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Keep You Safe - Nick & Gaby
Keep You Safe - Nick & Gaby
Keep You Safe - Nick & Gaby
eBook452 Seiten6 Stunden

Keep You Safe - Nick & Gaby

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Über dieses E-Book

Eine Liebesgeschichte so erfrischend wie Erdbeereis.

Seit der alleinerziehende Vater und Illustrator Nick die schlagfertige Gaby kennengelernt hat, zeichnet er nur noch Herzchen. Er wünscht sich nichts sehnlicher, als sie wiederzusehen. Doch Nick hat nicht nur ein Geheimnis, das er niemals mit ihr teilen könnte, sondern muss sich auch um das Wohlergehen seiner kleinen Tochter kümmern. Da kann er sich keine Schwärmereien leisten.
Nicks Herz ist allerdings ganz anderer Meinung: Viel zu lange sehnt es sich schon nach Freiheit, und noch nie war diese so verlockend wie jetzt …

SpracheDeutsch
HerausgeberMIRA Taschenbuch
Erscheinungsdatum15. Aug. 2019
ISBN9783745750683
Keep You Safe - Nick & Gaby
Autor

Susan Florya

Susan Florya wurde 1969 während einer Urlaubsreise in Istanbul/Türkei geboren. Aufgewachsen ist sie in Dortmund und mitten im Rheinland. Nach dem Abitur folgte eine Ausbildung zur Einzelhandelskauffrau, heute verdient sie ihre Brötchen als kaufmännische Angestellte eines großen Unternehmens in Düsseldorf. Schon als Kind hat sie stets Geschichten erfunden und aufgeschrieben. Bis heute ist ein Leben ohne Bücher für sie undenkbar. Ihre zweite große Leidenschaft – das Reisen – wurde ihr praktisch mit der Geburt in die Wiege gelegt. Aus diesen Wurzeln wachsen nun gefühlvolle Romane, die ihre Leserinnen an einige der interessantesten Orte der Welt entführt. www.susan-florya.de

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    Buchvorschau

    Keep You Safe - Nick & Gaby - Susan Florya

    MIRA® TASCHENBUCH

    Copyright © 2019 by MIRA Taschenbuch

    in der HarperCollins Germany GmbH

    Coverabbildung: Primorac91/GettyImages rclassenlayouts/GettyImages.

    E-Book-Produktion: GGP Media GmbH, Pößneck

    ISBN E-Book 9783745750683

    www.harpercollins.de

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    1. KAPITEL

    Anfang April

    Nick schob die Hände in die Hosentaschen und wippte ungeduldig auf den Fußsohlen. Unglaublich, wie viele Lobeshymnen in eine Rede passten. Mittlerweile hatte er den Überblick verloren, zum wievielten Mal jemand die Entstehungsgeschichte der Kanzlei Morrison, Loughlin & Raventhorne in minutiös genauen Details aufarbeitete. Laut der Einladung handelte es sich bei der Feier um das fünfzigjährige Jubiläum. Allmählich vermutete Nick allerdings, dass am Tag der Unternehmensgründung noch Dinosaurier über den Wilshire Boulevard gestapft waren.

    Er stellte sich einen Comic vor, in dem ein Brontosaurus vor einem Hau-den-Lukas stand, dessen Skala an einem Schild mit der Aufschrift „Gipfel der Langeweile" endete. Bronto schlummerte unter den Worten des nächsten Redners ein, sein Kopf knallte anstelle des Hammers auf den Abschlag – und der Metallpfropfen schoss nach oben. Die Glocke löste Alarm aus, die Skala explodierte, und das Schild zersprang in kleinste Einzelteile. Wie in Zeitlupe rieselten die Schnipsel zu Boden.

    Nick tastete nach dem Notizbuch in der Innentasche seines Jacketts. Diese Idee musste er schnellstmöglich skizzieren! Er schielte zum Büffet hinüber. Zumindest die Futterkrippe tröstete ansatzweise darüber hinweg, dass er seinen Samstagabend damit verplemperte, sich die Heldengeschichten sämtlicher Rechtsverdreher anzuhören.

    Diese Fliege um seinen Hals machte ihn zudem wahnsinnig, und der Knopf darunter sperrte ihm die Luft ab! Vergeblich versuchte er, den Hemdkragen zu lockern. Mehr noch als der Affenanzug gingen ihm die Weiber auf den Zeiger, die ihm zwischen Krabbencocktail und Himbeerparfait eindeutige Angebote zuraunten. Nähme er die Hälfte der Einladungen an, könnte er eine beträchtliche Anzahl der Betten des Beverly Hills Hotels testen.

    Der Lärmpegel im Saal stieg an, das klassische Zeichen für den Toast in die Runde. Nick nahm Reißaus, bevor der nächste Schwall Firmengeschichte auf ihn niederprasselte.

    In eine Nische auf dem weitläufigen Flur gelehnt, schob er das Büchlein in die Innentasche zurück. Mehrere Skizzen, die ihm das nächste Honorar für seinen wöchentlichen Comicstrip in der Times sicherten, rückten die vergangenen Stunden in ein etwas besseres Licht. Eine riesige Grünpflanze bot ihm Deckung, sein Anzug und die dunklen Haare taten ihr Übriges, ihn mit den Schatten verschmelzen zu lassen. Aus seinem Versteck heraus ließ er den Blick durch die weit geöffneten Flügeltüren schweifen. Eine Hand um die Taille seiner Ehefrau gelegt, unterhielt sich Craig mit einigen Senioren. Frühere Kollegen, die ihre Tage nun zwischen Golfplatz und Pilatesgruppe verbrachten, vermutete Nick. Ein Champagnerglas in der Hand, lehnte sich Diana eine Spur tiefer in Craigs Umarmung. Eine winzige Geste, die nur dem geübten Auge auffiel und ihm einen wehmütigen Stich versetzte. In guten, wie in schlechten Tagen … Selbst Craig und Diana, mit ihrer Villa und den Nobelkarossen in der Doppelgarage, konnten ein Lied über die schlechten Tage singen. Wie schön musste es sich anfühlen, auch die guten miteinander teilen zu dürfen.

    Dresscode hin, seriöse Feier her – diese Fliege würde bei nächster Gelegenheit im Müll landen! Nick zwängte den Zeigefinger an seinem Kehlkopf vorbei, schnürte sich die Luft dabei aber nur noch mehr ab. In Gedanken schoss er bitterböse Pfeile auf Craig ab. Nur weil dessen Name auf dem Briefkopf der Kanzlei prangte, musste er, Nick, im Folteroutfit auf dieser Feier ausharren.

    Da der Hemdkragen nicht nachgab, verfluchte er zur Abwechslung seine Lederschuhe. Doch im nächsten Augenblick vergaß er sein unbequemes Outfit. Eine überaus attraktive Frau mit kupferblonden Haaren trat durch eine der Flügeltüren, stützte sich mit einer Hand an der Wand ab und schlüpfte aus ihren dunkelblauen Pumps. Ein Knie angewinkelt, rieb sie sich die Zehen. Belustigt schaute er zu, wie sie ihre Schuhe wieder anzog und sich bemühte, ein ausgiebiges Gähnen hinter ihrer schmalen Hand zu verbergen.

    »Lassen Sie mich raten: Sie träumen von einem Paar Sneakers, stimmt’s?« Nick gab seine Deckung auf und trat ihr entgegen.

    »Tut mir leid.« Ihr herzliches Lächeln strafte ihre Worte Lügen. »Ich kann es nicht fassen, aber diese Veranstaltung ist noch ätzender, als ich mir eine Anwaltsparty immer vorgestellt habe. Haben Sie auch die Flucht ergriffen?«

    »Reiner Selbstschutz! Noch eine Wiederholung der Ahnentafel und ich falle ins Koma.« Er beschloss, dass er sämtliche Reden überleben würde, solange sie ihn mit diesem Lächeln ablenkte, und er sich in ihren Augen verlieren durfte. Sie kam daher wie ein erfrischender Sommerwind an einem schwülen Augustnachmittag. Einhundert Prozent gute Laune verpackt in aparter Weiblichkeit. Obwohl es ihm schwerfiel, sich von ihren Augen loszureißen, gönnte er sich einen Blick auf das Gesamtpaket.

    Im Gegensatz zu den festzementierten Hochsteckfrisuren der übrigen Damen fielen ihr ihre Haare ungebändigt bis auf die Schultern und wirkten, als käme sie gerade von einem stürmischen Strandspaziergang nach Hause. Das Etuikleid weckte Fantasien von Küssen auf zart gebräunter Haut. Nick ertappte sich bei der Überlegung, was sich wohl unter der leuchtend blauen Seide verbarg. Sein Finger, der ihr den schmalen Träger von der Schulter schob … Ihre Beine würden ihm schlaflose Nächte bescheren! Jetzt eine Hand auf ihr Knie legen, sie langsam diesen perfekt geformten Schenkel unter ihrem Rocksaum hinaufwandern lassen …

    Hastig räusperte er sich und streckte ihr die Hand entgegen. »Darf ich mich vorstellen: Nick Raventhorne.« Behutsam schloss er seine Pranke um ihre zarten Finger und sehnte einen Krampf herbei, um ein Alibi zu haben, sie nicht wieder loslassen zu müssen.

    »Sehr erfreut, ich bin …« Im selben Moment erlosch ihr Lächeln, und Röte schoss ihr ins Gesicht. Sie entzog sich ihm derart hastig, dass er verdutzt seine leere Handfläche anstarrte. »Da bin ich ja mitten ins Fettnäpfchen getreten, was?« Sie zog eine schuldbewusste Grimasse. »Tut mir leid, woher sollte ich wissen, dass Sie einer der Gastgeber sind?«

    »Was bin ich?« Nicks Kopf schoss hoch.

    »Sie sind nicht…? Die Kanzlei … Einer der Namen lautet doch Raventhorne.«

    Er nickte und hing an ihren korallenroten Lippen. Der leicht schleppende Akzent, der ihm verriet, dass ihre Wurzeln den Ufern des Mississippi entstammten, stand in reizvollem Kontrast zu der unbändigen Lebensfreude in ihren Augen, deren Farbe ihn an edlen Brandy erinnerte.

    »Stimmt, aber hier gibt’s noch einen von uns. Sonst müsste ich womöglich seine Rede halten.« Er deutete auf Craig. »Da drüben, der mit der Geheimratsecke am Scheitel, das ist Craig Raventhorne. Mein großer Bruder.«

    Die schöne Unbekannte warf einen Blick auf Craig, bevor sie Nick von oben bis unten musterte. »Eher älter als größer, was?« Sie zog einen Schmollmund und legte den Kopf schief. »Sie verraten ihm hoffentlich nicht, dass ich seine Party zum Gähnen finde?«

    »Ich petze nicht. Und selbst, wenn ich wollte …« Nick zuckte mit den Schultern. »Ich weiß ja nicht einmal Ihren Namen.«

    »Oh, tut mir … Nein, tut mir nicht leid. Verdammt, was machen Sie, dass ich mich dauernd entschuldige, seit ich Ihnen über den Weg gelaufen bin?«

    »Ich? Gar nichts.« Er hob abwehrend die Hände. »Ich habe einfach in meiner Ecke gestanden und mich gefragt, wann ich nach Hause gehen darf. Dann kamen Sie, und seither hoffe ich, dass der Abend noch ein Weilchen länger dauert.«

    Wieder schenkte sie ihm dieses Lächeln, bei dem er verdrängte, dass er Frauen generell und schönen Frauen erst recht aus dem Weg ging. Ihre Augen ließen ihn nicht los. Wäre er auf der Jagd, würde sie ihm gefährlich werden. Er schob den Gedanken schnellstens beiseite. Sie betrieben nur nette Konversation, um sich gegenseitig vor dem akuten Ableben aufgrund extremer Langeweile zu bewahren.

    »Ich heiße …« Zum zweiten Mal durfte er ihre Hand ergreifen, und zum zweiten Mal zuckte sie zurück. »Nein, das verrate ich Ihnen wirklich nicht. Dann könnten Sie mich doch noch verpetzen.«

    Bedauernd ergab sich Nick seinem Schicksal. »Es würde genügen, Craig gegenüber zu erwähnen, was die Schönheit im blauen Kleid gesagt hat.«

    »Und wie kann ich Sie davon abhalten?«

    »Indem Sie mich an die Bar begleiten, damit ich ihm nicht in die Finger gerate. Oder haut mir Mr. Unbekannt eins über die Rübe, wenn ich mich länger mit Ihnen unterhalte?«

    »Nein, keine Sorge. Ich bin mit meinem Chef hier. Ich glaube, Ihr Bruder ist sein Anwalt.«

    »Das heißt, Ihr Chef ist Waffenhändler, Autoschieber oder Bankräuber und Sie sind sein Lockvogel?«

    »Nein, wieso?«

    »Weil Craig Strafverteidiger ist.« Nick deutete mit dem Kinn zum Ehrentisch hinüber. »Was macht Ihr Chef?«

    »Er hat ein Geschäft in Santa Monica, Mr. Big. Vielleicht kennen Sie uns.« Nur ihren hohen Absätzen verdankte sie, dass sie den Kopf nicht allzu weit in den Nacken legen musste, um Nick ins Gesicht schauen zu können. »Sie passen genau in unser Kundenprofil.«

    »Mr. Big?« Nick schürzte die Lippen. »Nein, kenne ich nicht. Steht der Name für groß und dünn oder für klein und dick?«

    »Beides. Wir führen Übergrößen für Männer.«

    Na, wie praktisch, dass er es auf ein Gardemaß von knapp zwei Metern brachte. Da könnte man dem Laden bei Gelegenheit glatt einen Besuch abstatten. Natürlich nur, um ein Hemd zu kaufen, bei dem die Ärmel ausnahmsweise lang genug sind…

    »Champagner für die Dame?« Der Barkeeper holte Nick aus seinen Überlegungen.

    Sie winkte ab. »Danke. Lieber ein Glas Weißwein.«

    Nick orderte Cranberrysaft und Perrier und parkte die Hälfte seines Hinterteils auf einem Hocker. Fasziniert verfolgte er, wie geschmeidig seine Begleiterin das gleiche Kunststück in ihrem engen Kleid zustande brachte.

    »Saft und Wasser?« Sie verzog das Gesicht. »Ich dachte, Sie wären schon einundzwanzig.«

    »Bin ich. Seit letzter Woche. War ’ne Riesenfete in Vegas, deshalb habe ich dem Alkohol vorerst abgeschworen. Ich bekomme jetzt noch Kopfschmerzen, wenn ich an den Hangover denke.« Er nahm sein Glas entgegen und hielt es ins Licht. »Sieht aus wie ein schöner Zinfandel, oder? Ich muss noch fahren«, erklärte er und toastete ihr zu. »Darauf, dass die Party nicht mehr ätzend ist?«

    Sie nickte und klickte ihr Glas gegen seins. »Verraten Sie mir, was Sie tun, wenn Sie sich nicht im Topfpflanzendschungel verdrücken? Sind Sie auch Anwalt?«

    »Ich? Gott bewahre!« Erschrocken zuckte er zurück. »Ein Paragrafenreiter in der Familie reicht. Ich bin eher das Gegenteil.«

    »Also einer der Waffenhändler, Autoschieber und Bankräuber?« Sie grinste schelmisch, ohne zu bemerken, dass Nick schlagartig ernst wurde. Hastig nahm er einen tiefen Schluck aus seinem Glas, doch den unangenehmen Beigeschmack spülte der Saft nicht von seiner Zunge. Er unterdrückte das brennende Verlangen, sich den Knöchel zu reiben, obwohl er genau wusste, dass es nicht auf seiner Haut, sondern allein in seinem Kopf juckte.

    »Nick, darf ich dich kurz … Oh, entschuldige, bitte.« Craigs Hand auf seinem Rücken lenkte Nick vom Kribbeln unter seiner Socke ab. Angenehm überrascht betrachtete Craig sein Gegenüber. »Möchtest du mir die Lady nicht vorstellen?«

    In einer hilflosen Geste breitete Nick die Hände aus. »Das würde ich liebend gern. Leider will sie mir ihren Namen nicht verraten.« Er deutete auf Craig. »Miss Unbekannt, mein Bruder Craig Raventhorne.«

    »Sehr angenehm, Miss Unbekannt.« Schmunzelnd nahm Craig ihre dargebotene Hand entgegen. »Hat er etwas angestellt, dass Sie lieber inkognito bleiben?«

    »Nein, eher umgekehrt. Wenn er petzt, bin ich dran. Gabrielle Parker. Angenehm, Mr. Raventhorne.«

    »Craig, bitte.«

    »Gabrielle.«

    »Dann wünsche ich noch einen angenehmen Abend. Mr. Delores, wie schön, Sie …« An der Seite des fremden Herrn ging Craig davon. Nick seufzte. Warum musste ausgerechnet Craig Zeuge werden, wenn er sich einmal mit einer sympathischen Frau unterhielt?

    ***

    Unterschiedlicher können Brüder kaum sein, überlegte Gabrielle. Nicks unerwartet verschlossene Miene verwunderte sie. Eben noch definitiv auf Flirtmodus gepolt, wirkte er plötzlich angespannt. Das musste sie unbedingt ändern! Er war niedlich. Okay, das sollte sie ihm gegenüber besser nicht erwähnen. Verboten sexy mit genau der richtigen Portion jungenhaftem Charme traf es eher. Gegen den Anwalt, der seinen Brooks-Brothers-Anzug mit einer Selbstverständlichkeit trug, als hätte er darin das Licht der Welt erblickt, wirkte Nick wie ein Flegel, den man gewaltsam in einen Smoking gesteckt hatte. Fühlte er sich unbeobachtet, fummelte er an seinem Hemdkragen herum, weshalb die Fliege inzwischen auf zwanzig nach zehn Uhr zeigte. Er überragte Craig fast um Haupteslänge, und Gabrielle vermutete, dass Nick zwei oder drei Jahre jünger sein musste. Optisch spielte Craig in der Regionalliga, Nick im Super Bowl. Er hatte das breite Kreuz und den Körperbau eines Schwimmers und die Beine eines Langstreckenläufers. Unter seinem Jackett deuteten sich ausgeprägte Oberarmmuskeln an. Seine verstrubbelten Haare, deren Farbe sie an die Schalen von Macadamianüssen denken ließ, verrieten, dass er häufig mit den Fingern durch sie fuhr. Sie zwang sich, den Blick von seinen Händen abzuwenden. Gewisse Partien ihres Körpers prickelten allein bei der Vorstellung, was diese langen, schlanken Finger anrichten könnten, würden sie über ihre Haut, statt über das Glas streichen. Und dieser Mund …

    »Gabrielle Parker also«, riss er sie aus ihren süßen Tagträumen. Sein melancholischer Moment schien vorüber, er hob seine linke Augenbraue und schenkte ihr ein atemberaubendes Lächeln, aus Augen, so blau wie der Pazifik. »Wartet man geduldig ab, klären sich manche Dinge von allein«, sagte er mit der Zufriedenheit eines Katers, der soeben die Maus vernascht hatte.

    Gabrielle spitzte die Lippen und nickte bedächtig. »Und da Sie offensichtlich über ausreichend Geduld verfügen …« Sie gönnte sich das Vergnügen, mit dem Finger an ihrer Unterlippe entlangzufahren. Er musste doch aus der Reserve zu locken sein …

    »Ja. Die hat man mir beigebracht.« Wie auf Knopfdruck schlug sein Ton in Bitterkeit um. Hastig griff er erneut nach seinem Glas und leerte es in einem Zug.

    ***

    »Nanu? Sehe ich etwa ein bedauerndes Glitzern in deinen Augen?«

    Unwillig wandte sich Nick von den Aufzugtüren ab, die sich soeben hinter Gabrielle und ihrem Chef geschlossen hatten, und begegnete dem breiten Grinsen seines Bruders.

    »Da hat’s aber einen erwischt, was?« Es fehlte nicht viel und Craig könnte seine Mundwinkel an den Ohren aufhängen.

    Nick schüttelte den Kopf. »Wohl kaum«, erwiderte er bedrückt. »Die Zeiten sind vorbei.« Er schaute sich um, doch abgesehen von den Gastgebern und dem Servicepersonal hielt sich kaum noch jemand im Saal auf.

    »Schnapp sie dir, Nick. Sie fährt voll auf dich ab, lass dir das von deinem Anwalt gesagt sein.«

    »Klar. Frauen wie Gabrielle stehen total auf Ex-Knackis, bei denen der Bewährungshelfer gelegentlich zum Kaffeeklatsch vorbeischaut.«

    »Kannst du das nicht mal einen Abend lang vergessen?«

    »Nein. Das Ding an meinem Bein fällt nämlich nicht unter den Begriff Reizwäsche.« Wieder spürte er diesen penetranten Juckreiz. Am liebsten hätte er sich die Haut blutig gekratzt, dabei bildete er sich die Qual nur ein.

    »Hast du ihre Telefonnummer?« Craig gab nicht auf. Natürlich nicht. Hätte er jemals aufgeben, wäre er nicht Partner der Kanzlei und Nick läge längst im Bett, statt an eine Frau zu denken, die ihm für eine Weile das Gefühl vermittelt hatte, ein netter Kerl zu sein.

    Er schüttelte den Kopf. »Ich habe nicht danach gefragt.«

    Craig schnaubte vernehmlich. »Früher hättest du ihre Telefonnummer, vor ihrem Namen gewusst.«

    »Früher ist vorbei.« Nick drückte den Knopf für den Aufzug. Zeit, in sein leeres Haus zurückzukehren, in dem heute nicht einmal Leonie auf ihn wartete. Mit einem dezenten Pling öffneten sich die Aufzugtüren. Er trat einen Schritt nach vorn, da hielt Craig ihn zurück.

    »Weißt du, wo du sie finden kannst?«

    Nick schüttelte ihn ab, betrat den Lift und hob anstelle eines Abschiedsgrußes die Hand. Dankbar dafür, allein zu sein, bedachte er sein Spiegelbild mit einer abfälligen Grimasse. Vierzig Jahre alt, aber immer noch der kleine Bruder, auf den Craig aufpassen musste.

    »Leider ja«, gab er sich niedergeschlagen die Antwort auf Craigs Frage. »Leider ja.«

    2. KAPITEL

    Inmitten eingeschlafener Anzugträger schaute der Brontosaurier verblüfft auf die wunderschöne Frau mit der aufregend rotblonden Wuschelmähne, die sich aus den Teilen des gesprengten Hau-den-Lukas erhob. Behutsam nahm er einen Träger ihres Cocktailkleids zwischen seine Vorderzähne, richtete sich auf und hob das elfengleiche Geschöpf auf seinen Rücken. Den Kopf schief gelegt, schaute er sie an. Sie schlang die Arme um Brontos Hals und lachte. Dabei funkelte der Schalk in ihren Augen wie lupenreine Diamanten. Bronto grinste. Trotz seiner schwerfälligen Masse tänzelte er aus dem Saal. Fortsetzung folgt …

    Mit einem abgrundtiefen Seufzer legte Nick den Stift beiseite und betrachtete, was aus ihm heraus aufs Papier geflossen war. Ohne den Blick von den Skizzen abzuwenden, tastete er nach seiner Kaffeetasse, setzte sie an die Lippen und spuckte den Schluck umgehend zurück. Angewidert schüttelte er sich. Zucker vergessen und inzwischen eiskalt. Das passierte, wenn einem atemberaubende Frauen durch den Kopf geisterten.

    Fortsetzung folgt …

    Von wegen! Möglich, dass Bronto die Chance bekam, ein Weilchen mit der Elfe über den Regenbogen zu steppen. Prähistorische Giganten, die sich von anmutigen Wesen verzaubern ließen, kamen bei den Lesern der Sonntagsausgabe immer gut an. Die Realität endete, bevor die Blondine ahnte, welches Monster unter der attraktiven Schale des Kerls steckte, dem sie für eine Weile unbekümmert ihr Lächeln geschenkt hatte.

    Auf die Stuhllehne gestützt, kratzte Nick die Stelle oberhalb seines Knöchels, wo sich der einer Armbanduhr ähnliche Sender befand. Der gewohnte Schauder, der ihn stets erfasste, sobald er das Gerät berührte, rann ihm über die Wirbelsäule. Ein intensives Kribbeln der anderen Art war durch seine Adern gerast, als Gabrielle mit der gleichen Bewegung ihren Pumps ausgezogen und ihre Zehen massiert hatte. Brontosaurus gegen Elfe.

    Er sah an sich hinab. Sakko und Fliege waren im Auto auf der Strecke geblieben, die Schuhe hatte er von den Füßen geschleudert, noch bevor die Haustür hinter ihm zugefallen war. Die Ärmel bis über die Ellenbogen umgekrempelt, hing ihm das weiße Hemd offen über der Anzughose. Bestimmt würde ihr gefallen, was sie sähe. Auf einen muskulösen Bauch und schmale Hüften zu Oberarmen wie bei einem Quarterback fuhren die Frauen ab, wie er auf … Gabrielle …

    »Verfluchte Scheiße!« Seine Faust landete mit einem dumpfen Klatschen in seiner Handfläche. Mit aller Kraft presste er sie gegen den Widerstand. Die Augen geschlossen und den Kopf in den Nacken gelegt, verfolgte er schwer atmend, wie sich die Anspannung Stück für Stück seines Körpers bemächtigte. Wie von einer unüberwindlichen Mauer umschlossen, stand er sich selbst im Weg. Trotz seiner Muskeln nicht in der Lage, den Brontosaurier in sich beiseite zu schieben.

    Laufen! Er musste rennen, bis seine Lungen nach Sauerstoff schrien und Gedanken an Gabrielle keinen Platz mehr in seinem ausgelaugten Körper fanden. Bereits auf dem Weg ins Schlafzimmer riss er sich das Hemd vom Leib. Die Hose flog in die Ecke. Tanktop, Jogginghose, Nikes. Es dauerte keine zwei Minuten, bis er vor der Haustür stand. Wie immer, wenn er das Haus verließ, gönnte er sich einen tiefen Atemzug. So nervig das Ding am Bein war, es sperrte ihn wenigstens nicht ein, wie es die Mauern und Stacheldrahtzäune getan hatten. Seine Welt reduzierte sich auf einen Radius von zwanzig Meilen um sein Zuhause. Genug für seinen normalen Alltag und kleine Ausflüge an benachbarte Strände. Besäße er doch im Kopf ebenso viel Freiheit. Warum wurde sein Hirn die verdammten Gitter einfach nicht los?

    Sonntagmorgen. Nur er und die Kanäle. Selbst die Enten schliefen noch. Mit langen Schritten lief er an architektonischen Verrücktheiten und schlichten Cottages vorbei. Das Echo seiner Schuhe hallte auf den Holzplanken der Brücke wider. Auf der viel befahrenen Pacific Avenue kreuzte lediglich ein Laster seinen Weg. Die Obdachlosen schliefen in graffitibeschmierten Hauseingängen ihren Rausch aus, ein asiatischer Imbissbesitzer fegte den Straßendreck vor seinem Lokal zusammen. Eine grell geschminkte Prostituierte, gekleidet in High Heels, zerrissenen Netzstrümpfen und Latexmini auf der Suche nach einem übrig gebliebenen Freier und ein paar Dollar für den nächsten Fix. Nicks Augen leiteten die alltäglichen Bilder, die den Reiz und Schrecken von Venice Beach ausmachten, automatisch in den mentalen Spamfilter. Vor ihm lag der von Palmen gesäumte Sandstrand im grauen Dunst. An dem Ort, an welchem in wenigen Stunden Touristen Selfies knipsten, liefen derzeit nur diejenigen dem Sonntagmorgen davon, auf die kein Familienfrühstück wartete.

    Nick schwenkte auf den Joggingpfad und beschleunigte wie ein Porsche bei Vollgas.

    ***

    »Einen großen geeisten Mocca mit doppeltem, peruanischem Espresso, Mandelmilch, zuckerfreiem Vanillesirup, ohne Sahne für Cass und einen mittleren Cappuccino für Gaby«, rief die Barista über das Stimmengewirr im Coffeeshop hinweg. Nach mittlerweile fünf Monaten in dieser verrückten Stadt bezweifelte Gaby immer noch, jemals derart L.A. zu werden, dass ihre Kaffeebestellung mehr Worte als die Abendnachrichten benötigte. Sie nahm Glas und Tasse entgegen und setzte sich zu Cass auf die schattige Terrasse.

    »Das Beste am Sport ist das Frühstück danach.« Gaby schälte ihren Blaubeermuffin aus der Papiermanschette. Cass rührte ihr Müsli in den fettfreien Sojajoghurt.

    »Nicht unbedingt. Für ein Personal Training«, sie malte Anführungszeichen um die letzten beiden Worte in die Luft, »mit diesem griechischen Gott würde ich glatt meinen Kaffee eintauschen. Hast du gesehen, er gibt einen Kurs im Thaiboxen. Dienstags um acht. Wollte ich immer schon ausprobieren. Thaiboxen. Kommst du mit?«

    Nicht zum ersten Mal überlegte Gaby, wo Cass zwischen ihren Fitness- und Maniküreterminen Zeit für ihren Job als Assistentin eines Immobilienmaklers fand. Von den Haarwurzeln bis zu den lackierten Zehennägeln immer auf der neuesten Trendwelle unterwegs, entsprach sie dem Idealbild des typischen California Girls. Ihr bauchfreies Top zu knappen Designershorts zeigte die Figur eines Supermodels. Blonde Strähnchen, kunstvoll lässig aus dem Pferdeschwanz gezupft, umrahmten ihr Gesicht. Wer sie anschaute, glaubte ihr die achtundzwanzig Jahre, mit denen sie kokettierte, wenn man sie nach ihrem Alter fragte, sofort. Zufällig hatte Gaby entdeckt, dass Cass ihren achtundzwanzigsten Geburtstag bereits zum sechsten Mal feierte. Na und? Wen interessierten Daten auf einem Führerschein in einer Stadt, in der nur die Optik zählte? Dennoch kam sich Gaby in Cass’ Gegenwart oft ziemlich alt vor, obwohl sie gerade erst fünfunddreißig geworden war.

    Während sich Cass den Löffel zwischen die blitzweißen Zähne schob, checkte sie die neuesten Nachrichten auf ihrem iPhone. Gaby nippte an ihrem Cappuccino und schaute sich um. Wann immer sie ein Lokal betrat oder über den Santa Monica Boulevard bummelte, traf sie auf übernatürlich schöne Menschen. Seit ihrer Ankunft in der Pazifikmetropole glaubte sie, inmitten des Sets einer Hollywoodserie zu leben. Sehen und gesehen werden, alles andere schien in L.A. keine Rolle zu spielen. Jeder tippte auf einem Smartphone und unterhielt sich gleichzeitig mit seinem Gegenüber. Niemand nahm sich die Zeit, sich auf eine einzige Tätigkeit zu konzentrieren. Manchmal vermisste sie den gemächlichen Trott von New Orleans. Wo die schwüle Hitze den Menschen zu einer langsameren Gangart zwang und man bei Beignets und Kaffee den Straßenmusikern lauschte. Am Ufer des Mississippis fand man noch Ruhe zum Nachdenken.

    Aus diesem Grund war sie an die Westküste gezogen. Weit weg von dem Ort, an dem der Schmerz in der modrigen Luft Louisianas wie eine eiternde Wunde gären konnte. Die Hektik von L.A., das schwindelerregende Rotieren des kalifornischen Universums, das sich allein um Schönheit, Reichtum und Image drehte, war perfekt, um sich von den Erinnerungen abzulenken. Die Sonne verbrannte das Gestern und riss Gaby mit ins Morgen.

    Sie hatte Cass im Fitnessstudio kennengelernt Aus dem ersten gemeinsamen Besuch im Coffeeshop war eine lockere Freundschaft entstanden. Eiste sich Cass von ihren Apps los, konnte man mit ihr prima shoppen oder schnulzige DVDs gucken. Nur die Gemüsechips hätte Gaby bei Filmen mit Tom Hanks und Meg Ryan liebend gern, wie einst zu Hause, gegen Merlot und Salzgebäck getauscht.

    Gaby biss herzhaft in ihren Muffin. Ihr Ego verarbeitete dreihundert Kuchenkalorien plus Kaffeespülung ohne Psychiatertermin, und sie ließ sich wegen ihrer zu klein geratenen Brüste trotz Cass’ Empfehlungen eines passenden Helfers garantiert kein Silikon implantieren. Der niedliche Typ von gestern Abend hatte nicht den Anschein gemacht, als wäre ihre Taille zu breit und ihre Oberweite dürftig.

    »Was ist jetzt, Gabs? Kommst du mit?« Cass sah sie auffordernd an.

    Worum ging’s noch? Ach ja, der griechische Fitnessgott mit dem Adonishintern. Thaiboxen! Zeus bewahre!

    »Acht Uhr? Schaff ich nicht. Dienstags bin ich nie vor halb neun aus dem Laden raus. Außerdem bin ich kein Fan von Martial Arts. Sport ohne Musik geht gar nicht.«

    »Honey, mit dem Hintern von Dimitri vor meiner Nase geht alles! Ich fange sogar mit Yoga an, wenn er mir den Sonnengruß macht.«

    »Ich bezweifle, dass man vom Sonnengruß einen Bauch wie das Waschbrett meiner Ur-Ur-Urgroßmutter bekommt.«

    »Dafür aber bestimmt vom Thaiboxen. Dimitri darf mir gern Lektionen im Nahkampf erteilen. Apropos Hintern: Was war mit dem Typen, von dem du vorhin geschwärmt hast?«

    »Ich habe nicht geschwärmt, sondern lediglich festgestellt, dass die Party sterbenslangweilig war. Er hat mich in dem Moment erwischt, als ich mir beim Gähnen fast den Kiefer ausgerenkt hätte, und dann war sein Bruder noch einer der Gastgeber. Peinlich!«

    »Quatsch! Habt ihr euch unterhalten?«

    »Hmm«, bejahte Gabrielle, ihre Tasse an den Lippen und einen Schluck Kaffee im Mund.

    »Und?«

    Sie stellte die Tasse ab. »Was und?«

    Cass verdrehte die Augen. »Muss man dir immer alles einzeln aus der Nase ziehen? Spuck’s aus. Auf einer Skala von eins bis unendlich: Wie sexy ist er?«

    »Cass, jeder in L.A. sieht sexy bis unendlich aus! Warum sollte er eine Ausnahme bilden?«

    »Du bist noch vom Rausch des Neuen geblendet. Es gibt hier Typen, die sehen so dermaßen scheiße aus, sag ich dir.«

    »Nenn mir zwei Namen, die auf der Skala weniger als ’ne Fünf schaffen.«

    »Danny de Vito und mein Nachbar aus der 6C. Der ist minus vier! Hat er dich nach deiner Nummer gefragt?«

    »Nein, hat er nicht.«

    »Wie? Echt nicht? Ist er schwul?«

    »Unwahrscheinlich. Er hat eine neunjährige Tochter.«

    »Will nichts heißen.« Cass winkte ab, stutzte aber sofort. »Sag nicht, er ist verheiratet!«

    »Geschieden.«

    »Na, wenigstens etwas. Auf Neuware kannst du in deinem Alter nicht mehr hoffen. Andererseits …« Cass nahm einen Schluck von ihrer wortgewaltigen Koffeinkreation. »Besser, sie haben sich die Hörner schon an ’ner anderen abgestoßen. Dann wissen die Typen wenigstens, welche Fehler sie in der nächsten Ehe nicht wiederholen sollten.«

    »Ich habe nicht vor, je wieder zu heiraten.«

    »Hat Ellie auch behauptet. Kaum kam Seth, war’s aus mit unserer WG. Und er hat deine Nummer wirklich nicht? Obwohl er allein auf der Party war? Was für ein Idiot! Na, egal. Heute Abend findet ’ne irre Session im Black Panther statt. Total geile Musik, hippe DJs und coole Typen. Ein Kollege von mir kommt, den musst du kennenlernen. Rico. Kolumbianische Mutter, Vater mit irgendwelchen Siouxgenen. Der Kerl sieht zum Niederknien aus, glaub mir. Ich stell’ ihn dir vor und …«

    »Warum träumst du von Dimitri, wenn du ihn kennst?«

    »Schätzchen, Rico ist achtunddreißig!« Aus Cass’ Mund klang das wie fünfundneunzig. »Sieht aber nicht danach aus. Schau ihn dir an, du wirst hin und weg sein.«

    »Ein anderes Mal. Heute möchte ich zu Hause bleiben.«

    »Am Wochenende? Bist du krank? Honey, mein Doktor schiebt sonntags Notdienst. Warte …« Sie griff nach ihrem Handy, doch Gaby stoppte sie. »Mir geht es prima, ich will einfach nur einen Abend auf dem Sofa abhängen, ein Buch lesen, mir ’ne Pizza kommen lassen …«

    »Das ist dieses ganze Zeugs, das du in dich reinschlingst. Muffins, Pizza, Schokolade … Schätzchen, du musst dringend über deine Ernährung nachdenken! Du wirst schlapp. Zu viele Kohlenhydrate. Warte, ich habe da eine Gruppe für dich.« Erneut nahm sie ihr Smartphone zur Hand. »Mein neues veganes Ich …«

    »Gib’s auf, Cass, bevor ich mir noch einen Muffin hole. Außerdem müssen wir los. Hast du nicht um zwölf einen Termin?«

    »Au, scheiße, ja. Echt schon so spät? Mist.« Hektisch sprang sie auf, riss ihre Sporttasche vom Nachbarstuhl und kramte nach ihrem Autoschlüssel. »Falls du doch noch zur Party … Okay, okay. Nur wenn … Ruf mich an oder schick ’ne Nachricht. Wir sehen uns, Honey. Bye!«

    Kopfschüttelnd sah Gaby ihr hinterher, wie sie im Sturmschritt um die Ecke bog. Sie nahm ihre Tasche und reihte sich in der Schlange vor dem Tresen ein. Zeit für einen weiteren Cappuccino, der ihr den Heimweg versüßte.

    ***

    Nur mit Sweatpants bekleidet sah Nick der Kaffeemaschine bei der Arbeit zu. Quälend langsam spie das Gerät das schwarze Lebenselixier in die wie der Kopf von Donald Duck geformte Tasse. Joe Cockers Reibeisenstimme dröhnte aus den Boxen, doch es gelang ihm nicht, die Stille aus dem Haus zu treiben. Gegen diese war die beste Stereoanlage machtlos.

    Ein letztes Zischen verkündete, dass der Kaffee fertig war. Nick zog Donald unter dem Ausguss hervor, rührte den Zucker ein und lehnte sich gegen die Frühstücksbar. Seine Beine fühlten sich nach dem stundenlangen Run so bleischwer an wie seine Lider nach der durchwachten Nacht. Das Sofa sah verlockend aus. Hinlegen, die Augen schließen und schlafen. Nach ein paar Stunden frisch und erholt aufwachen. Er nippte an seinem dampfenden Kaffee und verfolgte, wie die heiße Flüssigkeit durch seine Kehle in den Magen rann. Hitze, die ihn ebenso wenig wärmte, wie der halb gegessene Bagel auf dem Teller die Leere in ihm füllte. Eine Leere, die bis vor wenigen Stunden in seinem Leben nicht existiert hatte.

    Er hatte das Letzte aus seinem Körper herausgeholt, dennoch war es ihm nicht gelungen, vor seinen Gedanken davonzurennen. Nach wie vor hörte er Gabrielles Stimme, den schweren Blues des Südens. Durchflutet von ihrem herzlichen Lachen wie Strudel in den trägen Fluten des Mississippi. Selbst beim Zeichnen sah er ihr Gesicht und verlor sich in ihren Augen.

    Sie war eine Frau, für die man die Welt aus den Angeln hob, um sie glücklich zu machen. Möglicherweise brächte sie das Glück zurück in sein Herz. In dieses Haus, das er für seine Familie gekauft hatte, und das ihm nicht einmal mehr gehörte.

    Erschrocken zuckte Nick zusammen. Was wollte er mit einer Frau? Oder, besser gefragt: Welche halbwegs vernünftige Frau ließ sich mit einem Kerl wie ihm ein? Sein mentales Dossier über Gabrielle gab nicht viel her. Sie war Ende vergangenen Jahres aus New Orleans hergezogen, lief auf atemberaubenden Beinen durchs Leben und verkaufte Kleidung an Männer, deren größtes Problem aus zu kurzen Hemdsärmeln oder zu engen Sakkos bestand. Sie mochte Chardonnay und hatte sich einen Spaß daraus gemacht, ihm ihren Namen zu verheimlichen.

    Er wünschte, er wüsste ihre Telefonnummer, obwohl er kein Recht hatte, sie anzurufen. Ebenso wenig, wie er in diesen Laden gehen durfte. Er hatte seiner Familie genug Schaden zugefügt. Gabrielle Parker sollte nicht dafür bestraft werden, dass sie auf der falschen Party gegähnt hatte. Du bist ein alleinstehender Mann in den besten Jahren und kein seniler Tattergreis, mahnte der kleine Teufel in seinem Hinterkopf an. Du müsstest eher dafür bestraft werden, dass du sie hast gehen lassen!

    Seine vernünftige Hälfte redete ihm ohne Unterlass ein, dass er Gabrielle vergessen und seinen Frust an einer Comiczeichnung auslassen sollte. Drei oder vier Bildchen würden ihn nicht nur ablenken, sondern sogar für Geld auf dem Konto sorgen. Stattdessen starrte er im Wechsel auf das jungfräulich weiße Blatt Papier vor ihm und die Wanduhr. Noch über fünf Stunden, bis Leonie heimkam. Wie sollte er fünf weitere Stunden lang diese Ungewissheit ertragen, ob es ihr gut ging? Seine Kleine in Theos Nähe zu wissen, brannte wie Phosphor in seinen Eingeweiden. Buddy passte auf sie auf. Buddy ging Theo an die Gurgel, sollte er es wagen, Leonie anzufassen. Nick hoffte zumindest, dass der Hund das Richtige tat, falls dieser Drecksack je wieder die Hand gegen seine Tochter erhob. Der Gedanke an Theo löste erneuten Juckreiz an seinem Bein aus. Er grub die Nägel in die Wade, bis Blut floss. Der scharfe Schmerz konnte das Kribbeln nicht stoppen. Immerhin lenkte ihn die Angst um Leonie von Gabrielle ab. Jeden Mittwoch und jedes zweite Wochenende die gleiche unbezähmbare Furcht, dass sie mit einer geröteten Wange und einer tiefen Wunde auf ihrer Kinderseele zurückkäme. Er vertraute Kate nicht, und Leonie sagte ihm aus Angst vor ihrer Mom nicht, ob Theo … Nur die verdammte Selbstschussanlage an seinem Knöchel hielt Nick davon ab, nach Pacific Palisades zu fahren und nachzuprüfen, wie es seinem Schatz ging. Er musste sich beherrschen. Wer passte auf Leonie auf, wenn er erneut Mist baute?

    ***

    Mit Rollerblades unter den Füßen fühlte sich Gaby wie ein echtes California Girl, sobald sie auf dem Radweg zwischen Santa Monica und Venice pendelte. Zwei Meilen, unterschiedlich wie Tag und Nacht. Vom Pier mit seinem nostalgischen Pferdekarussell, dem Riesenrad und der Achterbahn genoss man die Aussicht auf das Getümmel am Strand. Luxuriöse Hotels und Apartmentkomplexe grenzten den gigantischen Sandkasten vom Citylife jenseits der Ocean Avenue ab. Je weiter sie nach Süden rollte, desto quirliger und bunter explodierte das Leben um sie herum. Venice Beach, das Tollhaus der Ausgeflippten, Hippies, Selbstdarsteller und Künstler. Streetdancer performten zu wilden Klängen aus ihren Ghettoblastern, Musiker und Möchtegernstars bemühten sich, die Aufmerksamkeit der Passanten auf sich zu lenken. Es gab nichts, was es nicht gab. Handlesen oder Magie, Souvenirs und Trödel, beeindruckende Gemälde an den Hauswänden und betrunkene Obdachlose in verdreckten Hinterhöfen. Trotz der verwahrlosten Ecken und den allgegenwärtigen Graffiti erinnerte sie das Viertel an das French Quarter. Venice fehlte der Charme der Grand Dame, den die schmiedeeisernen Balkone im historischen Viertel von New Orleans verströmten. Doch das Leben pulsierte an beiden Orten im gleichen, unbändigen Rhythmus, der das Temperament der Stadt vorgab.

    Obwohl sie keinen Gefallen an den schnaufenden Kraftprotzen am Muscle Beach fand, stoppte sie. Menschliche Kleiderschränke stemmten Hanteln, die dem Gewicht eines Kleinwagens entsprachen und ließen ihre schweißüberströmten Muckis spielen. Unwillkürlich dachte sie an Nick. Ihr Kennerblick als Frau vom Fach ließ auf wesentlich ansprechender definierte Muskeln unter seinem Smoking

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