Nur ein Zeitvertreib: Sophienlust 430 – Familienroman
Von Aliza Korten
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Über dieses E-Book
Diese beliebte Romanserie der großartigen Schriftstellerin Patricia Vandenberg überzeugt durch ihr klares Konzept und seine beiden Identifikationsfiguren.
»Wohin also mit dem Jungen?« Die freundliche Sozialhelferin sah den Leiter des Jugendamtes betrübt an. »Keine Angehörigen vorhanden«, erklärte sie knapp. »Philipp Warstatt lebte bei seinem Großvater, da die Mutter bei der Geburt des Kindes gestorben ist. Den Namen des Vaters hatte die Mutter nicht angegeben. Es fanden sich darüber keinerlei Unterlagen. So bleibt nur das Kinderheim in der Kreisstadt – wenigstens für den Anfang. Am besten bringe ich den Jungen noch heute dorthin. Er kann ja unmöglich allein in der Wohnung bleiben über Nacht.« »Der alte Herr hätte doch irgendwie Vorsorge treffen müssen«, meinte der Amtsleiter tadelnd. Die Sozialhelferin hob die Schultern. »Er war erst dreiundsechzig. Gewiß hoffte er, seinen Enkel noch großziehen zu können.« Die Sozialhelferin erhielt von ihrem Chef eine entsprechende Anweisung und fuhr in ihrem kleinen Wagen zurück nach Wiesberg, zu dem bescheidenen Mietshaus, in dem der Großvater des kleinen Philipp Warstatt so plötzlich verstorben war. Der Bub war fünf Jahre alt, hatte einen brauen Pagenkopf und schaute aus großen, aufgeweckten Augen in die Welt. Noch hatte er das schreckliche Ereignis nicht begriffen. »Wer bist du?« fragte er das junge Mädchen mit heller Stimme.
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Buchvorschau
Nur ein Zeitvertreib - Aliza Korten
Sophienlust
– 430 –
Nur ein Zeitvertreib
Aliza Korten
»Wohin also mit dem Jungen?«
Die freundliche Sozialhelferin sah den Leiter des Jugendamtes betrübt an. »Keine Angehörigen vorhanden«, erklärte sie knapp. »Philipp Warstatt lebte bei seinem Großvater, da die Mutter bei der Geburt des Kindes gestorben ist. Den Namen des Vaters hatte die Mutter nicht angegeben. Es fanden sich darüber keinerlei Unterlagen. So bleibt nur das Kinderheim in der Kreisstadt – wenigstens für den Anfang. Am besten bringe ich den Jungen noch heute dorthin. Er kann ja unmöglich allein in der Wohnung bleiben über Nacht.«
»Der alte Herr hätte doch irgendwie Vorsorge treffen müssen«, meinte der Amtsleiter tadelnd.
Die Sozialhelferin hob die Schultern. »Er war erst dreiundsechzig. Gewiß hoffte er, seinen Enkel noch großziehen zu können.«
Die Sozialhelferin erhielt von ihrem Chef eine entsprechende Anweisung und fuhr in ihrem kleinen Wagen zurück nach Wiesberg, zu dem bescheidenen Mietshaus, in dem der Großvater des kleinen Philipp Warstatt so plötzlich verstorben war.
Der Bub war fünf Jahre alt, hatte einen brauen Pagenkopf und schaute aus großen, aufgeweckten Augen in die Welt. Noch hatte er das schreckliche Ereignis nicht begriffen.
»Wer bist du?« fragte er das junge Mädchen mit heller Stimme.
»Ich heiße Christiane. Wir wollen jetzt deinen Koffer packen, damit ich dich ins Kinderheim bringen kann. Du bist schon angemeldet, und ich glaube, es wird dir dort gefallen, Philipp.«
»Kommt… kommt er nicht zurück?« flüsterte der Junge unsicher.
Christiane schüttelte den Kopf. »Dein lieber Großvater ist gestorben, Philipp.« Sie war für Aufrichtigkeit gegenüber Kindern.
Philipp holte tief Atem. »Nein, dann kommt er nicht mehr. Meine Mami ist auch gestorben. Ich habe sie nie gesehen.« Spontan beugte sich Christiane nieder und umarmte das verwaiste Kind. »Dein Großvater und deine Mami sind jetzt irgendwo da droben im Himmel«, flüsterte sie in dem heißen Bemühen, das Kerlchen ein wenig zu trösten. »Wenn abends die Sterne herauskommen, sehen sie auf dich herab. Sie haben dich lieb, auch wenn sie nicht mehr bei dir sein können.«
Philipp antwortete nicht.
Christiane suchte aus dem Schrank seine Kleidung zusammen. Dabei stellte sie fest, überall herrschte mustergültige Ordnung sowie Sauberkeit in der kleinen Wohnung des so jäh verstorbenen Frührentners.
»Was wird mit der Wohnung und den Möbeln?« fragte der Hausmeister herausfordernd. »Zum nächsten Ersten muß die Wohung vermietet werden.«
»Jemand vom Sozialamt wird sich darum kümmern. Wir haben heute erst den Zehnten.« Schlimm, daß dieser Mann schon an den neuen Mieter dachte!
Eine halbe Stunde später hielt der kleine Philipp Warstatt Einzug im Städtischen Kinderheim – ein stilles scheues Bübchen, das seine unbekümmerte Fröhlichkeit mit einem Schlage verloren hatte. Würde er sie jemals wiederfinden?
*
Die Stadverwaltung der Kreistadt bestand aus fortschrittlich denkenden Männern und Frauen. Eine Aktion »Kinder aus den Heimen in die Familien« wurde ins Leben gerufen. Überall hingen Plakate aus, die die Bürger aufforderten, sich um Pflegekinder zu bewerben. Wenn irgend möglich, wurden Adoptionen für die Heimkinder angestrebt, um sozial benachteiligten Jungen und Mädchen bessere Lebenschancen zu bieten.
Der Aufruf wurde erstaunlich positiv aufgenommen. Es gab zahlreiche Familien, die bereit waren, einen Buben oder ein Mädchen zu sich zu nehmen.
Für Philipp schien sich ein besonderes Glück anzubahnen. Um ihn bemühte sich die erst kürzlich verwitwete steinreiche Verena Bachmann, deren Mann mit einem Sportflugzeug tödlich verunglückt war. Verena Bachmann wohnte in Maibach und lud Philipp mehrmals in ihre große Villa ein, wo sie ihn mit Leckereien bewirtete und ihm Spielzeug schenkte. Sie war eine attraktive Frau von achtundzwanzig Jahren, die ihrem Dasein durch die Adoption eines verwaisten Kindes einen neuen Sinn und Inhalt verleihen wollte.
Die amtliche Überprüfungen der Bewerberin ergab die besten Resultate. Verena Bachmann wollte Philipp bei der Adoption zum Universalerben einsetzen. Vor allem aber war es ihre Absicht, ihm eine unbeschwerte, glückliche Kindheit, eine erstklassige Ausbildung und eine in jeder Hinsicht gesicherte Zukunft zu bieten.
Philipp selbst ließ nicht erkennen, wie er zu der schönen Dame, die ihn mit Freundlichkeiten überschüttete, stand. Er blieb so still und in sich gekehrt wie seit dem Tag seiner Ankunft im Heim. Er nickte nur, als man von ihm wissen wollte, ob er gern in Frau Verena Bachmanns Haus übersiedeln und von nun an dort wohnen wolle.
Der Vertrag kam zustande. Für sechs Monate sollte Philipp als Pflegesohn bei Verena Bachmann leben. Erst dann würde über die endgültige Adoption entschieden werden. So bestimmte es das Gesetz. Verena Bachmann war traurig, daß ihr der Junge nicht sogleich endgültig zugesprochen wurde. Sie wollte ihm ihren Namen geben, um seine Mutter zu werden.
»Die Wartezeit vergeht schnell, Frau Bachmann« tröstete sie der Vertreter des Amtsgerichtes. »Diese Probezeit wird vereinbart, damit bei schwerwiegenden Gründen ein Rücktritt möglich ist. Sobald Philipp rechtskräftig von Ihnen adoptiert ist, gilt er vor dem Gesetz als Ihr Sohn.«
»Genau das strebe ich an«, erwiderte Verena strahlend. »Sehen Sie, mein Mann hatte sich einen Sohn gewünscht, um ihm später das Vermögen und die große Fabrik übergeben zu können. Ich handele ganz in seinem Sinne, wenn ich nun ein armes Waisenkind zum Erben einsetze. Philipp wird studieren, damit er das Werk erfolgreich leiten kann, wenn er erwachsen ist. Der Intelligenztest hat bewiesen, daß er begabt ist. Obendrein habe ich ihn liebgewonnen. Wir sind bereits die allerbesten Freunde – Philipp und ich.«
Die Würfel waren gefallen. Wie ein kleiner Prinz wurde Philipp von Verena in ihrem Luxuswagen abgeholt.
»Ich besuche dich einmal«, versprach die Sozialhelferin Christiane dem Jungen beim Abschied, denn sie war beauftragt worden, sich über das Ergehen des Pflegekindes Philipp Warstatt zu informieren.
*
»So, wir fahren zuerst einmal zum Einkaufen, mein Junge. In diesem unmöglichen Aufzug brauchst du nicht mehr herumzulaufen.«
Philipp, der hinten im Wagen saß, betrachtete sein verwaschenes T-Shirt und die ausgebeulten Jeans. Bisher hatte er sich über seine Kleidung kaum Gedanken gemacht. Er liebte frisch gewaschene Sachen, weil sie so gut dufteten. Sein Großvater hatte die Waschmaschine fast täglich in Betrieb gesetzt, um den kleinen schmutzigen Wildfang jeden Morgen sauber in den Kindergarten schicken zu können. Ob T-Shirt, Hose und Pulli jeweils farblich zueinander paßten, hatte weder den kleinen, noch den alten Mann interessiert.
Verena war völlig anderer Meinung. Sie fuhr zu einem eleganten Spezialgeschäft für Kindermoden und kaufte eine komplette neue Ausstattung für Philipp. Immer wieder betonte sie gegenüber der übereifrigen Geschäftsinhaberin, daß Philipp ihr Sohn sei. Sie sonnte sich in dieser neuen Rolle, ohne dabei auf des Jungen verschlossenes, blasses Gesichtchen zu achten.
»Nein, nein, er darf das alte Zeug nicht mehr tragen. Werfen Sie alles weg«, entschied Verena, nachdem Philipp in dunkelblauen Samtkniehosen, einem hellblauen Flanellhemd und farblich abgestimmten Schnallenschu-hen vor ihr stand. Das große Paket mit weiteren neuen Klediungsstücken war schon fertig. Nun wollte die Ladenbesitzerin noch Philipps bisherige Kleidung einwickeln.
»Die Hose ist doch noch gut«, wandte Philipp leise ein.
Verena schüttelte energisch den Kopf. »Das kommt nicht in Frage, mein Kleiner. Von heute an wirst du schick angezogen.«
Wehmütig sah Philipp seine Sachen dahinschwinden. Sie wurden lieblos zusammengerollt und flogen in eine Ecke.
Glücklicherweise konnte er den Kummer vergessen, denn Verena fuhr nun mit ihm zu einer Konditorei, in der er nach Herzenslust Kuchen und Eis auswählen durfte.
Dann erst ging es nach Hause. Über der Eingangstür der Villa war eine Girlande befestigt worden. Die beiden Hausmädchen begrüßten Philipp mit freundlichen Gesichtern.
»So, nun bleibt er für immer bei mir«, verkündete Verena triumphierend. »Komm, Junge, ich zeige dir dein Zimmer.«
Sie zog ihn an der Hand die teppichbelegte Treppe in der Halle empor. Im oberen Stockwerk führte sie ihn in das große, sonnige Zimmer, das sie für ihn vorbereitet hatte. Eine helle Tapete, bunte Vorhänge und brandneue moderne Kindermöbel hatte Verena angeschafft. Die Bettbezüge waren lustig bedruckt, und im Regal prangten Spielwaren, Stofftiere, Autos in reicher Auswahl – viel zuviel für den bescheidenen Philipp, der sich ungläubig umschaute.
»Ist das für mich?« vergewisserte er sich mit stockender Stimme.
»Natürlich, mein Kleiner. Du bekommst noch mehr Spielzeug, wenn du möchtest. Ich wußte nicht genau, was du dir wünschst.«
Philipp ging zum Regal und griff nach einem kleinen, weichen Teddy, den er sogleich zärtlich ans Herz drückte. Ein schwaches Lächeln erhellte sein Gesicht.
»Gefällt er dir?«
Er nickte. Verena beugte sich nieder und küßte ihn, ohne zu beachten, daß er vor dieser stürmischen Zärtlichkeit erschrocken zurückweichen wollte. »Du sollst glücklich bei mir werden, Philipp. Eigentlich möchte ich lieber Phil zu dir sagen. Das klingt netter. Bist du damit einverstanden?«
Philipp hob die Schultern. Bisher war er stets mit seinem vollen Namen gerufen worden. Doch hier war sowieso alles anders…
»Willst du mich Mutti nennen?« fuhr Verena eifrig fort. »Du bist doch jetzt mein Kind.«
Jetzt schüttelte der kleine Junge den Kopf. »Das… das geht nicht. Meine Mami ist gestorben«, erklärte er entschieden.
»Ich bin die neue Mutti«, versuchte Verena es noch einmal und runzelte dabei etwas ärgerlich die Stirn.
»Nein«, erwiderte Philipp leise, aber mit großer Bestimmtheit. »Du bist Tante Verena. Das