Eine Tote zu viel: Fiktion
Von Joana Angelides
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Über dieses E-Book
Ein mysteriöser Todesfall offenbart Kommissar Mahrer eine furchterregende Bedrohung, die eventuell im Untergrund Wiens schlummert. Yestina Pestis, der schwarze Tod, scheint darauf zu warten, seine tödliche Wirkung zu verbreiten.
Verschlungene, unterirdische Tunnels verbinden heute noch hunderte Häuser, Kirchen und Kanäle, vorwiegend in der Innenstadt, miteinander und bieten nicht nur den Ratten Zuflucht. Politische Parteien und religiöse Organisationen wünschen keine Aufklärung der Zusammenhänge rund um diesen Todesfall.
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Eine Tote zu viel - Joana Angelides
Die Tote in der Gruft.
Die Tote in der Gruft
PROLOG
In seinem Haus, am Waldrand im Thayatal nördlich von Wien, durchsuchte der Journalist Robert Staller einen Schrank auf der Suche nach einem alten Artikel, als plötzlich von einem Stapel ein paar Blätter zu Boden fielen. Er setzte sich auf den Holzboden um sie wieder einzusammeln und schmökerte sinnend darin. Sie waren aus einem niemals veröffentlichen Artikel vor mehr als dreißig Jahren! Der Artikel wurde damals von oben her verhindert, es gab Nachrichtensperre, sehr zu seinem Ärger. Er hatte die Geschichte damals zu einer Geschichte umformuliert und sich vorgenommen, diese irgendwann als fiktive Erzählung herauszubringen. Es kam niemals dazu! Die Geschichte verstaubte hier in seinem Archiv, wie so Vieles!
Er war damals ein junger aufstrebender Journalist, kurz nach dem Journalisten-Studium und Sabine arbeitete als Chemikerin im Labor des Allgemeinen Krankenhauses in Wien.
Es war ein grausiges Erlebnis, dass ihnen beiden jahrelang zu Albträumen verhalf, das Sabine niemals wieder im Dunkeln einschlafen ließ und bei ihm ein wenig den Glauben an den freien Journalismus zum Wanken brachte. Dieses Erlebnis war ihnen immer gegenwärtig, besonders, wenn er mit der U-Bahn fuhr! Er sah sie überall, die Ratten der Unterwelt einer Großstadt, wenn er durch Tunnels dabei fuhr und aus dem Fenster in die Dunkelheit starrte. Dann glaubte er wieder im Jahre 1977 zu sein, damals als die U-Bahn in Wien gebaut wurde; sie starrten ihn scheinbar noch immer hasserfüllt an.
Wie das Schicksal es eben so will, saß gleichzeitig Kommissar Georg Mahrer im Büro der Mordkommission in Wien an seinem Schreibtisch und hatte keine Ahnung, dass ihm diese Sache in Kürze schlaflose Nächte bereiten und ihn mit hilfloser Wut erfüllen wird. Er hatte schon sehr lange nichts von seinem Cousin Robert Staller gehört und dachte im Moment auch gar nicht an ihn!
Der schwarze Tod. Yestina pestis.
Wenn unter Städten, die Jahrhunderte Geschichtsträchtiges erlebt haben, sich Erdschicht auf Erdschicht gebildet hat, plötzlich mit Baggern und Maschinen eben diese Erdschichten aufgegraben und abgehoben werden, werden Kräfte frei, die sich das menschliche Gehirn gar nicht vorstellen kann und auch gar nicht möchte.
In hochmodernen Bürohäusern werden auf dem Reißbrett Pläne und Skizzen geschaffen, die in die Tiefen dieser niemals toten, nur oberflächlich schlafenden Unterwelt, das Eindringen planen, um Tunnels und U-Bahnen zu bauen.
Die Menschen in der pulsierenden österreichischen Hauptstadt Wien hatten keine Ahnung, welche schrecklichen Kräfte bereit sind, aus den Höhlen und natürlichen Gefängnissen auszubrechen um sich an der Oberfläche auszubreiten und Tod und Verderben zu bringen. Der Bau des U-Bahnnetzes weckte diese lauernden Kräfte und dunklen Geschöpfe jäh aus ihrem Halbschlaf.
Unter dem Dom zu St.Stephan verbergen sich Gewölbe aus frühchristlichen Zeiten. Gebeine wurden bei Grabungsarbeiten oder Umbauten immer wieder zu Tage gefördert, sodass sich die Arbeiter aus Aberglauben und Angst oft weigerten noch tiefer in die unübersichtlichen Gänge und Höhlen vorzudringen.
Bereits im Jahre 1137 n.Chr. wurde der Dom zu St.Stephan urkundlich erwähnt, doch ergaben spätere Forschungen, dass bereits seit dem Jahre 800. hier eine Kirche bestand, auf deren Grundmauern dann die heutige Kirche zu stehen kam. Die Archive der Kirche sind nicht für jedermann zugänglich und es ist in den vergangenen Jahrhunderten immer wieder gelungen, stattgefundene, unheimliche Begegnungen oder unerklärliche Ereignisse oder Erscheinungen geheim zu halten.
Manche Menschen vermeinten in mondlosen und stürmischen Nächten Grollen und Brüllen aus den Tiefen der Katakomben gehört zu haben, manche führten sogar Todesfälle auf diese Wahrnehmungen zurück. Es kursieren unzählige, unheimliche und unerklärliche Geschichten und Sagen bis in die heutigen Tage.
Niemand hörte jemals auf die mahnenden Stimmen von Wanderpredigern, oder abtrünnigen Mönchen, die behaupteten, dass das Böse schlechthin tief unter den Gassen und alten Häusern hause und immer wieder aus Spalten oder Ritzen entwich. Sie predigten Verdammnis und Tod, Strafe Gottes für gottloses Leben und hielten so die zahlreichen Geschichten im Bewusstsein der Menschen am Leben. Heerscharen von Ratten und der Schmutz in den Strassen der Städte taten ihr Übriges dazu, um das Ausbrechen von allerlei Krankheiten zu fördern.
Und so kam es im Jahre 1679 zum Ausbruch der Pest in Wien. Denn das Böse, eine körperlose schwarze Masse mit unendlich verlängerbaren Armen und gierigen Fingern, das sich durch die Erde wühlte, verzweifelt Ausgänge und Schächte nach oben suchte, brach zuerst in der „Leopoldstadt", einem Vorort der damaligen Stadt Wien aus, infizierte Ratten und Ungeziefer und schickte die todbringenden Boten so an die Oberfläche.
Dadurch, dass die Seuche über einen längeren Zeitraum im wahrsten Sinne des Worts, totgeschwiegen wurde, starben rund 100.000 Menschen daran; zuerst die Armen und Schwachen, bis sie dann schließlich auch die Salons und Paläste der Wohlhabenden erreichte und ausgiebige Ernte machte.
Ärzte schilderten sie in den Annalen als eine „Heimsuchung der Menschen mit Beulen, Drüsen-Karfunkeln, braunen und schwarzen Flecken, riesigen aufplatzenden Beulen, gefüllt mit stinkendem Eiter und Blut" Die Menschen in der Stadt waren voll Entsetzen und in Panik. Noch dazu lagen die Leichen todbringend oft tagelang auf den Straßen, denn es fehlte an Siechenknechten und Totengräbern.
Durch die engen Gassen der Altstadt, am Dom vorbei wälzten sich die Menschenmassen, mit Karren voller Leichen und begruben sie in den vor der Stadt vorbereitenden Gruben, die eilig ausgehoben wurden. Die Leichen wurden einfach hinuntergekippt und man eilte davon.
Mit gierigen Armen und geifernden Mäulern wurden die Leichen von den bösen Kräften und Gestalten der Unterwelt darin aufgenommen und dienten dem Bösen als Nahrung und zur Vermehrung.
In den Nächten, so man sich ins Freie traute, konnte man auf den noch offenen Leichengruben unheimliche, schwarze Gestalten und Schatten mit funkelnden Augen tanzen sehen.
Diese Seuche konnte erst eingedämmt werden, als man begann, die Straßen und Häuser zu reinigen, keinen Unrat mehr einfach aus dem Fenster zu werfen.
Da mussten sich diese bösen Kräfte wieder in den Untergrund zurückziehen und auf ihre neue Chance warten.
Es vergingen Jahrhunderte, in denen sie als drohende geifernde Gefahr unter unseren Füßen lauerten und auf die Gelegenheit, nach oben zu kommen warteten.
Der moderne Mensch verweist diese Dinge natürlich in der Reich der Fabeln und Sagen und setzt sich über alle Warnungen der Wissenden hinweg. Beim Bau der geplanten U-Bahn wurden Baumaschinen, Riesenbagger und Erdbohrer eingesetzt und die Erde unter großem Getöse und intensiven Erschütterungen aufgewühlt. In dem auftretenden Lärm und dem Getöse gingen das Fauchen und Stöhnen dieser unterirdisch lauernden Bewohner der Stadt unter.
Im Zuge der Bauarbeiten entstand vor dem Dom ein riesiger Krater von ca. dreißig Metern Tiefe oder mehr. Es wurden Tonnen von Erde nach oben geschafft und mit ihr Extremente der Ratten und anderem Getier und Gewürm. Aus den entstandenen Erdspalten drang Ekel erregender Gestank in diese Luft und wurde von den Männern eingeatmet.
Auch als aus einem tiefen Hohlraum ein Heer von Ratten entwich, sich auf die Männer in den Overalls stürzten, wurden sie mit den modernsten Mitteln der Schädlingsbekämpfung getötet oder scheinbar vertrieben. Das Einzige was geholfen hätte, wäre Feuer gewesen, das wurde unterlassen! Rundum gingen die Menschen ahnungslos ihren Geschäften nach, saßen in den Kaffees und plauderten über Belangloses, während über ihnen der Hauch des Todes seine Bahnen zog.
Der Griff aus dem Grauen. Wien, 1977
Erschrocken fuhr Sabine in die Höhe. Das Telefon läutete ausdauernd und furchtbar laut.
Sie blickte auf die Uhr neben sich. Es war kurz nach zwei Uhr morgens.
Im Halbschlaf griff sie nach dem Telefon.
„Ja, wer stört?"
„Sabine, hier ist Robert. Ich brauche Deine Hilfe!"
„Weißt Du, wie spät es ist? Hat das nicht Zeit bis morgen früh?"
„Nein, wir stehen vor einer Katastrophe, tausende Menschen sind gefährdet und es soll vertuscht werden."
Sabine war inzwischen hellwach geworden, hatte das Licht angemacht und saß am Bettrand. Warum überraschte sie dieser Anruf nicht wirklich? Es klang ganz nach Robert, immer dramatisch, immer enthusiastisch und immer übereifrig. Ein engagierter Journalist, der aber auch immer wieder in neue Schwierigkeiten taumelte.
„Robert, bist Du schon wieder dabei, etwas aufzudecken? Aber um Gottes Willen, wozu brauchst Du da mich, und noch dazu so mitten in der Nacht?"
„Was weißt Du über die Pest?"
„Die Pest? Bist Du verrückt, hast Du kein Internet um da nachzusehen?"
„Sabine, wir haben die Pest mitten in Wien, es gibt Tote und Erkrankte und alles soll vertuscht werden!"
„Das wäre ja eine Katastrophe, aber ich habe bisher davon nichts gehört und sitze doch einigermaßen mitten im Geschehen."
„Es gab bereits drei Tote, die bereits beerdigt wurden, es waren alles Feuerbestattungen und weitere fünf Erkrankte liegen auf der Isolierstation der Uni-Klinik und werden mit Antibiotika behandelt."
„Und was steht auf den Totenscheinen?" fragte Sabine.
„Diphtherie, einfach Diphtherie. Ich habe keine Ahnung, was sie den Angehörigen über die näheren Umstände gesagt haben, ich finde es nur seltsam, dass alle drei Verstorbenen eine Feuerbestattung bekamen! Das kann doch kein Zufall sein!"
Sabine dachte kurz nach.
„Wenn das stimmt, dann ist das tatsächlich seltsam. Gibt es denn einen Zusammenhang oder eine Verbindung zwischen den erkrankten Personen?"
„Ja, es sind ausschließlich Bauarbeiter und Techniker von der U-Bahn-Baustelle am Stephansplatz, die in derselben Nacht Dienst hatten. Man hat heute Morgen die Arbeiten vorübergehend, mindestens für einige Stunden, ausgesetzt und die Baustelle gesperrt." Sagte Robert.
„Mit welcher Begründung?"
„Technische Probleme und Prüfung. Aber wenn sie Gerede vermeiden wollen, müssen sie sie bis spätestens morgen früh wieder öffnen!"
„Robert, ich habe da einen Studienkollegen, der arbeitet im Gesundheitsamt. Den werde ich anrufen, vielleicht weiß er irgendwas. Aber nicht jetzt, mitten in der Nacht, morgen früh! Gute Nacht!"
„Das kannst Du Dir sparen, sie mauern! Zieh Dich an, ich hole Dich ab und wir schauen uns das an Ort und Stelle an der Baustelle direkt an".
„Bist Du verrückt? Da gibt es wohl Einiges, das dagegenspricht. Erstens wird die Baustelle sicher bewacht sein, zweitens könnte es für uns ebenfalls gefährlich sein, uns dort irgendwelchen Seuchen, es muss ja nicht gleich die Pest sein, auszusetzen; und drittens riskiere ich meine Anstellung im Labor der Uni-Klinik!"
„Also, wenn es doch die Pest sein sollte, dann ist das alles völlig gleichgültig. Du wohnst keine hundert Meter von der Baustelle entfernt, kannst sie sogar sehen, und Du bist sicher bereits infiziert! Wir steigen da einmal hinunter und nachher gehen wir in dein Labor und Du spritzt uns ein Gegengift!"
Sabine musste lachen, ja so stellte es sich der kleine Moritz vor!
„Sabine, bitte versuche doch einmal, über Deinen eigenen Schatten zu springen, hast Du gar keine Eigeninitiative, keine Abenteuerlust?"
„Robert, Du übertreibst wieder einmal maßlos! Aber OK, ich werde mir das mit dir ansehen, wie lange brauchst Du, bis Du hier bist?"
„Ich stehe vor deiner Haustüre, ziehe auf jeden Fall Gummistiefel an", sprach Robert und klickte sich weg.
Seufzend erhob sich Sabine, nicht ohne einen sehnsüchtigen Blick auf den Pölstern zu werfen und suchte ihre Jeans und ein T-Shirt mit Jacke zusammen, zog auch die erwähnten Gummistiefel an.
Ihre Wohnung lag tatsächlich im Zentrum der City, keine 100 Meter vom Dom entfernt. Nachdenklich blickte sie in den Spiegel beim Stiegenabgang. Sollte tatsächlich aus der Tiefe der Baugrube etwas