

    Nachdenklich kniff der junge Mann die Augen zusammen und befühlte den Umschlag mit den Fingern. Schließlich zog er die Klammer ab und schaute neugierig hinein. Was er dort sah, jagte ihm einen gehörigen Schreck ein, und lange Zeit konnte er seinen Blick nicht von dem blitzenden Glanz des mit Brillanten und Saphiren besetzten Armbands lösen. Er war in diesem Augenblick nicht imstande, über die bloße Tatsache seiner Entdeckung hinauszudenken, und zog unter leisem Fluchen das Armband heraus. Es war flexibel und fast zwei Zentimeter breit. Etwa fünf Sekunden lang blieb er ganz ruhig stehen und wog das Schmuckstück in der Hand. Dann ließ er es wieder in den Umschlag gleiten. Während er die Klammer wieder daraufschob, waren seine Gedanken mit der Abschätzung des Fundes beschäftigt. In dieser Haltung stand er da, als er hörte, dass ein Schlüssel ins Türschloss gesteckt wurde.

    Daraufhin machte er eine instinktive Bewegung, doch sogar sein Instinkt wurde von einem ganz unerklärlichen Schuldbewusstsein regiert. Sein Verstand sagte ihm, dass sich das Zimmermädchen an der Tür zu schaffen machte; er konnte jedoch das Gefühl nicht loswerden, dass er etwas in Besitz genommen hatte, was ihm nicht gehörte. Daher kam es, dass er, anstatt den Umschlag in die Tasche zu stecken, sich vorbeugte, ihn hastig hinter den Spiegel klemmte und die Kommode geradeschob.

    Er hatte eben noch Zeit zurückzutreten, als sich die Tür öffnete und an Stelle des vermuteten Zimmermädchens ein Mann eintrat. Er tat einige Schritte, bevor er plötzlich Murdock entdeckte und stehenblieb. »Oh!«, rief er und zwinkerte überrascht mit den Augen. »Entschuldigen Sie!«     

    Irgendwie wusste Murdock schon jetzt, dass dies Harry sein musste. Es war ihm selbst nicht klar, woher er das wusste, abgesehen davon, dass dieser Mann wie ein Theateragent wirkte, wenn auch etwas jünger, als er angenommen hatte. Er war mittelgroß und sah sehr nett aus in seinem kurzen Sommermantel, dem weißgestreiften Hemd und der geblümten Krawatte. Er trug keinen Hut, und sein welliges, braunes Haar war dicht und lang und überaus ordentlich gebürstet. Die Augen waren hell, das Gesicht faltenlos, und er machte den Eindruck, mehr Zähne zu besitzen als andere Leute. Dies war natürlich eine Illusion, die von der Größe und Ebenmäßigkeit dieser Zähne und von einer Gesichtsbildung hervorgerufen wurde, die das Gebiss freilegte, sobald er sprach.

    »Ich bin erst vor zwanzig Minuten ausgezogen«, sagte er und tat wieder einige Schritte vorwärts. »Ich glaubte nicht, dass das Zimmer schon wieder besetzt sein würde... Ich hatte etwas vergessen.« Mit diesen Worten drängte er sich an Murdock vorbei und holte das Briefkuvert aus seinem Versteck.

    Murdock sah ihm gespannt und gedankenvoll zu. »Sie müssen Harry sein.«

    »Ja«, meinte Harry, der sich immer noch mit seinem Briefumschlag befasste. Prüfend betastete er das Papier. Dann glitt ein Ausdruck der Erleichterung über seine Züge und verwandelte sich zu einem Lächeln. »Woher wissen Sie das?«, erkundigte er sich und stieß einen wahrscheinlich unbewussten, aber hörbaren Seufzer aus.

    »Sie hatten Besuch.« Murdock beobachtete, wie das Kuvert in der Manteltasche des anderen verschwand. »Blond und grünäugig. Spielt Klavier.«

    »Oh, das war Claire Emerson.« Harry zeigte die Zähne und ging rückwärts zur Tür. »Nettes Ding. Auch sehr begabt. Sie kam also hierher.«

    »Ich nehme an, sie wusste nicht, dass Sie die Absicht hatten, auszuziehen.«

    »Ich werde sie anrufen. Hoffentlich verzeihen Sie mir, dass ich so hereingeplatzt bin, aber ich dachte...«

    »Ich weiß«, gab Murdock trocken zurück. »Sie dachten, das Zimmer sei leer; außerdem«, fügte er hinzu, etwas pikiert über die beiläufige Art des anderen, »glaube ich, dass Sie vergessen haben, Ihren Schlüssel abzugeben, als Sie die Rechnung bezahlten.«

    Harry sah auf den Schlüssel in seiner Hand. »Stimmt, das tat ich«, erwiderte er und stieß Laute aus, die wohl ein kurzes Lachen darstellen sollten. »Diesmal denke ich daran, ihn am Empfang abzugeben.«

    Eine gewisse Verstimmung stieg in Murdock auf. Er erinnerte sich an Leonas Anruf und freute sich ganz widersinnigerweise darüber, dass er vergessen hatte, Harry davon zu erzählen. Er fühlte sich getäuscht und missachtet von diesen Eindringlingen in sein Privatleben, die ihm den Mund wässrig gemacht, aber schließlich doch nichts erzählt hatten, und war tief beunruhigt bei dem Gedanken an das Brillantarmband.

    »Das ist mir ja ein feines Zimmer«, sagte er laut und brütete noch eine geraume Zeit vor sich hin, ehe er endlich seine Gedanken auf die Angelegenheit konzentrieren konnte, die ihn in die Stadt geführt hatte. Schließlich setzte er sich neben das Telefon aufs Bett und zog eine Visitenkarte aus der Tasche. Simon Rigby - Privatdetektiv, stand darauf, und in der linken und rechten unteren Ecke waren jeweils eine Adresse und eine Telefonnummer aufgeführt. Unschlüssig drehte er die Karte zwischen den Fingern, holte dann tief Luft und nannte der Hotelzentrale die gewünschte Nummer. Er wurde sofort verbunden und nannte seinen Namen, nach dem eine raue, monotone Stimme gefragt hatte.

    »Oh, ja«, sagte Rigby. »Mr. Dorrance schrieb mir, dass Sie herkommen würden.«

    »Mrs. Farnsley arbeitet drüben beim Evening Ledger, nicht wahr?«

    »In der Anzeigenabteilung... halbtags, glaube ich. Sie finden sie im zweiten Stock.«

    »Ich gehe jetzt gleich hinüber zu ihr«, erwiderte Murdock. »Wo kann ich Sie später erreichen?«

    »Hier in meinem Büro, wenn Ihnen das recht ist. Zwischen sechs Uhr und sechs Uhr dreißig. Wir könnten vielleicht etwas trinken gehen.«

    Murdock hielt das für eine gute Idee und erhob sich. Er war groß, hatte dichtes, dunkles Haar, sehr breite Schultern und ein sehniges, eckiges Gesicht. Seine Augen waren ebenso dunkel wie die Haare und hatten wieder einen nachdenklichen Ausdruck, als sein Blick jetzt zerstreut über den noch nicht ausgepackten Koffer, die Tasche mit seiner Fotoausrüstung und den Spiegel glitt, hinter dem das Kuvert verborgen gewesen war.

    Widerstrebend ließ er sich eine doppelte Aufgabe durch den Kopf gehen und sagte sich dabei, dass, abgesehen von seinem persönlichen Interesse an der Sache, der erste Teil seiner Mission besser einem Eheberater angestanden hätte als einem Pressefotografen. Allerdings, er hatte Helen Farnsley immer so gern gehabt, wie er ihren Mann verabscheute. Und abgesehen von dem Gefallen, den er ihrem Onkel, Walter Dorrance, damit tun mochte, war es vor allem sein aufrichtiger Wunsch, ihr zu helfen, so gut er konnte.

    Er fuhr in seine Jacke, warf einen raschen Blick in den Spiegel, zog seinen Schlips zurecht und nahm Mantel und Hut vom Haken. Als er fertig war, knipste er das Deckenlicht aus und verließ den Raum.

      Zweites Kapitel

    In der Hotelhalle ließ sich Murdock vom Portier die Richtung zeigen, die er einzuschlagen hatte, und trat auf die belebte Straße hinaus. Einen Augenblick lang blieb er stehen und sah sich um. In ununterbrochener Folge flutete der Verkehr an ihm vorbei. Auf dem Bürgersteig drängten sich die Passanten. Ein Stadtbus stoppte an der Straßenecke und entließ aus der hinteren Tür ein halbes Dutzend Fahrgäste, während sich andere schon drängelten, um vorne einzusteigen. Oben an der Ecke schrillte die Trillerpfeife eines Verkehrspolizisten ihre scharfen Kommandos.

    Einige der Vorbeigehenden blieben gelegentlich vor einem Schaufenster stehen; der größte Teil der Passanten jedoch ging eilig und zielbewusst seines Weges; denn die Sonnenstrahlen wärmten nicht mehr, und die Brise, die vom Meer hereinwehte, biss kräftig in die Ohren. Murdock spürte das auch, als er die Straße hinaufschritt; er klappte den Mantelkragen hoch und neigte den Kopf etwas nach vorne, damit ihm nicht ein plötzlicher Windstoß den Hut entführen konnte.

    Bei der übernächsten Querstraße bog er nach rechts ab und erreichte bald das graue Gebäude, in dem der Uniontown Evening Ledger zu Hause war. Hier fuhr er in dem altertümlichen Aufzug bis zum zweiten Stock und konnte dabei das ratternde Vibrieren der Druckerpressen im Keller spüren. Jener unverwechselbare Geruch von Druckerschwärze, Papier und heißem Metall, der allen Zeitungsdruckereien eigen ist, stieg ihm in die Nase.

    Ein Teil der Anzeigenabteilung befand sich im zweiten Stock in einem großen Raum, dessen Hintergrund einige von Glaswänden abgeteilte Privatbüros einnahmen. Obwohl er Helen Farnsley beinahe sofort erblickte, sah sie ihn erst, als er schon zwei Drittel des Zimmers durchquert hatte. Sie riss Mund und Augen auf, als sie ihn auf sich zukommen sah, und verharrte in dieser Stellung, bis er direkt neben ihr stand. Dann endlich fand sie ihre Sprache wieder, sprang auf und streckte ihm beide Hände entgegen.

    »Kent Murdock«, rief sie aus. »Wo kommst du denn her? Das ist ja zu schön, um wahr zu sein.«

    »Tag, Helen.« Er nahm ihre Hände und lächelte ihr zärtlich zu. Sie war fast so groß wie er, schlank und grazil, hatte haselnussbraune Augen und kurzgeschnittenes, kastanienbraunes Haar, das sich an den Enden kräuselte. »Liebst du mich noch?«

    »Du weißt doch, ich bete dich an«, erwiderte sie mit einem lustigen Funkeln in den Augen. »Aber woher kommt es, dass du hier bist? Gibt es eine Neuigkeit, die der Ledger übersehen hat?«

    »Hoffentlich. Könntest du dich für eine Tasse Kaffee oder einen raschen Drink frei machen?«

    »Eine Tasse Kaffee wäre herrlich.« Sie rief zu einem Mädchen hinüber, das am übernächsten Pult saß, dass sie in ein paar Minuten zurückkäme, hängte sich einen Tweedmantel um und schob ihren Arm unter seinen. »Gleich um die Ecke ist ein Café.«

    »Das ist immer so, nicht wahr?«

    »Was?«

    »Dass gleich um die Ecke von einem Zeitungsverlag auch ein Café ist.«

    »Gewöhnlich eine Bar«, meinte Helen. »Die gibt’s hier auch.«

    Als beide in einer Ecke vor ihrem Kaffee saßen, unterzog Murdock sein Gegenüber freimütig einer kleinen Musterung. Er suchte nach Veränderungen, die zwei Ehejahre an ihr bewirkt haben mussten, und fand sie auch. Der Ausdruck der braunen Augen hatte sich vertieft, winzige Fältchen, die er vorher nie gesehen hatte» zeichneten sich in den Augenwinkeln ab. Sie strahlte eine geistige Kraft und Reife aus, die sie in jenem Sommer, als sie im Courier arbeitete, nicht besessen hatte. 

    »Nun?«, sagte sie.

    »Erinnerst du dich an Tom Larsen?«, fragte er und meinte damit eine der berühmtesten Sportkanonen Bostons.

    »Gewiss; er spielte früher in der Rugbymannschaft von Harvard.«

    »Seit ein paar Jahren ist er Trainer, und uns ist zu Ohren gekommen, dass er mit den Universitätsbehörden hier verhandelt hat. Angeblich soll er drauf und dran sein, sich als Cheftrainer hierher zu verpflichten. Und ich bin herübergekommen, um ein paar Aufnahmen zu machen.«

    Sie neigte den Kopf zur Seite und sah ihn misstrauisch an.

    »Du bist doch Chefbildreporter da oben. Du hast sechs Fotografen, die für dich arbeiten.«

    »Sieben.«

    »Warum konnte denn nicht einer von denen kommen?«

    »Genau das sagte ich auch zu Wyman.« T. A. Wyman war der Chefredakteur, von dem Murdock am Vormittag seinen Auftrag erhalten hatte. »Er sagte, ich würde die Sache besser machen, was ich wiederum bezweifelt habe und auch jetzt noch bezweifle. Er meinte aber, die Serienfotos, die er von den Fotoagenturen bekäme, seien nicht ausreichend; er brauche ein paar persönlichere Aufnahmen, die man zu einer Bildreportage verarbeiten könnte.«

    Murdock machte eine lässige Handbewegung. »In der vergangenen Woche aß ich mit Wyman und deinem Onkel Walter zu Mittag. Wir sprachen über dich. Heute Morgen fragte ich Wyman deshalb, ob mein Auftrag vielleicht den Sinn hätte, mich hierherzuschicken, damit ich nachsehen könnte, wie es dir geht. Er verneinte das... Und wenn Wyman einmal nein sagt, bleibt es dabei, so sehr man auch in ihn dringt. Er war ja ein guter Freund deines Vaters und macht sich eben Sorgen um dich. Er hat dich sehr gern und...«

    »Ich weiß«, sagte sie. »Mr. Wyman verschaffte mir die Stellung bei der Zeitung.«

    »Vielleicht hat er die Wichtigkeit meines Auftrages tatsächlich ein bisschen übertrieben; aber ich weiß genau, Wyman ist der Meinung, es sei höchste Zeit, dass du dich mit deinem Onkel wieder verträgst, und er bat mich, ausfindig zu machen, wie die Dinge zwischen dir und deinem Mann stehen. In letzter Zeit ist ihm einiges zu Ohren gekommen... deinem Onkel Walter, meine ich. Er ist sich darüber im Klaren, dass er einen Fehler gemacht hat, und ist bereit, einzulenken.« Er brachte ein Lächeln zustande und fuhr in unverändertem Ton fort: »Ich bin sozusagen der Überbringer des Ölzweigs.«

    »Ich verstehe.«

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