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Castle 10: Crashing Heat - Drückende Hitze
Castle 10: Crashing Heat - Drückende Hitze
Castle 10: Crashing Heat - Drückende Hitze
eBook372 Seiten5 Stunden

Castle 10: Crashing Heat - Drückende Hitze

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Über dieses E-Book

Die Ehe. Ein zweischneidiges Schwert, zumindest für Nikki Heat. Ihr Gatte, der preisgekrönte Journalist Jameson Rook, bringt sie manchmal auf eine Weise zur Weißglut, wie es niemand sonst in ihrem Leben jemals getan hat. Doch vor allem liebt sie ihn von ganzem Herzen und würde alles tun, um ihn zu beschützen. Genau das hat sie vor gar nicht langer Zeit tun müssen. Und es hat sie fast alles gekostet.

Nun soll Rook Gastprofessor an seiner alten Universität werden. Kurz nach seiner Ankunft auf dem Campus wird eine Reporterin der Zeitung tot aufgefunden. Nackt. In Rooks Bett.
Es ist nicht Nikkis Stil, einen solchen Verrat von einem Mann hinzunehmen. Jameson und sie hatten während ihrer komplizierten Beziehung viele Konflikte auszutragen, aber noch keinen wie diesen. Hat ihr Mann Geheimnisse vor ihr oder kann sie ihm vertrauen? Um das herauszufinden, beschließt sie, Jamesons Theorie von einer Geheimgesellschaft an der Uni Glauben zu schenken. Was sie herausfindet, stellt ihr investigatives Können sowie ihre Ehe auf eine harte Probe.
SpracheDeutsch
HerausgeberCross Cult
Erscheinungsdatum2. Dez. 2019
ISBN9783966580014
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    Buchvorschau

    Castle 10 - Richard Castle

    DREISSIG

    EINS

    Die Ehe.

    Die Ehe war ein zweischneidiges Schwert, oder wenigstens war sie das für Nikki Heat. Niemand hatte sie in ihrem Leben je so auf die Palme gebracht wie ihr Ehemann, Jameson Rook. Aber er trieb sie auch auf Gipfel der Leidenschaft, die zu erstürmen sie nie zu träumen gewagt hätte. Doch im Grunde war das alles egal, denn sie liebte diesen Mann von ganzem Herzen und hätte alles getan, um ihn und sein Leben zu schützen. Was sie vor gar nicht allzu langer Zeit auch getan hatte. Allerdings war der Preis hoch gewesen: Es hatte sie beide beinahe alles gekostet. Sie hatte sich während dieses letzten, großen Falls von Rook getrennt und sich deshalb schreckliche Vorwürfe gemacht. Letztendlich hatte sie nur getan, was sie hatte tun müssen, um ihn zu schützen. Aber um welchen Preis? Mit Derrick Storm zusammenzuarbeiten hatte sie von allem distanziert, was ihr lieb und teuer war, wie beispielsweise dem Mann, den sie liebte. Allerdings hatte sie dieser Fall auch wieder mit ihrer Mutter zusammengeführt. Sie hatte vieles gewonnen, aber auch vieles verloren.

    Warum war das Leben nur so kompliziert?

    Ihre Gedanken kreisten um ein einziges Wort: Reykjavík. Es weckte kribbelnde Erinnerungen an die ersten Tage ihrer Ehe mit Rook. Ihre Flitterwochen hatten sie von den grünen Bergen im Westen der Schweiz über die terrassenförmigen Weinberge und abgelegenen Fischerdörfchen Italiens bis hin zu den buddhistischen Tempeln in Tibet geführt. Reykjavík. Das Wort ließ all die leidenschaftlichen Augenblicke wieder lebendig werden, die sie und Rook damit verbracht hatten, die bemerkenswertesten Orte der Welt zu erkunden. Und nicht nur die, sondern auch einander. Wärme breitete sich in jedem Teil ihres Körpers aus. Kurz gesagt ließ ihr Codewort, Reykjavík, die Flammen der Leidenschaft in ihr auflodern.

    Für kurze Zeit hatten sie sich wieder versöhnt. Sie waren wieder da, wo sie hingehörten: beieinander. Alles war wieder in Ordnung.

    Aber jetzt gab es da ein anderes Wort, das mindestens genauso machtvoll war wie Reykjavík, jedoch wesentlich weniger metaphorisch. Zwei sehr buchstäblich miteinander verbundene Worte, die, statt Leidenschaft für ihren Gatten zu entfachen, das Blut in ihren Adern gefrieren ließen:

    Gastprofessur.

    Sie musste »Gastprofessur« nur denken, damit sich eine dicke Schicht arktischen Eises in ihr bildete. Und nicht einmal eine ganze Frachtkahnladung seines besonderen Charmes konnte sie wieder zum Schmelzen bringen. Tatsächlich war das wahrscheinlich das erste Mal, dass sie gegen seinen berühmten Charme beinahe immun zu sein glaubte, wenn sie sich vorstellte, dass Rook bald fort sein würde. Es wäre nicht für lange, aber dennoch …

    Sie tadelte sich im Stillen. Sie war Captain bei der New Yorker Polizei, um Himmels willen und ein verdammt guter noch dazu! Sie hatte viele Opfer gebracht, um das zu erreichen. Wie alle hatte sie als Frischling angefangen und sich die Karriereleiter hochgearbeitet: Streife. Detective. Sergeant. Teamleiterin. Lieutenant. Und jetzt leitete sie die Mordkommission des Zwanzigsten Reviers in New York City.

    Es war ein verdammt gutes Team. Und sie war verdammt stolz darauf.

    Wenn ihr nicht passte, dass ihr Ehemann sich eine Auszeit an seiner Alma Mater als Gastprofessor nehmen wollte, war das ganz allein ihr Problem. Er war einfach ihre Achillesferse. Von jemandem derart abhängig zu sein war ihr äußerst unangenehm. Und sich in Jameson Rook zu verlieben hatte ihren Charakter ja nicht grundsätzlich umgepolt. Aber es brachte ihren inneren Kompass hin und wieder ganz schön durcheinander. Sie hatten sich nicht einmal über all die Details dieser »Gastprofessur« unterhalten, sie hatte ihn jedes Mal abgewürgt, wenn er damit angefangen hatte. Denn solange sie keine Details kannte, war die ganze Sache nicht real.

    »Eine Garderobe«, flüsterte Rook in Nikkis Ohr. »Wir haben … mmh, wir haben, um es vornehm auszudrücken, unsere Leidenschaft noch nie in einer Garderobe ausgelebt.«

    Sie kehrte in die Gegenwart zurück. Ihre Haut prickelte unter der Hitze seines Atems in ihrem Nacken, aber sie beherrschte sich. Ihre Stimme blieb fest. Es war ein Spiel, das sie gerne spielte: vorzugeben, dass ihr Ehemann sie gar nicht so sehr erregte, wie er es in Wirklichkeit tat. Das gefiel ihnen beiden. »Gibt es hier überhaupt eine Garderobe?«

    »Wenn nicht, dann sollte es eine geben.« Er nahm ihre Hand und zog sanft daran, um sie dazu zu bewegen, aufzustehen. »Neugierige Geister würden das wissen wollen. Sollen wir es herausfinden, Detective?«

    »Für Sie immer noch Captain, Mr. Rook.«

    »Heißt das, du trägst später deine Captainsmütze für mich und sonst nichts?« Er strich sich über das Kinn. »Obwohl … vielleicht noch die Krawatte.«

    Sie entzog ihm ihre Hand und schüttelte den Kopf. »Rook«, meinte sie und versuchte dabei so zu klingen, als warne sie ihn, um die anzügliche Antwort zu verbergen, die ihr auf der Zunge lag. Ich trage Mütze und Krawatte – und du die Handschellen. »Heute Abend musst du erwachsen sein. Es ist immerhin eine Preisverleihung …«

    Er setzte sich wieder und verschränkte die Arme vor der Brust. »Meine Idee war sehr viel lustiger«, schmollte er.

    »… und du bist nominiert.«

    In seinen Augen lag dieses Funkeln, das sie wohl immer erstaunen würde. Jameson Rook war im tiefsten Inneren ein Kind geblieben. Tragödien und Tod in ihrem eigenen Leben hatten den unbeschwerten Teil von ihr vernichtet. Doch Rook war in einer intakten Familie aufgewachsen, mit einer Mutter, die ihn viel zu sehr verwöhnt hatte. Er hatte Heat vor der Tragödie ihrer eigenen Geschichte gerettet und das Funkeln, das sie nun in seinen Augen sah, erinnerte sie daran, wie sehr sie ihn liebte. Wie sehr sie ihn brauchte.

    »Wenn wir jetzt gehen, verpasst du, wie dein Name genannt wird«, meinte sie.

    Sein Mundwinkel verzog sich kaum merklich und sie wusste, dass sie ihn am Wickel hatte. »Vielleicht gewinnst du sogar«, fügte sie hinzu.

    Das schien zu wirken. Er fuhr zu ihr herum. »Vielleicht? Wenn ich nicht gewinne, ist das das Verbrechen des Jahrhunderts. Kein anderer Journalist hat mehr für diese Stadt getan als ich.« Er zählte seine journalistischen Meriten an seinen Fingern ab. »Allein dieses Jahr habe ich die Öffentlichkeit auf die Korruption in Verbindung mit den Verbrecherfamilien von New York und New Jersey aufmerksam gemacht, ich habe einen Betrug auf höchster Ebene in der elitärsten Vorschule auf der Upper West Side aufgedeckt, ich habe …«

    »Genau, du verdienst diesen Preis«, bestätigte Nikki und meinte es auch so. Jamie arbeitete hart und wühlte für seine Storys im Dreck. Er hatte keine Angst, sich die Hände schmutzig zu machen und suchte immer nach der Wahrheit. »Noch ein Grund mehr, nicht nach dieser ominösen Garderobe zu suchen – die wahrscheinlich gar nicht existiert«, meinte sie, wobei sie den letzten Teil eher laut dachte. »Du musst schließlich hier sein, wenn sie deinen Namen aufrufen.«

    Er rieb sich die Hände, bevor er sie auf seine Schenkel legte und sich erwartungsvoll vorbeugte. Alle Gedanken an ein Stelldichein in der Garderobe waren ausgelöscht, zumindest für den Augenblick.

    Sie nickte zufrieden. Sie hatte ihre Aufgabe erfüllt. Jetzt würde Rook die Nennung seiner Preiskategorie mit angehaltenem Atem erwarten. Es war wirklich eine Ehre und sie war stolz, an seiner Seite hier zu sein. Seine Ehefrau zu sein.

    Sie hatten sich beide dem Anlass entsprechend gekleidet. Er sah in seinem Maßanzug mit Nadelstreifen aus Nolitas exklusivem Duncan-Quinn-Store fantastisch aus. Der klassische Schnitt ließ ihn aussehen wie einen Geheimagenten à la James Bond. Wogegen sie nichts einzuwenden hatte.

    Sie selbst hatte sich für ein ärmelloses, dunkelrosa Kleid mit Applikationen aus ineinander verschlungenen Blüten aus schwarzem Samt entschieden, das kurz über dem Knie endete. Ihrer Erfahrung nach war es bei Veranstaltungen wie diesen meist recht kühl, also hatte sie eine leichte Stola mitgebracht, um sie, falls es notwendig wurde, um ihre nackten Schultern zu legen.

    Bisher hatte sie diese Stola allerdings nicht gebraucht und Rook schien das plötzlich zu bemerken. »Habe ich dir schon gesagt, wie umwerfend du aussiehst?«, flüsterte er und betrachtete sie wohlgefällig.

    »Erst ein- oder zweimal«, erwiderte sie. Die Hitze, die plötzlich in ihr aufstieg, warf die Frage auf, ob sie seine Idee, nach einer Garderobe zu suchen, vielleicht etwas zu vorschnell abgetan hatte.

    Wie so oft, wenn sie zusammen waren, schien er zu wissen, was sie gerade dachte. »Na, denkst du noch mal darüber nach, ob wir uns nicht doch eine Garderobe suchen sollten?«

    Sie zuckte betont gleichgültig mit den Schultern. »Tue ich das?«

    »Definitiv. Vergiss nicht, wie gut ich die kenne, Heat.«

    Sie hielt seinen Blick und gab sich noch gleichgültiger. Sie wollte den Spieß umdrehen. Ihm den Kopf verdrehen, statt sich ihren verdrehen zu lassen. »Und wie gut kennst du mich?«

    »Ich weiß, was in deinem Kopf vorgeht«, erklärte er.

    »So, tust du das?«, meinte sie und bemühte sich, sich nicht anmerken zu lassen, dass sie diese Garderobe finden wollte. Und zwar pronto!

    Er hob eine Augenbraue. »Aber ja.«

    »Okay«, sagte sie herausfordernd. »Was denke ich gerade?«

    Er legte die Finger leicht an seine Schläfen, als sei er ein Hellseher, und zog überrascht die Augenbrauen hoch. »Nikki Heat, also so was! Sie sind ja ein ganz böses Mädchen. Ich kann gar nicht erwarten, dass Sie mich allein in die Finger kriegen.«

    Sie schnaubte, um die Tatsache zu verdecken, wie richtig er lag. »Du hast einfach nur geraten«, meinte sie.

    Die Art, wie er den Kopf schief hielt, verriet ihr, dass er ihr das nicht abkaufte. »Ich rate nicht.«

    »So? Und was denke ich jetzt?«, forderte sie ihn heraus.

    Er rieb sich die Hände. »Ich mag dieses Spiel, Heat!«

    »Hör auf Zeit zu schinden, Rook. Was sagen dir deine hellseherischen Fähigkeiten?«

    »Ich kenne deinen Körper«, fuhr er fort und sprach dabei sehr langsam. Sehr eindringlich. »Ich kenne jeden Quadratzentimeter und jedes aufblitzende Neuron.« Er schenkte ihr ein spielerisch anzügliches Grinsen und ließ seinen Blick über ihren Körper wandern. »Ich kenne deine Zehen. Deine Waden. Deine Schultern.« Er hielt inne und ließ den Blick auf ihrem Dekolleté ruhen.

    Sie fächelte sich mit einer Hand Luft zu. »Wo ist denn bloß diese Garderobe, wenn man eine braucht?«

    »Ach, Heat, ich habe doch noch viel mehr auf Lager.«

    Sie schloss kurz die Augen. Ihr Körper und ihr Verstand … Du meine Güte, innerlich verging sie fast. Was konnte er denn noch alles mit ihr anstellen, während er nur hier neben ihr am Tisch saß?

    Er beugte sich zu ihr und senkte die Stimme zu einem Flüstern. »Ich kenne dein Herz, Nikki Heat. Ich kenne dein Herz besser als jeder sonst und du lässt meines schmelzen.«

    Sie schmolz auch gerade. Sie hatte viele Männer in ihrem Leben gehabt, aber keiner hatte sie je das fühlen lassen, was Rook sie fühlen ließ. »Womit habe ich dieses Glück nur verdient, Jamie?«, murmelte sie, beugte sich vor und küsste ihn.

    Sie spürte sein Lächeln an ihren Lippen. »Die Frage sollte ich stellen.«

    Sie lösten sich voneinander und er hob die Hand, um einen imaginären Kellner zu rufen. »Garçon! Eine Garderobe! Eine Garderobe! Mein Königreich für eine Garderobe!«

    »Ach, aber leider gibt es keine Garderobe«, murmelte sie. »›Nun ward der Winter unsers Missvergnügens!‹«

    Obwohl sie das College mit einem Abschluss in Kriminalrecht verlassen hatte, hatte sie auch Zeit gefunden, als zweites Hauptfach englische Literatur zu belegen. Sie kannte die Klassiker.

    Sie saßen an einem Tisch für zehn Personen, der mitten in der historischen Seilfabrik in Brooklyn stand. Die nackten Ziegelwände mit ihren Holzbalken ließen die über zweihundertjährige Geschichte des Ortes erahnen. Sie hatten vor dem offiziellen Beginn der Verleihungszeremonie einen Drink auf der Dachterrasse genommen und diese dreißig Minuten hatten den Abend, der ohnehin schon bemerkenswert war, dank des atemberaubenden Blicks auf die nächtliche Skyline der Stadt noch außergewöhnlicher gemacht.

    Jetzt erstarb das leise Raunen der Gespräche im Saal und Heat und Rook richteten ihre Aufmerksamkeit auf die Bühne. Befestigt an den nackten Balken und exakt mittig platziert verkündete ein Banner: »Jährliche Verleihung des Nellie-Bly-Awards für außergewöhnliche journalistische Arbeit«. Der Moderator, ein alter Collegefreund Rooks, sprach in ein Mikrofon, das an seinem Revers befestigt war. Statt sich hinter einem Podium zu verschanzen, wanderte er über die Bühne, als nehme er gerade an einer Telefonkonferenz teil.

    »Pressefreiheit«, begann er. »Pressefreiheit ist ein Konzept, das erstmals 1791 auftrat, zu einer Zeit, in der der Begriff Presse sich nur auf Bücher und Zeitungen bezog. Erst über ein Jahrhundert später wurde das Radio erfunden …«

    Rook lehnte sich auf seinem Stuhl zurück und atmete tief durch. Immer noch umspielte ein Lächeln sein Lippen. »Mach es dir bequem, Liebling. Wenn Raymond Lamont eines ist, dann ausschweifend.«

    Nikki hätte Raymond Lamont auch ohne diesen Hinweis für einen Schwätzer gehalten. Er hielt den Rücken viel zu gerade und die übertrieben lässige Art und Weise, wie er seine Hände in die Hosentaschen steckte, deutete darauf hin, dass er die Absicht hatte, eine ganze Weile auf der Bühne zu bleiben. Und nicht zuletzt war da noch die langsame, betuliche Erzählstimme, in der eindeutig mitschwang, dass er sich selbst ziemlich wichtig nahm.

    »Jetzt bekommen wir einen minutiösen Vortrag über die herausragende Bedeutung des ethischen Journalismus, der die Regierung zur Rechenschaft zieht, wie die Gründerväter …«, fuhr Rook fort. Er wies dramatisch an die Decke und deklamierte mit einer Stimme eine Oktave tiefer als seine eigene: »›Wenn ich zu wählen hätte zwischen einem Volke mit einer Zeitung und ohne eine Regierung – und einem Volke mit einer Regierung, aber ohne Zeitung – so würde ich mich unbedingt für Ersteres entscheiden!‹«

    Nikki musste vor Rooks Verkörperung des Gründervaters, von dem dieses Zitat stammte, den Hut ziehen. »Jefferson?«, fragte sie.

    »Sehr gut«, lobte Rook anerkennend. »Eins plus für deinen Geschichtslehrer. Er oder sie hat gute Arbeit geleistet.«

    »Eins plus für mich, dafür, dass ich so fleißig gelernt habe«, korrigierte sie ihn. »Aber wirklich, so schwer war das doch nicht. Das Stichwort ›Gründerväter‹ war ein guter Hinweis.«

    »Ja, nicht wahr?« Er beugte sich zu ihr hinüber, sodass sich ihre Schläfen berührten. »Ich liebe, wie Sie mir an den Lippen hängen, Detective.«

    »Captain«, korrigierte sie ihn wieder.

    »Richtig.« Er wackelte mit den Augenbrauen. »Haben Captains eigentlich noch Handschellen?«

    »Oh ja,«, erwiderte sie. »Und einen Schlüssel zum Materiallager.«

    »Ah. Unbegrenzter Zugang also. Ausgezeichnet.«

    Im Saal brach jetzt spontan Applaus aus und lenkte Nikkis und Rooks Aufmerksamkeit wieder auf die Bühne.

    »Was haben wir verpasst?« Rook zog eine Grimasse. Jetzt sah er eher wie ein Kleinkind aus, das sein Eishörnchen hatte fallen lassen, statt wie der gestandene Journalist, der er war. Was auch immer das Publikum hatte jubeln lassen, es war vorbei. Raymond sprach bereits weiter.

    »Fake News waren schon immer ein Schwachpunkt der Medien«, sagte er jetzt. »Aber wie es die Gründerväter beabsichtigten«, an dieser Stelle warf Rook Nikki einen wissenden Blick zu, »sind die Medien ein Kontrollorgan unserer Regierung. Wir müssen hart und integer arbeiten, um sicherzustellen, dass die aufrechten Bürger der Vereinigten Staaten immer über die wichtigen und relevanten Themen aufgeklärt werden und dass diese ihnen immer mit Aufrichtigkeit und Integrität präsentiert werden.«

    Nach einer weiteren Runde Applaus kam Raymond Lamont endlich zu den Namen der Nominierten. »Der Nellie-Bly-Award ist vielleicht nicht der Pulitzer. Nichtsdestoweniger handelt es sich um einen wichtigen und wertvollen Preis in journalistischen Kreisen. Für die, die es noch nicht wissen: Nellie Bly ließ sich 1887 als Patientin in eine psychiatrische Klinik einweisen, um so die erbärmlichen Lebensumstände und die Misshandlungen der Patientinnen dort aufzudecken. Es war der erste Enthüllungsartikel dieser Art – eine wahre Aufopferung, um die Wahrheit zu finden und zu enthüllen, egal wie hoch der Preis ist.

    Obwohl es nur einen Gewinner des renommierten Nellie-Bly-Awards geben kann, ehren wir heute gleich vier herausragende Journalisten«, hörte Nikki und vergaß auf der Stelle die ersten drei Namen, die Raymond Lamont nannte. Doch dann sagte er: »Und für seinen Enthüllungsartikel über die Korruption der hiesigen Regierung: Jameson Rook.«

    Rook lächelte etwas dümmlich, als habe er Lampenfieber. Er spielte diese Rolle mühelos. Als er den Saal mit einem königlichen Winken bedachte, konnte Nikki ein Auflachen nicht unterdrücken. »Du hast wirklich deine Berufung verfehlt«, sagte sie, als sie wieder zu Atem kam. »Mit diesen schauspielerischen Fähigkeiten solltest du einen Oscar bekommen, keinen Nellie Bly.«

    Er wandte sein ausgesprochen attraktives Gesicht Nikki zu und setzte seinen besten Dackelblick auf. »Soll das heißen, ich meine es nicht ernst? Ich bin geehrt!« Er legte die Hand auf die Brust. »Wirklich geehrt, auch nur nominiert zu sein, und …«

    »Der Gewinner ist … Jameson Rook!«

    Wieder brach Applaus im Saal aus, diesmal allerdings standen die Leute auf.

    »Ich habe gewonnen?« Rook klang ungläubig. »Ich habe gewonnen.« Das zweite Mal war es nicht so sehr eine Frage, sondern vielmehr eine Feststellung. Dann sprang er endlich auf und sah mit einem triumphierenden Grinsen auf sie hinab. »Ich habe gewonnen!«

    Nikki nickte, während sie lächelnd klatschte. Seine Begeisterung war ansteckend. »Natürlich hast du gewonnen. Du bist eben der Beste! Und jetzt lass uns mal deine Rede hören.«

    Er holte rasch einen Stapel Moderationskarten aus der Innentasche seines Anzugjacketts, warf ihr eine Kusshand zu und machte sich auf den Weg zur Bühne. Er und Lamont umarmten sich, wobei Lamont ihm auf den Rücken klopfte. »Hast du dir redlich verdient, du Mistkerl.« Er bemerkte gar nicht, dass er das Mikro nicht abgeschaltet hatte. »Hast du dir redlich verdient. Ich hoffe nur, ich muss in Cambria kein Büro mit dir und deinem aufgeblasenen Ego teilen.«

    Rook trat einen Schritt zurück und legte seine Hände auf Lamonts Schultern. »Es ehrt mich umso mehr, den Preis von dir überreicht zu bekommen«, antwortete er so, dass der ganze Saal es hören konnte. Nikki konnte selbst aus der Entfernung sehen, dass die Augen ihres Gatten spöttisch funkelten. »Mein aufgeblasenes Ego und ich werden immer ein Plätzchen für dich freihalten, Ray.«

    Wieder brach im Saal Applaus aus, sodass Lamont nun herumfuhr. »Mist«, murmelte er und wirkte zu Tode erschrocken. »Äh, tut mir leid, liebes Publikum.« Er ließ seinen Blick kurz über selbiges gleiten, um den zu entdecken, der für die Technik verantwortlich war und das Mikro nicht rechtzeitig abgeschaltet hatte. Rook für seinen Teil fegte sich ein unsichtbares Staubkörnchen vom Revers und ging zum Bühnenmikrofon hinüber, nicht im Geringsten irritiert von dem kleinen Zwischenfall. »Der Tonfall zwischen alten Kollegen und Freunden ist manchmal ein wenig derber«, erklärte er und erntete dafür noch einmal Applaus. Dann hob er zu seiner Dankesrede an.

    »Verschwörungstheorien«, begann er. »Sie waren es, die mich meine Liebe zu Ermittlungen entdecken ließen.«

    Nikki schlug die Beine übereinander, nippte an ihrem Glas Chardonnay und lehnte sich zurück. Wenn sie etwas über Jameson Alexander Rook wusste, dann, dass er gern ausschweifende Reden hielt.

    ZWEI

    Rook war bei der Preisverleihung vollkommen in seinem Element. Nikki zog ein zurückgezogenes Leben vor, Rook dagegen liebte es, im Scheinwerferlicht zu stehen. Dieser fundamentale Unterschied zwischen ihnen beiden machte das Leben interessant, um es vorsichtig auszudrücken.

    Er beherrschte das Publikum, sie beobachtete es. Das war in ihrer Beziehung ganz natürlich. Sie hatte schon vor langer Zeit, gleich nachdem sie ihre Mutter verloren hatte – was sie streng genommen allerdings gar nicht hatte, da ihre Mutter natürlich inzwischen von den Toten auferstanden war –, gelernt, wie naiv es war, nicht genau auf ihre Umgebung zu achten. Man konnte nie wissen, welcher Sturm sich hinter der nächsten Ecke zusammenbraute.

    Deshalb hielt sie sich am Rand des Saals, um immer den ganzen Raum im Blick zu haben, und schnappte in ihrer Wanderung den einen oder anderen Gesprächsfetzen auf. Dabei fielen ihr besonders zwei Frauen auf, die am anderen Ende des Saals saßen und Rook aus der Ferne beobachteten.

    »Gut aussehend und klug. Definitiv ein guter Fang!«, bemerkte eine von ihnen.

    »Aber er ist nicht mehr zu haben«, erwiderte die andere.

    Die erste nickte wissend. »Verheiratet.«

    »Mit einer Polizistin. Hast du sie mal gesehen?«

    »Nein, aber er ist so heiß! Ich bin sicher, sie verdient ihn gar nicht.«

    Nikkis Unterkiefer klappte herunter. Sie verdiente Rook nicht? Wer waren diese Frauen, so über sie zu urteilen?

    »Sie ist umwerfend, Sue«, widersprach die andere Frau. »Sie sind das perfekte Paar. Ich habe vor ein paar Wochen ein Interview mit Rook gesehen. Er hat sich förmlich überschlagen. ›Die perfekte Kombination von Intelligenz und Schönheit‹, hat er geschwärmt. Du hättest sein Gesicht dabei sehen sollen. Ich sage dir, der Mann ist verliebt.«

    »Ist sie nicht hier?«

    Die erste Frau nickte. »Groß, perfekte Haut. Sie hätte Model werden können, weißt du.«

    »Warum ist sie dann Polizistin geworden?«

    Die beiden sahen sich an und zuckten gleichzeitig mit den Schultern.

    Nikki überließ sie kopfschüttelnd ihren Vorurteilen und Spekulationen über ihre Beziehung zu Rook und die Wahl ihrer Karriere. Worüber die Leute sich nicht alles den Kopf zerbrachen …

    Nikki ging weiter und umrundete dabei auch einen Tisch voller Journalisten, an dem es recht lebhaft zuging. »Dieser Artikel war bestenfalls mittelmäßig«, sagte einer von ihnen.

    »Richtig!«, erwiderte ein anderer und schlug heftig genug mit der flachen Hand auf den Tisch, dass die Salz- und Pfefferstreuer tanzten und die Cocktailgläser klirrten.

    »Du bist doch nur eifersüchtig«, warf eine dritte Person am Tisch ein, eine Frau, die von Kopf bis Fuß in schwarze Pailletten gehüllt war. »Dieser Bericht über Lindsy Gardner und die Bestechungsaffäre … der war ziemlich gut.«

    Nikki wollte sich vorbeugen, ebenfalls auf den Tisch hauen und sagen: »Verdammt richtig, der war wirklich gut!« Diese Story hatte alles. Gier, Macht. Eine lange verloren geglaubte Mutter. Eine Nahtoderfahrung. Rook hatte alles mühelos eingefangen, wie er gern sagte.

    Nikki ging weiter und schnappte noch mehr Gespräche auf. Nur vereinzelte Worte, die im Raum hingen und ohne Kontext bedeutungslos waren.

    Nach gut zwanzig Minuten kam sie schließlich zu Rook zurück, schlang ihren Arm um seine Taille und schmiegte sich an ihn. »Wollen wir langsam die Kurve kratzen, Großer?«

    Doch anstatt auf ihren Vorschlag einzugehen, packte er ihr Handgelenk und wirbelte sie herum, sodass sie beinahe das Gleichgewicht verloren hätte. »Die Kurve kratzen? Bist du verrückt geworden? Wir können jetzt nicht gehen. Ich werde doch gerade erst warm. Siehst du die da drüben?« Er wies mit dem Whiskytumbler auf eine Gruppe von Leuten.

    »Was ich sehe, sind eindeutig zu wenige Frauen. Ich meine, komm schon, Rook. Du willst mir doch nicht erzählen, dass Frauen keine preisgekrönten Artikel schreiben.«

    Er wedelte mit der Hand vor ihrer Nase herum. »Natürlich tun sie das. Sei doch nicht albern. Ich habe gerade erst den Nellie-Bly-Award gewonnen. Und sieh mal da drüben«, meinte er und wies wieder mit dem Glas auf eine Frau. »Das ist Rebecca Reisenbold. Erst letztes Jahr hat sie den sehr exklusiven …« Er strich sich über das Kinn. »Wie hieß dieser Preis doch gleich?«

    Niki schüttelte den Kopf. »Genau das meine ich, Rook.«

    Er winkte verächtlich ab. »Nein, nein, nein, Nikki Heat. Wirf mich nicht in einen Topf mit diesen steifen, verknöcherten Tattergreisen!«

    Sie spürte, wie ein Grinsen sich von einem Ohr zum anderen ausbreitete. Sie trat wieder näher an ihn heran und schob ihre Hand unter sein Jackett und schlang sie um seine Taille.

    »Oh, Baby, ein bisschen steif darfst du schon sein?«

    Sie spürte, wie er sich anspannte. Oh ja, jetzt hatte sie ihn. Sie wusste, dass seine Augen sich ein wenig weiteten. Wenn sie in einem Cartoon gewesen wären, hätte sein fester Griff um den Whiskytumbler das Glas sicher splittern lassen. Die Worte, die nun über seine Lippen kamen, waren beinahe unverständlich. »Ich … kann … steif … Garderobe … jetzt!«, stotterte er leise mit halb geschlossenen Augen.

    Sie griff nach seiner Krawatte und zog ihn hinter sich her. »Sag ich doch. Wir kratzen die Kurve.«

    »Oh ja«, sagte er wieder und folgte ihr dabei wie ein Tiger, den sie gezähmt hatte. »Ich mag es, wenn du die Krallen ausfährst.«

    Ohne langsamer zu werden, stellte sie ihr Weinglas auf einem Tisch ab, an dem sie vorbeikamen. Rook, der ihr immer noch wie ein Schoßhündchen folgte, tat das Gleiche mit seinem Tumbler. Sie hatten beinahe den Ausgang erreicht, wo sie ein Taxi zu ihrem Loft in Tribeca rufen konnten. Keiner hatte sie aufgehalten, keiner hatte bemerkt, dass sie gingen. Nikki wollte gerade die Tür aufstoßen. Sie hatten es fast geschafft …

    »Jamie, wo zum Teufel willst du denn jetzt schon hin?« Die dröhnende Stimme von Raymond Lamont ließ sie auf der Stelle stehen bleiben. Er schlenderte auf sie zu und schlug Rook mit einer Hand auf den Rücken. In der anderen hielt er ein Glas Whiskey.

    Verdammt!, dachte Nikki. Es war so knapp gewesen.

    Eine junge Frau tauchte hinter Lamont auf. Sicher nicht sein Date, schoss Nikki durch den Kopf, auch wenn es sie nicht überrascht hätte. Ein Professor, der sich mit einer Studentin einließ, wäre das ultimative Klischee.

    »Es war ein langer Tag, weißt du«, erwiderte Rook. Heat hatte weiterhin eine Hand auf seinem Arm, in der Hoffnung, dass sie ihn hinausbugsieren könnte, solange es noch früh genug war, um am Wasser entlangzuspazieren, wenn sie erst wieder in Tribeca waren.

    Lamont nickte Nikki zu und lächelte. »Du brauchst nichts mehr zu sagen. Eine wunderschöne Nacht für Liebende.«

    Nikki zuckte innerlich zusammen. Es war nicht so, dass sie Lamont nicht mochte, aber du lieber Gott … Er konnte so schmierig sein! Andererseits war er allerdings auch interessant und klug. Er trug einen Ohrring und sie hatte sogar eine Tätowierung auf der Innenseite seines Handgelenks entdeckt, als sein Ärmel ein wenig hochgerutscht war. Aber er trank oft zu viel, und heute war einer dieser Tage. Er war nicht mehr ganz so sicher auf den Beinen wie zuvor auf der Bühne und er lallte.

    »Aber bevor ihr geht, meine Lieben«, sprach er weiter, »möchte ich dir ein Mitglied deines Fanclubs vorstellen. Chloe Masterson, Jameson Rook.« Lamont schob die junge Frau sanft nach vorne.

    Nikki hatte ihr halbes Leben damit zugebracht, Menschen zu beobachten und ihr Verhalten zu studieren. Sie hatte gelernt, Personen schnell einzuschätzen, auch wenn sie sich mit ihrem Urteil zurückhielt, bis sie mehr erfahren hatte. Ihr erster Eindruck dieses Mädchens war der einer selbstbewussten und starken Frau, die wusste, wie sie bekam, was sie wollte. Sie hatte schulterlanges schwarzes Haar, das von einem

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